Verbesserung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen – Energie und Klimaschutzstrategie in Thüringen

Solar district heating Instruments for policy and legal framework Integrierte Energie- und Klimaschutzstrategie Dieses Projekt wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der europäischen Union gefördert (Förderkennzeichen 691624). Gegenstand: Integrierte Energie- und Klimaschutzstrategie Beschreibung: Entwicklung eines Entwurfs zur “Integrierten Energie- und Klimaschutzstrategie ” Datum: 14.05.2018 Autor: Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz Dokumentendownload: www.solar-district-heating.eu/en/knowledge-database/ Zusammenfassung der Maßnahme Region: Thüringen, Deutschland (A-Region) Kurzbeschreibung der Maßnahme: Das Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz (TMUEN) koordiniert die Erarbeitung einer Integrierten Energie- und Klimaschutzstrategie. Ausgangssituation Entsprechend den Zielen des Koalitionsvertrages strebt Thüringen an bis 2040 seinen Energiebedarf bilanziell durch einen Mix aus 100% regenerativen Energien selbst decken zu können. Nicht nur im Stromsektor, auch im Wärmebereich sind erhebliche Anstrengungen notwendig, um dieses Ziel zu erreichen. Der verstärkte Um- und Ausbau der Fernwärme und die Einbeziehung erneuerbarer Energien wie der Solarthermie werden hierbei einen erheblichen Beitrag leisten. Einen rechtlichen Rahmen für die umfassende Klima- und Energiepolitik des Landes Thüringen soll das Klimagesetz schaffen. Ein Gesetzentwurf, der im Dezember 2017 von der Landesregierung beschlossen wurde, wurde im Januar 2018 dem Landtag zur weiteren Diskussion und abschließenden Beschlussfindung vorgelegt. Der Gesetzentwurf sieht die Entwicklung einer Integrierte Energie- und Klimaschutzstrategie (IEKS) durch die Landesregierung vor. Diese soll konkrete Maßnahmen und Wege aufzeigen, die im Klimagesetz verankerten Klimaschutzziele zu erreichen. Ziele Unter Beteiligung der Öffentlichkeit wurde in einem breit angelegten Dialogprozess ein Maßnahmenkatalog 4.0 als Basis für die Erarbeitung der IEKS für Thüringen entwickelt. Solar district heating Instruments for policy and legal framework Integrierte Energie- und Klimaschutzstrategie Dieses Projekt wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der europäischen Union gefördert (Förderkennzeichen 691624). Grundlage für die öffentliche Diskussion stellte eine Studie des Leipziger Instituts für Energie dar, welches ausgehend von möglichen Minderungspotentialen die Bereiche darstellt, in welchen Treibhausgasemissionen eingespart werden können. Dabei wurden für die IEKS die Handlungsfelder Energieversorgung, Wirtschaft, Verkehr, Gebäude, Private Haushalte, Landnutzung/Landwirtschaft sowie Öffentliche Hand fokussiert. Im gesamten Dialogprozess wurden konkrete Maßnahmen für die genannten Handlungsfelder ausgearbeitet und als Maßnahmenkatalog 4.0 zusammengefasst, welche als IEKS durch die Landesregierung beschlossen und künftig regelmäßig fortgeschrieben werden soll. Maßnahmen und Aktivitäten In einem breit angelegten Beteiligungsprozess erhielten von März bis November 2017 interessierte gesellschaftliche Gruppen und Verbände, wie die kommunalen Spitzenverbände, die Wirtschaft oder die Naturschutzverbände, sowie Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit gemeinsam mit der Landesregierung die IEKS zu erarbeiten. Die Ausarbeitung des Maßnahmenkatalogs 4.0 zur Integrierten Energie- und Klimaschutzstrategie erfolgte in mehreren Stufen. Ausgehend von einem wissenschaftlichen Gutachten, welches durch das Leipziger Institut für Energie erstellt wurde, wurde auch der Maßnahmenkatalog 1.0 erarbeitet. Dieser wurde in einer ersten Workshop-Reihe mit Experten z.B. aus Verbänden, Wirtschaft und Forschung im März 2017 diskutiert und zu einem Maßnahmenkatalog 2.0 zusammengefasst. Anschließend wurden die Bürger aufgefordert, den aus den Ergebnissen der Workshop-Reihe entwickelte Maßnahmenkatalog 2.0 online zu kommentieren und zu bewerten. Eine Bewertung und Kommentierung konnte auch im Klima- Pavillon des Thüringer Ministeriums für Umwelt, Energie und Naturschutz im Rahmen der Landesgartenschau in Apolda erfolgen. Darüber hinaus fanden auch Zielgruppen-Workshops zum Maßnahmenkatalog 2.0 statt. Die Ergebnisse dieses Beteiligungsprozesses wurden im Maßnahmenkatalog 3.0 berücksichtigt, welcher abschließend in einer zweiten Workshop-Reihe nochmals mit Experten z.B. aus Verbänden, Wirtschaft und Forschung besprochen wurde. Im Januar 2018 wurde aus diesem Ergebnissen der Maßnahmenkatalog 4.0 erstellt, der nun als Basis für die Erarbeitung eines ersten Entwurfs der Integrierten Energie- und Klimaschutzstrategie dient. Solar district heating Instruments for policy and legal framework Integrierte Energie- und Klimaschutzstrategie Dieses Projekt wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der europäischen Union gefördert (Förderkennzeichen 691624). Abbildung 1: Darstellung des Wegs zur Energie- und Klimaschutzstrategie - Ablauf des Dialogprozesses Inhaltlich befasst sich der Maßnahmenkatalog 4.0 zum Handlungsfeld Energieversorgung mit neun Maßnahmen. Grundlage dafür bildet die erwähnte Studie des Leipzig Instituts für Energie, welche u.a. die Notwendigkeit der weitgehenden Umstellung bestehender Fernwärmenetze auf erneuerbare Energien zur Erreichung der Ziele zur Minderung der Treibhausgasemissionen betont. So werden unter anderem die Themen „Erstellung von Konzepten zur CO2-neutralen Wärmeversorgung für öffentliche Wärmenetze und transparente Produktinformationen der Wärmeversorgung“ und „Unterstützung des Ausbaus von lokalen Wärmenetzen auf Basis erneuerbarer Energien“ diskutiert. Auch die Etablierung eines „Pilotprojekts zur Umstellung von vorhandenen heißen Wärmenetzen auf kalte Wärmenetze (low-ex)“ ist im aktuellen Maßnahmenkatalog vorgesehen. Darüber hinaus werden auch die „Fortführung und Weiterentwicklung von Programmen zur Förderung der Solarenergienutzung vor Ort“ und die „Bereitstellung landeseigener Flächen zur Nutzung erneuerbarer Energien“ aufgeführt. Eine Zusammenstellung aller Maßnahmen in Form von Steckbriefen ist online unter https://klimastrategiethueringen. de/ieks/de/home/informieren abrufbar. Solar district heating Instruments for policy and legal framework Integrierte Energie- und Klimaschutzstrategie Dieses Projekt wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der europäischen Union gefördert (Förderkennzeichen 691624). Hürden und Möglichkeiten Im Rahmen des Beteiligungsprozesses zur IEKS hatten interessierte Akteure die Möglichkeit, ihre Sichtweisen einzubringen. Auf diese Weise konnten für Thüringen passende Maßnahmen entwickelt werden, welche der Umgestaltung des Energiesystems auch im Wärmebereich dienen. Auch kann über einen Beteiligungsprozess die Akzeptanz gegenüber der regionalen Energie- und Klimapolitik gesteigert werden. Ergebnisse Unter Koordinierung des Thüringer Ministeriums für Umwelt, Energie und Naturschutz (TMUEN) wurde der Maßnahmenkatalog 4.0 von IFOK GmbH und dem Leipziger Institut für Energie GmbH als Basis für die Erarbeitung der Integrierten Energie- und Klimaschutzstrategie entwickelt. In diesem Factsheet werden nur die für die solare Nah- und Fernwärme relevanten Inhalte der Aktivitäten in diesem Bereich dargestellt. Die Maßnahmenkataloge beinhalten jedoch auch andere Aspekte, wie z.B. Mobilität, Industrie und Haushalte. Gewonnene Erkenntnisse Der Entwurf der Integrierten Energie- und Klimaschutzstrategie kann gemeinsam mit dem Thüringer Klimagesetz einen starken Rahmen für Klimaschutz auf regionaler Ebene bilden. Darüber hinaus stellt er eine Langzeitmaßnahme mit vielen praktischen Ansätzen dar. Die Erarbeitung einer Integrierten Energieund Klimaschutzstrategie, deren Ergebnis von der guten Zusammenarbeit mit den Akteuren vor Ort profitieren kann, ist jedoch zeit- und arbeitsintensiv. Letztlich wird der Landtag den Entwurf der Integrierten Energie- und Klimaschutzstrategie diskutieren und darüber abstimmen. ┘ Die alleinige Verantwortung für den Inhalt dieser Publikation liegt bei den AutorInnen. Sie gibt nicht unbedingt die Meinung der Fördermittelgeber wieder. Weder die Fördermittelgeber noch die AutorInnen übernehmen Verantwortung für jegliche Verwendung der darin enthaltenen Informationen. ┌

Julian Kuntze2023-03-22T11:50:53+01:00Dienstag, 1. Mai, 2018|

Energiedörfer – Umsetzung von neuen solaren Wärmenetzen kombiniert mit Biomasse

SDHp2m … from policy to market Regulatorische und marktunterstützende Maßnahmen für die Mobilisierung von Investitionen in erneuerbare Wärmenetze in europäischen Regionen und Ländern ENERGIEDÖRFER - UMSETZUNG VON NEUEN SOLAREN WÄRMENETZEN KOMBINIERT MIT BIOMASSE Dieses Projekt wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union gefördert (Förderkennzeichen 691624) AutorInnen: Magdalena Berberich, Thomas Pauschinger Solites Per Alex Sørensen Planenergi Simona Weisleder Hamburg Institut Sebastian Grimm, Heiko Huther AGFW Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz Kontakt: Solites - Steinbeis Forschungsinstitut für solare und zukunftsfähige thermische Energiesysteme Meitnerstr. 8, 70563 Stuttgart Tel.: +49 (0)711 673 2000-20 Email: info@solites.de Stand: April 2018 Arbeitspaket: WP 4: Mobilization of projects and investments Task: 4.1-4.4 Deliverable: D4.5: Manuals with standardized (plug and play) organizational processes and technical solutions (1) Status: Öffentlich Projekt Website: www.solare-fernwaerme.de Die alleinige Verantwortung für den Inhalt dieser Publikation liegt bei den AutorInnen. Sie gibt nicht unbedingt die Meinung der Fördermittelgeber wieder. Weder die Fördermittelgeber noch die AutorInnen übernehmen Verantwortung für jegliche Verwendung der darin enthaltenen Informationen. 1 INHALT 1. Einleitung ................................................................................................................................... 2 2. Gute Gründe für ein solares Wärmenetz .................................................................................... 2 3. Prozessphasen eines Wärmenetzes im Überblick ...................................................................... 3 4. Beteiligte Akteure ....................................................................................................................... 4 5. Flächenfindung für Solarthermie ................................................................................................. 5 6. Machbarkeitsstudie .................................................................................................................... 7 6.1. Beschreibung möglicher Wärmeerzeuger .............................................................................. 8 6.2. Wirtschaftliche Kennwerte aus Referenzprojekten ................................................................. 9 6.3. Technisches Konzept ............................................................................................................ 9 6.4. Mögliche Hindernisse .......................................................................................................... 11 6.5. Sensitivitätsanalyse ............................................................................................................. 11 7. Öffentlichkeitsarbeit .................................................................................................................. 11 8. Die Bauphase der Anlage ......................................................................................................... 12 Anhang: Beispiel eines Netzplans in der Vorplanung .................................................................... 15 2 1. EINLEITUNG Das Projekt SDHp2m (Solar District Heating … from policy to market) zielt auf einen Ausbau solarer Wärmenetze in neun europäischen Regionen (Thüringen und Hamburg in Deutschland, Steiermark in Österreich, Auvergne-Rhône-Alpes in Frankreich, Masowien in Polen, Varna in Bulgarien, Västra Götaland in Schweden, Aosta und Veneto in Italien). Die lokalen Randbedingungen für den Ausbau von Wärmenetzen mit Solarthermie unterscheiden sich von Region zu Region. Dennoch ließen sich folgende drei „Standardlösungen“ identifizieren, die in fast allen Regionen angewendet werden können. • Energiedörfer – Umsetzung von neuen solaren Wärmenetzen kombiniert mit Biomasse • Einbindung von Solarthermie in biomassebasierte Wärmenetze • Einbindung von Solarthermie in bestehende städtische Fernwärmesysteme Dieser Leitfaden beschreibt, wie ein neues solares Wärmenetz in Kombination mit Biomasse in kleineren Kommunen in ländlichen Regionen entwickelt und umgesetzt werden kann. Die größten Herausforderungen in Kommunen ohne Wärmenetz entstehen bei der Planung und Umsetzung des Wärmenetzes und nicht bei der Einbindung einer Solarthermieanlage. Der Umstand, dass die Solarthermie die Nutzung fossiler Energieträger während der Sommermonate komplett ersetzen kann, macht den Bau eines Wärmenetzes dennoch attraktiv. Dieser Leitfaden ist nicht als abgeschlossenes Dokument zu betrachten, sondern wird durch neue Erkenntnisse erweitert. 2. GUTE GRÜNDE FÜR EIN SOLARES WÄRMENETZ Bei einer konsequenten Umsetzung der klimapolitischen Ziele in Deutschland und der daraus resultierenden Reduzierung der Treibhausgasemissionen kann die zukünftige individuelle Wärmeversorgung von einzelnen Gebäuden in ländlichen Gegenden nicht mehr auf Heizöl oder Erdgas basieren. Die wesentlichen Optionen werden zukünftig voraussichtlich kleine Biomassekessel oder Wärmepumpen sein. Wenn jedoch die Wärmedichte in einem Dorf hoch genug ist, kann ein Wärmenetz gegenüber den Einzelheizungen einige Vorteile bieten: • Durch die zentrale Wärmeerzeugung können größere und technologisch aufwändigere Anlagen professionell betrieben und gewartet werden. Die Anlagen haben eine höhere Effizienz und durch Filtertechnik geringere Emissionen als Einzelheizungen. • Bei größeren Biomassekesseln kann gröberes und damit günstigeres Brennmaterial eingesetzt werden. • Solarthermie stellt die Wärme in großen Kollektorfeldern wesentlich günstiger und durch Wärmespeicher auch flexibler bereit als auf einzelnen Gebäuden. • Die Wärmeversorgung und die entstehenden Kosten sind unabhängig von Importen fossiler Energien • Während der Rohrverlegung für das Wärmenetz kann die Modernisierung weiterer Systeme fast ohne zusätzliche Kosten eingeleitet werden, bspw. kann die Verlegung von Glasfaser für schnelles Internet durch die Installation von Leerrohren vorbereitet werden. 3 • Die Attraktivität des Ortes und damit der Wert der Häuser steigen, die regionale Wertschöpfung wird erhöht. • Die Hausübergabestation in jedem Gebäude zum Anschluss an das Wärmenetz ist sehr kompakt und platzsparend und leicht regelbar. • Die Hausübergabestation erzeugt weder Emissionen noch Geräusche, im Gegensatz zu bspw. Wärmepumpen oder Heizkesseln mit Öl- oder Biomasse. • In den einzelnen Gebäuden ist der Wartungsaufwand sehr gering. • Die Wärmebezugskosten aus einem Wärmenetz liegen meist unter den Wärmegestehungskosten bei Einzelheizungen. Die solare Komponente der Wärmebezugskosten ist für die gesamte Betriebsdauer der Anlage von etwa 25 Jahren bekannt. • Die Wartung für die Hausübergabestation und die Leckage-Überwachung ist im Wärmebezugspreis inbegriffen. Die Kosten sind meist das wichtigste Kriterium. Deshalb wird unbedingt empfohlen, bereits in der Initiierungsphase eine grobe Wirtschaftlichkeitsabschätzung durchzuführen. Dieser Punkt ist die Weichenstellung für die Durchführbarkeit des Vorhabens. Laut der Studie [1] erreichen Projekte dann die beste Wirtschaftlichkeit, wenn eine moderate Gebäudesanierung (insbesondere der Gebäudehülle) mit einem erneuerbar versorgten Wärmenetz kombiniert wird (z.B. auf Basis einer Kombination von Holzhackschnitzeln und Solarthermie). Dabei sollte die Solarthermieanlage auf die Deckung des sommerlichen Wärmebedarfs ausgelegt werden, so dass ein solarer Deckungsanteil am Gesamtwärmebedarf von bis zu ca. 20 % erreicht wird. 3. PROZESSPHASEN EINES WÄRMENETZES IM ÜBERBLICK Die Umsetzung eines solaren Wärmenetzes kann mit den folgenden Prozessphasen beschrieben werden (siehe Abbildung 1). Besonders in den ersten beiden Phasen der Initiierung und der Vorplanung können verschiedene Gründe auftreten, das Vorhaben abzubrechen. In diesen Phasen ist der Abbruch auch noch ohne große finanzielle Verluste möglich. Bis der Beschluss für die Umsetzung gefasst ist und die Planung beginnt, sollten alle technischen, wirtschaftlichen und auch rechtlichen Hindernisse ausgeräumt sein, die einer Umsetzung entgegenstehen könnten. In der Phase der Initiierung wird die Projektidee entwickelt und in die öffentliche Diskussion eingebracht. Einige engagierte Bürgerinnen und Bürger können z.B. eine lokale Arbeitsgruppe bilden, die auch im weiteren Verlauf die Verantwortung für die Öffentlichkeitsarbeit und die öffentliche Diskussion der Projektidee übernimmt. Wichtig ist, weitere interessierte Bürgerinnen und Bürger und andere Akteure für eine aktive Mitarbeit und letztendlich den Anschluss an das Wärmenetz zu gewinnen. Ideal ist auch eine Unterstützung der Arbeitsgruppe durch die Gemeinde. Der Wärmebedarf Abbildung 1: Prozessphasen zur Umsetzung eines solaren Wärmenetzes [9] 4 des Ortes wird anhand einer angenommenen Anschlussquote überschlägig abgeschätzt, rechtliche und politische Vorgaben werden geprüft. Für die Wärmeerzeugung werden verschiedene Technologien diskutiert und die regionale Verfügbarkeit von Brennstoffen analysiert. In dieser frühen Phase muss bereits die Flächenfindung für eine Solarthermieanlage beginnen. Wenn die grundsätzliche Bereitschaft und die Möglichkeit zur Umsetzung eines Wärmenetzes vorhanden sind, beginnt die Vorplanung. In einer Machbarkeitsstudie werden verschiedene Wärmeerzeugungstechnologien technisch und wirtschaftlich bewertet und Modelle für die Finanzierung und den Betrieb der Anlagen verglichen. Die regionalen Potenziale für Brennstoffe sowie der Wärmebedarf müssen nun verbindlich ermittelt werden und fließen in die Studie ein. Auf Grundlage der Machbarkeitsstudie wird ein Konzept für den Betrieb der Anlage, die Preisgestaltung, die Nutzung von Finanzierungs- und Förderungsmöglichkeiten und die Wärmeerzeugungstechnologien erstellt. Sobald die Entscheidung für ein solares Wärmenetz mit Wärmeversorgung aus Biomasse und Solarthermie gefallen ist, sind im weiteren Vorgehen einige Sachverhalte zu beachten, die sich von der Umsetzung eines Wärmenetzes ohne Solarthermie unterscheiden. In der Planungsphase werden verbindliche Entscheidungen getroffen und Verträge, u.a. mit Lieferanten und Anschlussnehmern, geschlossen. Die notwendigen Genehmigungen müssen nun eingeholt werden und Förderanträge werden eingereicht. Wenn alle zu berücksichtigenden Aspekte geklärt werden konnten, können ein Zeitplan über den Bau der Anlage erstellt und die ausführenden Unternehmen beauftragt werden. Das Wärmenetz wird nun mit allen zugehörigen Anlagenkomponenten gebaut und in Betrieb genommen. Während des Betriebs muss die Wärmeversorgung des Netzes gesichert werden, indem bei auftretenden Störungen zuverlässige Akteure zur Klärung bereitstehen. Die Wärmeerzeugung kann nun überwacht und optimiert werden. Möglicherweise können weitere Anschlüsse zugelassen werden, wenn die Kapazität des Netzes und der Wärmeerzeugungsanlagen ausreicht. Wesentliche Details der hier im Überblick beschriebenen Phasen werden in den folgenden Abschnitten genauer erläutert. Eine detailliertere Beschreibung der Handlungsschritte zur Realisierung eines Bürger-Nahwärmenetzes und eine Checkliste für die einzelnen Schritte ist bspw. in [2] zu finden. 4. BETEILIGTE AKTEURE Zum Erfolg des Projekts wird zusätzlich zu der lokalen Arbeitsgruppe ein Partner benötigt, der bereits Erfahrung mit der Umsetzung von neuen solaren Wärmenetzen hat. Dies kann eine beratende Firma, ein Planungsunternehmen, ein Versorgungsbetrieb oder auch ein Systemanbieter sein, der die gesamte Umsetzung des Projekts anbietet. Durch welche Akteure das Wärmenetz geplant, gebaut und betrieben werden soll, muss bereits in der Vorplanung entschieden werden und beeinflusst die entstehenden Kosten und die Fördermöglichkeiten. Generell bieten sich verschiedene Betreiber-Modelle an: 5 • Bürgerenergiegenossenschaft Die BürgerInnen sind direkt beteiligt, die Akzeptanz ist hoch und die Wärmebezugskosten sind niedrig. Eine Genossenschaft wird während der Vorplanung gegründet. • Kommunaler Eigenbetrieb Der kommunale Eigenbetrieb wirtschaftet im Sinne der BürgerInnen nicht gewinnorientiert und mit hoher Transparenz. • Versorger wie Stadtwerke oder private Firmen Der Versorger investiert in die Anlage und verkauft die Wärme mit einer Gewinnmarge an die Anschlussnehmer. Detaillierte Informationen zu Eigentümerstrukturen und Bürgerbeteiligung finden sich in [3] in Abschnitt 3.4.5. Die Eigentumsverhältnisse sind für die Investoren und Verbraucher wichtig. Dabei ist für die Investoren die Sicherheit ihrer Investition von Bedeutung. Für die Verbraucher sind die wichtigen Aspekte der Wärmepreis, Vertrauen in den Wärmeversorger, Transparenz und die Versorgungssicherheit. Durch die Beauftragung geeigneter ortsansässiger Firmen für die Bauausführung fallen die Kosten meist geringer aus als mit großen überregionalen Firmen. Die regionalen Entscheidungsträger können das Projekt durch folgende Maßnahmen unterstützen: • Mit-Finanzierung einer Machbarkeitsstudie für ein solares Wärmenetz • Herstellen des direkten Kontakts zur Kommunalverwaltung, um Genehmigungen zu beantragen und fachliche Unterstützung zu erhalten • Bei Bedarf: Gründen einer kommunalen Wärmeversorgungsgesellschaft oder Integration der Wärmeversorgung in eine bestehende Versorgungsgesellschaft (Abfallwirtschaft, Wasserver- und -entsorgung) 5. FLÄCHENFINDUNG FÜR SOLARTHERMIE Eine der größten Herausforderungen bei der Planung einer großen Solarthermieanlage besteht darin, geeignete Flächen in der Nähe der Wärmesenken, also des Versorgungsgebiets, zu finden. Deshalb müssen die möglichen Aufstellflächen schon in einer frühen Projektphase genau untersucht werden. Die Kollektoren können auf großen Dachflächen oder auf dem Boden installiert werden, wobei die Nutzung von Dachflächen mit höheren Kosten verbunden ist1 und die Dachflächen oftmals schon für Photovoltaik verwendet werden. Aus diesen Gründen wird die Solarthermieanlage für ein Energiedorf meist auf einer Freifläche aufgestellt. Förderlich für die Entwicklung von Freiflächen sind Verfahren zum Flächenscreening, eine ökologische Aufwertung von Freiflächen sowie Beteiligungs- und Geschäftsmodelle für beteiligte Akteure (z.B. Landwirte). Im Vergleich zu anderen Möglichkeiten der energetischen Flächennutzung weist die Solarthermie eine hohe Flächeneffizienz auf (siehe Abbildung 2). In Deutschland sind bisher thermische Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von 12,3 GWth, entsprechend einer Gesamtkollektorfläche von 1 Siehe auch [8], Factsheet 2.3, Abbildungen 2.3.6 und 2.3.7 6 17,5 km², installiert. Rund 21.000 km² der bundesdeutschen Agrarflächen werden zum Anbau von Energiepflanzen genutzt. Die Flächeneffizienz der Solarthermie ist gegenüber Energiepflanzen um rund den Faktor 50 höher. Abbildung 2: Jährlicher Energieertrag im Vergleich [4] Eine gute Integration der großen Kollektorflächen in die Landschaft ist vorteilhaft für die Akzeptanz, das Landschaftsbild und die Ökologie. In Crailsheim wurden die Kollektorflächen auf einem Lärmschutzwall installiert und das Thema Naturschutz wurde sehr erfolgreich von Anfang an in die Entwicklung der Anlage integriert (Abbildung 3). Zu Fragen der Flächenfindung und rechtlichen Sachverhalten gibt der Leitfaden [4] weitere Informationen. Abbildung 3: Großflächen-Kollektoren auf dem Lärmschutzwall in Crailsheim (Bild Lorinser) Für das derzeit im Bau befindliche Bioenergiedorf Mengsberg zeigt Abbildung 4 die Übersicht über das Dorf mit der geplanten Wärmetrasse und den Anschlussnehmern. Die graue Fläche rechts unten im Bild stellt das Kollektorfeld und die Heizzentrale dar. 7 6. MACHBARKEITSSTUDIE Um Investoren, Kommunen und zukünftige Verbraucher zu überzeugen, müssen eine Machbarkeitsstudie und ein schlüssiges Konzept erstellt werden. In der Studie werden unterschiedliche Aspekte der neuen Wärmeversorgung dargelegt, die im Folgenden den Akteuren zugeordnet beschrieben werden. Das zu entwickelnde Konzept der Wärmeversorgung beinhaltet die Variante, die aufgrund der Machbarkeitsstudie ausgewählt wurde. Für Investoren relevante Aspekte • Beschreibung möglicher Wärmeversorgungsvarianten (Wärmenetz und als Referenzvariante die individuelle Beheizung mit verschiedenen Brennstoffen) • Auswahl des Wärmenetzes als Lösungsvariante und Verfügbarkeit der Brennstoffe • Festlegung des Versorgungsgebiets • Standort der Heizzentrale und mögliche Flächen für die Solarthermieanlage • Betreiber- und Finanzierungskonzept für das Wärmenetz • Wirtschaftliche Kennwerte aus Referenzprojekten (Nettogegenwartswert, interner Zinsfluss, jährliche Kosten für Konsumenten). Sensitivitätsanalysen. • Umweltfolgen (Emissionen in Boden, Wasser und Luft) • Zeitplan • Diskussion möglicher Hindernisse bei der Projektrealisierung • Entwurf eines Wärmeliefervertrags für die Kunden • Im Fall einer Genossenschaft: Entwurf einer Mitgliedersatzung Abbildung 4: Planung des solaren Wärmenetzes im "Sonnen- und Bioenergiedorf Mengsberg" 8 Für Kommunen relevante Aspekte • Wirtschaftliche Vorteile für die Gemeinde in Bezug auf Versorgungssicherheit und lokale und regionale Wertschöpfung • Optionen für Arbeitsplätze in der Gemeinde • Umweltfolgen (Emissionen) • Konsequenzen für die kommunale Planung (Auswirkung auf die Umwelt, geschützte Landschaft, Auswirkungen auf die Nachbarschaft der Wärmeerzeugungsanlagen) • Sozialwirtschaft Für Verbraucher relevante Aspekte • Wärmepreis, Preisstabilität und Sensitivitätsanalysen, sekundäre ökonomische Vorteile bei Neubau und Gebäudesanierungen • Abhängigkeiten und Risiken • Installationskosten und Finanzierungsmöglichkeiten • Beschreibung der Hausübergabestation • Wartung durch den Anschlussnehmer oder Wärmeversorger • Naturschutz, Geruchs- und Staubbelästigungen • Satzung über Rechte und Pflichten des Anschlussnehmers und die Möglichkeiten, zu einer individuellen Heizung zurückzuwechseln 6.1. Beschreibung möglicher Wärmeerzeuger Bei der Wahl der Energiequellen spielen Regionalität, Nachhaltigkeit, Zuverlässigkeit und Preisstabilität eine wichtige Rolle. Wenn die vorhandenen Einzelheizungen hauptsächlich mit Heizöl betrieben werden, kann die Wärmebereitstellung aus Solarthermie und Biomasse wesentlich wirtschaftlicher sein. In einem neuen Wärmenetz kann Solarwärme auch mit anderen Wärmeerzeugern als Biomasse kombiniert werden, z.B. mit Wärmepumpen. Bei der Entscheidung über den Anschluss an ein Wärmenetz hat jedoch die Wirtschaftlichkeit für die Verbraucher eine zentrale Bedeutung. Da mit Biomasse eine relativ günstige Wärmeerzeugung möglich ist, wird sie derzeit als gute Lösung für die Wärmeversorgung in Kombination mit Solarthermie angesehen. Biomasse hat zudem den Vorteil, dass sie in einer ländlichen Umgebung oft vor Ort verfügbar ist. Bei einem Wechsel von fossilen Energieträgern auf Biomasse wird somit die regionale Wertschöpfung gesteigert und die Abhängigkeit von Importen reduziert. Andererseits ist die Verfügbarkeit von Biomasse regional limitiert und eine nachhaltige Nutzung ist angebracht. Durch die möglichst vollständige Versorgung eines Wärmenetzes durch Solarthermie in den Sommermonaten werden Solarthermie und Biomasse optimal kombiniert und Biomasseressourcen geschont. Der Begriff Biomasse fasst so unterschiedliche Brennstoffe wie Stroh, Holzhackschnitzel oder Holzpellets zusammen. Holzpellets sind einfach einzusetzen, die Technik verursacht bei größeren Heizungskesseln (größer 500 kW) jedoch sehr hohe Kosten und ist deshalb nicht wirtschaftlich. Die Entscheidung zwischen Holzhackschnitzeln und Stroh ist von den lokalen Gegebenheiten abhängig (Verfügbarkeit, Qualität, Preis und Versorgungssicherheit mit dem Brennstoff). 9 Die Solareinstrahlung ist in Deutschland und Europa in allen Regionen hoch genug, um die Nutzung von Solarwärme zu ermöglichen. Während des Entscheidungsprozesses muss jedoch beachtet werden, dass eine geeignete Fläche für das Kollektorfeld nutzbar ist. Mögliche Flächen werden auf einer Karte eingezeichnet und sind ein Teil der Studie. 6.2. Wirtschaftliche Kennwerte aus Referenzprojekten Um die ökonomischen Kennwerte berechnen zu können, muss bereits ein Konzept der Gesamtanlage vorliegen und folgende Inhalte müssen bekannt sein: • Der jährliche Wärmeverbrauch der zu versorgenden Gebäude kann durch eine Umfrage ermittelt werden (bei Unklarheit können Standardwerte für den Wärmeverbrauch pro Quadratmeter je nach Gebäudetyp und -alter gewählt werden). • Dimensionierung der Rohrleitungen des Wärmenetzes, Vor- und Rücklauftemperaturen, Wärmeverluste und Preise • Investitionskosten, Betriebs- und Wartungskosten für die Verbindungsrohrleitungen und die Hausübergabestationen • Investitionskosten, Betriebs- und Wartungskosten für die Solarkollektoren und den Biomassekessel • Verwaltungskosten des Wärmeversorgungsbetriebs • Effizienz des Biomassekessels, Wirkungsgradkennlinie der Solarkollektoren und Wärmenetz- Temperaturen über das Jahr • Finanzierungskonditionen und mögliche Förderungen Für solare Wärmenetze steht derzeit eine attraktive Förderung durch das Marktanreizprogramm (MAP) zur Verfügung, die eine Finanzierung von 40 bis 65 % der Investitionskosten ermöglicht. Die Förderung ist von der Gesellschaftsform des Investors abhängig und sollte daher von Anfang an bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden. [5] Weiterführende Erläuterungen zur Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, Annahmen, Fördermöglichkeiten und Beispielrechnungen sind in [3] in Abschnitt 3.3 und in [6] zu finden. 6.3. Technisches Konzept Das technische Konzept beinhaltet die Dimensionierung des Biomassekessels und der Solarthermieanlage. Die wirtschaftlichste Lösung ist meist, die Wärme in den Sommermonaten mit Hilfe eines Wärmespeichers durch die Solarthermie bereitzustellen. Der Biomassekessel erzeugt über das Jahr den Hauptanteil der Wärme von etwa 75 bis 85 % und ist in den Sommermonaten ausgeschaltet, wodurch ein ineffizienter Teillastbetrieb vermieden wird. Als Reserve kann der Biomassekessel durch einen Öl-befeuerten Spitzenlastkessel ergänzt werden. Die Abbildung 5 zeigt, wie die Wärmeerzeugung eines solaren Wärmenetzes mit Biomassekessel aufgebaut sein kann. 10 Bei einer Auslegung der Solarthermieanlage auf die vollständige Deckung des sommerlichen Wärmebedarfs eines Wärmenetzes ist ein Pufferspeicher notwendig. Üblicherweise liegen die solaren Deckungsanteile solcher Systeme bei 10 bis 15 % des jährlichen Wärmebedarfs, abhängig von dessen saisonaler Verteilung. Für höhere solare Deckungsanteile bis 50 % ist die Einbindung von großen saisonalen Wärmespeichern erforderlich. Jedoch sollte die Solarthermieanlage in einem System mit Biomassekessel auch nicht zu knapp ausgelegt werden, da ansonsten die Wärmeversorgung im Sommer nicht sichergestellt ist und durch einen fossilen Heizkessel ergänzt werden muss. Nach einer Betriebspause benötigen Biomassekessel, je nach Größe, eine längere Zeit, um wieder ihre volle Wärmeleistung liefern zu können. Auch wird die Verbrennung der Biomasse bei einer Reduzierung der Leistung schnell ineffizient und die Emissionen steigen an. Deshalb sollte der Biomassekessel im Winterhalbjahr und in der Übergangszeit möglichst durchgängig betrieben werden. In manchen Fällen bietet sich der Einsatz eines kleineren und eines größeren Biomassekessels an, um in der Übergangszeit flexibler zu sein. Dieses Konzept wurde bspw. in dem Bioenergiedorf Büsingen angewendet, der Anlagensteckbrief befindet sich im Anhang. Bei der Auslegung der Kollektorfläche muss der gewählte Standort der Anlage beachtet werden, denn die Solareinstrahlung und die Außentemperatur bestimmen den erreichbaren Solarertrag. Die Kollektoren werden meist mit einer Neigung von 30 bis 40° und nach Süden ausgerichtet auf dem Boden aufgeständert, wobei eine Verschattung der Fläche durch Bäume oder Gebäude vermieden werden muss. Berechnungen zur Dimensionierung sollten mit Wetterdaten eines längeren Zeitraumes durchgeführt werden (z.B. 10 Jahre), da die Solareinstrahlung und damit der nutzbare Solarertrag zwischen den einzelnen Jahren erheblich schwanken kann (z.B. +10 % und -15 % für den Standort Würzburg [7]). Der Solarertrag ist zudem abhängig von den Betriebstemperaturen der Solarkollektoren: Je höher diese sind, um so geringer wird die Wärmeleistung des solaren Wärmeerzeugers, da die Wärmeverluste an die Umgebung steigen. Abbildung 5: Anlagenschema für ein solares Wärmenetz mit Holzhackschnitzelkessel und Spitzenlast-Ölkessel (Energiedorf Büsingen), (Quelle: Solites) 11 Solarkollektoren werden im Wesentlichen in die beiden Bauarten Flachkollektor und Vakuumröhrenkollektor unterschieden und darüber hinaus gibt es von den Kollektorherstellern unterschiedliche Produkte mit unterschiedlichen Leistungsmerkmalen. Welches Produkt zu empfehlen ist, hängt letztendlich von den spezifischen Projektbedingungen und den Angebotspreisen ab. Es empfiehlt sich, zur Bewertung von Angeboten auch eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung durchzuführen, die die aufzuwendenden Kosten auf die produktspezifischen, nutzbaren solarthermischen Wärmeerträge bezieht. Aufgrund der beschriebenen Zusammenhänge sind dynamische Simulationen zur Dimensionierung einer Solarthermieanlage empfehlenswert. Programme zur Berechnung oder Simulation von Solarthermieanlagen stehen unter diesem Link zur Verfügung: http://solar-district-heating.eu/ServicesTools/ SDHcalculationtools.aspx. 6.4. Mögliche Hindernisse Bei einer vorhandenen Erdgasversorgung wird die Umsetzung eines Wärmenetzes meist nicht weiterverfolgt, da es bei den aktuell niedrigen Erdgaspreisen nicht konkurrenzfähig ist. Auch wenn günstigere Wärme lokal verfügbar ist (z.B. überschüssige Wärme aus industriellen Prozessen oder ungenutzte Wärme aus einem Biogasmotor, Müllverbrennung und Wärmepumpen, die günstigen Strom verbrauchen und Wärme erzeugen), sind die Erfolgsaussichten eines solaren Wärmenetzes gering. Diese möglichen Hindernisse müssen bei der Planung eines solchen Projektes berücksichtigt werden. Siehe auch [8], Merkblatt 2.1 “Solar heat combined with other fuels”. Bei der Integration des Kollektorfeldes und der Heizzentrale in die Landschaft müssen ggf. vorhandene Schutzgebiete berücksichtigt werden (z.B. Landschaftsschutzgebiet) sowie die Auswirkungen von entstehenden Betriebsgeräuschen. Verglichen mit landwirtschaftlicher Nutzung, kann ein Kollektorfeld die Biodiversität auf der Fläche erhöhen. 6.5. Sensitivitätsanalyse Abschließend wird eine Sensitivitätsanalyse durchgeführt, die zeigt, wie stark die ermittelten Daten und Kennwerte gegenüber Veränderungen der Randbedingungen reagieren. Die Anschlussquote an das Wärmenetz ist bspw. sehr wichtig. Je nach den Randbedingungen der Wirtschaftlichkeitsberechnung ist eine bestimmte Anzahl an Anschlussnehmern notwendig, um die Wirtschaftlichkeit zu erreichen. In der Sensitivitätsanalyse kann untersucht werden, wir stark sich die Wirtschaftlichkeit bei Variation der Anschlussnehmer verändert und unter welcher minimalen Anschlussquote das Wärmenetz nicht umgesetzt werden kann. 7. ÖFFENTLICHKEITSARBEIT Wenn die Entscheidungsgrundlage mit den Akteuren und der lokalen Arbeitsgruppe abgestimmt ist, kann mit der Öffentlichkeitsarbeit für die Gewinnung von Anschlussnehmern begonnen werden. Eine Anschluss-Kampagne könnte folgendermaßen organisiert werden. Ein Informationsblatt und ein Entwurf der Anschlussvereinbarung wird an alle Hauseigentümer verteilt. Das Informationsblatt enthält: 12 • Informationen über die notwendige Anschlussquote • Einladung zu einer Informationsveranstaltung • Eine Kostenberechnung für die Hauseigentümer, in der der Anschluss an das Wärmenetz, Öl-Heizung und elektrische Heizung mit einer Wärmepumpe miteinander verglichen werden • Argumente für den Anschluss an das Wärmenetz • Organisationsformen für den Betrieb des Wärmenetzes, z.B. eine Bürgerenergie-Genossenschaft • Eine Karte des geplanten Versorgungsgebiets • Kontaktdaten für Fragen Der Entwurf der Anschlussvereinbarung enthält folgende Informationen • Mit der Unterzeichnung werden die Bedingungen des Anschlusses an das Wärmenetz akzeptiert. • Die Vereinbarung ist hinfällig, wenn das Projekt aufgrund von zu wenig Anschlussnehmern nicht realisiert werden kann. • Die Kosten des Anschlusses inklusive Hausanschlussleitung, einer Standard-Hausübergabestation, Wärmemengenzähler mit Leckagealarm und Entsorgung des Ölkessels und der Öltanks. • Für Hauseigentümer, die den Anschlussvertrag vor Beginn der Bauarbeiten unterschreiben, wird der Hausanschluss meist vergünstigt angeboten, bspw. zu 50 % des normalen Preises. Durch Interviews mit Mitgliedern der Arbeitsgruppe und Informationen in den lokalen Medien wird die Öffentlichkeit zudem auf das Projekt aufmerksam gemacht und informiert. Bei öffentlichen Informationsveranstaltungen wird das Projekt präsentiert und diskutiert und die Teilnehmer werden über die Anschlussbedingungen informiert. Es wird viel Mund-zu-Mund-Propaganda und persönliche Überzeugungsarbeit nötig sein. Damit die Hauseigentümer ein besseres Verständnis für die Technologie entwickeln können, sind Exkursionen zu anderen erfolgreich umgesetzten solaren Wärmenetzen hilfreich. Solche Exkursionen kann die lokale Arbeitsgruppe organisieren und anbieten. Für ein Wärmenetz gibt es gute Argumente, die zu Beginn dieses Dokuments dargelegt werden. 8. DIE BAUPHASE DER ANLAGE Wenn die Anschlussquote erreicht wurde und die vorläufigen Anschlussvereinbarungen in Verträge umgewandelt wurden, kann die Umsetzung des Wärmenetzes beginnen. Soll das Wärmenetz durch eine neue Genossenschaft betrieben werden, wird eine Satzung zur Gründung der Genossenschaft aufgesetzt. Die lokale Arbeitsgruppe wird dann oft durch einen gewählten Vorstand ersetzt. Nun muss die Ausschreibung für die Projektumsetzung veranlasst werden, eine Vergabe erfolgen und schließlich die Verlegung des Wärmenetzes und die Installation der Wärmeerzeuger statt finden. Außerdem müssen Termine für die Installation der Hausanschlussstationen an das Wärmenetz und die Deinstallation der Einzelheizungen angekündigt und individuell vereinbart werden. Diese Arbeiten müssen von Fachleuten durchgeführt werden. Es ist sehr wichtig, dass sowohl das Bauunternehmen als auch Vertreter der lokalen Arbeitsgruppe, der Kommune bzw. der Genossenschaft die Anwohner vor Ort kontinuierlich über anstehende neue Schritte und den Fortgang des Projekts 13 informieren. Denn insbesondere die Verlegung des Wärmenetzes kann zu Beeinträchtigungen des Straßenverkehrs und des Gesellschaftslebens führen und sollte rechtzeitig erläutert und angekündigt werden. Oft gehen die Mitglieder der Arbeitsgruppe auch von Haus zu Haus, um direkt mit den Eigentümern zu sprechen und ihre Fragen zu beantworten. Bei der Gelegenheit wird den Hauseigentümern auch eine letzte Möglichkeit auf einen Anschluss mit verringertem Anschlusspreis gegeben. Siehe auch Factsheet 3.2 “Tendering and contracts” und Factsheet 4.1 “Supervision of construction and commissioning” in [8]. 14 LITERATUR [1] O. Miedaner, L. Deschaintre und E. Primoudi Tziggili, „Studie zur detaillierten Bewertung von solaren Wärmenetzkonzepten für drei typische Siedlungsgebiete,“ 2015. [Online]. Available: http://solar-district-heating.eu/de/en-gb/dokumente.aspx [2] C. Orlando, A. Reis und P. Thome, „Leitfaden Bürgernahwärmenetze im Rhein-Hunsrück- Kreis,“ Simmern, 2015. [3] SolnetBW, „Solare Wärmenetze für Baden-Württemberg - Grundlagen / Potenziale / Strategien,“ Stuttgart, 2015. [4] Hamburg Institut, „Planungs- und Genehmigungsleitfaden für Freiflächen-Solarthermie,“ Hamburg, 2016. [5] BMWi, „Informationsportal Erneuerbare Energien - Marktanreizprogramm,“ Februar 2018. [Online]. Available: http://www.erneuerbareenergien. de/EE/Navigation/DE/Foerderung/Marktanreizprogramm/marktanreizprogramm.html [6] Hamburg Institut, „Förder- und Finanzierungsleitfaden für Freiflächen-Solarthermie-Anlagen mit Wärmespeicher und Anbindung an Wärmenetze,“ Hamburg, 2016. [7] M. Berberich und D. Mangold, „Randbedingungen von Solarthermieanlagen für iKWKSysteme,“ EuroHeat&Power, pp. 16-19, 11 2017. [8] SDH-Projekte, „SDH Guidelines,“ 2018. [Online]. Available: http://solar-districtheating. eu/Documents/SDHGuidelines.aspx [9] A. Kornmann, „Bewertung bestehender und Entwicklung neuer Maßnahmen und Instrumente zur Förderung der regionalen Markteinführung von Nah- und Fernwärmesystemen mit erneuerbaren Energien unter besonderer Berücksichtigung der Solarthermie,“ Masterarbeit am Institut für Thermodynamik und Wärmetechnik der Universität Stuttgart, Stuttgart, 2016. 15 ANHANG: BEISPIEL EINES NETZPLANS IN DER VORPLANUNG Bioenergiedorf-Konzepte wie im süddeutschen Ort Büsingen zielen auf die grundlegende Umstellung der Wärmeversorgung einer ganzen Ortschaft auf regenerative Energien ab. Das Projekt in Büsingen wurde durch den regionalen Energieversorger Solarcomplex AG umgesetzt und umfasst ein neu verlegtes Wärmenetz samt Heizwerk mit Erzeugungsanlagen. Durch das Wärmenetz werden über 100 Gebäude mit Wärme aus regenerativen Energiequellen versorgt. Da es in Büsingen keine Biogasanlage zur Abwärmenutzung gibt und auch Biomasse beschränkt verfügbar ist, wurde deutschlandweit erstmals eine solarthermische Großanlage als Wärmeerzeuger für ein Bioenergiedorf realisiert. Die Solaranlage deckt dabei den kompletten sommerlichen Wärmebedarf und ergänzt so ein Biomasseheizwerk auf ideale Weise. Dieses vorbildliche Konzept ist zukunftsweisend und auf neu entstehende Bioenergiedörfer übertragbar. SOLARE NAH- UND FERNWÄRME www.solare-fernwaerme.de Fallbeispiel Bioenergiedorf Büsingen Typ: Solares Wärmenetz für Dörfer und kleinere Städte System Anlagentyp Solares Wärmenetz für Dörfer und kleinere Städte Projektname Bioenergiedorf Büsingen Betreiber Solarcomplex AG Inbetriebnahme 2013 Wärmeabgabe Netz 3,5 GWh/a Solaranlage Einbindung Zentral Installation Freilandaufständerung Kollektortyp Vakuumröhrenkollektor Kollektorfl äche/Leistung 1.090 m² / 0,8 MWth Wärmespeicher Typ Pufferspeicher Volumen 100 m³ Solarthermie im Sommer, Biomasse im Winter Anlagendaten im Überblick Die Solarcomplex AG ist ein regionaler Energieversorger in Süddeutschland, der sich zum Ziel gesetzt hat die komplette Energieversorgung der Bodensee-Region bis 2030 auf erneuerbare Energien umzustellen. Im Zuge dessen werden ganze Dörfer in Baden Württemberg in sogenannte „Bioenergiedörfer“ umgewandelt. Hierzu wird in der Regel ein Nahwärmenetz verlegt. In allen Projekten werden die Einwohner bereits im frühen Stadium in die Projektplanung eingebunden, um eine hohe Beteiligung und Anzahl von Hausanschlüssen zu garantieren. Büsingen ist das siebte von Solarcomplex umgesetzte Bioenergiedorf mit der Besonderheit, dass es sich um eine deutsche Exklave handelt, in der das Zoll- und Wirtschaftsrecht der Schweiz gilt und nicht das Erneuerbare- Energien-Gesetz (EEG). Dadurch ist, wie bisher in vielen anderen Bioenergiedörfern umgesetzt, der stromgeführte Betrieb eines Biogas-BHKWs mit Abwärmenutzung nicht wirtschaftlich. Aus diesem Grund wurde in Büsingen ein Wärmenetz realisiert, das die Haushalte mit Wärme aus Biomasse und Solarthermie versorgt. Dabei ist die 1.090 m² große Solaranlage so ausgelegt, dass sie den Wärmebedarf im Sommer komplett deckt, wodurch ein unwirtschaftlicher Teillastbetrieb der Biomasse-Heizkessel vermieden wird. Ein solches Wärmenetz, bestehend aus einer Solarthemieanlage und Biomasse-Heizkesseln, wurde erstmals in einem deutschen Bioenergiedorf umgesetzt und gilt daher als „Best Practice“-Beispiel für weitere solche Konzepte. Hintergrund In Büsingen werden über 100 Abnehmer mit Wärme versorgt. Der Wärmebedarf liegt bei knapp 3,5 GWh/a. Das Wärmenetz ist für eine Vorlauftemperatur zwischen 80 und 75 °C und eine Rücklauftemperatur von ca. 50 °C ausgelegt. Die Wärme wird hauptsächlich aus Biomasse erzeugt. Des Weiteren liefert die Solarthermie einen Anteil von 13 % am jährlichen Wärmebedarf. Bereitgestellt wird die Solarenergie von einer 1.090 m² großen Kollektorfl äche, die größtenteils in Freilandaufstellung und zu einem Teil auf der Fassade der Heizzentrale realisiert ist. Dachmontiert sorgt eine eigene PV-Anlage für die Bereitstellung des Betriebsstroms. Anlagenkonzept ENERGIEKOMMUNE 6 km , 3,5 GWh/a Nahwärmeleitungen mit Netzpumpen in der Heizzentrale in Büsingen Einbau des Pufferspeichers per Kran NETZGRÖßE ZENTRAL FREILAND PUFFERSPEICHER 13 % SOLAR 87 % BIOMASSE Die Solarthermieanlage setzt sich aus zwei 500 m² großen Freilandkollektorfl ächen und einer 90 m² großen Kollektorfl äche auf der Fassade der Heizzentrale zusammen. Die Aufständerung der Vakuumröhrenkollektoren erfolgte auf einer einfachen, kostengünstigen Unterkonstruktion. Bei den gerammten Stahlprofi len kann dabei komplett auf ein Fundament und eine Versiegelung verzichtet werden. Die Wärmebereitstellung für das ungefähr 6 km lange Wärmenetz mit über 100 Hausanschlüssen, darunter auch größere Verbraucher wie eine Schule, ein Hotel und öffentliche Gebäude läuft zu 87 % über die Hackschnitzelheizkessel mit 900 und 450 kW Wärmeleistung und zu 13 % über die Solarthermieanlage. Mit einem Wärmeertrag von über 500 MWh pro Jahr sparen die Solarkollektoren ca. 800 Schüttraummeter Holzhackschnitzel jährlich ein. Die Projektkosten für die Heizzentrale mit Hackschnitzelheizung und Kollektorfeld sowie das Nahwärmenetz inkl. der Wärmeübergabestationen liegen bei rund 3,5 Mio. Euro. Die Finanzierung läuft zu drei Vierteln über ein KfW-Darlehen und zu rund einem Viertel über das Aktienkapital von Solarcomplex. Zusätzlich bezuschusste das Land Baden-Württemberg das Projekt aufgrund seines innovativen Charakters mit rund 100.000 €. Die Gemeinde Büsingen profi tiert zudem von einer Kaufkraftbindung vor Ort, da die Energiekosten nun in einer regionalen Kreislaufwirtschaft fl ießen. So belief sich der bisherige jährliche Heizölbedarf sich auf ca. 400.000 l, dies entspricht einem Energiekostenabfl uss von ca. 350.000 € pro Jahr bei heutigen Preisen. Bei einer Laufzeit von 20 Jahren bedeutet das eine Bindung der Kaufkraft von 20 - 30 Millionen Euro. Die Anlage in Büsingen demonstriert den sinnvollen Einsatz von solarthermischen Anlagen in Kombination mit einem Biomassekessel bei Nahwärmeerschließungen in Energiedörfern. Da die sommerliche Wärmelast zu 100 % durch die Solarthermieanlage gedeckt wird, ergeben sich Synergieeffekte bezüglich des Betriebs der Heizkessel. Zum einen werden unwirtschaftliche Teillastbetriebszustände der Heizkessel vermieden und darüber hinaus aufgrund der Stillstandzeiten im Sommer, Zeiträume für Wartungsarbeiten geschaffen. Oft sind die Initiatoren eines solchen Bioenergiedorfs engagierte Bürger in Zusammenarbeit mit der Kommune, die den Wunsch nach einer nichtprofi torientierten, langfristig preisstabilen, erneuerbaren Energieversorgung hegen. Technische Komponenten Wirtschaftliche Daten Erfahrungen und Besonderheiten www.solare-fernwaerme.de Freilandaufgeständerte Vakuumröhrenkollektoren www.solare-fernwaerme.de Weitere Informationen Adresse: Herblingerstraße 21, 78266 Büsingen am Hochrhein Projektbeteiligte: solarcomplex AG Ekkehardstr. 10, 78224 Singen www.solarcomplex.de Ritter XL Solar GmbH Ettlinger Straße 30, 76307 Karlsbad www.ritter-xl-solar.com Solites – Steinbeis Forschungsinstitut für solare und zukunftsfähige thermische Energiesysteme Meitnerstr. 8, 70563 Stuttgart www.solites.de Kontakt: Bene Müller, solarcomplex AG Tel. 07731 8274-0 Email mueller@solarcomplex.de Weitere Informationen: www.bioenergiedorf-buesingen.de www.ritter-xl-solar.com www.solarcomplex.de Müller: Büsingen – das erste Bioenergiedorf mit großer Solarthermie, Präsentation 27.10.2014 in Erfurt, solarcomplex AG Bildnachweise Seite 1: Heizzentrale Büsingen, Quelle: Solites Seite 2: Piktogramme, Quelle: Solites Nahwärmeleitungen, Quelle: solarcomplex AG Einbau Pufferspeicher, Quelle: solarcomplex AG Seite 3: Kollektorfeld; Quelle: Solites

Julian Kuntze2023-03-22T11:50:53+01:00Sonntag, 1. April, 2018|

Einbindung von Solarthermie in biomassebasierte Wärmenetze

SDHp2m … from policy to market Regulatorische und marktunterstützende Maßnahmen für die Mobilisie-rung von Investitionen in erneuerbare Wärmenetze in europäischen Re-gionen und Ländern EINBINDUNG VON SOLARTHERMIE IN BIO-MASSEBASIERTE WÄRMENETZE Dieses Projekt wird durch das Forschungs- und Innovations-programm Horizon 2020 der europäischen Union gefördert (Förderkennzeichen 691624). AutorInnen: Moritz Schubert, SOLID Carina Seidnitzer-Gallien, AEE INTEC Per Alex Sørensen, Planenergi Magdalena Berberich, Thomas Pauschinger, Solites Simona Weisleder, Hamburg Institut Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz Kontakt: S.O.L.I.D. Gesellschaft für Solarinstallation und Design mbH Puchstrasse 85, A-8020 Graz Tel.: +43 316 292840 Email: office@solid.at AEE - Institut für Nachhaltige Technologien Feldgasse 19, A-8200 Gleisdorf Tel.: +43 3112 5886-0 Email: office@aee.at Stand: April 2018 Arbeitspaket: WP 4: Mobilization of projects and investments Task: 4.1-4.4 Deliverable: D4.5: Manuals with standardized (plug and play) organizational processes and technical solutions (2) Status: Öffentlich Copyright Titelbild: Nahwärme Eibiswald Projekt Website: www.solare-fernwaerme.de, www.solar-district-heating.eu/at Die alleinige Verantwortung für den Inhalt dieser Publikation liegt bei den AutorInnen. Sie gibt nicht unbedingt die Meinung der Fördermittelgeber wieder. Weder die Fördermittelgeber noch die Auto-rInnen übernehmen Verantwortung für jegliche Verwendung der darin enthaltenen Informationen. 1 INHALTSVERZEICHNIS 1. Einleitung ................................................................................................................................... 2 2. Gründe und Herausforderungen für eine Umsetzung ................................................................. 2 3. Rahmenbedingungen ................................................................................................................. 3 3.1. Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen .............................................................. 3 3.2. Eigentumsverhältnisse und Finanzierung .............................................................................. 4 3.3. Flächenfindung ...................................................................................................................... 6 3.4. Öffentliche Akzeptanz und Einbindung der Akteure ............................................................... 9 3.5. Ttechnische Umsetzung der Anlage .................................................................................... 11 4. Empfehlungen .......................................................................................................................... 12 4.1. Bau der Anlage.................................................................................................................... 12 4.2. Weiterführende Hinweise: ................................................................................................... 13 5. Referenzen ............................................................................................................................... 14 Appendix 1: Beispiele realisierter Anlagen .................................................................................... 15 2 1. Einleitung Das Projekt SDHp2m (Solar District Heating … from policy to market) zielt auf einen Ausbau solarer Wärmenetze in neun europäischen Regionen (Thüringen und Hamburg in Deutschland, Steiermark in Österreich, Auvergne-Rhône-Alpes in Frankreich, Masowien in Polen, Varna in Bulgarien, Västra Götaland in Schweden, Aosta und Veneto in Italien) ab. Die lokalen Randbedingungen für den Ausbau von Wärmenetzen mit Solarthermie unterscheiden sich von Region zu Region. Dennoch ließen sich folgende drei „Standardlösungen“ identifizieren, die in fast allen Regionen angewendet werden können. • Energiedörfer – Umsetzung von neuen solaren Wärmenetzen kombiniert mit Biomasse • Einbindung von Solarthermie in biomassebasierte Wärmenetze • Einbindung von Solarthermie in bestehende städtische Fernwärmesysteme Dieser Leitfaden beschreibt die Integration von Solarthermie-Großanlagen in bestehende Wär-menetze, die primär Biomasse als Brennstoff nutzen. Dabei sind die wesentlichen Herausforderungen nachfolgend kurz zusammengefasst. Bei Bio-masse-befeuerten Wärmenetzen entstehen im Sommer oft Schwierigkeiten im Teillast-Betrieb. Wenn nur ein Kessel installiert ist, entspricht die Sommerlast rund 10 % der Spitzenlast des Kessels. Daher wird der Biomassekessel, je nach Kesselkonfiguration des Heizwerkes, oft in den Sommer-monaten abgeschaltet und durch einen Ölkessel ersetzt. Ein kontinuierlicher Start-und-Stop-Vor-gang ist bei Biomasse-Industriekesseln nicht möglich. In anderen Heizwerken läuft der Biomas-sekessel bei Schwachlast, entsprechend der Sommerlast des Netzes, was in höheren Emissionen und niedriger Effizienz resultiert. Durch die Installation einer Solarthermieanlage zur Deckung großer Teile der Sommerlast, kann die Nutzung fossiler Energieträger in den Sommermonaten weitgehend vermieden werden. Dieser Leitfaden ist nicht als abgeschlossenes Dokument zu betrachten, sondern wird durch neue Erkenntnisse erweitert. Die dargestellten Herausforderungen fokussieren sich auf die spezifischen Rahmenbedingungen für Österreich und Deutschland. 2. GRÜNDE UND HERAUSFORDERUNGEN FÜR EINE UMSETZUNG Nachfolgend werden die wesentlichen Vorteile der Integration von Solarthermie-Großanlagen in Bio-massewärmenetzen angeführt: • Der Einsatz von Solarthermie-Großanlagen vermindert die Emissionen des Biomasseheiz-kessels während der Sommerzeit. • Kann der Ölkessel zur Deckung der Sommerlast durch eine Solarthermie-Großanlage ersetzt werden, so werden fossile Energieträger und die anfallenden Emissionen vermieden. • Solarthermie-Großanlagen können nahezu ohne Überwachung betrieben werden. Aus die-sem Grund steht das Personal für andere Aktivitäten zur Verfügung, z.B. für den Kundenser-vice, zur Reinigung des Biomasseheizkessels, zum Abbau von Urlaubstagen, etc. • Wird der Biomasseheizkessel über einen längeren Zeitraum abgeschaltet, so lässt sich die Lebensdauer desselben verlängern. 3 Trotzdem können ein paar Nachteile auftreten: • Ein Wärmespeicher von 50-300 l/m² Solarkollektor ist zu installieren, sofern er nicht bereits im System eingebunden ist. Die Integration des Speichers hat auch Vorteile für den Bio-masseheizkessel. Der Speicher kann die Winterproduktion des Biomasseheizkessels aus-gleichen, sodass sich die Verbrauchsspitzen in der Heizperiode leichter decken lassen. Dar-über hinaus kann die Lebensdauer des Heizkessels bei einer fixen Last verlängert werden. • Die Errichtung von Solarthermie-Großanlagen kann die Nachfrage nach Biomasse reduzie-ren. Auf lange Sicht ist Biomasse eine beschränkte Ressource, und steht in Konkurrenz zur Nachfrage im Transportsektor und für Hochtemperaturanwendungen in der Industrie. Alle zuvor genannten Vor- und Nachteile hängen von den Randbedingungen des jeweiligen Wär-menetzes ab. Es ist in einer frühen Projektphase eine grobe Machbarkeitsberechnung zur Abschät-zung der Wärmegestehungskosten von solarthermischen Großanlagen empfehlenswert. Diese sind mit jenen von bestehenden Biomassewärmenetzen zu vergleichen. Dazu können der Kostenvoran-schlag eines Solarthermieanbieters oder auch die Informationen aus dem Fact sheet 2.3 „Feasibility study“ [1] unterstützen. Eine Berechnung der Wärmegestehungskosten einer Solarthermie-Großan-lage kann auch mithilfe eines Online-Berechnungstools, entwickelt von Solites [2] oder mit dem Excel-Tool ScenoCalc Fernwärme, abgeschätzt werden. Bevor eine Solarthermie-Großanlage in einem Wärmenetz implementiert wird, müssen einige grund-legende Rahmenbedingungen bedacht werden. 3. RAHMENBEDINGUNGEN Wird Solarthermie als Erzeugungsoption in biomassebefeuerten Wärmenetzen in Betracht gezogen, ist es wichtig, die notwendigen Rahmenbedingungen zu erfassen und zu prüfen. Dabei spielen die regionale Verfügbarkeit, der Nachhaltigkeitsgedanke, die Zuverlässigkeit und die Preisstabilität eine große Rolle. Denn es braucht ein sorgfältiges und strukturiertes Vorgehen bei der Projektentwick-lung um Vorbehalten und Vorurteilen zu begegnen, Konflikte zu vermeiden und zu lösen. Die nachfolgenden Themenschwerpunkte haben sich hierbei als besonders relevant erwiesen: 1. Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen 2. Eigentumsverhältnisse und Finanzierung 3. Flächenfindung 4. Öffentliche Akzeptanz und Einbindung der Akteure 5. Technische Umsetzung der Anlage 3.1. Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen Solarthermie ist in Österreich und Deutschland fast ausschließlich auf Gebäudedächern im Einsatz – ganz überwiegend auf Ein- und Zweifamilienhäusern. Große Freiflächensolaranlagen, wie sie vor allem in Dänemark sehr verbreitet sind, haben in den beiden Ländern bisher nur einen sehr geringen Marktanteil. Durch die niedrigen Wärmegestehungskosten eignet sich diese Art der Wärmeerzeu-gung aus wirtschaftlicher Perspektive und ist attraktiv gegenüber fossilen Brennstoffen. Diese Po-tenziale können maßgeblich die Wärmewende zu erneuerbaren Energien unterstützen und eine wirt-schaftlich sowie sozial verträgliche Energieversorgung anbieten. 4 Anders als bei der Strom- und Gasversorgung sind in der leitungsgebundenen Wärmeversorgung die Erzeugung, die Verteilung und der Verbrauch lokal bzw. regional verortet. Somit ist die Wärmeversorgung vor allem eine lokale Aufgabe und auch im Verantwortungsbereich der Kommunen angesiedelt. Sie stehen vor der großen Herausforderung – im Einklang mit den na-tionalen und europäischen Klimaschutzzielen – die Wärmeversorgung bis spätestens 2050 klima-neutral zu gestalten. Zur kostengünstigen und großtechnischen Integration der Solarthermie bietet sich die Nutzung von Wärmenetz-Infrastrukturen in besonderem Maß an. Die erforderlichen großen Kollektorfelder wer-den hierbei auf Freiflächen installiert oder in Gebäudedachflächen integriert. Es kommen dabei beide Kollektorarten, Flachkollektoren und Vakuumröhrenkollektoren, in Frage. Die Kollektorfeldgrößen reichen von ca. 500 m² bis zu 150.000 m² – bei der derzeit größten realisierten Anlage in Silkeborg in Dänemark. Zahlreiche großflächige Solarthermie-Anlagen im Leistungsbereich bis 50 MWth werden inzwischen in Dänemark betrieben. Sie erzeugen Wärme zu wettbewerbsfähigen Gestehungskosten von unter 50 Euro je MWh und somit wesentlich kostengünstiger, als dies mit dezentralen Lösungen auf Ge-bäudedächern möglich ist. Wirtschaftliche und ökologische Konsequenzen Um die wirtschaftlichen Auswirkungen des Projekts zu berechnen, muss die Solarthermieanlage ausgelegt und wichtige Kennwerte bestimmt werden: • Investitions-, Betriebs- und Wartungskosten für Anschlussleitungen. • Investitions-, Betriebs- und Wartungskosten für die Solaranlage. Preise finden Sie in [3]. Häu-fig können auch direkte Angebote bei Herstellern eingeholt werden. • Wirkungsgradkennlinien für Solarkollektoren und Heizkurve des Wärmenetzes. • Jährliche Wärmeproduktion der Solarthermieanlage • Kostenersparnis gegenüber dem bestehenden Fernwärmesystem • Finanzierungsbedingungen Mit Hilfe der oben genannten Kennwerte können die Gesamtkosten für notwendige Investitionen bzw. Wärmegestehungskosten berechnet werden. Danach können die jährlichen Kosten mit den Kosten des bereits bestehenden Fernwärmesystems verglichen werden. 3.2. Eigentumsverhältnisse und Finanzierung Das Solarkollektorfeld kann durch den lokalen Fernwärmebetreiber oder einen externen Investor finanziert werden, wodurch diese Optionen auch für die Eigentumsverhältnisse eine hohe Relevanz haben. Diese Entscheidung beeinflusst die nachfolgenden Kommunikations- und Entscheidungs-prozesse maßgeblich und muss deshalb vor Beginn des Projekts geklärt sein. Die Frage der Eigentumsverhältnisse einer Solarthermie-Anlage hat sowohl für Investoren als auch für Verbraucher eine hohe Relevanz. Das Interesse der Investoren liegt vor allem in dem gewählten Geschäftsmodell und die damit verbundene Frage der Investitionssicherheit. Für Verbraucher sind die Höhe des Wärmepreises, das Vertrauen in das Versorgungsunternehmen sowie die Transpa-renz weit wichtigere Faktoren. Unabhängig von der Wahl des Investors, sind zur Stützung der nachhaltigen Kommunikation und Vertrauensbasis, die Verbraucher über das gewählte Eigentums-/Betreibermodell zu informieren 5 und die Wahl des Eigentümer-/Betreibermodells zu erläutern. Je nach Fall, muss ein Vertrag zwi-schen dem Wärmeversorger und dem externen Investor beziehungsweise dem Betreiber der So-larthermieanlage entworfen werden, in welchem Zuständigkeiten und Pflichten zu Betrieb und War-tung der Anlage sowie zur Wärmeversorgung klar definiert werden. Detaillierte Informationen zu den wesentlichen Teilbereichen sind in Fact sheet 2.5 [1] „Ownership and financing“ unter folgenden Punkten nachzulesen: • Utility as an owner (Wärmeversorger ist Eigentümer) • Private ownership of roof mounted collectors (Privateigentum von Hauseigentümern) • Private ownership and third-party financing (Privateigentum und Finanzierung durch Dritte) • Solar collectors in cooperative ownership (Gemeinschafts-/Genossenschaftseigentum) Vertragsentwurf Wärmeliefervertrag zwischen Wärmenetzbetreiber und Eigentümer/Betrei-ber der Solarthermieanlage Wenn eine Solarthermieanlage nicht im Eigentum des Wärmenetzbetreibers steht, sondern im Ei-gentum von Dritten, ist ein Vertrag zwischen den beiden Parteien zu schließen. In [1], Factsheet 2.5 “Ownership and financing” werden wichtige Punkte dazu genannt. 1. Inhalt des Vertrages • Regelt grundsätzlich die Wärmelieferung: • Eigentümer der Solaranlage, Betreiber des Wärmenetzes • Allgemeine Information zur Systemintegration der Solaranlage • Start der Wärmelieferung: normalerweise auf einen Zeitraum eingeschränkt oder mit einem spätmöglichen Startdatum beginnend • Dauer des Vertrages: regelt Beginn und Ende der solaren Wärmelieferung 2. Installation der Solaranlage, Eigentumsgrenzen • Wer ist für die Installation der Anlage verantwortlich? • Regelt im Detail die Liefergrenzen, und beschreibt die Zuständigkeiten des Wärmenetzbe-treibers. Zudem wird der Punkt der Wärmeübergabe (normalerweise Position und Integration des Wärmetauschers) beschrieben. • Notwendige Zertifikate • Wer zahlt den el. Strom für Pumpen und andere Geräte? • Wer ist für Betrieb und Wartung der Solaranlage zuständig? • Eigentum/Nutzungsrechte an Flächen, die Bezug zur Solaranlage haben (Technikraum, Dä-cher, Rohrleitungswege…) 3. Details zur Wärmelieferung und zum Betrieb der Solaranlage • Gibt es für den Eigentümer der Solaranlage ein Recht zur Wärmelieferung an den Wär-menetzbetreiber? Geforderte Vorlauftemperatur, Druck, Volumenstrom? Back-up verpflich-tend? • Regelungen bezüglich Netz-Rücklauftemperatur. • Risiken bezüglich Schäden an der Solaranlage, die durch ungünstige Betriebsführung ent-stehen 4. Wärmepreis für Solarenergie • Gleicher Preis während des gesamten Jahres oder Unterschied zwischen Sommer und Win-ter? • Preisreduktion, wenn Temperaturen niedriger sind als gefordert 6 • Solarwärmepreis an Konsumentenpreisindex angepasst? Oder an anderen Index? Welches Datum ist Referenzpunkt für den Start der Berechnung? 5. Messung und Verrechnung der Solarenergie • Wie und wo wird die Solarwärme gemessen? • Welche Anforderungen werden an die Messgeräte/Messdatenerfassung gestellt? Kalibrie-rung? • Wie wird verrechnet? Intervalle? Abschlagszahlungen? • Zahlungskonditionen und –fristen 6. Andere Vertragsklauseln • z.B. Auflösungsklauseln 7. Gerichtsstand • Regelt den Gerichtsstand bei Disputen 8. Anhänge zum Vertrag • Hydraulikschemata von Übergabestation, Solaranlage • Lagepläne, techn. Beschreibungen 3.3. Flächenfindung Große Solaranlagen haben relevante Auswirkungen auf die Raumnutzung und stellen demzufolge raumbedeutsame Vorhaben dar. Noch stärker als Windkraft- oder Fotovoltaik-Anlagen sind große Solarwärme-Anlagen an bestimmte Standort-Bedingungen geknüpft. Während Strom ohne erhebliche Verluste über große Entfernun-gen vom Erzeugungsort zum Verbraucher transportiert werden kann, ist die Transportfähigkeit von Wärmeenergie begrenzt – die hohen Kosten für den Bau und Betrieb der Wärmeleitung und höhere Energieverluste sprechen dafür, dass eine solarthermische Wärmeversorgung immer in der Nähe zu den Wärmeverbrauchern erfolgen muss. Also innerhalb weniger Kilometer zu Wärme-senken mit Wärmeverteilnetzen und den Verbrauchern. Deshalb müssen die möglichen Aufstellflächen in der Nähe der Wärmesenke schon in einer frühen Projektphase genau untersucht werden. Die Kollektoren können auf Dachflächen oder auf dem Bo-den platziert werden, wobei die Nutzung von Dachflächen mit höheren Kosten verbunden ist1 und die Dachflächen oftmals für Photovoltaik verwendet werden. Förderlich für die Entwicklung von Freiflächen sind Verfahren zum Flächenscreening, die ökologi-sche Aufwertung von Freiflächen sowie Beteiligungs- und Geschäftsmodelle für beteiligte Akteure (z.B. Landwirte). Eine Karte, die mögliche Flächen zum Aufstellen von Solarkollektoren und eine mögliche Anbindung an das Fernwärmeversorgungs- oder Rohrnetz zeigt, sollte Teil einer Mach-barkeitsstudie bzw. eines Wärmeversorgungskonzepts sein. 1 Siehe auch [1], Factsheet 2.3, Abbildungen 2.3.6 und 2.3.7 7 In einer ersten Analyse zeigt das Flächenscreening die Verfügbarkeit von Freiflächen im Vergleich zur Besiedelungsstruktur und Gebäudeflächen der Region. Parallel ist die Wärmebedarfsdichte des potenziellen Versorgungsgebietes zu analysieren und die Priorität von potenziellen Flächen für So-larthermie zu definieren. Eine Abschätzung der potenziellen Solarthermieflächen anhand des Flächenscreenings ist für das Wärmeversorgungsgebiet in Abbildung 2 für die Region Gleisdorf in Österreich illustriert. Detailinfor-mationen können im Fact sheet 3.1, 3.3 „Land availability for Solar Thermal Plants” [1] nachgelesen werden. 2013 lag der Fernwärmebedarf z.B. in Österreich bei 22430 GWh/a. Geht man mittelfristig von einem Anteil der Solarthermie an der Fernwärmeerzeugung von 15 % aus, so wäre der Beitrag der So-larthermie in diesem Bereich 3360 GWh/a. Hierfür wäre eine Kollektorfläche von 6,73 Mio. m² bzw. eine Leistung von 4,7 GW bis 2050 zu realisieren. Es resultiert ein erforderlicher jährlicher Neuzubau von rund 200.000 m² Kollektorfläche bzw. 140 MW pro Jahr. Solarthermie weist eine hohe Flächeneffizienz auf: Für die o.g. 6,73 Mio. m² Kollektorfläche ist bun-desweit verteilt eine Landfläche von lediglich 13,5 km² erforderlich. Das entspricht dem derzeitigen Flächenverbrauch in Österreich in einem Zeitraum von ca. drei Monaten [4]. Die Flächeneffizienz der Solarthermie ist gegenüber Energiepflanzen um rund den Faktor 50 höher. Abbildung 1: Flächenverteilung nach Nutzungskategorien (links), Wärmebedarfsdichte (rechts) am Beispiel der Region Gleisdorf in Österreich [6] Landschaftsklassen Wärmebedarfsdichte 8 Relevante Flächen zur Errichtung der Solarthermie-Anlage können gekauft oder gepachtet werden. Zu beachten ist, dass mehr als eine verfügbare Fläche für Solarthermie zur Auswahl steht, sodass der Preis nicht von einem Monopolisten bestimmt wird und die Solarthermie in einem biomassebe-feuerten Wärmesystem eine Alternative bietet. Die Solarthermie kann als zentrale Anlage direkt beim Biomasseheizwerk oder als dezentrale Anlage umgesetzt werden. Abbildung 3: Zentrale (links) und dezentrale (rechts) Einbindung der Solarthermie im biomassebefeuerten Wärmenetz. [1] Die Integration von Solarthermieanlagen auf Freiflächen kann zudem unterschiedliche Nutzungs- und Gestaltungsaspekte aufweisen: Abbildung 2: Potenzielle Solarthermieflächen für das Wärmeversorgungsgebiet Gleisdorf in Österreich [6] 9 • Optimierung der Landschaftsgestaltung durch Berücksichtigung bereits im Planungsprozess • Doppelnutzung durch Energieversorgungsoption und Landschaftsgestaltung in Gebieten mit hohem Verschmutzungs- oder Nässegrad Beispiele zur Landschaftsgestaltung und Doppelnutzung von Solarthermieanlagen illustrieren Abbil-dung 4 und Abbildung 5. 3.4. Öffentliche Akzeptanz und Einbindung der Akteure Unabhängig davon, ob die Solarthermische-Anlage Eigentum des bestehenden Wärmenetzversor-gers oder eines Dritten ist und von diesem finanziert wird, muss das Versorgungsunternehmen bereit sein, das Projekt durchzuführen, wenn die Bedingungen für die Teilnahme am Projekt erfüllt sind. Zum Beispiel, wenn der Wärme-Preis nicht höher wird als in der Referenzsituation (oder nicht mehr als X% höher). In diesem Fall muss das Preisberechnungsmodell von den Partnern bestätigt wer-den. Darüber hinaus müssen die lokalen Behörden hinter dem Projekt stehen und die notwendigen Pro-zesse unterstützen: • Ausarbeitung einer strategischen Energieplanung (oder Energieraumplanung) und eines Wärmeplans für die Stadt. In den europäischen Projekten Hotmaps (http://www.hotmaps-project.eu/) und Planheat (http://planheat.eu/) werden Werkzeuge für die Wärmeplanung ent-wickelt. • Kontaktaufnahme mit der Gemeinde, um Genehmigungen und fachkundige Unterstützung zu erhalten. • Das FW-Netz im Besitz eines kommunalen oder verbrauchereigenen Unternehmens zu hal-ten, damit der Zugang für Solare Fernwärme (SDH) öffentlich kontrolliert werden kann Als Grundlage für eine mögliche Umsetzung derartiger Projekte, stellt eine fundierte Machbarkeits-studie ein wichtiges Instrument dar. Diese kann nicht nur zeigen, dass ein Projekt realistisch um-setzbar wäre, sondern auch skeptische Akteure von den Möglichkeiten und damit verbundenen Vor-teilen überzeugen. Zu den wesentlichen Akteuren zählen die jeweiligen Heizwerks- und Wärmenetz- Abbildung 5: “Collector Island” (SUNMARK), Almere, Holland. [1], Fact sheet 2.2 Abbildung 4: Auf einem Hang (Schüco), Crailsheim, Germany (by Stadtwerke Crailsheim GMBH). [1], Fact sheet 2.2 10 betreiber, die Anrainer, Behörden und Finanzierungspartner. Um möglichst allen Betroffenen Ant-worten auf Ihre spezifischen Fragestellungen zu bieten, sollte eine Machbarkeitsstudie folgende Punkte behandeln: Für Investoren relevante Aspekte • Beschreibung verschiedener Wärmelösungen (Biomasse, Solar, Wärmepumpe, Abwärme, evtl. Geothermie) • Gründe für Integration von Solarthermie ins bestehende Wärmenetz • Flächenoptionen für die Solarthermieanlage • Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten der Anlage • Wirtschaftliche Rahmenbedingungen für Referenzfall und Solarprojekt (Barwert, interner Zinsfuß, jährliche Kosten für Wärmekunden). Sensitivitätsanalyse/Szenarioanalyse • Umweltaspekte: (vermiedene) Emissionen in Boden, Wasser und Luft • Zeitplan • Diskussion möglicher Hindernisse bei der Projektumsetzung • Vertragsentwurf zwischen Wärmenetzbetreiber und externem Investor (z.B. bei Bürgerbetei-ligung oder anderem externen Investor) • Vertragsentwurf zwischen Wärmenetzbetreiber und Lieferant der Solaranlage (wenn Wär-menetzbetreiber investiert) • Entwurf eines neuen Wärmeliefervertrags für die Kunden • Im Fall einer Genossenschaft: Entwurf einer Mitgliedersatzung Für Kommunen relevante Aspekte • Wirtschaftliche Vorteile auf Gemeindeebene (z.B. lokale Wertschöpfung) • Konsequenzen für Arbeitsplätze in der Gemeinde • Umweltaspekte: (vermiedene) Emissionen in Boden, Wasser und Luft • Konsequenzen für die (Energie-) Raumplanung (Schutzgebiete, Anrainer) • soziale Verantwortung der Gemeinde Für Verbraucher relevante Aspekte • Wärmepreisstabilität • Versorgungssicherheit Sobald zwischen den Projektbeteiligten Einigung über die wesentlichen Punkte des Projektes herrscht, gilt es unter Berücksichtigung der Anliegen von Gemeinde und Bürger, v.a. der Anrainer, den Genehmigungsprozess zu starten. Normalerweise ist es nicht schwierig, öffentliche Akzeptanz für eine Solarthermie-Großanlage zu bekommen. Nichtsdestotrotz zeigt die Erfahrung aus Windenergie- und Biogasprojekte, dass der Investor proak-tiv um öffentliche Akzeptanz bemüht sein sollte. Falls es eine Energieplanung oder besser noch Energieraumplanung für die Gemeinde gibt, kann das eine große Hilfe zur Erlangung öffentlichen Interesses sein. Insofern die Bürger in diesen Planungsprozess eingebunden waren. Denn das Feh-len von Information und Einbeziehung kann Frustration, Verärgerung und Widerstand gegen das Projekt hervorrufen. Ein Beispiel zeigt die Erfahrungen von Energieprojekten auf der dänischen Insel Samsø die seit 1996 mit öffentlicher Wahrnehmung und Akzeptanz durchgeführt werden. Eine der Erfahrungen aus 11 diesen Projekten ist, dass sorgfältige Vorbereitung der ersten Schritte ein Muss ist. Im Projekt „Im-plement“, im Rahmen des EU Interreg-Programmes, beschreibt die Samsø Energieakademie den Implementierungsprozess in “A manual on citizen involvement” [5]. Das Handbuch beschreibt ein Biogasprojekt, aber ist auch für andere Projekte anwendbar. Die Schritte im Handbuch sind: • Ausarbeitung einer grundlegenden Studie inkl. Informationen über lokale Gepflogenheiten • Engagement von Personen, die lokale Begebenheiten und Gepflogenheiten kennen • Identifizierung der direkt involvierten Projektbeteiligten/-betroffenen • „was ist für mich drin?“ für die involvierten Projektbeteiligten/-betroffenen finden • Ziele für die Einbeziehung und eine Strategie zur Erreichung der Projektbeteiligten/-betroffe-nen • Einbeziehung der lokalen Behörden Der Prozess (muss von unten aufgerollt werden und von oben gesteuert werden): • Die Kommunikation muss klar und proaktiv sein. Kommunikationskanäle müssen definiert werden. • Ziele von Versammlungen müssen klar sein. Zur Vorbereitung sollten Schlüsselpersonen vorab kontaktiert werden und Szenarien bez. Verlauf der Versammlung sollten durchgedacht werden. • Zwischen den Versammlungen können Schlüsselpersonen kontaktiert werden, Arbeitsgrup-pen gebildet werden, Besichtigungen ähnlicher Projekte arrangiert werden. Diese Methode der Einbeziehung hat zu lokaler Identifikation bei verschiedenen Energieprojekten auf der Insel Samsø geführt. Dort war auch wichtig, dass es einen Masterplan für die Wende hin zu erneuerbaren Energien gibt und dass dieser Masterplan ausführlich diskutiert und von politischer Seite befürwortet wurde. 3.5. Ttechnische Umsetzung der Anlage Die Auswahl von Solarthermie als Erzeugungsoption muss ebenso erläutert werden wie das gene-relle Anlagendesign. Außerdem ist anzugeben, welcher jährliche Deckungsgrad durch die Solarther-mieanlage erreicht werden kann. Daraus lässt sich ableiten, ob es möglich ist, die existierenden Erzeugungsanalagen (z.B. Biomasse-, Öl-, Gaskessel) modulweise über längere Zeiträume im Som-mer auszuschalten und so den Einsatz von Biomasse und fossiler Brennstoffe zu reduzieren sowie einen ungünstigen Teillastbetrieb zu vermeiden. Auch sollte geprüft werden ob eine zentrale oder dezentrale Einbindung der Solarkollektoren zu bevorzugen ist. Das technische Konzept umfasst dabei die Dimensionierung der Solaranlage und eine Kostenschät-zung. Die Solaranlage kann entweder auf die Deckung der Sommerlast ausgelegt werden oder unter Einbindung eines Saisonalspeichers bis zu 50% der Jahreslast decken. Die Variante mit Saiso-nalspeicher ist momentan (2018) nur für Wärmenetze mit einem Wärmbedarf von über 15-20 GWh/a technisch und wirtschaftlich sinnvoll. 12 Abbildung 6: Blockschema eines Heizwerkes mit Solarthermie und Biomasse [1], Fact sheet 2.1 "Solar heat combined with other fuels". 4. EMPFEHLUNGEN 1. Die systematische Flächensuche und -entwicklung spielt eine Schlüsselrolle für solare Wär-menetzintegration. 2. Zu Beginn der Projektentwicklung sollte ein systematisches Flächenscreening anhand energie-wirtschaftlicher, politischer sowie rechtlicher Kriterien durchgeführt werden. 3. Möglichst frühzeitig sollte mit der umfassenden Behörden-, Bürger- und Stakeholder-Beteiligung begonnen werden. 4. Es sollte von vorneherein ein integriertes, ökologisches Nutzungskonzept verfolgt werden. 5. Das Umweltrecht dürfte in der Regel keine unüberwindbaren Hindernisse verursachen. 6. Der kombinierte Einsatz von verschiedenen Wärmeerzeugungstechnologien sollte im Rahmen der Machbarkeitsstudie genauer untersucht werden. Siehe auch [1], Fact sheet 2.1 “Solar heat combined with other fuels”. 7. Das technische Umsetzungskonzept (zentral/dezentral) sollte mit dem ökologischen Nutzungs-konzept im Einklang stehen 8. Eigentümerverhältnisse und Finanzierungsmöglichkeiten inklusive Bürgerbeteiligungsmodelle sind vor Umsetzung des Projektes zu berücksichtigen. 4.1. Bau der Anlage Wenn die notwendigen Genehmigungen eingeholt wurden, kann die Umsetzung des Projekts begin-nen. Dazu muss die Ausschreibung für die Projektumsetzung veranlasst werden, eine Vergabe und schließlich die Installation der Wärmeerzeuger erfolgen. Soll das Wärmenetz um neue Anschluss-nehmer erweitert werden, müssen Verträge mit den Neukunden geschlossen und Termine für die 13 Installation der Hausanschlussstationen an das Wärmenetz und die Deinstallation der Einzelheizun-gen angekündigt und individuell vereinbart werden. Diese Arbeiten müssen von Experten durchge-führt werden. Es ist jedoch sehr wichtig, die Anwohner vor Ort kontinuierlich über kommende Schritte und den Vorgang des Projekts informieren. Denn insbesondere eine eventuelle Verlegung neuer Wärmenetzstränge kann zu Beeinträchtigungen des Straßenverkehrs führen und sollte rechtzeitig erläutert und angekündigt werden, um Ärger zu vermeiden. Siehe auch [1] Fact sheet 3.2 “Tendering and contracts” und Fact sheet 4.1 “Supervision of con-struction and commissioning”. 4.2. Weiterführende Hinweise: • Angaben zu Emissionen von Heizkesseln sind in [3] zu finden. • Mögliche Berechnungswerkzeuge für die Solarertragsberechnung sind • energyPRO (https://www.emd.dk/energypro/), • Polysun (http://www.velasolaris.com/english/home.html), • T*Sol (http://valentin.de/calculation/thermal/start/en), • TRNSYS (http://www.trnsys.com/) und weitere. • Richtlinien für ein detailliertes Design finden sich in [1], Kapitel 6, 7 und 8. Ein Beispiel für eine Berechnung der wirtschaftlichen Folgen für eine Solarthermische-Anlage, deren Inve-stition durch einen regionalen Versorger übernommen wurde und durch ihn betrieben wird, findet sich in Appendix 1. 14 5. REFERENZEN [1] Solar district heating guidelines Collection of fact sheets. http://solar-district-hea-ting.eu/Documents/SDHGuidelines.aspx [2] http://www.sdh-online.solites.de/Tool/2 [3] Technology Data Catalogue for Energy Plants. Danish Energy Agency and Energinet.dk. August 2016. Updated June 2017. https://ens.dk/en/our-services/projections-and-models/technology-data [4] http://www.umweltbundesamt.at/umweltsituation/raumordnung/rp_flaecheninanspruchnahme/ [5] People and Biogas. A manual on citizen involvement. www.peopleandbiogas.com [6] EnergyCityConcepts – How spatial energy analysis enables sustainable future energy systems. AEE INTEC, Ingo Leusbrock, Franz Mauthner, Presentation February 2018. 15 APPENDIX 1: BEISPIELE REALISIERTER ANLAGEN 16

Julian Kuntze2023-03-22T11:50:53+01:00Sonntag, 1. April, 2018|

Einbindung von Solarthermie in bestehende städtische Fernwärmesysteme

SDHp2m … from policy to market Regulatorische und marktunterstützende Maßnahmen für die Mobilisierung von Investitionen in erneuerbare Wärmenetze in europäischen Regionen und Ländern EINBINDUNG VON SOLARTHERMIE IN BESTEHENDE STÄDTISCHE FERNWÄRMESYSTEME Dieses Projekt wird durch das Forschungs- und Innovations-programm Horizon 2020 der Europäischen Union gefördert (Förderkennzeichen 691624) Dokumentinformationen: AutorInnen: Sebastian Grimm, Heiko Huther AGFW Per Alex Sørensen Planenergi Simona Weisleder Hamburg Institut Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz Magdalena Berberich, Thomas Pauschinger Solites Kontakt: Sebastian Grimm AGFW-Projektgesellschaft für Rationalisierung, Information und Standardisierung mbH Stresemannallee 30 60596 Frankfurt/Main Tel.: +49 (0)69 6304-200 Email: s.grimm@agfw.de Stand: April 2018 Arbeitspaket: WP 4: Mobilization of projects and investments Task: 4.1-4.4 Deliverable: D4.5: Manuals with standardized (plug and play) organizational processes and technical solutions (3) Status: Öffentlich Projekt Website: www.solare-fernwaerme.de Die alleinige Verantwortung für den Inhalt dieser Publikation liegt bei den AutorInnen. Sie gibt nicht unbedingt die Meinung der Fördermittelgeber wieder. Weder die Fördermittelgeber noch die AutorInnen übernehmen Verantwortung für jegliche Verwendung der darin enthaltenen Informationen. 1 INHALTSVERZEICHNIS Inhaltsverzeichnis ........................................................................................................................... 1 1. Einleitung ................................................................................................................................... 2 2. Zielsetzung ................................................................................................................................. 3 3. Rahmenbedingungen ................................................................................................................. 4 3.1. Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen .............................................................. 4 3.2. Flächenfindung / Flächen-Screening ..................................................................................... 5 3.3. Rechtliche Grundlagen .......................................................................................................... 7 3.4. Öffentliche Akzeptanz und Akteursbeteiligung ....................................................................... 9 3.5. Kosten, Finanzierung und Förderung ................................................................................. 11 4. Empfehlungen: ......................................................................................................................... 14 4.1. Umsetzung und Ausblick ..................................................................................................... 14 4.2. Weiterführende Hinweise .................................................................................................... 15 Anhang 1: Big Solar Graz ............................................................................................................. 16 Anhang 2: Solarthermische Anlage Senftenberg ........................................................................... 22 Quellen ......................................................................................................................................... 25 [2] 1. EINLEITUNG Das Projekt SDHp2m (Solar District Heating … from policy to market) zielt auf einen Ausbau solarer Wärmenetze in neun europäischen Regionen (Thüringen und Hamburg in Deutschland, Steiermark in Österreich, Auvergne-Rhône-Alpes in Frankreich, Masowien in Polen, Varna in Bulgarien, Västra Götaland in Schweden, Aosta und Veneto in Italien). Die lokalen Randbedingungen für den Ausbau von Wärmenetzen mit Solarthermie unterscheiden sich von Region zu Region. Dennoch ließen sich folgende drei „Standardlösungen“ identifizieren, die in fast allen Regionen angewendet werden können. • Energiedörfer – Umsetzung von neuen solaren Wärmenetzen kombiniert mit Biomasse • Einbindung von Solarthermie in biomassebasierte Wärmenetze • Einbindung von Solarthermie in bestehende städtische Fernwärmesysteme Dieser Leitfaden beschreibt, wie die Einbindung von Solarthermie in ein bestehendes städtisches Fernwärmesystem entwickelt und umgesetzt werden kann. Dabei treten insbesondere zwei wesentliche Herausforderungen auf. Zum einen wird die Sommerwärmelast in städtischen Fernwärmesystemen üblicherweise über KWK-Anlagen oder über Überschusswärmequellen, wie Müllverbrennung bereitgestellt und ist somit fest „besetzt“. Zum anderen sieht sich die großflächige Solarthermie, vor allem in den Städten, einer großen Konkurrenz um die raren urbanen Flächen gegenüber, die u.a. für den Wohnungsbau, Erholung und Gewerbebetriebe benötigt werden. Dennoch ist die Solarthermie ein wichtiger Baustein und sollte in bestehende städtische Fernwärmesysteme integriert werden, insbesondere da immer mehr Versorgungsunternehmen und Städte erkannt haben, dass ihre Wärmeversorgungssysteme von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energieträgern umgebaut werden müssen. Ergänzend zur Solarthermie ist aus technischer Sicht oft die Integration eines Wärmespeichers in das lokale Fernwärmesystem sinnvoll. Dieser Leitfaden ist nicht als abgeschlossenes Dokument zu betrachten, sondern wird durch neue Erkenntnisse erweitert. [3] 2. ZIELSETZUNG Gründe für die Integration von solarthermischer Wärme in ein bestehendes, städtisches Fernwärmesystem: • Vermeidung von Emissionen durch die Verdrängung fossiler Erzeuger in den Sommermonaten. • Erhöhung des Anteils Erneuerbarer Energien zur Erreichung städtischer Klimaziele (und eines niedrigen CO2-Ausstoßes). • Gezielte Erhöhung der Übertragungskapazität an Engpässen, wo ohne zusätzliche (dezentrale) solarthermische Erzeuger nicht oder nur durch großen (finanziellen) Aufwand weitere Abnehmer angebunden werden könnten. • Ersatz von Erdgas in Systemen, in denen eine KWK-Produktion in der Sommerzeit nicht rentabel ist. Sofern der Wärmebedarf einer Stadt in den Sommermonaten ausreichend gedeckt ist, stellt die Integration solarthermischer Anlagen oft nicht die oberste Priorität dar. Diese Situation kann sich, beispielsweise durch neue Einspeisetarife für Strom aus KWK Anlagen, sehr grundlegend verändern. Ein Beispiel hierfür sind dänische Gas-KWK-Anlagen, deren Einspeisetarife für Strom, vor mehr als 10 Jahren, auf Marktpreise umgestellt wurden. Daraufhin hat sich die durchschnittliche Betriebsdauer von 4.000 auf 500 Stunden pro Jahr reduziert. Der damit verbundene Rückgang bereitgestellter Wärme aus diesen Anlagen wird dann durch den längeren und teureren Betrieb der Erdgaskessel ausgeglichen, wodurch die Einbindung solarthermischer Erzeuger deutlich attraktiver wurde. Viele Großstädte verfügen theoretisch über ausreichend überschüssige Wärme aus verschiedenen Quellen (Müllverbrennung, Raffinerien, Stahl- und Aluminiumindustrien usw.), welche den Wärmbedarf in den Sommermonaten, teilweise gar mit Überschuss, decken könnten. Durch entsprechend dimensionierte, saisonale Wärmespeicher kann dieser Wärmeüberschuss auch in Zeiten höheren Bedarfes transferiert werden. Solarthermie kann dann eine zusätzliche Quelle, zur Füllung des Wärmespeichers für die Wintermonate, darstellen, wodurch eine vollständige (oder größere) Abdeckung des Wärmebedarfs durch EE ermöglicht wird. Sowohl die Speicher, als auch die solarthermischen Anlagen müssen zu diesem Zweck ausreichend groß dimensioniert werden. Größere Dimensionen von Speicher und Erzeugung ermöglichen auch längere Übertragungsleitungen und niedrigere Wärmegestehungskosten. Bevor mit der Umsetzung einer solarthermisch gestützten Fernwärmeversorgung begonnen werden kann, müssen einige grundlegende Rahmenbedingungen bedacht werden. [4] 3. RAHMENBEDINGUNGEN Wird Solarthermie als Erzeugungsoption in Betracht gezogen, ist es wichtig, die notwendigen Rahmenbedingungen zu erfassen und zu prüfen. Denn es braucht ein sorgfältiges und strukturiertes Vorgehen bei der Projektentwicklung, um Vorbehalten und Vorurteilen zu begegnen, Konflikte zu vermeiden und zu lösen. Die nachfolgenden Themenschwerpunkte haben sich hierbei als besonders relevant erwiesen: 1. Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen 2. Flächenfindung 3. Rechtliche Grundlagen 4. Einbindung und Überzeugung der lokalen Akteure 5. Eigentumsverhältnisse 6. Kosten, Finanzierung und Förderung 3.1. Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen Solarthermie ist in Deutschland bisher fast ausschließlich auf Gebäudedächern im Einsatz – ganz überwiegend auf Ein- und Zweifamilienhäusern. Große Freiflächensolaranlagen, wie sie vor allem in Dänemark sehr verbreitet sind, haben in Deutschland bisher nur einen sehr geringen Marktanteil. Dies kann sich aber ändern, denn durch die geringen Wärmegestehungskosten ist diese Art der Wärmeerzeugung bereits heute wirtschaftlich attraktiv gegenüber fossilen Brennstoffen. Hier liegen große Potenziale für die notwendige Wärmewende zu erneuerbaren Energien und zu einer wirtschaftlichen und sozial verträglichen Energieversorgung. Anders als bei der Strom- und Gasversorgung sind in der leitungsgebundenen Wärmeversorgung die Erzeugung, die Verteilung und der Verbrauch lokal bzw. regional verortet. Somit ist die Wärmeversorgung vor allem eine lokale Aufgabe und auch im Verantwortungsbereich der Kommunen angesiedelt. Sie stehen vor der großen Herausforderung – im Einklang mit den nationalen und europäischen Klimaschutzzielen – die Wärmeversorgung bis 2050 klimaneutral zu gestalten. Zur kostengünstigen und großtechnischen Integration der Solarthermie bietet sich die Nutzung von Wärmenetz-Infrastrukturen in besonderem Maß an. Die erforderlichen großen Kollektorfelder werden hierbei auf Freiflächen installiert oder in Gebäudedachflächen integriert. Es kommen dabei beide Kollektorarten, Flachkollektoren und Vakuumröhrenkollektoren, in Frage. Die Kollektorfeldgrößen reichen von ca. 500 m² bis zu 150.000 m² – bei der derzeit größten realisierten Anlage in Silkeborg in Dänemark. Zahlreiche großflächige Solarthermie-Anlagen im Leistungsbereich bis 50 MWth werden inzwischen im Nachbarland Dänemark betrieben – aber auch in Deutschland gibt es bereits gute Beispiele. Sie erzeugen Wärme zu wettbewerbsfähigen Gestehungskosten von unter 50 Euro je MWh und somit wesentlich kostengünstiger, als dies mit dezentralen Lösungen auf Gebäudedächern möglich ist. [5] Energiegewinnung hat Raumbedarf – ob man nun an Kohle, Wind, Fotovoltaik, Leitungen oder Biomasse denkt. Vergleicht man allerdings den Flächenbedarf von Solarthermie mit der Bioenergie, so benötigt beispielsweise Mais zur Produktion einer kWh Energie eine Fläche, die 40 bis 50fach größer ist. [2] Wirtschaftliche und ökologische Konsequenzen Um die wirtschaftlichen Auswirkungen des Projekts zu berechnen, müssen die Solarthermieanlage ausgelegt und wichtige Kennwerte bestimmt werden: • Investitions-, Betriebs- und Wartungskosten für Anschlussleitungen. • Investitions-, Betriebs- und Wartungskosten für die Solarkollektoren. Preise können aus [3] entnommen werden. Häufig können auch direkte Angebote bei Herstellern eingeholt werden. • Wirkungsgradkennlinien für Solarkollektoren und Lastkurve des Wärmenetzes. • Jährliche Wärmeproduktion der Solarthermieanlage • Kostenersparnis gegenüber dem bestehenden Fernwärmesystem • Finanzierungsbedingungen Mit Hilfe dieser Kennwerte können die Gesamtkosten für notwendige Investitionen, Wärmegestehungskosten und die Wirkungsgrade berechnet werden. Danach können die jährlichen Kosten für die Beheizung eines Standardhauses berechnet und mit den Kosten des bereits bestehenden Fernwärmesystems verglichen werden. 3.2. Flächenfindung / Flächen-Screening Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass große Solarthermie-Anlagen in einem erheblichen Maße Flächen in Anspruch nehmen und einen entsprechenden Eindruck im Stadt- und Landschaftsbild hinterlassen. Gerade in Stadtnähe ist die Flächenkonkurrenz enorm. Insofern besteht ein Spannungsfeld zwischen den Zielen des Klimaschutzes und des sparsamen und sorgsamen Umgangs mit der Ressource Fläche. Dies ist von vorneherein bei der Standortsuche zu bedenken – durch geeignete Planung und Kommunikation lassen sich viele Konflikte vermeiden oder minimieren. Um die geeigneten Freiflächen zu identifizieren, sollte ein Flächenscreening unter energiewirtschaftlichen, rechtlichen und auch akzeptanzbezogenen Kriterien vorgenommen werden. Abbildung 1: Jährlicher Energieertrag in KWh/m² [6] Energiewirtschaftliche Kriterien Eine großflächige solarthermische Anlage kann heute schon wirtschaftlich realisiert werden, wenn einige Parameter eingehend betrachtet werden: • Entfernung zum Fernwärmenetz • Geografische Lage, Ausrichtung (z.B. Hangflächen) • Sinnvolle hydraulische Einbindung in das Fernwärmenetz • Bei mehreren vorhandenen Wärmenetzen: Zuvor Auswahl des energiewirtschaftlich am besten für die Integration von Solarthermie geeigneten Netzes (z.B. Kombination mit Holzhackschnitzel-Kessel) • Bodenpreis Akzeptanzbezogene Kriterien Große Anlagen erzeugen viel Energie aber auch oft – vermeidbare – Konfliktsituationen. Wenn diese vorher untersucht und beachtet werden, kann die Akzeptanz erhöht werden. • Konfliktpotenzial Anwohner: Wie ist die Entfernung und Ausrichtung zur nächsten Wohn-bebauung oder Erholungsgebieten? • Konfliktpotenzial Gewerbe: Gibt es eine direkte Flächenkonkurrenz zu anderen gewerblichen Nutzungen? • Konfliktpotenzial Naturschutz: Wie ist der ökologische Wert der Flächen? • Bestehen ökologische Aufwertungspotenziale und Ausgleichsmöglichkeiten? • Konfliktpotenzial Landwirtschaft: Kann eine bestehende landwirtschaftliche Nutzung fortgesetzt werden, ggf. auf Ausweichflächen? Verfahrensbezogene Kriterien • Wo wird ohnehin gerade geplant? • An welche Planvorhaben kann ein Solarthermieprojekt „angedockt“ werden? Rechtliche Kriterien: • Gibt es bestehendes Planrecht, z.B. ungenutzte Festsetzungen in Flächennutzungs- und Bebauungs-Plänen für PV-Flächen oder ungenutzte Gewerbe- und Industriegebiete in der Kommune? • Wo kann Planrecht geschaffen werden? • Wo gibt es rechtliche Ausschlussgründe für einzelne Flächen? • Wo verfügt der Projektträger über Flächen in seinem Eigentum? In aller Regel aus ökologischer Sicht unproblematische Flächen: • Vorbelastete Konversionsflächen aus militärischer, gewerblicher oder ehemals wohnungs-baulicher Nutzung mit hohem Versiegelungsgrad • Flächen entlang großer Verkehrswege (z.B. Autobahnen, Schienenwege) • Intensiv bewirtschaftete Ackerflächen • Deponien und Halden [7] 3.3. Rechtliche Grundlagen In Dänemark haben die meisten Anlagen bisher eine Größe von ca. 5.000-10.000 m2 Kollektorfläche. Der gesamte Platzbedarf der Anlage ist zwei bis drei Mal größer. Die Rolle des Planungsrechts besteht darin, die Flächennutzung planerisch zu ordnen und zu steuern. Bezogen auf große solarthermische Anlagen heißt dies, dass die gemeindliche und die übergeordnete Planung die Aufgabe hat, entsprechend geeignete Flächen zu identifizieren und zu sichern. Was bei der Planung z.B. von Windkraftanlagen mittlerweile Standard ist, findet für die Solarthermie bisher jedoch noch nicht statt. 3.3.1. Raumordnungs- und Landesplanungsrecht Große Solaranlagen haben relevante Auswirkungen auf die Raumnutzung und stellen demzufolge raumbedeutsame Vorhaben dar. Noch stärker als Windkraft- oder Fotovoltaik-Anlagen sind große Solarwärme-Anlagen an bestimmte Standort-Bedingungen geknüpft. Während Strom ohne erhebliche Verluste über große Entfernungen vom Erzeugungsort zum Verbraucher transportiert werden kann, ist die Transportfähigkeit von Wärmeenergie begrenzt – die hohen Kosten für den Bau und Betrieb der Wärmeleitung und höhere Energieverluste sprechen dafür, dass eine solarthermische Wärmeversorgung immer in der Nähe zu den Wärmeverbrauchern erfolgen muss. Also innerhalb weniger Kilometer zu Wärmesenken mit Wärmeverteilnetzen und den Verbrauchern. Aus diesen natürlichen und wirtschaftlichen Randbedingungen folgt ein besonderer Planungsbedarf. In der Umgebung von Städten und größeren Gemeinden ist die Flächenkonkurrenz besonders groß. Solarthermie zur Einbindung in Wärmenetze ist daher auf eine vorausschauende Flächensicherung für solarthermische Anlagen sowie für Transportleitungen zu bestehenden oder neuen Wärmenetzen angewiesen. Das Raumordnungsgesetz des Bundes und die Landes-Planungsgesetze enthalten keine gesonderten Vorgaben für Freiflächen-Solaranlagen. Bei den allgemeinen Vorgaben zur Konkretisierung von Raumordnungsplänen findet man einige Präzisierungen: • Die Versorgung u.a. mit Infrastrukturen der Daseinsvorsorge ist zu gewährleisten • Räumlichen Erfordernissen des Klimaschutzes ist dadurch Rechnung zu tragen, dass die räumlichen Voraussetzungen für den Ausbau erneuerbarer Energien geschaffen werden • Sichere Standorte und Trassen für Infrastruktur sind festzulegen, wozu auch Versorgungsinfrastruktur zählt In der Planungspraxis finden sich bisher noch kaum Anwendungsbeispiele. Das dürfte sich aber in absehbarer Zeit ändern und damit der Bedarf an einer strategischen räumlichen Flächensicherung insbesondere am Rande von Ballungsräumen steigen. 3.3.2. Flächennutzungsplan Das Baugesetzbuch ist das wichtigste Gesetz des Bauplanungsrechts. Es regelt die Zulässigkeit von Vorhaben aus städtebaulicher Sicht und definiert in erster Linie übergeordnete Ziele und Grenzen für eine strukturierte Bebauung. Das BauGB formuliert dabei die stadtplanerischen Instrumente, die den Gemeinden für die Umsetzung ihrer städtebaulichen Ziele zur Verfügung stehen. [8] Mit Festsetzungen im Flächennutzungsplan schaffen die Gemeinden zwar kein unmittelbares Bau-recht, sie binden sich aber für die weitere inhaltliche Ausgestaltung der Bebauungspläne. Dort sind folgende Darstellungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 b) BauGB möglich: • Bauflächen für die Nutzung von Solarenergie zur Wärmeversorgung, • Flächen für die leitungsgebundene Wärmeversorgung oder • Flächen für die Energieerzeugung aus Solarthermie. Mit Hilfe des Flächennutzungsplans kann die Gemeinde somit die Sicherung geeigneter Flächen für solarthermische Freiflächen-Anlagen betreiben und damit die Voraussetzungen für eine langfristig orientierte Investitions- und Standortplanung schaffen. 3.3.3. Kommunale Wärmeplanung Die Wärmewende ist zu wesentlichen Teilen eine planerische Aufgabe, die nur auf kommunaler Ebene bewältigt werden kann. Im geltenden Planungsrecht spiegelt sich dies jedoch noch nicht wieder. Der Umbau der Wärmeversorgung wird durch die Energieeinsparverordnung und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz ganz wesentlich als Aufgabe der Gebäudeeigentümer gesehen. In nur wenigen deutschen Kommunen gibt es bisher auf freiwilliger Basis einen strukturierten Prozess, in dem Strategien zum Ausbau Erneuerbarer Wärmeversorgungsnetze mit hierauf abgestimmten Strategien zur energetischen Gebäudesanierung entwickelt werden. Eine kommunale Wärmeplanung eröffnet weitreichende Möglichkeiten, Interessen und Maßnahmen zu koordinieren sowie Wärmeerzeugung und Bedarfsdichten konzeptionell abzustimmen. Ziel eines solchen Planungsprozesses ist die Identifikation und Umsetzung der lokal jeweils günstigsten Strategie für die langfristige Wärmeversorgung der Kommunen. In aller Regel gibt es weder in Landes- und Regionalplänen noch in einem Flächennutzungsplan bestehende Festsetzungen für Flächen zur Nutzung von Solarthermie. Auch ohne solche Festset-zungen können jedoch Projekte in den Kommunen geplant und entwickelt werden. Die baurechtliche Zulässigkeit von entsprechenden Anlagen richtet sich nach den Vorschriften des BauGB. Grundsätzlich kommen hierfür verschiedene Wege in Betracht: • Flächen im unbeplanten Außenbereich • Flächen in bestehenden Industrie- und Gewerbegebieten • Flächen in Gebieten, für die ein neuer Bebauungsplan geschaffen wird Will eine Gemeinde die planungsrechtliche Zulässigkeit einer Solarthermie-Anlage sichern, die im Außenbereich als selbständige Anlage errichtet werden soll, empfiehlt sich eine entsprechende Gebietsfestsetzung im Rahmen der kommunalen Bebauungspläne. Gebiete zur Nutzung von Sonnenenergie im Flächennutzungsplan und im Bebauungsplan können als Sondergebiete mit entsprechender Zweckbestimmung festgesetzt werden. Im Rahmen der Erstellung von Bebauungsplänen haben die Kommunen die Möglichkeit, auch energetische Festsetzungen zu treffen. Auf diese Weise kann die Kommune die Nutzung der Solarthermie in Wärmenetzen begünstigen. [9] Festsetzungen können sich beispielsweise auf Versorgungsflächen, einschließlich Flächen für Anlagen und Einrichtungen zur dezentralen und zentralen Erzeugung, Nutzung, Verteilung oder Speicherung von Strom, Wärme und Kälte aus Erneuerbaren Energien beziehen. Außerdem könnten Festsetzungen bezogen werden auf Gebiete, in denen bei der Errichtung von Gebäuden oder bestimmten sonstigen baulichen Anlagen bestimmte bauliche Maßnahmen für die Erzeugung, Nutzung oder Speicherung von Wärme aus Erneuerbaren Energien getroffen werden müssen. Im Vergleich zu Anlagen im Außenbereich dürfte die Zulassung großer solarthermischer Anlagen in baulich entwickelten Gebieten auf höhere Akzeptanz stoßen. Hierfür kommen insbesondere Konversions- oder Flächen in bestehenden Industrie- und Gewerbegebieten in Frage, die lange nicht für anderweitige Zwecke vermarktet werden konnten. Die erforderlichen Planungs- und Genehmigungsverfahren zur Steuerung und Zulassung großer Freiflächen-Solarthermie-Anlagen können mit den vorhandenen gesetzlichen Instrumentarien ohne Probleme bewältigt werden. 3.4. Öffentliche Akzeptanz und Akteursbeteiligung Im Juni 2017 wurden in Deutschland 490 potentielle Endverbraucher zum Thema „häusliche-Wärmeversorgung“ befragt. Detailliertere Ergebnisse sind zeitnah auf der Projektseite verfügbar. Auf Grundlage der Antworten können Rückschlüsse auf die Wahrnehmung einzelner Versorgungsalternativen (siehe Abbildung 2) und der zugehörigen Zahlungsbereitschaft (im Vergleich zu einer gasgebundenen Versorgung, Abbildung 3) gezogen werden. Weitere Details zur Mehrzahlungsbereitschaft von Privathaushalten, Gemeinden und Energieversorgern aus Deutschland, Österreich und Frankreich finden sich in der „Executive Summary“[11]. Abbildung 2: Einschätzung verschiedener Wärmeversorgungsalternativen durch potentielle Endverbraucher [10] Abbildung 3: Zahlungsbereitschaft der Endverbraucher Ein hypothetisches Szenario ist, das in Ballungsräumen bis 2030 ein starker Ausbau von Fernwärme stattfindet, der die Einbindung eines hohen Anteils erneuerbarer Energien ermöglicht. Dies wurde von den Befragten als äußerst wünschenswert, jedoch nur bedingt realistisch eingestuft (siehe Abbildung 4). Abbildung 4: Darstellung für wie wünschenswert und wahrscheinlich Endverbraucher das hypothetische Szenario halten. Als Grundlage für eine mögliche Umsetzung derartiger Projekte, stellt eine fundierte Machbarkeitsstudie ein wichtiges Instrument dar. Diese kann nicht nur zeigen, dass ein Projekt realistisch umsetzbar wäre, sondern auch skeptische Akteure von den Möglichkeiten und damit verbundenen Vorteilen überzeugen. Um möglichst allen Betroffenen Antworten auf Ihre spezifischen Fragestellungen zu bieten, sollte eine Machbarkeitsstudie folgende Punkte behandeln: Für Energieversorger • Beschreibung möglicher Wärmeversorgungsvarianten • Gründe für die Integration von Solarthermie in das bestehende Fernwärmesystem • Flächenoptionen für die Solarthermieanlage • Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten der Solarthermieanlage • Wirtschaftliche Kennwerte aus Referenzprojekten • Umweltfolgen (Emissionen in Boden, Wasser und Luft), CO2-Einsparungen • Zeitplan [11] • Diskussion möglicher Hindernisse bei der Projektrealisierung Für Kommunen • Konsequenzen für Arbeitsplätze in der Gemeinde • Umweltfolgen (Emissionen) • Konsequenzen für die kommunale Planung • soziale Aspekte Für Verbraucher • Wärmepreise mit und ohne Solarthermie • Versorgungssicherheit 3.5. Kosten, Finanzierung und Förderung Für die Entscheidung, ob ein solches Projekt der großflächigen Solarthermie umgesetzt wird sind natürlich auch die Kosten ausschlaggebend. In Deutschland zeigen die Erfahrungen, dass für große Anlagen, Wärmegestehungskosten von 50 €/MWh möglich sind – berücksichtigt man die z.Zt. recht attraktiven Fördermittel, so sind 30 €/MWh erreichbar. Investitionen in Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien und Speicher bzw. in Wärmenetze sind grundsätzlich kapitalintensive Projekte. Betrachtet man aber die Kosten für Brennstoff, Wartung- und Betrieb, so zeigen sich deutliche Kostenvorteile und Planungssicherheiten gegenüber fossil betriebenen Anlagen. Die Kostenstruktur einer großflächigen Solaranlage unterscheidet sich grundlegend von herkömmlichen Heizanlagen(siehe Abbildung 5): • Bei einem Öl- oder Gaskessel sind die Kapitalkosten in die Anlage verhältnismäßig gering. Jedoch muss im Betrieb ein Vielfaches der Anfangsinvestition für den Kauf von Brennstoffen aufgewendet werden. • Im Fall der solaren Wärmeerzeugung fallen die wesentlichen Kosten bei der Anschaffung an; hingegen sind die operativen Kosten in der Betriebsphase sehr gering. Brennstoffe werden nicht benötigt. [12] Abbildung 5:Vergleich der Kosten bei fossilen Brennern und Solarthermie. (Quelle: solites) Ziel eines Finanzierungskonzeptes ist eine langfristige Kostensicherheit, die zu stabilen Preisen für die Wärmekunden führen. Da für Solarthermie keine Rohstoffkosten anfallen, entsteht eine bisher im Wärmebereich nicht bekannte Stabilität des Wirtschaftsplans. Die wesentlichen Kosten-Komponenten einer Investition in Solarthermie sind: • Kollektoren (Flach- oder Vakuumröhrenkollektoren) • Anlagentechnik • Mess-, Steuerungs- und Regeltechnik (MSR) • Übergabestation zum Netz • Wärmespeicher • Planung und Genehmigung Die operativen Kosten bestehen im Wesentlichen aus: • Versicherung • Abrechnung und sonstige Verwaltung • Laufende technische Wartung • Pflege des Geländes • Strombedarf für Pumpen Jedes Projekt bedarf der genauen Einzelfall-Betrachtung, aber auf Grund von Erfahrungswerten können folgende Werte aus Tabelle 1 als Richtschnur zur Kalkulation angenommen werden: Tabelle 1: Kapital-bezogene Kosten: Kollektoren Kostenkurve oder Angebot Speicher Kostenkurve oder Angebot [13] Hydraulik Ca. 7% bezogen auf die Hauptkomponenten Gebäude Ca. 5% bezogen auf die Hauptkomponenten Mess- und Regelungstechnik Ca. 3% bezogen auf die Hauptkomponenten Planung Ca. 5% bezogen auf die Hauptkomponenten bei dezentralen Anlagen, 10% bei zentralen Anlagen Die Kapitalkosten stellen einen wesentlichen Anteil der Gesamtkosten dar. Hingegen spielen die Betriebskosten eine eher untergeordnete Rolle. Müssen jedoch berücksichtigt werden. Auf Basis der Untersuchungen zu den laufenden Kosten lassen sich Richtwerte für die jährliche Instandsetzung und die Wartungskosten ermitteln – siehe Tabelle 2. Tabelle 2: Übersicht der Randbedingungen für die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung [4] Nutzungsdauer (in Jahren) Jährliche Instandhaltungskosten (in % der Inv.-Kosten) Jährliche Wartungskosten (in % der Inv.-Kosten) Vakuumröhrenkollektoren 25 0,50% 0,50% Flachkollektoren 25 0,50% 0,50% WärmespeicherII 40 1,00% 0,25% SolarnetzIII 40 1,00% 0,00% AnlagentechnikIII 15 1,50% 0,75% GebäudeIII 50 1,00% 1,00% MSR-TechnikIII 20 1,50% 1,00% Die niedrigen Betriebs- und der Wegfall der Brennstoffkosten bedeuten: langfristige Kalkulierbarkeit, Planungssicherheit und Stabilität der Wärmegestehungskosten. Für eine erste Einschätzung der Wirtschaftlichkeit bei anzunehmender Dimensionierung steht ein hilfreiches, kostenloses Instrument unter: http://www.sdh-online.solites.de/ zur Verfügung. Die wesentlichen Voraussetzungen für günstige Wärmegestehungskosten sind: • Eine ausreichende Anlagengröße (>1.000 m² Kollektorfläche) • Einfache Anlagentechnik (z.B. Freilandaufstellung) • Solare Deckungsanteile an der Gesamt-Wärmeerzeugung bis 20% (d.h. Auslegung an der sommerlichen Wärmelast) • Möglichst niedrige Temperaturen im nachgelagerten Wärmenetz [14] Finanzierung Die Finanzierung kann über die Hausbanken und/oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erfolgen. In Deutschland stehen z.Zt. attraktive Förderangebote zur Verfügung. Das wichtigste Programm bietet die KfW mit dem 271/272 Premium. Hier sind Förderquoten je nach Unternehmensart und –größe von bis zu 45-65% möglich. Aber auch das Förderprogramm Wärmenetze 4.0 des BMWi fördert vorbereitende Studien und Modellvorhaben zu Wärmenetzen mit erneuerbaren Energien mit bis zu 50%. (http://www.bafa.de/DE/Energie/Energieeffizienz/Waermenetze/waermenetze_node.html) Eine wichtige Quelle, um sich einen aktuellen Überblick über Fördermöglichkeiten zu verschaffen, ist die Förderdatenbank des Bundes: http://foerderdatenbank.de/ Weitere interessante Wege der Finanzierung und Beteiligung der Bürger/innen bei der Umsetzung von Solarthermie-Projekten werden in der Steiermark begangen mit dem Invest-Angebot der Firma SOLID: https://solid.at/invest/ In Dänemark hingegen werden sehr viele Anlagen durch Energie-Genossenschaften umgesetzt, die damit ihre eigene Wärmeversorgung betreiben. 4. EMPFEHLUNGEN: 1. Die systematische Flächensuche und -entwicklung spielt eine Schlüsselrolle für solare Fernwärme. 2. Zu Beginn der Projektentwicklung sollte ein systematisches Flächenscreening anhand energiewirtschaftlicher, politischer sowie rechtlicher Kriterien durchgeführt werden. 3. Möglichst frühzeitig sollte mit der umfassenden Behörden-, Bürger- und Stakeholder-Beteiligung begonnen werden. 4. Es sollte von vorneherein ein integriertes, ökologisches Nutzungskonzept verfolgt werden. 5. Das Landesplanungsrecht sollte von den zuständigen Planungsträgern genutzt werden, um eine geregelte Steuerung und Sicherung geeigneter Flächen für große solarthermische Anlagen zu gewährleisten. Die Regionalpläne sollten entsprechend fortentwickelt werden. 6. Eine planungsrechtliche Festsetzung durch die Gemeinden sollte mindestens auf Ebene des Flächennutzungsplans durchgeführt werden, möglichst auch in einem Bebauungsplan. 7. Das Umweltrecht dürfte in der Regel keine unüberwindbaren Hindernisse verursachen. 8. Perspektivisch ist die Einführung verbindlicher Instrumente der kommunalen Wärmeplanung sinnvoll. Auf freiwilliger Basis kann und sollte dieses Instrument von den Gemeinden bereits heute genutzt werden, um die Weichen für ihre Kommune in Richtung einer wirtschaftlichen und klimaverträglichen Wärmeversorgung zu stellen. 4.1. Umsetzung und Ausblick Wenn die notwendigen Genehmigungen eingeholt wurden, kann die Umsetzung des Projekts beginnen. Dazu muss die Ausschreibung für die Projektumsetzung veranlasst werden, eine Vergabe und schließlich die Installation der Wärmeerzeuger erfolgen. Soll das Wärmenetz um neue Anschlussnehmer erweitert werden, müssen Verträge mit den Neukunden geschlossen und Termine für die Installation der Hausanschlussstationen an das Wärmenetz und die Deinstallation der Einzelheizungen angekündigt und individuell vereinbart werden. Diese Arbeiten sind von Experten durchzuführen. Es ist jedoch sehr wichtig, die Anwohner vor Ort kontinuierlich über kommende Schritte und den Vorgang des Projekts informieren. Denn insbesondere eine eventuelle Verlegung [15] neuer Wärmenetzstränge kann zu Beeinträchtigungen des Straßenverkehrs führen und sollte rechtzeitig erläutert und angekündigt werden, um Ärger zu vermeiden. 4.2. Weiterführende Hinweise • Angaben zu Emissionen von Heizkesseln sind in [5] und [6] zu finden. • Mögliche Berechnungswerkzeuge für die Solarertragsberechnung sind • energyPRO (https://www.emd.dk/energypro/), • Polysun (http://www.velasolaris.com/english/home.html), • T*Sol (http://valentin.de/calculation/thermal/start/en), • TRNSYS (http://www.trnsys.com/) und weitere. • Richtlinien für ein detailliertes Design finden sich in [6], Kapitel 6, 7 und 8. Ein Beispiel für eine Berechnung der Wirtschaftlichkeit einer solarthermischen Anlage, deren Investition durch einen regionalen Versorger übernommen wurde und die durch ihn betrieben wird, findet sich in Anhang 1 und Anhang 2. [16] ANHANG 1: BIG SOLAR GRAZ 1 Zusammenfassung Über nunmehr Jahrzehnte ist die Fernwärme in Graz gewachsen und stellt inzwischen 39% (rund 1.000 GWh in 2013) des städtischen Wärmebedarfs zur Verfügung. Zukünftig ist ein intensiver Ausbau des städtischen Fernwärmenetzes in den kommenden Jahren und Jahrzehnten vorgesehen. Die Aufbringung der Energie für die Fernwärme wird derzeit zu einem großen Teil durch Abwärme aus fossil betriebenen Kraft-Wärme-Kopplungen (KWK) gewährleistet. Die Betreiber dieser Kraftwerke haben im Mai 2014 deren Schließung verlautbart. Die modernen Gas- und Dampf (GuD) Kombikraftwerke können aufgrund der Situation am europäischen Elektrizitätsmarkt zeitweise nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden, während das noch in Betrieb befindliche Kohlekraftwerk bereits seine technische Lebensdauer überschritten hat. Mit Ende des Liefervertrages soll der betreffende Kraftwerkspark 2020 außer Betrieb gehen. Nicht weniger als 80% der Energieaufbringung für die Grazer Fernwärme werden dadurch zu ersetzen sein. Die Stadt Graz hat aus diesem Grund 2014 gemeinsam mit den wichtigsten lokalen Energieversorgern ein Projektteam gegründet, welches sich dieser Herausforderung gestellt hat. In einer Reihe von Workshops mit Beiträgen von über 200 Experten entstand unter anderem ein Großsolaranlagenkonzept als vielversprechende Möglichkeit. Zu diesem Zweck wurde neben der Evaluation passender Flächen für Solarfelder und Speicher und der technischen Optimierung mittels Simulationsrechnungen vor allem auch eine wirtschaftliche Detailanalyse durchgeführt. Als Baseline wird die Produktion der Wärme durch gewöhnliche Gaskessel verwendet, welche die derzeit günstigste und realistischste Alternative darstellt. Die Analysen ergeben ein wirtschaftlich konkurrenzfähiges Solarsystem mit einer Größe von 450.000 m² Kollektorfläche, was einer solaren Deckung von ca. 20 % der derzeitigen Grazer Fernwärme bedeuten würde. Diese Ergebnisse weisen auf ein sehr hohes Umsetzungspotential des Konzepts hin. 2 Hintergrund und Problemstellung Erneuerbare Energien bilden einen zentralen Baustein der nachhaltigen Energieversorgung von Städten. Traditionelle Versorgungstechnologien und Strukturen unterliegen heute massiven Herausforderungen, die zu erheblichen Veränderungen im Aufkommen der Speicherung und Verteilung von Energie führen. Aus diesen Spannungsfeldern ergeben sich nun neue, wirtschaftlich attraktive und technologisch innovative Möglichkeiten für Solarthermie in Städten Europas und darüber hinaus. Das Fernwärmenetz der Stadt Graz liefert 1.050 GWh Wärme pro Jahr an 54.000 Haushalte. 80% der Energieversorgung basieren auf zwei großen, mit fossilen Energieträgern betriebenen KWK-Anlagen von der Fa. Verbund/ATP in Werndorf-Mellach. Aufgrund zahlreicher Preisschwankungen am europäischen Elektrizitätsmarkt ist es dem Betreiber nicht mehr möglich, das 2011 errichtete Gas- und Dampfkraftwerk wirtschaftlich zu führen. Zusätzlich hat die kohlebetriebene KWK Anlage ihre geplante Lebensdauer bereits überschritten. Aus diesem Grund hat das Unternehmen Verbund in einer Presseaussendung am 14. Mai 2014 bekannt gegeben, den gesamten Standort stillzulegen. Des Weiteren endet der Wärmeliefervertrag zwischen Verbund und der Energie Steiermark im Jahr 2020. Die Wärmeversorger der Region und die Stadt Graz selbst sind auf der Suche nach alternativen Möglichkeiten die Fernwärmeversorgung auch nach dem Jahr 2020 sicherzustellen. Das Ziel ist, leistbare langlebige, unabhängige und erneuerbare Energien zu integrieren. Mit mehr als 15.000 m² Solarkollektorfläche ist Graz bereits heute eine der Pionierstädte für solarthermische Lösungen im Fernwärmebereich. 3 Ergebnisse der technischen Studie [17] Zur Beurteilung der Rahmenbedingungen im Fernwärmenetz für eine Integration neuer Komponenten wurden das Last- und Temperaturprofil des Fernwärmenetzes untersucht. Das Last- und Temperaturprofil wurde in Klassen zur besseren Einschätzung der Anforderungen an das Konzept und dessen Komponenten geteilt. Das Temperaturregime ist in weiterer Folge wesentlich für die mögliche Auswahl von Wärmepumpen zur Unterstützung des Systems und bedingt die Effizienz der Solarkollektoren. Beide Profile, das der Last und das der Temperatur, sind die Grundlage für die Dimensionierung der einzelnen Komponenten des Konzepts. Mit der Analyse der Temperatur- und Lastverläufe war eine Vordimensionierung der Komponenten möglich, welche als Rahmenbedingungen für die folgenden, detaillierteren Simulationsrechnungen dienten. Die Vordimensionierungen der Komponenten wurde auf eine Kollektorfläche von 50.000 m² – 1 Mio. m², ein Speichervolumen von 200.000 m³ – 2 Mio. m³ und Absorptionswärmepumpen von 50 MW – 150 MW ausgelegt. Das Konzept sieht einen maximalen solaren Deckungsanteil vor, bei welchem der Preis für die Wärme mit jenem konventioneller Gasboiler wirtschaftlich konkurrenzfähig ist. Um das ökonomisch-technisch optimale Szenario zu identifizieren wurden die einzelnen Komponenten daher innerhalb festgelegter Bandbreiten simuliert. Absorptionswärmepumpen spielen eine Schlüsselrolle bei der Optimierung der Solaranlage. Sie ermöglichen es den saisonalen Wärmespeicher effizienter zu entleeren, wodurch sich die Solarerträge erhöhen und die benötigte Speichergröße reduziert wird. Dies verringert die Kosten des Gesamtsystems und verbessert die Netto-Leistung der Anlage. Zur ersten Abschätzung des Potenzials für den Solaranteil wurde das Lastprofil des Grazer Fernwärmenetzes in einen Nieder- und einen Hochtemperaturbereich aufgeteilt. Der niedrigere Temperaturbereich kann aus der Solaranlage und dem Speicher abgedeckt werden. Höhere Temperaturen werden kaskadisch1 durch Nachheizsysteme abgedeckt. Grundsätzlich könnten unter derzeitigen Rahmenbedingungen so ca. 55% des Wärmebedarfs durch das BIG Solar Konzept bereitgestellt werden. Effektiv könnten somit 33% der Grazer Fernwärme durch Solarenergie, und weitere 22% durch ein Nachheizsystem mit Wärmepumpen abgedeckt werden. Detailliertere Simulationsrechnungen wurden in Folge bis zu einem solaren Deckungsanteil von 30% durchgeführt. Ein Großteil der Ergebnisse der Machbarkeitsstudie basiert auf der Simulation der gesamten Anlage. Besonders herausfordernd war die Schnittstelle zwischen dem Fernwärmenetz und der Solaranlage selbst. Messdaten aus dem Fernwärmenetz von 2014 wurden als Basis für alle Berechnungen herangezogen. 1 stufenweises Erhitzen des Wärmeträgermediums: das von Solaranlage/Speicher/Wärmepumpen auf 85-90°C erhitzte Wasser wird von Nachheizsystemen (Feuerungsanlagen) auf Zieltemperatur gebracht [18] Zur Analyse des technisch-ökonomischen Optimums wurde eine Parameterstudie durchgeführt. Das zentrale Ergebnis zeigt den niedrigsten Wärmepreis innerhalb des Systems mit 450.000 m² Kollektorfläche, einem Saisonalspeicher mit 1.800.000 m³ und Absorptionswärmepumpen mit einer Gesamtleistung von 96 MW bei einem solaren Deckungsanteil von 23% im Fernwärmenetz Graz. Bei diesen Dimensionen liegt folglich das wirtschaftlich-technische Optimum der Anlage. Die folgende Abbildung zeigt dieses Optimum anhand eines Systemschemas. Die derzeitigen Berechnungen zeigen auch, dass konkurrenzfähige Preise mit abgeänderten Dimensionen möglich sind. Das Projekt ist hinsichtlich der Rahmenbedingungen somit flexibler als ursprünglich angenommen. Berücksichtigt man die vorherrschenden Bedingungen in Graz -wie die verfügbaren Flächen- so kann ein Kollektorfeld wirtschaftlich zwischen 150.000 m² und 650.00 m² Fläche einnehmen. Folglich sind die Rahmenbedingungen vor Ort neben den Systembegrenzungen errechnet in der Simulation die ausschlaggebenden Faktoren für die Realisierung der Anlage. Abbildung 6: Lastprofil der Grazer Fernwärme aufgeteilt nach dem Temperaturbedarf über ein Jahr Abbildung 7: Konzept Big Solar Graz – Schema des wirtschaftlichen und technischen Optimums [19] Als Beispiel wurde der Flächenbedarf genauer untersucht. Für 450.000 m² Kollektorfläche sind ausreichend Leerflächen im Umland des Netzes vorhanden. Ca. 300.000 m² Kollektoren könnten rechtlich und mit Rücksicht auf ökologische Bedingungen im Wasserschongebiet errichtet werden (die Solaranlage gefährdet das Gebiet nicht). Weiteres benötigtes Land kann zu marktüblichen Preisen für die landwirtschaftliche Nutzung erworben werden. Der Flächenbedarf des Speichers darf bei maximal 9,9 ha liegen. Sollte dieser Wert überschritten werden, kann das Projekt nur mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung realisiert werden. Grundsätzlich wird eine sehr kompakte Anordnung sämtlicher Komponenten angestrebt und Kollektorfelder sowie Speicher möglichst nahe an der Fernwärmeleitung zur optimalen Systemnutzung aufgestellt. 4 Ergebnisse der wirtschaftlichen Studie Wie bereits oben erwähnt, ist das System mit 450.000 m² Solarkollektorfläche wirtschaftlich optimal dimensioniert. Die gesamten Investitionskosten wurden auf 189 Mio. EUR geschätzt. Anhand der Investitionskosten und der Finanzierung wurde eine gesamtwirtschaftliche Analyse durchgeführt, die sich auf 30 Jahre bezieht. In dieser gesamtwirtschaftlichen Rechnung wurde mittels eines internen Berechnungstools die wirtschaftliche Machbarkeit des Konzeptes geprüft und bewertet. Auf Basis zahlreicher Einflussfaktoren wurden unter anderem die jährlichen Betriebskosten des Solarsystems, die Wärmeerlöse, Fremd- und Eigenkapitalzinsen errechnet, sowie auch der Netto-Cashflow, der Return on Investment (ROI), und der Net Present Value (NPV) ermittelt. Bei einem Wärmepreis von 35€/MWh mit einer jährlichen Preissteigerungsrate von 1,5% lässt sich ein ROI von 15,5 Jahre ableiten. Die Ergebnisse zeigen, dass das BIG Solar Graz Konzept aus technischer und wirtschaftlicher Sicht erfolgreich umsetzbar ist. Selbst bei Schwankungen bezüglich der Größe des Kollektorfeldes von 150.000 m² bis zu 650.000 m² (inklusive der Größenadaptierung des Speichers und der Absorptionswärmepumpen) ist das Projekt wirtschaftlich realisierbar. Abbildung 8:Ökonomische Kalkulation von verschieden großen Kollektorflächen (links) und Speichergrößen (oben); grüne Felder bedeutet niedrige Wärmegestehungskosten [20] 5 Fazit und Ausblick Das große Solarsystem birgt Vorteile für den Versorger und die Fernwärmekunden: • Wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit (trotz hoher Netztemperaturen in Graz) • Systemlösung für jederzeit verfügbare Wärme • Versorgungssicherheit • klimafreundliche Wärmeversorgung, keine Feinstaubbelastung (in Graz sehr wichtig) • Langfristige Preisstabilität • Refinanzierungskosten sind kalkulierbar, da sie unabhängig von der Entwicklung der Preise für fossile Energieträger sind Die Fernwärmeversorger und Partnerunternehmen entschieden sich für den Bau des BIG Solar-Systems und verhandelten Ende 2017 über die benötigte Landfläche von rund 100 ha. Darüber hinaus wird das Systemkonzept weiterentwickelt und die Strategie für Betrieb, Kontrolle und Sicherheitsaspekte ausgearbeitet. Auch die Vorbereitung von Genehmigungen und administrativen Verfahren wird fortgesetzt. [21] 22 ANHANG 2: SOLARTHERMISCHE ANLAGE SENFTENBERG 1. Motivation Die 25.000 Einwohner Stadt Senftenberg galt einst aufgrund ihrer großen Braunkohlevorkommen als Energiezentrum Brandenburgs. Die Bedeutung der Braunkohle nahm über die Jahre immer weiter ab und 1999 stellte der letzte Tagebaubetrieb der Region seinen Betrieb ein. Die Energiestrategie des Landes Brandenburg sieht vor, bis 2030 den CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um 72% zu senken und den Anteil Erneuerbarer-Energien (EE) am Primärenergieverbrauch auf 32% zu steigern. Da der Wärmebedarf der Kommune den größten Anteil am Gesamtenergieverbrauch ausmacht, rückt im Leitbild „Energetische Zukunft Senftenberg 2030“ der Wärmesektor in den Fokus. Kernthema im Bereich Wärme des entwickelten Energiekonzepts, das kommunalen und regionalen Akteuren die Identifikation von Energieeinsparpotenzialen erleichtern soll, ist eine Solarthermieanlage [7]. Obwohl sich in Deutschland das Finden geeigneter Flächen und der Nachweis der Wirtschaftlichkeit häufig größere Herausforderungen darstellen [8], konnten diese in Senftenberg gelöst werden. Das rund 33 km lange, 10.000 Haushalte versorgende Fernwärmenetz (Jahresbedarf von rund 110 GWh bei einer Mindestlast von ca. 3,8 MW) wird deshalb seit 2016 auch durch die bis dahin größte Solarthermieanlage Deutschlands gespeist. 2. Auslegung, Vorgehen, Umsetzung Für die Solaranlage in Senftenberg wurde ein 8.300 m² großes Kollektorfeld aus 1.680 Röhrenkollektoren errichtet. Dieses liefert mit den durchschnittlichen 1.700 Sonnenstunden im Jahr 4GWh (≈4% des Jahresbedarfs) bei einer maximalen Leistung von 4,5 MW. Im Juli und August wird tagsüber (6h) sogar ein Überschuss (bis zu 20%) erzielt, weshalb die Solaranlage zu diesen Zeiten die alleinige Versorgung des Netzes übernehmen kann. Aufgrund der Wärmespeicherkapazität der gut 2.000 m³ Netzinhalt ist hierfür kein zusätzlicher Speicher notwendig. Das asymmetrisch verrohrte Kollektorfeld wurde streng graduell und exakt mathematisch dimensioniert und ist selbstbefüllend, -entlüftend und -abgleichend (siehe Abbildung 7). [8], [9] Abbildung 9: Momentaufnahme der Temperaturen im Kollektorfeld am 24.08.2016 [10] 23 Der Ringschluss zweier Netzzweige zur Anbindung ermöglicht es der Solaranlage aus der Mitte heraus in zwei Richtungen einzuspeisen und durch einen zusätzlichen, schaltbaren Bypass am Kraftwerk in Schwachlastzeiten das ganze Netz zu versorgen. Bei hohen Lasten oder in Zeiten niedriger Solareinstrahlung kann die Solarenergie auch zur Anhebung des Rücklaufes eingesetzt werden. 3. Ertrag Die im August 2016 in Betrieb genommene Anlage erreichte zu Beginn einen Tagesgewinn von bis zu 30 MWh und nach 14 Tagen schon 10% des garantierten Jahresertrags. In Abbildung 7 sind für den 01.06.2017 relevante Kennwerte eingetragen, die auf eine gute Performance an diesem Tag schließen lassen (Einspeisung von bis zu knapp 5 MW und insgesamt ca. 37 MWh kumuliert). Abbildung 10: Bester Tag im ersten Betriebsjahr 01.06.2017 [10] Doch auch unter nicht ganz so idealen Bedingungen, wie sie am 04.09.2016 eintraten (wolkig und am späten Vormittag Regen) erreicht die Solaranlage knapp 8h lang ihre Solltemperatur (3h VL, 5h RL Einspeisung) und erntete gute 8 MWh (siehe Abbildung 8). [8] 24 Abbildung 11: Tageswerte des 04.09.2016 [10] 4. Ziele Die bis dato sehr guten Erfahrungen beruhen auch auf einer guten Zusammenarbeit zwischen Bürgern und Kommune, die auch weiterhin sichergestellt werden soll. Die ins Leben gerufene Arbeitsgruppe „Energie“ strebt, innerhalb der vorhandenen Strukturen eine Vernetzung und größtmögliche Transparenz, sowie eine frühe Beteiligung der Bürger Senftenbergs, an. [7] 25 QUELLEN [1] Wissenschaftliche Begleitforschung zur Erarbeitung einer Energieeffizienz-Strategie Gebäude, Prognos/ifeu- Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH/IWU – Institut für Wohnen und Umwelt. Berlin/Heidelberg/Darmstadt, 2015 [2] Solar district heating guidelines – Collection of fact sheets, August 2012. http://solar-district-heating.eu/Portals/0/Factsheets/SDH-WP3-D31-D32_August2012.pdf [3] Technology Data Catalogue for Energy Plants. Danish Energy Agency and Energinet.dk. August 2016. Updated June 2017. https://ens.dk/en/our-services/projections-and-models/technology-data [4] SolnetBW, Solare Wärmenetze für Dabden-Württemberg. Grundlagen | Potenziale | Strategie, Juni 2015. http://solar-district-heating.eu/Portals/21/150701_SolnetBW_web.pdf [5] Technology Data for Energy Plants. Danish Energy Agency and Energinet.dk. May 2012. Updated 2015. https://ens.dk/en/our-services/projections-and-models/technology-data [6] Solar district heating guidelines Collection of fact sheets. http://solar-district-heating.eu/Documents/SDHGuidelines.aspx [7] Website der Agentur für Erneuerbare Energien unter Trägerschaft des Vereins Information und Kommunikation für Erneuerbare Energien e.V. http://www.kommunal-erneuerbar.de/de/energie-kommunen/energie-kommunen/senftenberg.html, zuletzt geprüft am 11.03.2018. [8] Die solarthermische Anlage Senftenberg R_Meisner 01.02.2016 [9] TRIALOG: PUBLISHERS Verlagsgesellschaft, http://www.transforming-cities.de/solarthermie-anlage-senftenberg/ zuletzt geprüft am 11.03.2018 [10] Senftenberg – Ergebnisse des ersten Betriebsjahres R_Meisner 2017 [11] Profeta et al., Präferenzen und Mehrzahlungsbereitschaften für Fernwärme aus erneuerbaren Energien in Deutschland, Frankreich und Österreich, in: Fernwärme + KWK – durch Forschung fit für die Zukunft, AGFW| Der Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK e.V., Frankfurt April 2018

Julian Kuntze2023-03-22T11:50:53+01:00Sonntag, 1. April, 2018|

SDHp2m Broschüre

www.solar-district-heating.eu Gefördert durch Im Zuge der Energiewende unterliegt auch der Wärmesektor einem Wandel, wobei die Wärmeversorgung durch Wärmenetze und der Einsatz solarthermischer Anlagen eine entscheidende Rolle spielen werden. Wärmenetze bieten eine gute Möglichkeit, um die Energieeffizienz in städtischen Gebieten zu steigern und regenerative Energien in die Wärmeversorgung einzubinden. Solarthermie ist emissionsfrei, vollständig erneuerbar, in ganz Europa verfügbar und langfristig kostenstabil. Solare Wärmenetze – im Englischen Solar District Heating (SDH) – sind eine bewährte und zuverlässige Technologie. Betreiber und Industrieexperten haben über 20 Jahre lang Erfahrungen bezüglich Entwicklung, Betrieb und Wartung von solaren Wärmenetzen gesammelt. In den letzten zehn Jahren ist das Interesse an einem wirtschaftlichen Einsatz von solaren Wärmenetzen gewachsen. Bis heute wurden in Europa bereits 300 Kollektorfelder mit jeweils über 350 kW thermischer Leistung in Betrieb genommen, insgesamt beträgt die installierte thermische Leistung 1.100 MW. Der Markt für Solarthermie erlebte in den letzten Jahren einen Boom in Dänemark, wächst aber auch in Österreich, Deutschland und Schweden stetig. In den letzten fünf Jahren betrug das jährliche Marktwachstum mehr als 35%. Weitere europäische Länder folgen diesem Trend. Schlüsselfaktoren für den Erfolg solarer Wärmenetze sind neben einem günstigen Marktumfeld auch effektive Unterstützungsmaßnahmen. Innerhalb des Projektes SDHp2m, das durch das Programm Horizon 2020 der EU gefördert wird, erarbeiten Landesregierungen in Deutschland und Europa gemeinsam mit führenden Expertinnen und Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft und Industrie regulatorische und marktunterstützende Maßnahmen für solare Wärmenetze. Die entwickelten Maßnahmen werden in dieser Veröffentlichung beschrieben. Sie können und sollen als Vorbild für Initiativen in anderen europäischen Ländern dienen. Solare Wärmenetze – ein wichtiger Baustein für die Energiewende in Europa Die Vielseitigkeit und Vielfalt solarer Wärmenetze Stadtquartiere Lokale Wärmenetze sind eine gute Option für die Wärmeversorgung von Stadtgebieten, sowohl bei Neubau- als auch bei Sanierungsgebieten. Der solare Anteil beträgt bis zu 20% der Gesamtwärmeversorgung und kann durch die Einbindung von saisonalen Wärmespeichern auf 50% erhöht werden. In Crailsheim wird das Gebiet Hirtenwiesen II seit 2012 durch 7.500 m² Kollektoren und Erdsondenwärmespeicher zu 50% mit Solarwärme versorgt. Solare Wärmenetze können nicht nur kleine Gemeinden sondern auch ganze Städte mit Wärme versorgen – dies gilt sowohl für Neubauten, als auch für den Gebäudebestand. Ländliche Regionen Die Versorgung von kleineren Städten und Gemeinden in ländlichen Regionen mittels Wärmenetz ermöglicht einen raschen Übergang zur Nutzung lokaler regenerativer Energiequellen. In Büsingen erzeugen im Sommer Solarkollektoren mit einer Kollektorfläche von 1.090 m2 genug Wärme für 100 Gebäude und vermeiden somit einen unwirtschaftlichen Teillastbetrieb der Biomasseheizkessel. Das Wärmenetz ist seit 2013 in Betrieb. Urbane Regionen und Städte In den großen Fernwärmeversorgungsnetzen von Städten kommt häufig noch fossile Kraft-Wärme-Kopplung zum Einsatz. Sofern geeignete Flächen entwickelt werden können, ist die dezentrale Einbindung großflächiger Solaranlagen eine Möglichkeit, den Anteil an regenerativer Energie in diesen Wärmenetzen zu erhöhen. In Graz beispielsweise speist ein über 16.500 m2 großes Kollektorfeld erneuerbare Wärme in das städtische Fernwärmenetz ein. Innovative Wärmenetze mit Sektorkopplung Große Solarthermieanlagen können auch in Kombination mit anderen Technologien zur Wärmeerzeugung verwendet werden. Einige solcher innovativen Wärmenetze sind in Dänemark bereits in Betrieb. Das Wärmenetz in Gram hat eine 44.800 m2 große Solarthermieanlage, eine Wärmepumpe, gasbetriebene Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen, Power-to-Heat und fossile Spitzenlastheizkessel. Zudem ist ein thermischer Speicher mit 122.000 m3 Volumen integriert, welcher einen flexiblen Einsatz der Erzeuger ermöglicht. Vallda Heberg, Schweden Büsingen, Deutschland Graz, Österreich Gram, Dänemark Die Landesregierungen sind die idealen Ansprechpartner bei der Unterstützung der Entwicklung von solaren und erneuerbaren Wärmenetzen. Meist verfügen sie über Kompetenzen und Möglichkeiten, welche den kleineren Gemeinden so nicht zur Verfügung stehen, und können den lokalen Markt direkt beeinflussen. Dies erleichtert die Zusammenarbeit und gewährleistet einen kohärenten politischen Rahmen. Die Landesregierungen der drei Fokusregionen Thüringen in Deutschland, Steiermark in Österreich und Auvergne-Rhône- Alpes in Frankreich sind Partner des Projektes SDHp2m. In sechs Nachfolger-Regionen aus Bulgarien, Deutschland, Italien, Polen und Schweden sind die Landesbehörden durch Teilnahmeerklärungen eingebunden und werden durch beratende Partner unterstützt. „Die Klimaschutzziele der EU erfordern eine konsequente Umstellung von fossilen hin zu regenerativen Energien. Solarenergie ist die eine regenerative Energiequelle, welche nahezu unerschöpflich zur Verfügung steht. Ihre Nutzung in solarthermischen Anlagen ist effizient und kann durch netzgebundene Wärmeversorgung große Verbreitung finden. Deshalb unterstützen wir als Landesregierung solare Wärmenetze, wo wir können.“ Die Steiermark – ein Spitzenreiter bei der Integration von Solarthermie in ländlichen und städtischen Wärmenetzen Einbindung Erneuerbarer in Wärmenetze und Flexibilisierung der Wärmeerzeugung In einigen europäischen Ländern führen sinkende und schwankende Strompreise zu geringeren Betriebszeiten der KWK-Anlagen, die meist die Hauptwärmeerzeuger in Fernwärmenetzen darstellen. Solarthermie kann Lücken in der Wärmeversorgung schließen und Wärmespeicher flexibilisieren das gesamte System. In dem Projekt Big Solar Graz soll bspw. Solarthermie 20% des Wärmebedarfs im Netz bereitstellen und die nachhaltige Wärmeerzeugung sichern. Anton Lang – Landerat der Steiermark für Umwelt und regenerative Energien Regionen stehen vor Herausforderungen bezüglich einer zukunftsfähigen Wärmeversorgung und Solarthermie bietet eine ideale Möglichkeit diesen zu begegnen. Gemeinsame Herausforderungen auf regionaler Ebene Verfügbare Flächen Auf einem Hektar Land produziert eine Solarthermieanlage bis zu 2 GWh Wärme pro Jahr. Somit ist dies die ertragreichste Möglichkeit, Landfläche zur Wärmegewinnung zu nutzen. Die Herausforderung – vor allem in städtischen Gebieten – liegt jedoch darin, diese Fläche in unmittelbarer Nähe zum Wärmenetz zu finden. In der Steiermark wurde ein Arbeitskreis gegründet, um Lösungen für diese Problematik zu entwickeln. Auch das Planungsamt hat das Thema aufgegriffen. In Hamburg wurde ein Handbuch für die Mehrfachnutzung von Flächen erstellt. Innovative Politik und Finanzierung Der Erfolg in Dänemark und Schweden zeigt, dass geeignete regulatorische Maßnahmen und Marktbedingungen sowie Finanzierungsmöglichkeiten die weiträumige Anwendung von netzgebundener regenerativer Wärme- und Kälteversorgung unterstützen können. Mit einer umfassenden Strategie, welche die Politik und deren Gesetze sowie Wirtschaft und Markt einbezieht, können förderliche Rahmenbedingungen für den Einsatz regenerativer Energien und insbesonder großflächiger Solarthermieanlagen in Wärmenetzen geschaffen werden. Erfolgsfaktoren sind: • Kohärente Politik für regenerative netzgebundene Wärme- und Kälteversorgung • Effiziente und effektive Regulierungen und Genehmigungsverfahren • Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten und geeignete Fördermaßnahmen • Innovative Geschäftsmodelle „Der Entwurf zum ersten Klimagesetz der neuen Bundesländer ist ein starkes Signal, welches die inhaltliche Ausrichtung der Thüringer Energieversorgung hin zu Energieeffizienz und erneuerbaren Energien wie der Solarthermie vorgibt. Im Rahmen einer breiten öffentlichen Diskussion wird derzeit zudem die Integrierte Energie- und Klimaschutzstrategie erarbeitet, welche konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der regionalen Klimaschutzziele zusammenstellt. Die Stärkung von Wärmenetzen mit erneuerbaren Energien wie der Solarthermie spielt dabei eine besondere Rolle.“ Regulatorische und marktunterstützende Maßnahmen Thüringens Anja Siegesmund – Umweltministerin in Thüringen Das Land Thüringen stellt regionalen Akteuren für die Planung und Umsetzung von Wärmeprojekten auch finanzielle und inhaltliche Unterstützung bereit: • Mit dem Green Invest Programm bietet das Land Thüringen finanzielle Zuschüsse für Beratungsdienstleistungen, Machbarkeitsstudien Demonstrationsvorhaben für Wärmenetze und regenerative Energien in Unternehmen an. • Die Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur bietet Kommunen und anderen regionalen Akteuren wie z.B. Genossenschaften Unterstützung bei der Initiierung und Entwicklung von Projekten mit erneuerbaren Energien an. • Die Broschüre „Zukunft Sonne“ beinhaltet drei Fallstudien und einen Fragen-Antworten-Katalog, der mit regionalen Akteuren erstellt wurde. „In der Anfangsphase des Projektes haben wir die Anforderungen der Marktakteure an die Politik und Planung, Kommunikation, Technologie und die Kosten für solare Wärmenetze identifiziert. Um diesen gerecht zu werden, haben wir mit Unterstützung der Akteure einen Aktionsplan entworfen, der in Zusammenarbeit mit dem regionalen Amt für Energie und Umwelt und dem nationalen Solarenergieinstitut umgesetzt wird. Die aktuellen Fallstudien für drei Wärmenetze haben bereits großes Interesse hervorgerufen und führen möglicherweise zu Folgeprojekten. Durch dieses Projekt erwarten wir in Auvergne-Rhône-Alpes eine Zunahme an Wärmenetzen mit solarer Wärme.“ Auvergne-Rhône-Alpes: Wir kennen die Bedürfnisse unserer Marktakteure Eric Fournier – Vizepräsident für Umwelt, nachhaltige Entwicklung, Energie und Regionalparks in Auvergne-Rhône-Alpes Erfolgreiche Marktunterstützung Durch geeignete Unterstützungsmaßnahmen kann der Bogen zwischen Politik und Markt erfolgreich gespannt werden. Ziel muss sein, alle Interessensgruppen zusammenzubringen: zum einen regionale Behörden, Kommunen und Finanzinstitute und zum anderen Betreiber von Wärmenetzen, Ingenieurbüros, aber auch Energiegenossenschaften und Fachfirmen für Energiemanagement und Kundenbetreuung. Eine detaillierte Analyse des Marktes und die Ansprache und Unterstützung der Investoren sind geeignete Methoden, die Verbreitung von solaren Wärmenetzen in regionale Märkte voranzutreiben. • Besichtigung bestehender Anlagen: Nichts ist überzeugender als eine Führung durch eine bestehende Anlage und der direkte Austausch mit den Personen vor Ort. • Capacity Building: Workshops, Schulungen und Leitfäden bündeln die gesammelten Erfahrungen und stehen langfristig öffentlich zur Verfügung. • Machbarkeitsstudien: Die Analyse einer realen Situation ist ein wichtiges Hilfsmittel für die Implementierung dieser Technologie. Die Studien geben den Verantwortlichen Anhaltspunkte zur Planung und ermöglichen eine Bewertung der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit solarer Wärmenetze in einer Region. • Kommunikation: Der Kontakt zu den BürgerInnen und der Austausch mit Interessengruppen schafft eine öffentliche Akzeptanz für regenerative Wärmenetze und erhöht die Bürgerbeteiligung. Wie kann der Markt unterstützt werden Französische Gruppe besichtigt Büsingen Nutzen Sie die verfügbare Expertise Internationale Konferenz in Hamburg Auch wenn sich europaweit die lokalen Rahmenbedingungen unterscheiden, so stehen die Länder doch vor ähnlichen Aufgaben bei der Wärmewende. Die in intensiver Zusammenarbeit vieler europäischer Regionen entstandenen Ergebnisse stehen in einem Wissensportal unter www.solare-waermenetze.de zur Verfügung. Drei Leitfäden beantworten grundlegende Fragen: 1. Energiedörfer – Umsetzung von neuen solaren Wärmenetzen kombiniert mit Biomasse 2. Einbindung von Solarthermie in biomassebasierte Wärmenetze 3. Einbindung von Solarthermie in bestehende städtische Fernwärmesysteme Solar und Biomasse in Eibiswald, Österreich In Deutschland und Österreich wird die Entwicklung solarer Wärmenetze vielfältig unterstützt: • auf nationaler Ebene durch das Projekt Solnet 4.0 • in Baden-Württemberg durch das Projekt SolnetBW II • In Hamburg, Thüringen und der Steiermark durch das europäische Horizon 2020-Projekt SDHp2m Viele solare Wärmenetze in Deutschland und Österreich werden als Bioenergiedörfer realisiert. Eine wichtige Entwicklung war im Jahr 2016 auch die Umsetzung der Solarthermieanlage in Senftenberg, die aus rein wirtschaftlichem Interesse der Stadtwerke Senftenberg in das Fernwärmenetz integriert wurde. Was Sie auch vorhaben, die AnsprechpartnerInnen von AGFW, Hamburg Institut und Solites beraten gerne Ihr konkretes Projekt und informieren über weitere Initiativen (Kontakt: helpdesk@solare-waermenetze.de). www.solar-district-heating.eu Kontaktieren Sie uns und profitieren Sie von unserem starken nationalen und internationalen Netzwerk! Auf unserer Website finden Sie weitere hilfreiche Dokumente, Tools sowie aktuelle Informationen rund um das Themengebiet solare Wärmenetze. Mit unserer langjährigen Erfahrung können wir Sie bei Ihrem Projekt unterstützen! Besuchen Sie uns auf: www.solare-waermenetze.de Ihr Ansprechpartner: Impressum Herausgeber und Projektkoordinator: Solites - Steinbeis Forschungsinstitut für solare und zukunftsfähige thermische Energiesysteme Meitnerstr. 8, 70563 Stuttgart, Germany, info@solites.de, www.solites.de Mit Unterstützung der Projektpartner: Durchführende Landesregierungen: Beratende Partner: Unterstützung: Dieses Projekt wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union gefördert (Förderkennzeichen 691624) Die alleinige Verantwortung für den Inhalt dieser Publikation liegt bei den AutorInnen. Sie gibt nicht unbedingt die Meinung der Fördermittelgeber wieder. Weder die Fördermittelgeber noch die AutorInnen übernehmen Verantwortung für jegliche Verwendung der darin enthaltenen Informationen. Bilderrechte: Anton Lang: Siegfried Gallhofer, Anja Siegesmund: photograph-erfurt.de, Eric Fournier: Juan Robert, Région Auvergne Rhône-Alpes, Solites, Ritter XL Solar, Jan-Olof Dalenbäck, SOLID, Gram Fjernwärme, Guido Bröer (Solarthemen)

Julian Kuntze2023-03-22T11:50:53+01:00Montag, 1. Januar, 2018|

Erneuerbare Energien im Fernwärmenetz Hamburg II

1 Erneuerbare Energien im Fernwärmenetz Hamburg Teil 2: Transformationsstrategie Fernwärme Stand: 22. Dezember 2017 Christian Maaß (Autor) Dr. Matthias Sandrock (Projektleiter) 2 Inhalt 1 Aufgabenstellung............................................................................................................................. 3 2 Rahmenbedingungen der Transformation: Die Wärmeversorgung der Hamburger Gebäude ..... 5 2.1 Der Gebäudebestand .............................................................................................................. 5 2.2 Die Gebäude-Wärmeversorgung............................................................................................. 6 2.3 Das Fernwärmenetz ................................................................................................................ 8 2.4 Die Fernwärme-Erzeugung .................................................................................................... 10 2.5 Schlussfolgerungen................................................................................................................ 11 3 Ziele der Transformationsstrategie ............................................................................................... 12 3.1 Umsetzung des Volksentscheids ........................................................................................... 12 3.2 Klima- und Ressourcenschutz ................................................................................................ 13 3.3 Versorgungssicherheit ........................................................................................................... 14 3.4 Sozialverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Kostensicherheit ............................................. 15 3.5 Investitionssicherheit ............................................................................................................ 15 3.6 Effiziente und flexible Infrastrukturen .................................................................................. 15 3.7 Regionale Wertschöpfung ..................................................................................................... 16 3.8 Angemessene Berücksichtigung von Verbraucherinteressen ............................................... 16 3.9 Bürgerbeteiligung .................................................................................................................. 16 4 Der Weg zur Transformationsstrategie ......................................................................................... 17 5 Arbeitsthesen für die Transformationsstrategie ........................................................................... 20 5.1 Wärmesystem: Ausbau der Fernwärme? .............................................................................. 21 5.2 Erzeugung .............................................................................................................................. 23 5.3 Verteilung .............................................................................................................................. 28 5.4 Speicherung ........................................................................................................................... 30 5.5 Vertrieb.................................................................................................................................. 30 5.6 Kundenseitige Optimierung .................................................................................................. 32 6 Übersichten ................................................................................................................................... 34 7 Literaturverzeichnis ....................................................................................................................... 36 3 1 Aufgabenstellung Im Rahmen der Beauftragung einer Strategie zur Steigerung des Einsatzes Erneuerbarer Energien in der Fernwärme ist das Hamburg Institut neben den Lösungsansätzen zum Ersatz des HKW Wedel auch mit der Erstellung einer langfristigen Transformationsstrategie für die Hamburger Fernwärme beauftragt worden. Fernwärmenetze haben das Potenzial, die Klimaschutzziele im Gebäudesektor besonders kostengünstig zu erreichen, da sie die großtechnische Erschließung von erneuerbaren Energien ermöglichen. Sie sind ein potenzielles Schlüsselelement für eine sozialverträgliche Umsetzung der Energiewende im Wohnungssektor. Derzeit ist die Hamburger Fernwärme jedoch durch fossile Energien geprägt und in dieser Form nicht nachhaltig. Der Senator für Umwelt und Energie hat das Ziel ausgerufen, bis Mitte der 2020er Jahre die Hamburger Fernwärme ohne den besonders klimaschädlichen Brennstoff Kohle betreiben zu können. Neben der Aufgabe, die aktuell im Kohle-Heizkraftwerk Wedel produzierte Wärme klimafreundlich zu ersetzen, gerät damit die noch schwierigere Aufgabe in den Fokus, die Wärme aus dem größten Heizkraftwerk der Stadt in Tiefstack zu ersetzen. Dieses ist für die Produktion von etwa 2/3 der Hamburger Fernwärme verantwortlich. Eine Umstellung der Fernwärmeproduktion von Kohle auf Erdgas bringt zwar kurzfristig erhebliche Minderungen der CO2-Emissionen, bietet jedoch keine dauerhaft tragfähige Perspektive: Die Europäische Union, die Bundesregierung und der Senat verfolgen das Ziel, bis zum Jahr 2050 den Gebäudebestand weitgehend klimaneutral mit Energie zu versorgen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn sowohl in der Fernwärmeversorgung als auch in der dezentralen Gebäudebeheizung nicht nur auf Kohle verzichtet wird, sondern weitestgehend auch auf Erdgas und Erdöl. Die Aufgabe, die Wärmeversorgung innerhalb von rund 30 Jahren grundlegend zu verändern, erfordert einen tiefgreifenden technologischen Wandel des Energiesystems. Ein solcher tiefgreifender Veränderungsprozess kann nur innerhalb eines von der Politik vorgegebenen kohärenten, rechtlich-wirtschaftlichen Rahmens zum Erfolg geführt werden. Die Ausrichtung des Transformationsprozesses für die Fernwärme hängt dabei stark von den Entwicklungen des Energiesystems im Stromsektor sowie bei der Entwicklung des Energiebedarfs im Gebäudesektor ab. Die Transformationsstrategie für die Fernwärme kann daher nicht losgelöst von den Entwicklungen und Zielen in diesen Sektoren entwickelt werden. Der Fernwärme-Transformationsprozess muss daher in eine gesamtstädtische langfristige Strategie für die Wärmeversorgung eingebettet werden, welche wiederum mit den Entwicklungen der Energiewende auf bundesdeutscher und europäischer Ebene rückgekoppelt werden muss. Dabei müssen verschiedene Weichenstellungen vorgenommen werden. Diese betreffen vor allem die zukünftige Rollen der netzgebundenen Wärmeversorgung und der dezentralen Wärmeerzeugung auf Gebäudeebene – aber auch die Rolle der Energieeffizienz. Erst wenn hinreichender Sicherheit abgeschätzt werden kann, in welchen Bereichen der Stadt auch in Zukunft ein hinreichend hoher Wärmebedarf vorhanden sein wird und inwieweit dieser nicht dezentral oder durch Strom gedeckt wird, kann sinnvoll über den Aus- und Umbau der Fernwärme diskutiert werden. Erst nachdem diese grundlegenden Fragen nach der zukünftigen Rolle der Fernwärme in Hamburg geklärt sind, können die sich hieran anschließenden operativen Fragen des technologischen Strukturwandels abschließend beantwortet werden. Hierzu gehören insbesondere die Fragen nach 4 der zukünftigen Erzeugung der erneuerbaren Fernwärme, dem nötigen Umbau der Wärmenetz-Infrastruktur und der kundenseitigen Anlagen.1 Die Beantwortung der Frage nach der grundlegenden Rolle der Fernwärme und der daraus folgenden operativen Fragen kann nicht in diesem Kurzgutachten erfolgen, sondern muss einem umfassenden Klärungsprozess überlassen bleiben. Dieser Klärungsprozess geht weit über rein fachliche Fragen hinaus und erfordert eine Reihe weitgehender politisch-gesellschaftliche Entscheidungen. Wir verstehen die Aufgabe der Entwicklung einer Transformationsstrategie Fernwärme daher auch als Frage nach der Entwicklung eines übergeordneten Klärungsprozesses, der es der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) ermöglicht, die zukünftige Rolle der Fernwärme zu definieren und hierauf aufbauend den notwendigen technisch-ökologischen Strukturwandel in der Hamburger Wärmeversorgung initiieren und steuern zu können. In Vorbereitung eines solchen Klärungsprozesses werden in dieser Kurzstudie Arbeitsthesen aufgestellt, in welche Richtung der Transformationspfad der Hamburger Wärmeversorgung und des Fernwärmesystems aus Sicht des Hamburg Instituts aus heutiger Sicht gesteuert werden sollte. Diese Thesen sind nicht als Vorwegnahme des Klärungsprozesses gedacht, sondern sollen in einem solchen Prozess zur Diskussion gestellt werden. Vor diesem Hintergrund ist das Ziel dieses Papiers, herauszuarbeiten,  von welcher die energie- und wohnungswirtschaftliche Ausgangssituation der Transformationsprozess ausgeht (unten 2.),  welche Rahmenbedingungen und Leitlinien für den dargelegten gesamtstädtischen planungs- und Klärungsprozess zu beachten sind (3.),  wie der Planungsprozess ausgestaltet werden könnte (4.),  welche inhaltlichen Arbeitsthesen zur zukünftigen Transformation der Fernwärme aus Sicht der Gutachter dem Planungsprozess zugrunde gelegt werden sollten (5.); die sich hieraus ergebenden Ansätze werden in zwei zusammenfassenden Übersichten dargestellt (6.). 1 Einige der im Auftrag des BUND Hamburg erarbeiteten Aspekte aus den Gutachten von LBD / Hamburg Institut „Rekommunalisierung der Hamburger Fernwärmeversorgung“ (http://www.hamburg-institut.com/images/pdf/studien/BUND%20Fernwaerme%20Hamburg_Endstand.pdf , 2013) sowie „Ökologisch-soziale Wärmepolitik für Hamburg“ (http://www.hamburg-institut.com/images/pdf/studien/150529_oekologisch-soziale_Waerme_BUND_HH.pdf, 2013) werden im Folgenden punktuell aufgegriffen und weiterentwickelt. 5 2 Rahmenbedingungen der Transformation: Die Wärmeversorgung der Hamburger Gebäude 2.1 Der Gebäudebestand Die beheizte Gebäudefläche in Hamburg beträgt insgesamt ca. 125 Mio. m². Davon entfallen etwas mehr als die Hälfte (64 Mio. m²) auf Wohngebäude. Darunter sind 30 Mio. m² große Mehrfamilienhäuser und je etwa 17 Mio. m² kleine Mehrfamilienhäuser und Einfamilienhäuser. Bei den Nicht-Wohngebäuden entfallen 50 Mio. m² auf große Immobilien (> 1.000 m²).2 Im Jahr 2010 bestand ein Gebäudewärmedarf von knapp 15 Mio. MWh/a. Etwa ein Drittel davon entfiel auf große Nichtwohngebäude, jeweils etwa 20% wurden in Einfamilienhäusern und großen Mehrfamilienhäusern benötigt. Gebäudeart Heizwärme- und Warmwasserbedarf 2010 [MWh/a] Einfamilienhaus 3.185.888 Mehrfamilienhaus klein 2.085.352 Mehrfamilienhaus groß 3.210.674 Nichtwohngebäude klein (1.000 m²) 4.935.547 Summe 14.916.601 Tabelle 1: Wärmebedarf für Wohn- und Nichtwohngebäude in Hamburg 20103 Der Energiekennwert für Wohngebäude liegt im Durchschnitt bei rund 140 kWh/m2/a, wobei es zwischen den Bezirken erhebliche Unterschiede gibt.4 Ursächlich hierfür sind zwei Faktoren: Je höher der Anteil von Ein- und Zweifamilienhäusern ist, desto höher ist der spezifische Wärmebedarf. Hingegen führt ein hoher Anteil von neuen Gebäuden zu spezifisch niedrigeren Wärmebedarfen. Die bisherige jährliche Sanierungsrate in Hamburg beträgt laut Schätzungen von Ecofys (2010) bei rund 1% Vollsanierungen sowie 0,8% Teilsanierungen p.a.5 Die FHH nennt in der Drucksache 20/11772 eine Sanierungsquote von 1,2 %.6 Der Hamburger Senat strebt für den Gebäudesektor bis zum Jahr 2050 einen jährlichen Endenergiebedarf (Heizung und Warmwasser) bei bestehenden Mehrfamilienhäusern im Bestand von durchschnittlich 40–45 kWh/m² und bei Einfamilienhäusern von 45–55 kWh/m² an.7 Bei Nichtwohngebäuden wird eine Minderung des Wärmebedarfs um 50 Prozent angestrebt. 2 Vgl. Ecofys (2010), S. 33. 3 Nach Ecofys (2010), S. 38. 4 Vgl. Ecofys (2014), S. 19. 5 Vgl. Ecofys (2010), S. 37. 6 kritisch hierzu Rabenstein (2014), S. 18. 7 Hamburger Klimaplan, Bürgerschaftsdrucksache 21/2521, S. 3 und 8. 6 Die somit angestrebte Reduzierung des spezifischen Wärmebeddarfs der Gebäude um etwa 2/3 wird mit dem bestehenden Sanierungstempo drastisch verfehlt werden. Es erscheint zunehmend zweifelhaft, ob die zur Zielerreichung nötige Vervielfachung der Sanierngstiefe und –geschwindigkeit realistisch ist: Bislang sind hierfür weder die erforderlichen politischen Instrumente noch die erforderlichen finanziellen Ressourcen erkennbar. Ohne ein – bislang nicht erkennbares – ganz erhebliches Umsteuern zur Veränderung der Rahmenbedingungen auf Bundes- und Landesebene läuft der bestehende Entwicklungstrend auf eine quantitativ deutlich signifikante Nichterfüllung der Effizienzziele im Gebäudebereich hinaus. Gleichzeitig wächst der Gebäudebestand durch neue Gebäude, insbesondere zur Bereitstellung der vom Senat angestrebten 10.000 neuen Wohnngen pro Jahr, jedoch auch im Bereich der Nicht-Wohngebäude. Trotz steigender Anforderungen an die Energieeffizienz weisen diese Gebäude nach wie vor einen relevanten Energiebedarf auf, der noch immer überwiegend durch fossile Brennstoffe gedeckt wird. Nicht immer wird auch bei den heute neu gebauten Gebäuden der für 2050 angestrebte niedrige Wärmebedarf gedeckt – eine energetische Sanierung dieser neu gebauten Gebäude innerhalb der nächsten Jahrzehnte ist gleichwohl nicht zu erwarten. 2.2 Die Gebäude--Wärmeversorgung Die Bereitstellung von Raumwärme und Warmwasser bildet mit Abstand den größten Teil des Energiemarktes in Hamburg: 8 Von ca. 48 TWh Endenergie, die im Jahr 2015 in Hamburg verbraucht wurden, entfielen etwa 19,12 TWh (ca. 40%) auf den Wärmebereich. Dabei wurden 12,1 TWh Erdgas, 2,5 TWh Heizöl und 4,3 TWh Fernwärme verbraucht. Etwas weniger als die Hälfte der Gesamtwärmemenge wurde in den Hamburger Haushalten verbraucht. Die Wärmeenergie für Prozesswärme in Betrieben sowie die Versorgung von gewerblich genutzten Gebäuden ist daher ebenso bedeutsam wie die Versorgung von Wohngebäuden. Prozessenergie hat meist jedoch höhere Anforderungen an das Temperaturniveau als mit der regulären Fernwärme über Warmwassernetze bereitgestellt werden kann, so dass dieser Teil gesondert betrachtet werden muss und im Rahmen dieses Kurzgutachtens nicht weiter untersucht werden kann. Für die Haushalte beansprucht Wärme mit über 70% (2011) den mit Abstand größten Teil des Energieverbrauchs.9 Bei der Beheizung und Warmwasser-Bereitstellung für Wohngebäude dominieren fossile Energien: Hier entfielen 5,6 TWh auf Erdgas, 1,6 TWh auf Heizöl und 2,2 TWh auf Fernwärme. Auch in der CO2-Bilanz schlägt sich der Wärmesektor stark nieder: Im Jahr 2015 wurden in Hamburg energiebedingt ca. 17,3 Mio. t CO2 ausgestoßen, etwa ein Drittel entfällt auf den Wärmebereich. Es wurden etwa 2,8 Mio. t CO2 durch den Einsatz von Erdgas emittiert. 1,5 Mio. t entfallen auf die Fernwärme und etwa 0,6 Mio. t auf Heizöl. Im Jahr 2015 war Wärme für mehr als die Hälfte der auf Haushaltsebene entstehenden CO2-Emissionen verantwortlich.10 8 Zum Folgenden: Energiebilanz und CO2-Bilanzen für Hamburg 2015, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (2017). 9 Vgl. Arrhenius (2010), S. 13ff. 10 Vgl. Energiebilanz und CO2-Bilanzen für Hamburg 2015, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (2017). 7 Abbildung 1: Anteile der Energieträger an der CO2-Bilanz 2015 von Haushalten, Gewerbe, Handel, Dienstleistungen und übrigen Verbrauchern (ohne Stromverbrauch, ohne Verkehr, ohne Industrie), Daten nach 11 11 Energiebilanz und CO2-Bilanzen für Hamburg 2015, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (2017). Kohle 0,3% Gase 48,1% Mineralöl 17,1% Fernwärme 34,5% CO2-Bilanz Hamburg 2015 Wärmeanwendungen Haushalte /GHD 8 2.3 Das Fernwärmenetz Die Fernwärmeversorger liefern etwa 25% des Hamburger Wärmebedarfs für Wohn- und Nichtwohngebäude,12 während drei Viertel des Wärmebedarfs über erdgas- und heizölbefeuerte Zentralheizungen gedeckt werden. Im bundesdeutschen Vergleich der Großstädte dürfte dies eine ansehnlicher Marktanteil sein, im Vergleich zu skandinavischen Großstädten ist dieser Wert hingegen niedrig.13 Das von Vattenfall Wärme Hamburg (VWH) betriebene Fernwärmenetz ist mit mehr als 450.000 angeschlossenen Nutzeinheiten das zweitgrößte Fernwärmenetz Deutschlands. Abbildung 2: Fernwärmenetzkarte VWH (Ausschnitt)14 Daneben existieren zahlreiche, teilweise deutlich kleinere Wärmenetze in Hamburg. Einige dieser Wärmenetze gehören ebenfalls der VWH, die nächstgrößeren Wärmenetze im Hamburger Nordosten und Nordwesten gehören zum e.on-Konzern (Hansewerk Natur). Die Transformation dieser Wärmenetze ist jedoch nicht Gegenstand dieses Gutachtens, welches sich vornehmlich auf das VWH-Wärmenetz bezieht. Etwa die Hälfte der von Wärmenetzen erschlossenen Gebäude sind Gewerbegebäude, einschließlich der zahlreichen Gebäude im Eigentum FHH (Schulen, Verwaltungsgebäude, Hochschulen, etc.). Nach der Erfassung der Beheizungsstruktur im Rahmen des Mikrozensus 2011 werden in der FHH 12 Vgl. Arrhenius (2010), S. 71. 13 In dänischen und schwedischen Großstädten liegt der Marktanteil der Fernwärme regelmäßig deutlich über 50%, s. Nachweise zu einzelnen Städten unten. 14 http://www.vattenfall.de/de/file/VWH_Netzkarte_Hamburg_26486980.pdf. 9 insgesamt 258.376 Wohnungen mit Fernwärme beheizt.15 Der von der Vattenfall-Fernwärme versorgte Anteil wird auf etwa 200.000 Wohnungen geschätzt.16 Die Fernwärme-Abnahmestruktur ist von einer hohen Wärmedichte geprägt. Der Leistungswert beträgt 4,0 MW je km Trasse, was der zweithöchste Wert im Bundesländervergleich. ist 17 Betrachtet man den Anteil der Gebäude mit Fernwärmeanschluss, ergeben sich je nach Bezirk unterschiedliche Werte, die in Hamburg-Mitte und Hamburg-Nord Werte über 20% aufweisen.18 Diese Werte geben jedoch keinen Aufschluss über den tatsächlichen Anschlussgrad an das Fernwärmenetz in den vom Wärmenetz erschlossenen Gebieten. Aus einigen Quartierskonzepten kann der Rückschluss gezogen werden, dass es innerhalb der vom Fernwärmenetz erschlossenen Gebiete viele Gebäude noch nicht an das Fernwärmenetz angeschlossen sind. Nachgewiesen wurde dies insbesondere in den Quartierskonzepten Eimsbüttel19 und Dulsberg20. In Dulsberg beträgt der Anschlussgrad ca. 65%, in Eimsbüttel hingegen sind im Untersuchungsgebiet ganze Straßenzüge nicht von der Fernwärme versorgt. Des Weiteren gibt es dicht besiedelte Stadteile wie Ottensen, die zwar innerhalb des Fernwärmeversorgungsgebiets liegen, jedoch nur ein leistungsarmes Verteilnetz aufweisen und damit quantitativ relevante zusätzliche potenzielle Wärmesenken für die Fernwärme darstellen. Darüber hinaus liegen in den Randbereichen des Fernwärmenetzes zahlreiche wachsende Stadtteile. Dies betrifft sowohl Stadtteile in der Planungsregion Hamburg-Ost („Stromaufwärts an Elbe und Bille“) wie Rothenburgsort, aber auch andere Stadtteile wie z.B. Lokstedt, Langenfelde, Bahrenfeld, Bramfeld und Alsterdorf, die bislang nicht oder nur rudimentär mit Fernwärme versorgt werden. Es bietet sich an, die in diesen Vierteln geplanten größeren Neubauvorhaben mit Fernwärme zu erschließen. Zur Versorgung dieser Gebiete bedürfte es teilweise jedoch erheblicher Investitionen, die nicht nur die Verlegung neuer Verteilnetze, sondern ggf. auch die Verstärkung der bestehenden Transportnetze erfordern. Im Zuge des seit mehreren Jahrzehnten andauernden Ausbaus des Netzgebietes in die nördlichen Stadtteile sind die ursprünglich für geringere Leistungen ausgelegten Wärmetransportleitungen von den Erzeugungsanlagen bereits stark ausgelastet. Um weitere Verbraucher anschließen zu können, wurde bereits in den 1970er Jahren die Heizwassersystemtemperatur auf 136°C im Vorlauf im Winter erhöht.21 Die weitere Ausdehnung und Verdichtung des Fernwärmenetzes kann daher in einigen Stadteilen nur parallel mit einer Verstärkung der Wärmetransportleitungen erfolgen, wie sie seit einigen Jahren in Altona vorgenommen werden. Hervorzuheben ist ebenfalls, dass die Stadtviertel entlang der Fernwärmetransportleistung von Wedel in die innere Stadt bislang kaum von der Fernwärme versorgt werden. Auch wenn die Wärmedichte in diesen Gebieten in der Regel deutlich geringer ist als in den innerstädtischen Siedlungsbereichen und die spezifischen Kosten für den Aufbau einer netzbasierten Wärmeversorgung damit höher sind, ist der Aufbau von Wärmenetzen eine mittel- bis langfristig 15 https://ergebnisse.zensus2011.de. 16 LBD/Hamburg Institut, S. 20. 17 AGFW-Hauptbericht 2010, Frankfurt 2012 18 Vgl. Ecofys (2014), S. 21ff. 19 http://suche.transparenz.hamburg.de/dataset/energetisches-konzept-fuer-das-quartier-eimsbuettel, S. 37 ff., 66 ff. 20 http://www.hamburg.de/contentblob/4497132/e75c35aa48b70e5225e60f51663c46c7/data/dl-energiekonzept-hamburg-dulsberg.pdf 21 Dieter Dommann: Die Fernwärme- und Fernkälteversorgung in der Freien und Hansestadt Hamburg, Hrsg. HEW 1994, S. 21 ff; Bürgerschaftsdrucksache 19/6387 (Parlamentsdatenbank der Hamburgischen Bürgerschaft) 10 denkbare Option. In vielen skandinavischen Großstädten – beispielsweise Kopenhagen,22 Göteborg23 und Stockholm - werden Stadtviertel mit einer ähnlichen Siedlungsstruktur bereits heute zu moderaten Kosten mit Fernwärme versorgt. 2.4 Die Fernwärme--Erzeugung Die Erzeugung der Fernwärme erfolgt in zwei Heizkraftwerken, fünf Heizwerken und acht Blockheizkraftwerken, 24 wobei jedoch 99% der Wärmearbeit von fünf Anlagen erbracht wird. Die Anteile der Erzeugungsanlagen an der Wärmebereitstellung für das innerstädtische Fernwärmenetz zeigt folgendes Bild: Abbildung 3: Anteile der Fernwärmeerzeugung in Hamburg Quelle: LBD/Hamburg Institut, S. 21. Die Bereitstellung der Vattenfall-Fernwärme basiert somit nur auf wenigen zentralen Anlagen an den Standorten Tiefstack, Wedel sowie den Abfallverbrennungsanlagen im Hamburger Osten. Der Brennstoffeinsatz in der Hamburger Fernwärme ist durch den mit rund 68% sehr hohen Anteil an Steinkohle gekennzeichnet. 25 Durch den als biogen klassifizierten Anteil am Siedlungsabfall (MVB) liegt hier der Anteil erneuerbarer Energien bei etwa 8%.26 Aufbauend auf den Empfehlungen des Gutachtens zum Ersatz des Kraftwerks Wedel27 soll zukünftig Fernwärme überwiegend aus regenerativen Energien und industrieller Abwärme auch am Standort Hafen in relevanten Größenordnungen erzeugt und über eine Anschlussleitung unter der Elbe nach 22 In Kopenhagen werden 55% des gesamten Wärmebedarfs über Fernwärme geliefert, http://www.hofor.dk/wp-content/uploads/2016/09/district_heating_in_cph.pdf. Hierunter sind auch zahlreiche Viertel außerhalb des verdichteten innerstädtischen Bereichs und Vororte außerhalb der Stadtgrenzen mit einer moderaten Siedlungsdichte. 23 https://grist.files.wordpress.com/2010/09/gothenburg,_sweden_i-district_energy_climate_award.pdf, S. 11: 60% aller Einwohner werden mit Fernwärme versorgt, darunter 90% aller Mehrfamilien und Gewerbegebäude sowie 20% der Ein- und Zweifamilienhäuser. 24 http://www.vattenfall.de/de/fernwaerme-fuer-berlin-und-hamburg.htm, Abruf am 1.7.2013 25 Vgl. zum Einsparungspotenzial bei einem Brennstoffwechsel von Kohle zu Erdgas Arrhenius Institut, Basisgutachten zum Masterplan Klimaschutz für Hamburg, 2010,. http://www.hamburg.de/contentblob/4312988/d35ac390ff234478e818023286d2a2b4/data/basisgutachten-masterplan-klimaschutz.pdf 26 LBD/Hamburg Institut, Rekommunalisierung der Hamburger Fernwärmeversorgung, Endfassung vom 5. September 2013, S. 36 f.; nicht berücksichtigt ist hierbei die Industriedampfversorgung im Hafen aus der Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm. 27 Hamburg Institut, Erneuerbare Energien im Fernwärmenetz Hamburg, 2016. HKW Wedel 29% MVB/AVG 20% HKW Tiefstack 36% GuD Tiefstack 12% HKW HafenCity 3% Anteile der Fernwärmeerzeugung 11 Norden geleitet werden. Daneben wird der Standort Stellingen mit verschiedenen Abfallverwertungsanlagen zu einem größeren Standort zur Erzeugung von Fernwärme ausgebaut. 2.5 Schlussfolgerungen  Der Gebäudebestand weist in Hamburg noch immer einen hohen Wärmebedarf auf. Selbst wenn die Sanierungsrate und –tiefe zukünftig gesteigert werden kann, wird – bereits durch den Zubau von neuen Gebäuden innerhalb des Siedlungsbereichs – auch mittel- und langfristig ein hoher Wärmebedarf verbleiben.  Bislang spielen die erneuerbaren Energien sowohl in der dezentralen Wärmeerzeugung als auch im Fernwärmesystem eine nur untergeordnete Rolle.  Die energetische Sanierung der Gebäude und die damit verbundene Verringerung des Fernwärmeabsatzes führen zwar strukturell zu einer Verschlechterung der Wirtschaftlichkeit der Fernwärme, jedoch wird dieser Effekt durch den von der Verbrauchsmenge unabhängigen Grundpreis-Anteil begrenzt. Zudem gibt es innerhalb des Fernwärmeversorgungsgebiets deutliche Potenziale zur Steigerung des Anschlussgrads. Ein Rückgang des spezifischen Wärmebedarfs pro Gebäude kann daher grundsätzlich durch Neuerschließungen und Verdichtung der Fernwärmenetze entgegengewirkt werden.  Zur Realisierung einer höheren Anschlussquote sind jedoch erhebliche Investitionen in neue Leitungen sowie teilweise auch für das Bestandsnetz (Transportleitungen) notwendig.  In den Randbereichen des heutigen Fernwärmenetzes besteht das Potenzial, wachsende Stadteile mit einer hinreichend hohen Wärmedichte neu mit Fernwärme zu erschließen.  Für den Transformationsprozess in Richtung erneuerbarer Energien bedeutet der pro Gebäude sinkende Absatzrückgang sowie die kostenaufwändige Erschließung neuer Stadtteile ein Auslastungs- und Finanzierungsrisiko, welches nur durch eine aktive Steuerung des Transformationsprozesses reduziert werden kann. 12 3 Ziele der Transformationsstrategie Jeder Prozess zur Formulierung einer Strategie zur Transformation der Fernwärme muss sich am Anfang die Frage stellen, was mit dem Prozess bewirkt werden soll. Die Zieldefinition des Transformationsprozesses ist dabei keine einfache Aufgabe: Neben dem primären Ziel einer Umstellung der Fernwärme auf Erneuerbare Energien gilt es eine Reihe weiterer gesellschaftlicher Anforderungen an die zukünftige Wärmeversorgung zu berücksichtigen. Eine große Herausforderung besteht darin, den Transformationsprozess der urbanen Wärmeversorgung zu erneuerbaren Energien in die grundlegenden Ziele einer vorausschauenden kommunalen Wärmepolitik zu integrieren. Dabei müssen verschiedene energiewirtschaftliche und kommunalpolitische Ziele miteinander in Einklang gebracht werden. Die Gewichtung der teils gegenläufigen Interessen ist wiederum dem vorgeschlagenen gesellschaftlich-politischen Klärungsprozess vorbehalten, der im Anschluss näher dargestellt wird. 3.1 Umsetzung des Volksentscheids Die Verfassungsorgane der FHH sind durch den Volksentscheid daran gebunden, „alle erforderlichen und zulässigen Schritte zu unternehmen, um die Hamburger Strom-, Fernwärme- und Gasleitungsnetze 2015 wieder vollständig in die Öffentliche Hand zu übernehmen. Verbindliches Ziel ist eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien.“ Aus dem Auftrag des Volksentscheides folgt, dass die Energie-Infrastrukturen für eine sozial gerechte und klimaverträgliche Energiepolitik genutzt werden sollen. Während das Strom- und Gasnetz bundesrechtlich stark reguliert sind und dies die Handlungsspielräume dieser Netzbetreiber deutlich einschränkt, verfügen die Eigentümer und Betreiber von Wärmenetzen über weitgehende Autonomie in ihren Entscheidungen zum Umbau der Infrastruktur zur Wärmeerzeugung und –verteilung. Hieraus ergeben sich erhebliche Spielräume für die Bewirtschaftung des Netzes im Sinne der Ziele des Volksentscheides. Die mangelnde Sicherheit im Hinblick auf die Rolle der Fernwärme in der zukünftigen Wärmever-sorgung hat erhebliche Auswirkungen auf den Unternehmenswert der VWH als Betreiber der Fernwärme – und damit auf die Umsetzung des Volksentscheides zur Rekommunalisierung des Fernwärmenetzes. Die Ausübung des vertraglich bestehenden Optionsrechts zum Erwerb der verbleibenden 74,9% VWH-Anteile durch die Stadt wird maßgeblich dadurch in Frage gestellt, dass der hierfür vereinbarte Mindestpreis im Rahmen einer Unternehmensbewertung nicht erreicht werden könnte. Eine klare Ausbaustrategie für die Fernwärme hätte erhebliche Auswirkungen auf die Unternehmens-bewertung. Je unklarer ist, ob der Fernwärmeabsatz in Zukunft stagniert, zurückgeht oder steigt, desto schwieriger wird die Bewertung des Unternehmenswertes. Investoren müssen in einer solchen Situation Risiken einkalkulieren, dass bei mangelnder Unterstützung der Stadt der Fernwärmeabsatz infolge zunehmender Sanierung und mangelnder Erschließung neuer Versorgungsgebiete stagniert oder sogar zurückgeht. Dies schlägt sich in der Bewertung des Unternehmenswertes nieder. Der Wert des Fernwärmenetzes liegt somit ganz wesentlich in der Hand der Stadt. Genauso wie der Aufbau des Hamburger Fernwärmenetzes durch die seinerzeitige HEW war nur möglich war aufgrund einer langfristig angelegten und mit hohen Summen finanziell hinterlegten Strategie der FHH und seiner öffentlichen Unternehmen, ist auch der weitere Ausbau dieses Netzes nur mit Unterstützung der Stadt denkbar. 13 3.2 Klima-- und Ressourcenschutz Klima- und Ressourcenschutz ist eine der zentralen Zielsetzungen für eine zukunftsorientierte Energiestrategie. Die Klimaschutzziele sind nur zu erfüllen, wenn die Transformation der Energieversorgung auf Erneuerbare Energien und eine gleichzeitige deutliche Energieeinsparung gelingt. Dies gilt insbesondere für das Ziel der Bundesregierung und des Senats,28 bis zum Jahr 2050 den dann vorhandenen Gebäudebestand nahezu klimaneutral mit Energie zu versorgen. Dieses Ziel stellt einen ganz zentralen Baustein des Masterplans Klimaschutz der Bundesregierung dar und wird daher als unverrückbare Voraussetzung angenommen. Nach den Szenarien der „Energieeffizienzstrategie Gebäude“29 des BMWi sind zur Erreichung eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestandes auf Bundesebene nicht nur erhebliche zusätzliche Anstrengungen bei der Gebäudesanierung nötig, sondern auch dramatische Steigerungen der Anteile erneuerbarer Energien. Bei einer Halbierung des Energiebedarfs bis 2050 wäre gleichzeitig eine Verfünffachung des EE-Anteils erforderlich (auf ca. 60%). Abbildung 4: Möglicher Zielkorridor aus Energieeinsparung und Umstellung auf erneuerbare Energien im Gebäudesektor30 Ohne eine erhebliche Steigerung der politischen Anstrengungen dürfte jedoch bereits eine Halbierung des Energiebedarfs gegenüber dem heutigen Bedarf kaum zu erreichen sein.31 Nach einer Studie für das seinerzeitige BMVBS zur Erreichung der Klimaschutzziele im Wohngebäudesektor32 könne dies nur gelingen, wenn die Schnelligkeit der energetischen Modernisierung des Gebäudebestandes in etwa verdreifacht wird und gleichzeitig die Qualität der Wärmeschutzmaßnahmen deutlich erhöht wird. Die im Ergänzungsgutachten von Ecofys zum Masterplan Klimaschutz im „Referenzszenario“33 angenommene Halbierung des Energiebedarfs der Wohngebäude in Hamburg bis zum Jahr 2050 (gegenüber 2010) und die hierauf gegründete entsprechende Einschätzung des Senats34 ist vor 28 Hamburger Klimaplan (2015), Bürgerschaftsdrucksache 21/2521, S. 28. 29 BMWi (2014b), S. 10ff. 30 BMWi (2014b), S. 10. 31 Vgl. z.B. Shell BDH (2013), S. 4. 32 Vgl. BMVBS (2013), S. 6. 33 Vgl. Ecofys (2010), S. 37. 34 Vgl. Zwischenbericht Wärmekonzept für Hamburg (2014) , Bügerschaftsdrucksache 20/11772. 14 diesem Hintergrund als optimistisch zu bewerten;35 dies gilt umso mehr für die im Klimaschutzplan von 2015 angestrebte Reduzierung des Heiz- und Warmwasserbedarfs um etwa 2/3 bis 2050. Vor diesem Hintergrund rückt eine Verstärkung der Integration der Erneuerbaren Energien in den Gebäudesektor in den Vordergrund: Andere Szenarien wollen die Klimaschutzziele stärker über eine forcierte Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmesektor erreichen.36 Das Fraunhofer ISE kommt in seinem Szenario für eine 100%ige Versorgung des gesamten Energiesektors aus erneuerbaren Energien zu dem Ergebnis, dass die volkswirtschaftlich kostengünstigste Variante einer erneuerbaren Vollversorgung im Strom- und Wärmesektor bei einer energetischen Gebäudesanierung auf 65% des heutigen Wertes für den Heizenergiebedarf des gesamten Gebäudesektors liegt, d.h. die erforderliche Einsparung über Effizienzmaßnahmen liegt bei 35%.37 Für eine Großstadt wie Hamburg können diese für die gesamte Bundesrepublik ermittelten Werte abweichen, jedoch liegen bislang keine entsprechenden Modellrechnungen für Hamburg vor. Es kann jedoch festgehalten werden, dass es Anhaltspunkte dafür gibt, dass das vom Senat angestrebte Niveau eines Heiz- und Warmwasserbedarfs von 40-45 kWh/m2 für Mehrfamilienhäuser und 45-55 kWh/m2 bis zum Jahr 2050  weder bei Fortschreibung der bisherigen Entwicklung, noch bei einer deutlichen Ausweitung der Sanierungstätigkeit realistisch erscheint, und  diese Sanierungsziele im Vergleich zu einer Strategie zur Dekarbonisierung und Ausweitung der Fernwärme möglicherweise nicht kosteneffizient sind. Dieser Befund darf jedoch nicht in einer Weise missverstanden werden, dass damit eine Steigerung der Energieeffizienz der Gebäude obsolet würde. Selbst ein vermindertes Reduzierungsziel für den Heizungs- und Warmwasserbedarf von „nur“ 40% oder 50% wäre lediglich mit einer Steigerung der Sanierungsrate und –tiefe gegenüber dem heutigen Stand erreichbar. 3.3 Versorgungssicherheit Unsere Gesellschaft ist auf ein jederzeit verlässliches Energiesystem angewiesen, die Wärmeversorgung der Gebäude und Betriebe muss jederzeit sichergestellt sein. Für die Versorgungssicherheit ist die derzeit hohe Abhängigkeit vom Import fossiler Energieträger nachteilig. Mit einer langfristigen Umstellung auf heimische erneuerbare Energieträger steigt auch die Versorgungssicherheit. Mit der Umstellung auf Erneuerbare Energieträger ergeben sich jedoch auch Herausforderungen für die Versorgungssicherheit: Die Wärmeversorgung muss auch dann gewährleistet werden, wenn fluktuierende Erneuerbare Energien wetterbedingt nicht erzeugt werden können. Durch den Wegfall von fossilen Energien als leicht und kostengünstig zu bevorratende Energieträge ergeben sich daher erhebliche Herausforderungen für die Speicherung der Energie. 35 Zutreffend Rabenstein 2014, S. 16ff. 36 Für Mehrfamilienhäuser vgl. GdW (2013) in dessen Szenario die Klimaziele stark durch eine Dekarbonisierung der Fernwärme erreicht werden. 37 Vgl. Fraunhofer Institut für solare Energieysteme (ISE) (2012). 15 3.4 Sozialverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Kostensicherheit Energie muss für Verbraucher und Gesellschaft auch langfristig bezahlbar bleiben. Durch den Ausbau erneuerbarer Energien wird die Wärmeversorgung von den volatilen Märkten fossiler Brennstoffe zunehmend entkoppelt. Die Wärmekosten werden dann vor allen durch die – gut kalkulierbaren – Investitionen in die Erzeugungs- und Verteilanlagen bestimmt. Für Investoren ist diese Planungssicherheit ein erheblicher Vorteil. Die sich dadurch ergebenden Kosten werden voraussichtlich jedoch – abhängig vom jeweiligen Preis- und Abgabenniveau fossiler Brennstoffe – höher liegen als die Kosten für die aktuelle, fossile Wärmeversorgung. Der Übergang zu erneuerbaren Energieträgern muss daher auf sozialverträgliche Weise ausgestaltet werden. Die Erreichung der Klimaschutzziele für den Gebäudesektor ist in jedem Fall mit Kosten verbunden. Im Interesse der Gebäudenutzer, welche letztlich für diese Kosten aufkommen müssen, müssen diese Kosten so niedrig wie möglich gehalten werden. Wie bereits oben dargestellt, sind Wärmenetze hierfür potenziell besonders geeignet: Mit Wärmenetzen können große, kostengünstige und klimafreundliche Wärmequellen erschlossen werden, was aufgrund der Skaleneffekte strukturell günstiger ist als die kleinteilige Wärmeerzeugung auf Gebäudeebene. Je höher der Anteil der Erneuerbaren Energien im Wärmenetz ist, desto geringer ist zudem der Druck, den Gebäudebestand sehr schnell und sehr anspruchsvoll energetisch zu sanieren, um die Klimaschutzziele im Gebäudesektor zu erreichen. Auch hierdurch können Kostenvorteile entstehen. Daher gilt es, spezifisch für alle Standorte im Stadtgebiet die jeweils kostengünstigsten Möglichkeiten zur Erreichung eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestandes zu identifizieren und umzusetzen. Speziell für das Hamburger Wärmenetz sollten daher die lokal verfügbaren Ressourcen für kostengünstige Erneuerbarer Wärmeproduktion systematisch erfasst und entwickelt werden. 3.5 Investitionssicherheit Ohne einen möglichst breit akzeptierte städtische Strategie zu den entscheidenden Weichenstellungen, wie zukünftig die Wärmeversorgung Hamburgs umgesetzt wird, kann keine langfristig angelegte Strategie zur Transformation der Fernwärme formuliert werden. Jede Fernwärme-Transformationsstrategie müsste „auf Sicht“ fahren, d.h. es könnten keine langfristig ausgerichteten Investitionen getätigt werden. Das Fernwärmegeschäft ist besonders investitionsintensiv und langfristig angelegt, fehlende Sicherheit in Bezug auf die langfristige Wirtschaftlichkeit der Investitionen in neue Netz- und Erzeugungsinfrastruktur führt zwangsläufig zur Unterlassung solcher Investitionen. Je höher hingegen die Sicherheit für das Fernwärmeunternehmen ist, dass sich Zukunfts-Investitionen in die Fernwärme in den kommenden Jahrzehnten langfristig auszahlen, desto größer ist die Bereitschaft, diese Investitionen zu tätigen. 3.6 Effiziente und flexible Infrastrukturen Vor dem Hintergrund des rasanten Wandels im Energiemarkt ist es wichtig, bei anstehenden Investitionen auf eine hohe Flexibilität für sich verändernde Märkte und neue Technologien zu achten. Die Integration erneuerbarer Energien in das Energiesystem erfordert eine stärkere Verzahnung von Strom- und Wärmemarkt. Wärmenetze bieten hier große Potenziale und weisen zudem eine hohe Flexibilität zur Einbindung künftiger Wärmeerzeugungstechnologien auf. Vor 16 diesem Hintergrund muss die kommunale Wärmepolitik zunehmend auch als planerische Aufgabe interpretiert werden, die Infrastrukturpolitik und Stadtplanung verzahnt und die systematisch (z.B. mit digitalen Wärmebedarfskarten wie in Bielefeld) nach wirtschaftlichen Ausbaumöglichkeiten für Wärmenetze sucht. 3.7 Regionale Wertschöpfung Für die Wärmeversorgung der Stadt werden jedes Jahr hohe Summen für den Import fossiler Energien ausgegeben. Mit dem Transfer dieses Geldes in die Erdöl, Gas und Kohle exportierenden Regionen geht es dem lokalen Wirtschaftskreislauf verloren. Die Nutzung der erneuerbaren Energien im Wärmesektor kann Energieimporte durch handwerkliche Arbeit und Ingenieurverstand vor Ort ersetzen.38 Sie generiert für die Kommunen sowie deren Bürger und Wirtschaft einen nachhaltigen ökonomischen Nutzwert. 3.8 Berücksichtigung von Verbraucherinteressen Ausbau und Weiterentwicklung der leitungsgebundenen Wärmeversorgung benötigt eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Denn anders als im Strom- und Gasmarkt können Verbraucher den Lieferanten der Wärme bei der Fernwärme nicht im Wettbewerb frei auswählen. Die marktbeherrschende Stellung der Fernwärmeversorger erfordert einen besonderen Schutz der Verbraucherinteressen. Für Verbraucher sind zudem weder die Preisbildung noch die ökologische Qualität der Fernwärme transparent.39 Eine stark auf den Ausbau des Fernwärmenetzes zielende Wärmestrategie kann daher an Akzeptanzgrenzen stoßen. Dies gilt umso mehr, solange das Fernwärmenetz mehrheitlich nicht in kommunaler Hand ist und die staatlichen Einflussmöglichkeiten zugunsten des Verbraucherschutzes daher begrenzt sind. 3.9 Bürgerbeteiligung Eine gut funktionierende Bürgerbeteiligung ist notwendig, um den um den Umstrukturierungsprozess auf eine gesellschaftlich breite Basis zu stellen. Dabei geht es nicht nur darum, Akzeptanz in der Bevölkerung für neue Infrastrukturprojekte zu erreichen. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich auch finanziell mit konkreten Projekten an der Energiewende. Dabei sollte in Zukunft auch der Wärmesektor für die finanzielle Bürgerbeteiligung – etwa auf der Basis genossenschaftlicher Strukturen - weiter erschlossen werden. 38 S. näher AGFW, Wertschöpfung aus Fernwärme mit KWK, 2016. 39 Vgl. hierzu näher Hamburg Institut, Fernwärme und Verbraucherschutz, 2015. 17 4 Der Weg zur Transformationsstrategie Im Folgenden wird ein Vorschlag für die mögliche Ausgestaltung eines Verfahrens zur Entwicklung einer Fernwärme-Transformationsstrategie entwickelt. Es existiert bislang noch keine übergeordnete Planung, aus der sich die mittel- und langfristige Strategie der FHH für die Entwicklung der Fernwärme ergibt. Der Senat hat im Mai 2014 einen Zwischenbericht40 für ein „Wärmekonzept für Hamburg“ vorgelegt, der im Februar 2015 ergänzt wurde.41 Hierauf gilt es aufzubauen und die erforderliche Definition der zukünftigen Rolle der Fernwärme im Verbund mit anderen Arten der Wärmeversorgung festzulegen, um eine klimafreundliche, möglichst kostengünstige und zukunftssichere Wärmeversorgung der Stadt dauerhaft zu gewährleisten. Bereits in der Einleitung wurde dargelegt, dass eine solche Strategie nicht im Rahmen dieses Kurzgutachtens erarbeitet werden kann, sondern eines strukturierten und wissenschaftlich unterfütterten partizipativen Prozesses bedarf. Das Ziel des hier vorgeschlagenen Prozesses besteht darin, einen möglichst breit in der Stadt verankerten Konsens zur zukünftigen Rolle der Fernwärme herzustellen und auf dieser Basis eine Strategie für den hieraus abzuleitenden Umbau der Fernwärme zu entwickeln. Hierzu bedarf es als erstes einer Verständigung über die zukünftige Rolle des Fernwärmesystems in der Stadt bei der Erreichung eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestands bis 2050:  Wo wird die Fernwärme zukünftig gebraucht und sollte ausgebaut werden?  Wo wird Fernwärme zukünftig keine Rolle spielen, weil ein nahezu klimaneutraler Gebäudebestand über anspruchsvolle energetische Sanierung und dezentrale Gebäudeheizung erreicht wird?  Wo wird Fernwärme in Zukunft mangels erforderlicher Wärmeabnahme nicht zu wirtschaftlich attraktiven Preisen angeboten werden können? Der Prozess zur Beantwortung dieser Fragen sollte auf einen gesellschaftlich möglichst breit getragenen Konsens zielen, da die entsprechenden politischen Maßnahmen nur langfristig wirken und stabile Rahmenbedingungen bedürfen. Vorbild für eine solche konsensuale Ziel- und Strategiefindung zur Energiepolitik ist das Nachbarland Dänemark. Dort ist es üblich, sowohl auf nationaler, wie auch auf kommunaler Ebene einen möglichst breiten Konsens über die Grundlagen der Energiepolitik herzustellen.42 Auch das Berliner Abgeordnetenhaus hat in der vergangenen Legislaturperiode mit einer Enquete-Kommission einen bemerkenswerten Versuch zur Herstellung eines weitgehenden Konsenses über Ziele und langfristige Strategien zur Ausrichtung der Landes-Energiepolitik unternommen.43 Um einen möglichst kostengünstigen Weg zur Einsparung von Treibhausgasen im Wohnungssektor zu finden ist der Blick über das einzelne Gebäude hinaus zu richten. Sofern Lösungen zur netzgebundenen Wärmeversorgung kostengünstiger sind als die Summe aus einzelnen gebäudebezogenen Maßnahmen, sind diese vorzuziehen. 40 Zwischenbericht „Wärmekonzept für Hamburg“ (2014), Bügerschaftsdrucksache 20/11772. 41 Zwischenbericht „Wärmekonzept für Hamburg“ (2015), Bügerschaftsdrucksache 20/14648. 42 Vgl. Danish Ministry of Climate, Energy and Building (2012). 43 Vgl. Abgeordnetenhaus Berlin (2015): Drs. 17/2100. 18 Solche Entscheidungen setzen Planung voraus. Im bisherigen stadtplanerischen Instrumentarium ist eine solche umfassende Fachplanung nicht vorgesehen – mit Ausnahme von Energie-Konzepten bei der Erschließung von neu zu entwickelnden größeren Bau-Gebieten. Die Herausforderung liegt jedoch darin, im gesamten Hamburger Gebäudebestand flächendeckend die jeweils kostenoptimale Lösung zur Erreichung eines langfristig „nahezu klimaneutralen“ Gebäudebestands zu identifizieren. Eine solche Strategie erfordert mehrere Schritte:  Der erste Schritt besteht in einer Erfassung des spezifischen Wärmebedarfs der Gebäude sowie die Prognose der erwarteten Entwicklung in den verschiedenen Stadtvierteln. Mit dem Hamburger Wärmekataster44 und dem GEWISS-Projekt hat Hamburg bereits wichtige Schritte eingeleitet.45  Des Weiteren muss auf gesamtstädtischer Ebene erfasst werden, welche Potenziale zur Nutzung von erneuerbaren Energien sowie zur Nutzung von industrieller Abwärme zur Verfügung stehen und welche spezifischen CO2-Vermeidungkosten mit ihrer Erschließung und Integration in das Versorgungssystem verbunden sind.  Schließlich muss bewertet werden, mit welchen spezifischen CO2-Vermeidungkosten Energieeffizienzmaßnahmen in den typischen Gebietstypologien verbunden sind. Die jeweiligen Werte sind zueinander ins Verhältnis zu setzen, um die kostenoptimale Strategie zu ermitteln. Hierbei kann es zu relevanten Unterschieden in verschiedenen Stadtvierteln kommen. In den bereits von Wärmenetzen erschlossenen Gebieten kann es beispielsweise am kostengünstigsten sein, auf eine Vollversorgung aus erneuerbarer Fernwärme zu setzen und lediglich moderate Effizienzverbesserungen anzustreben. In locker bebauten Gebieten könnte hingegen eine vornehmlich auf Effizienz zielende Strategie am effizientesten sein. In Dänemark ist die Wärmeplanung seit langem eine gesetzlich verankerte Pflichtaufgabe der Kommunen. Für die vom Wärmenetzen erschlossenen bzw. erschließbaren Stadteile sollte in Hamburg eine solche Planung auf gesamtstädtischer Ebene erfolgen, da die Netzgebiete Bezirksgrenzen überschreiten. Hierauf aufbauend kann dann entschieden werden, welches Sanierungsniveau für die erschlossenen Gebäude angestrebt werden sollte. Für Gebiete, die weder jetzt noch in Zukunft von Wärmenetzen erschlossen werden, kann eine Planung auf bezirklicher Ebene ausreichend und sinnvoll sein. Der oben beschriebene Prozess bedarf einer fachlich fundierten Vorbereitung. Hierfür erscheint es sinnvoll, für Hamburg eine konkrete Modellrechnung vorzunehmen, in der unter Berücksichtigung der hiesigen Bedingungen die jeweiligen Kosten für verschiedene Lösungsansätze zur Schaffung eines langfristig klimaneutralen Gebäudebestandes ermittelt werden. Unter Verwendung realer Daten des Hamburger Gebäudebestands, des Wärmenetzes sowie der Erneuerbare-Energien-Potenziale wird dann analysiert, in welchen Gebieten die Verdichtung bzw. der Ausbau des Wärmenetzes am kosteneffizientesten für die Erreichung der Klimaschutzziele ist. Auf der Grundlage dieser Untersuchungen kann eine integrierte Wärmestrategie im Sinne eines zentralen Gesamtkonzepts für Hamburg diskutiert und entwickelt werden. 44 http://www.hamburg.de/energiewende/waermekataster/ 45 GEWISS-Projekt, https://projektinfos.energiewendebauen.de/projekt/geografisches-waermeinformations-und-simulationssystem/; auf Europäischer Ebene besteht zudem der digitale Wärmeatlas des Projekt Heat Roadmap for Europe, http://www.heatroadmap.eu/peta.php . 19 Zu diesem Diskussionsprozess sollte als Teil eines kulturellen Wandels eingeladen werden, bei dem die Stadt gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft, Versorgern und Verbrauchern eine möglichst breit getragene und somit langfristig verlässliche Strategie für die zukünftige Wärmeversorgung entwickelt. 20 5 Arbeitsthesen für die Transformationsstrategie Im Folgenden werden einige Arbeitsthesen für die Ausgestaltung der Transformationsstrategie zur Diskussion gestellt. Es handelt sich dabei ausdrücklich nicht um den Versuch einer Vorwegnahme der Inhalte der Transformationsstrategie, sondern um vorläufige fachliche Einschätzungen auf der Grundlage von Erfahrungswerten, die näher untersucht und diskutiert werden sollen. Erst auf der Basis weitergehender fachlicher Untersuchungen, insbesondere einer Modellierung des Hamburger Wärmesystems (unter Einbeziehung der regionalen, nationalen und europäischen Energiesystems)46 können belastbare Aussagen getroffen werden, welche sodann die Grundlage für die partizipative Erarbeitung einer Wärmestrategie bilden. Die Arbeitsthesen beziehen sich auf verschiedene Ebenen:  Systemebene: Ausbau der Fernwärme?  Erzeugung  Speicherung  Verteil-Infrastruktur  Vertrieb  Kundenseitige Maßnahmen Neben der grundsätzlichen Fragestellung eines Ausbaus der städtischen Fernwärmeversorgung zulasten dezentraler Versorgungssysteme ist ein technisch-ökologischer Strukturwandel des bestehenden Systems notwendig. Dies betrifft alle Wertschöpfungsstufen von der Erzeugung bis hin zur Optimierung der Abnahmeanlagen bei den Endverbrauchern. Abbildung 5: Technisch-ökologischer Strukturwandel im Fernwärmesystem 46 Vgl. etwa ZSW u.a. (2017): Energie- und Klimaschutzziele 2030 für Baden-Württemberg; s. auch die bereits oben zitierte Modellierung des Fraunhofer ISE für Frankfurt sowie die Modellierungen für dänische Großstädte durch die Universität Aalborg. 21 5.1 Wärmesystem: Ausbau der Fernwärme? Auf der Systemebene ist die allen operativen Überlegungen zur Systemtransformation vorgelagerte Frage zu klären, in wie vielen Bereichen der Stadt in Zukunft die Fernwärmeversorgung die kostenoptimale Option zur Erreichung eines klimaneutralen Gebäudebestandes ist und entsprechend ausgebaut werden sollte. Hierzu werden folgende Thesen formuliert:  Auch langfristig wird – zumindest im verdichteten Stadtbereich, in dem bereits Fernwärme liegt - ein hinreichend relevanter Wärmebedarf vorhanden sein. Dieser könnte deutlich über den bisher vom formulierten Zielen des Hamburger Klimaschutzplans für den Gebäudebestand im Jahr 2050 liegen.  Dezentral an Gebäuden betriebene (Luft-/Wasser- oder Wasser-/Wasser-)Wärmepumpen auf Basis von Grünstrom in Kombination mit Solarthermie stellen voraussichtlich die wichtigste Alternative zu einer netzgebundenen Wärmeversorgung dar, um einen hohen Anteil Erneuerbarer Energien in der Wärmeversorgung zu erreichen. Demgegenüber werden andere Technologien zur dezentralen Nutzung von Erneuerbaren Energien voraussichtlich nicht in der Breite zum Einsatz kommen. Dies gilt insbesondere für Stromdirektheizungen, 47 die Verbrennung von synthetischem Erdgas48 oder Biogas sowie feste Biomasse in Heizungsanlagen.  Problematisch an einer weitgehenden Elektrifizierung der dezentralen Wärmeerzeugung ist die drastisch steigende Stromnachfrage. Es steht in Frage, ob es eine ausreichende Akzeptanz für die erforderliche Vervielfachung der Erzeugungsleistung von Strom aus Windkraftanlagen besteht und ob in absehbarer Zeit hinreichend günstige Strom-Langzeitspeicher verfügbar sind. Demgegenüber steht Wärme lokal in erheblichem Umfang zur Verfügung und kann auch saisonal kostengünstig gespeichert werden. Es muss im Einzelnen näher untersucht werden, in welchem Umfang das notwendige erneuerbare Strompotenzial zur Verfügung steht und der Einsatz dezentraler Wärmepumpen im (nord-)deutschen Energiesystem kosteneffizient ist.  Die Kosten für eine dezentrale Nutzung der Erneuerbaren Energien sind strukturell spezifisch höher als bei einer großtechnischen Erzeugung im Multi-Megawatt-Bereich (Abwärme, Tiefe Geothermie, Großwärmepumpen, große Solarthermie). Dem stehen jedoch bei netzgebundener Wärmeversorgung Kosten durch Wärmeverluste bei der Übertragung sowie ggf. Investitionskosten in das Wärmenetz gegenüber. 47 Stromdirektheizungen (Nachtspeicherheizungen) weisen zwar den Vorteil auf, dass sie mit einer vorhandenen Infrastruktur betrieben werden können; sie stellen aufgrund ihrer Ineffizienz im Vergleich zu Wärmepumpen sowie wegen der hohen Kosten für das Energiesystem und für Mieterinnen und Mieter jedoch auch mittelfristig keine geeignete Alternative für eine dezentrale erneuerbare Wärmeversorgung dar, vgl. näher: https://www.oeko.de/oekodoc/1498/2012-067-de.pdf. 48 Diese Variante hätte den Vorteil der Nutzung einer vorhandenen Verteil-, Speicher- und Nutzungsinfrastruktur, allerdings sind wegen Verluste auf der Übertragungskette die spezifischen Kosten hoch. Die Nutzung von synthetischem Erdgas dürfte daher entsprechend vieler Szenarien vor allem in anderen Bereichen des Energiesystems erfolgen, für die bislang kaum erneuerbare Erzeugungsoptionen zur Verfügung stehen (Schwerlastverkehr, Luftfahrt, Schifffahrt, ggf. Erzeugung von Strom in der Spitzenlast). 22  In den bereits heute vom Wärmenetz erschlossenen Gebieten dürften die Skaleneffekte bei zentraler Nutzung der Erneuerbaren Energien die ökonomischen Nachteile der Wärmenetze meist übersteigen.  Aus ökonomischer Sicht dürfte eine hohe Verdichtung des bestehenden Fernwärmenetzes sinnvoll sein, sofern das Fernwärmenetz zukünftig mit kohlenstoffarmen Brennstoffen und Erneuerbaren Energien betrieben wird. Insbesondere hoch verdichtete Stadtteile mit einem lockeren Fernwärmenetz wie z.B. Ottensen sind hierfür gut geeignet.  In den noch nicht vom Wärmenetz erschlossenen Gebieten muss stadtteilspezifisch analysiert werden, ob eine Ausdehnung des Wärmenetzes aus kommunaler Perspektive sinnvoll und wirtschaftlich ist. Eine Netzerweiterung ist aufgrund der hohen Investitionen in neue Wärmenetze ökonomisch dabei noch anspruchsvoller als die Verdichtung eines vorhandenen Wärmenetzes, wurde jedoch in der Vergangenheit auch in Hamburg und vielen anderen Städten erfolgreich praktiziert. Insbesondere in Skandinavien und Osteuropa werden in den meisten Großstädten anteilig deutlich mehr Gebäude von Fernwärmenetzen versorgt, darunter auch Gebiete mit lockerer Bebauung wie sie in Hamburg z.B. in den Elbvororten anzutreffen ist.  Auch die Hamburger Stadtviertel entlang der bestehenden Fernwärmetrasse von Wedel in die Innenstadt sowie die Stadt Wedel und Schenefeld sollten daher als potenzielles Fernwärme-Erweiterungsgebiet überprüft werden.  Die Erweiterung und Verdichtung des Fernwärmenetzes ist notwendigerweise ein Prozess, den die jeweilige Kommune steuern muss. Ohne eine aktive Steuerung und Unterstützung durch die Stadt entsteht nicht die erforderliche Investitionssicherheit für langfristige Investitionen in die Netz-Infrastruktur.  Die Erarbeitung einer Hamburger Wärmestrategie hat unmittelbare Auswirkungen auf den Ertragswert des Fernwärmenetzes und damit die Umsetzung des Volksentscheides. Entschließt sich die Stadt zu einer konsequenten Ausbaustrategie für die Fernwärme und hinterlegt dies durch entsprechende politische Unterstützungsmaßnahmen, steigt der Wert des Fernwärmeversorgungssystems signifikant.  Im Zuge der Erstellung einer Wärme-Transformationsstrategie sollten vom Senat bislang formulierten Ziele für den Bedarf an Energie für Heizung und Warmwasser evaluiert werden. Die bisherigen Ziele erscheinen für solche Siedlungsbereiche angemessen, die auch zukünftig nicht von Wärmenetzen auf Basis erneuerbarer Energien erschlossen werden. Für zukünftig von solchen Wärmenetzen erschlossene Gebiete dürfte es hingegen sinnvoll sein, ein weniger strenges Effizienzziel zu formulieren.49  Eine deutliche Verdichtung und Ausweitung des vorhandenen Wärmenetzes und dessen Umstellung auf erneuerbare Energien bietet voraussichtlich das Potenzial, die Kosten für die Wohnungswirtschaft, die Mieterinnen und Mieter sowie die für die an die Fernwärme 49 Nochmals sei darauf hingewiesen, dass ein Nachlassen der Sanierungsanstrengungen gegenüber dem Status quo nicht sinnvoll wäre; es bleibt vielmehr auch in den zukünftig von einem weitgehend mit erneuerbaren Energien aus einem Wärmenetz versorgten Gebieten eine Steigerung der Anstrengungen im Bereich der Gebäude-Energieeffizienz nötig. 23 angeschlossenen Unternehmen bei der Erreichung der Klimaschutzziele des Senats zu minimieren. 5.2 Erzeugung  Ein Fernwärmenetz verfügt als Infrastruktur über die Möglichkeiten, verschiedenartige Wärmeströme aus unterschiedlichen Quellen in das System zu integrieren und zum Verbraucher zu leiten. Neben den heute noch vorherrschenden Wärmeströmen aus fossilen Brennstoffen können auf diese Art kostengünstig und flexibel auch Wärmeströme aus Erneuerbaren Energien integriert werden. Das Wärmenetz ermöglicht auch die Nutzung von Anwendungen mit hohen thermischen Leistungen wie etwa Tiefen-Geothermie oder Industrieabwärme. Abbildung 6: Wärmenetz zur Integration verschiedener Wärmeströme  Einige Möglichkeiten zur Integration Erneuerbarer Energien und Industrieabwärme in das Hamburger Fernwärmenetz werden in einem Gutachten50 des Hamburg Instituts dargelegt.  Mit der von der BUE befürworteten Realisierung der Elemente Klärwerks- Großwärmepumpe, Aquifer-Saisonalwärmespeicher, Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm, Zentrum für Ressourcen und Energie Stellingen, Industrie-Abwärme Trimet/Arcelor/Aurubis würde ein erster, großer Schritt zur Dekarbonisierung des Fernwärmenetzes vollzogen werden, der auch im internationalen Maßstab neue Impulse für den Fernwärmesektor setzt.  Vattenfall hat im Rahmen der Realisierung der „Süd-Lösung“ eine Anbindung des Kohlekraftwerks Moorburg an die geplante Rohrtrasse unter der Elbe ins Spiel gebracht. Bei 50 Hamburg Institut, Erneuerbare Energien im Fernwärmenetz Hamburg, 2016. 24 der Entscheidung hierüber sollte eine umfassende Bewertung der Vor- und Nachteile einer solchen Lösung aus ökologischer, energiewirtschaftlicher und ökonomischer Sicht für die langfristige Wärmestrategie der Stadt erfolgen. Dabei sind – neben dem Vergleich der aktuell kalkulierten Wärmegestehungskosten aus den verschiedenen Erzeugungsanlagen - auch folgende Aspekte zu berücksichtigen:  Die Klimafreundlichkeit der Fernwärme hängt in erster Linie von den eingesetzten Brennstoff ab. Fernwärme, die auf Kohle basiert, ist trotz des Einsatzes von Kraft-Wärme-Kopplung nach der amtlichen, vom Bund und den Ländern verwendeten Bilanzierungsmethode klimaschädlicher als eine dezentrale Gasheizung. Bei Verwendung von anderen Bilanzierungsmethoden – die insbesondere von Seiten der Fernwärmeversorger verwendet werden - werden jedoch hiervon abweichende Ergebnisse erzielt.  Die aktuell wichtigste Maßnahme zur Dekarbonisierung der Hamburger Fernwärmeerzeugung ist der Ersatz des Brennstoffs Kohle durch Erdgas und Erneuerbare Energien. Im Ergebnis kann die Klimabelastung je kWh Wärme mit der Substitution von Kohle durch Erdgas etwa halbiert werden, mit Erneuerbaren Energien ist eine noch stärkere Reduzierung möglich. Auch hier hängt die genaue Beurteilung jedoch von der Wahl der Bilanzierungsmethode ab. Bei der Kalkulation der notwendigen Erzeugungskapazitäten im Fernwärmesystem sollte geprüft werden, inwieweit zukünftig unter Nutzung moderner IT und Steuerungstechnik auf (spezifisch besonders teure) Spitzenlast-Kapazitäten durch kundenseitige Maßnahmen verzichtet werden kann. Hierbei rückt die Fähigkeit der Gebäude zur Speicherung von Wärme in den Fokus: Durch eine zentrale Steuerung der gebäudeseitigen Einstellungen zur Wärmeabnahme in der Nacht und am Morgen können morgendliche Lastspitzen vermieden werden.  Eine weitgehende Abhängigkeit der Fernwärmeproduktion von Kohlekraftwerken ist für die Versorgungs- und Kostensicherheit nicht unproblematisch: Die Wirtschaftlichkeit von Kohlekraftwerken hängt maßgeblich von den Rahmenbedingungen auf den Märkten für Strom und Treibhausgasemissionen ab. Einnahmen aus der Fernwärmeproduktion sind demgegen-über untergeordnet. Die Preisentwicklung auf beiden Märkten ist maßgeblich politisch bestimmt und nur schwer prognostizierbar. Sofern etwa aufgrund steigender CO2-Preise und dauerhaft niedriger Strompreise der Betrieb von Kohlekraftwerken unwirtschaftlich wird, steht auch die Produktion von Fernwärme in diesen Kraftwerken in Frage.  Besondere Relevanz hat dabei die im Februar 2018 von der EU beschlossene Reform des Emissionshandels.51 Auf Seiten der an der Reform beteiligten EU-Parlamentarier wird von einem Anstieg des Zertifikatepreises auf 35 Euro/t in den 2020ern ausgegangen.52 Tritt dies so ein, ist Fernwärme aus Kohlekraftwerken mit sehr hohen Kosten verbunden. Bei einem derartigen CO2-Preisniveau kommen (unter der Annahme stabiler Brennstoffpreise) selbst 51 https://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/news/reform-des-eu-emissionssystems-nimmt-letzte-huerde/ 52 https://www.wiwo.de/technologie/green/analysten-erwarten-preisanstieg-eu-parlament-stimmt-fuer-reform-des-co2-emissionshandels/20932952.html Andere Einschätzungen sind etwas zurückhaltender, gehen aber ebenfalls von einem deutlichen Anstieg der Zertifikatepreise aus http://www.fr.de/wirtschaft/emissionshandel-preis-fuer-co2-ausstoss-wird-steigen-a-1384084. 25 moderne Kohlekraftwerke aufgrund zu hoher variabler Kosten in der Merit Order nur noch selten auf dem Strommarkt zum Einsatz.53 Um überhaupt noch Fernwärme liefern zu können, müssten die Fernwärmekunden an den Kraftwerksbetreiber die Differenz zu den nicht auskömmlichen Einnahmen aus dem Stromverkauf bezahlen. (Da dies zu exzessiv hohen Wärmepreisen führen würde, ist in der Praxis eher damit zu rechnen, dass die Fernwärme über einen neu zu installierenden Gaskessel am Kraftwerksstandort produziert würde.)  Auch die von der Großen Koalition geplante Verdoppelung des Anteils Erneuerbarer Energien am deutschen Strommix auf 65% bis zum Jahr 2030 wird notwendigerweise zu deutlich geringeren Einsatzzeiten des Kraftwerks Moorburg führen. Die hierfür erforderlichen Kapazitäten an Wind- und Photovoltaikanlagen werden aufgrund ihres Einspeisevorrangs in wind- oder sonnenreichen Jahreszeiten fossile Kraftwerke fast vollständig vom Strommarkt verdrängen. Fossile Kraftwerke kommen dann nur noch zu den Zeiten zum Einsatz, wenn die Wind- und Solaranlagen keinen oder wenig Strom liefern.  Beide politisch beschlossenen Entwicklungen zusammen (1. weniger Einsatzstunden fossiler Kraftwerke durch höheren EE-Anteil, 2. Verschiebung der Merit Order innerhalb der fossilen Kraftwerke zulasten von Steinkohlekraftwerken) führen zu einem hohen Liefer- und Kostenrisiko bei einer Einspeisung von Fernwärme aus dem Kraftwerk Moorburg.  Über diese Risiken hinaus, wirkt sich ein Ansteigen des CO2-Preises aufgrund der von VWH verwendeten Preisgleitklausel unmittelbar preissteigernd auch auf den Endkunden-Fernwärmepreis aus.54 Hierbei gelangen zwingend die oben genannten amtlichen Bilanzierungsmethoden zum Einsatz, d.h. die CO2-Fracht wird zu einem Großteil der Wärmeproduktion angelastet. Die hieraus resultierenden Kostenrisiken für die privaten und gewerblichen Fernwärmenutzer sollten quantifiziert werden, jedoch dürften die unmittelbaren Auswirkungen überschaubar bleiben und sind gegenüber den zuvor beschriebenen generellen Liefer- und Kostenrisiken nachrangig.  Noch deutlichere ökonomische Nachteile für Mieterinnen und Mieter sowie gewerbliche Fernwärmekunden könnten sich aufgrund absehbarer Entwicklungen beim Primärenergiefaktor ergeben. Der in der EnEV regulierte Primärenergiefaktor determiniert maßgeblich, wie hoch die Wärmeschutzanforderungen beim Neubau und bei der grundlegenden Sanierung von Gebäuden sind. Ein niedriger Primärenergiefaktor entlastet die Fernwärmenutzer, ein hoher Primärenergiefaktor führt zu höheren Wärmeschutz-anforderungen. Sofern im relevanten Umfang Kohle für die Fernwärme zum Einsatz kommt, kann dies mittelbar Folgekosten auf Seiten der Wohnungswirtschaft und damit für die Mieterinnen und Mieter induzieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die aktuelle Gleichstellung der Brennstoffe Erdgas, Kohle und Erdöl trotz der gravierenden Unterschiede im Hinblick auf die CO2-Emissionen bereits lange umstritten ist und voraussichtlich nicht auf Dauer Bestand haben wird. Die höheren Treibhausgasemissionen von Fernwärme aus Kohle-KWK werden sich daher voraussichtlich in einem höheren Primärenergiefaktor niederschlagen. Diese Kostenrisiken für die Wohnungswirtschaft und die Fernwärmenutzer sollten in verschiedenen Szenarien untersucht und quantifiziert werden. 53 Vgl. hierzu näher Hecking/Cam/Schönfisch/Schulte, Aktuelle Entwicklungen auf den Kohle- und Gasmärkten und ihre Rückwirkungen auf die Merit Order, energiewirtschaftliche tagesfragen 6/2017, S. 34ff. 54 Vgl. hierzu näher Hamburg Institut, Fernwärme und Verbraucher

Julian Kuntze2023-03-22T11:50:53+01:00Freitag, 1. Dezember, 2017|

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Julian Kuntze2023-03-22T11:50:53+01:00Sonntag, 1. Januar, 2017|

Erneuerbare Energien im Fernwärmenetz Hamburg I

1 Erneuerbare Energien im Fernwärmenetz Hamburg Teil 2: Transformationsstrategie Fernwärme Stand: 22. Dezember 2017 Christian Maaß (Autor) Dr. Matthias Sandrock (Projektleiter) 2 Inhalt 1 Aufgabenstellung............................................................................................................................. 3 2 Rahmenbedingungen der Transformation: Die Wärmeversorgung der Hamburger Gebäude ..... 5 2.1 Der Gebäudebestand .............................................................................................................. 5 2.2 Die Gebäude-Wärmeversorgung............................................................................................. 6 2.3 Das Fernwärmenetz ................................................................................................................ 8 2.4 Die Fernwärme-Erzeugung .................................................................................................... 10 2.5 Schlussfolgerungen................................................................................................................ 11 3 Ziele der Transformationsstrategie ............................................................................................... 12 3.1 Umsetzung des Volksentscheids ........................................................................................... 12 3.2 Klima- und Ressourcenschutz ................................................................................................ 13 3.3 Versorgungssicherheit ........................................................................................................... 14 3.4 Sozialverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Kostensicherheit ............................................. 15 3.5 Investitionssicherheit ............................................................................................................ 15 3.6 Effiziente und flexible Infrastrukturen .................................................................................. 15 3.7 Regionale Wertschöpfung ..................................................................................................... 16 3.8 Angemessene Berücksichtigung von Verbraucherinteressen ............................................... 16 3.9 Bürgerbeteiligung .................................................................................................................. 16 4 Der Weg zur Transformationsstrategie ......................................................................................... 17 5 Arbeitsthesen für die Transformationsstrategie ........................................................................... 20 5.1 Wärmesystem: Ausbau der Fernwärme? .............................................................................. 21 5.2 Erzeugung .............................................................................................................................. 23 5.3 Verteilung .............................................................................................................................. 28 5.4 Speicherung ........................................................................................................................... 30 5.5 Vertrieb.................................................................................................................................. 30 5.6 Kundenseitige Optimierung .................................................................................................. 32 6 Übersichten ................................................................................................................................... 34 7 Literaturverzeichnis ....................................................................................................................... 36 3 1 Aufgabenstellung Im Rahmen der Beauftragung einer Strategie zur Steigerung des Einsatzes Erneuerbarer Energien in der Fernwärme ist das Hamburg Institut neben den Lösungsansätzen zum Ersatz des HKW Wedel auch mit der Erstellung einer langfristigen Transformationsstrategie für die Hamburger Fernwärme beauftragt worden. Fernwärmenetze haben das Potenzial, die Klimaschutzziele im Gebäudesektor besonders kostengünstig zu erreichen, da sie die großtechnische Erschließung von erneuerbaren Energien ermöglichen. Sie sind ein potenzielles Schlüsselelement für eine sozialverträgliche Umsetzung der Energiewende im Wohnungssektor. Derzeit ist die Hamburger Fernwärme jedoch durch fossile Energien geprägt und in dieser Form nicht nachhaltig. Der Senator für Umwelt und Energie hat das Ziel ausgerufen, bis Mitte der 2020er Jahre die Hamburger Fernwärme ohne den besonders klimaschädlichen Brennstoff Kohle betreiben zu können. Neben der Aufgabe, die aktuell im Kohle-Heizkraftwerk Wedel produzierte Wärme klimafreundlich zu ersetzen, gerät damit die noch schwierigere Aufgabe in den Fokus, die Wärme aus dem größten Heizkraftwerk der Stadt in Tiefstack zu ersetzen. Dieses ist für die Produktion von etwa 2/3 der Hamburger Fernwärme verantwortlich. Eine Umstellung der Fernwärmeproduktion von Kohle auf Erdgas bringt zwar kurzfristig erhebliche Minderungen der CO2-Emissionen, bietet jedoch keine dauerhaft tragfähige Perspektive: Die Europäische Union, die Bundesregierung und der Senat verfolgen das Ziel, bis zum Jahr 2050 den Gebäudebestand weitgehend klimaneutral mit Energie zu versorgen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn sowohl in der Fernwärmeversorgung als auch in der dezentralen Gebäudebeheizung nicht nur auf Kohle verzichtet wird, sondern weitestgehend auch auf Erdgas und Erdöl. Die Aufgabe, die Wärmeversorgung innerhalb von rund 30 Jahren grundlegend zu verändern, erfordert einen tiefgreifenden technologischen Wandel des Energiesystems. Ein solcher tiefgreifender Veränderungsprozess kann nur innerhalb eines von der Politik vorgegebenen kohärenten, rechtlich-wirtschaftlichen Rahmens zum Erfolg geführt werden. Die Ausrichtung des Transformationsprozesses für die Fernwärme hängt dabei stark von den Entwicklungen des Energiesystems im Stromsektor sowie bei der Entwicklung des Energiebedarfs im Gebäudesektor ab. Die Transformationsstrategie für die Fernwärme kann daher nicht losgelöst von den Entwicklungen und Zielen in diesen Sektoren entwickelt werden. Der Fernwärme-Transformationsprozess muss daher in eine gesamtstädtische langfristige Strategie für die Wärmeversorgung eingebettet werden, welche wiederum mit den Entwicklungen der Energiewende auf bundesdeutscher und europäischer Ebene rückgekoppelt werden muss. Dabei müssen verschiedene Weichenstellungen vorgenommen werden. Diese betreffen vor allem die zukünftige Rollen der netzgebundenen Wärmeversorgung und der dezentralen Wärmeerzeugung auf Gebäudeebene – aber auch die Rolle der Energieeffizienz. Erst wenn hinreichender Sicherheit abgeschätzt werden kann, in welchen Bereichen der Stadt auch in Zukunft ein hinreichend hoher Wärmebedarf vorhanden sein wird und inwieweit dieser nicht dezentral oder durch Strom gedeckt wird, kann sinnvoll über den Aus- und Umbau der Fernwärme diskutiert werden. Erst nachdem diese grundlegenden Fragen nach der zukünftigen Rolle der Fernwärme in Hamburg geklärt sind, können die sich hieran anschließenden operativen Fragen des technologischen Strukturwandels abschließend beantwortet werden. Hierzu gehören insbesondere die Fragen nach 4 der zukünftigen Erzeugung der erneuerbaren Fernwärme, dem nötigen Umbau der Wärmenetz-Infrastruktur und der kundenseitigen Anlagen.1 Die Beantwortung der Frage nach der grundlegenden Rolle der Fernwärme und der daraus folgenden operativen Fragen kann nicht in diesem Kurzgutachten erfolgen, sondern muss einem umfassenden Klärungsprozess überlassen bleiben. Dieser Klärungsprozess geht weit über rein fachliche Fragen hinaus und erfordert eine Reihe weitgehender politisch-gesellschaftliche Entscheidungen. Wir verstehen die Aufgabe der Entwicklung einer Transformationsstrategie Fernwärme daher auch als Frage nach der Entwicklung eines übergeordneten Klärungsprozesses, der es der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) ermöglicht, die zukünftige Rolle der Fernwärme zu definieren und hierauf aufbauend den notwendigen technisch-ökologischen Strukturwandel in der Hamburger Wärmeversorgung initiieren und steuern zu können. In Vorbereitung eines solchen Klärungsprozesses werden in dieser Kurzstudie Arbeitsthesen aufgestellt, in welche Richtung der Transformationspfad der Hamburger Wärmeversorgung und des Fernwärmesystems aus Sicht des Hamburg Instituts aus heutiger Sicht gesteuert werden sollte. Diese Thesen sind nicht als Vorwegnahme des Klärungsprozesses gedacht, sondern sollen in einem solchen Prozess zur Diskussion gestellt werden. Vor diesem Hintergrund ist das Ziel dieses Papiers, herauszuarbeiten,  von welcher die energie- und wohnungswirtschaftliche Ausgangssituation der Transformationsprozess ausgeht (unten 2.),  welche Rahmenbedingungen und Leitlinien für den dargelegten gesamtstädtischen planungs- und Klärungsprozess zu beachten sind (3.),  wie der Planungsprozess ausgestaltet werden könnte (4.),  welche inhaltlichen Arbeitsthesen zur zukünftigen Transformation der Fernwärme aus Sicht der Gutachter dem Planungsprozess zugrunde gelegt werden sollten (5.); die sich hieraus ergebenden Ansätze werden in zwei zusammenfassenden Übersichten dargestellt (6.). 1 Einige der im Auftrag des BUND Hamburg erarbeiteten Aspekte aus den Gutachten von LBD / Hamburg Institut „Rekommunalisierung der Hamburger Fernwärmeversorgung“ (http://www.hamburg-institut.com/images/pdf/studien/BUND%20Fernwaerme%20Hamburg_Endstand.pdf , 2013) sowie „Ökologisch-soziale Wärmepolitik für Hamburg“ (http://www.hamburg-institut.com/images/pdf/studien/150529_oekologisch-soziale_Waerme_BUND_HH.pdf, 2013) werden im Folgenden punktuell aufgegriffen und weiterentwickelt. 5 2 Rahmenbedingungen der Transformation: Die Wärmeversorgung der Hamburger Gebäude 2.1 Der Gebäudebestand Die beheizte Gebäudefläche in Hamburg beträgt insgesamt ca. 125 Mio. m². Davon entfallen etwas mehr als die Hälfte (64 Mio. m²) auf Wohngebäude. Darunter sind 30 Mio. m² große Mehrfamilienhäuser und je etwa 17 Mio. m² kleine Mehrfamilienhäuser und Einfamilienhäuser. Bei den Nicht-Wohngebäuden entfallen 50 Mio. m² auf große Immobilien (> 1.000 m²).2 Im Jahr 2010 bestand ein Gebäudewärmedarf von knapp 15 Mio. MWh/a. Etwa ein Drittel davon entfiel auf große Nichtwohngebäude, jeweils etwa 20% wurden in Einfamilienhäusern und großen Mehrfamilienhäusern benötigt. Gebäudeart Heizwärme- und Warmwasserbedarf 2010 [MWh/a] Einfamilienhaus 3.185.888 Mehrfamilienhaus klein 2.085.352 Mehrfamilienhaus groß 3.210.674 Nichtwohngebäude klein (1.000 m²) 4.935.547 Summe 14.916.601 Tabelle 1: Wärmebedarf für Wohn- und Nichtwohngebäude in Hamburg 20103 Der Energiekennwert für Wohngebäude liegt im Durchschnitt bei rund 140 kWh/m2/a, wobei es zwischen den Bezirken erhebliche Unterschiede gibt.4 Ursächlich hierfür sind zwei Faktoren: Je höher der Anteil von Ein- und Zweifamilienhäusern ist, desto höher ist der spezifische Wärmebedarf. Hingegen führt ein hoher Anteil von neuen Gebäuden zu spezifisch niedrigeren Wärmebedarfen. Die bisherige jährliche Sanierungsrate in Hamburg beträgt laut Schätzungen von Ecofys (2010) bei rund 1% Vollsanierungen sowie 0,8% Teilsanierungen p.a.5 Die FHH nennt in der Drucksache 20/11772 eine Sanierungsquote von 1,2 %.6 Der Hamburger Senat strebt für den Gebäudesektor bis zum Jahr 2050 einen jährlichen Endenergiebedarf (Heizung und Warmwasser) bei bestehenden Mehrfamilienhäusern im Bestand von durchschnittlich 40–45 kWh/m² und bei Einfamilienhäusern von 45–55 kWh/m² an.7 Bei Nichtwohngebäuden wird eine Minderung des Wärmebedarfs um 50 Prozent angestrebt. 2 Vgl. Ecofys (2010), S. 33. 3 Nach Ecofys (2010), S. 38. 4 Vgl. Ecofys (2014), S. 19. 5 Vgl. Ecofys (2010), S. 37. 6 kritisch hierzu Rabenstein (2014), S. 18. 7 Hamburger Klimaplan, Bürgerschaftsdrucksache 21/2521, S. 3 und 8. 6 Die somit angestrebte Reduzierung des spezifischen Wärmebeddarfs der Gebäude um etwa 2/3 wird mit dem bestehenden Sanierungstempo drastisch verfehlt werden. Es erscheint zunehmend zweifelhaft, ob die zur Zielerreichung nötige Vervielfachung der Sanierngstiefe und –geschwindigkeit realistisch ist: Bislang sind hierfür weder die erforderlichen politischen Instrumente noch die erforderlichen finanziellen Ressourcen erkennbar. Ohne ein – bislang nicht erkennbares – ganz erhebliches Umsteuern zur Veränderung der Rahmenbedingungen auf Bundes- und Landesebene läuft der bestehende Entwicklungstrend auf eine quantitativ deutlich signifikante Nichterfüllung der Effizienzziele im Gebäudebereich hinaus. Gleichzeitig wächst der Gebäudebestand durch neue Gebäude, insbesondere zur Bereitstellung der vom Senat angestrebten 10.000 neuen Wohnngen pro Jahr, jedoch auch im Bereich der Nicht-Wohngebäude. Trotz steigender Anforderungen an die Energieeffizienz weisen diese Gebäude nach wie vor einen relevanten Energiebedarf auf, der noch immer überwiegend durch fossile Brennstoffe gedeckt wird. Nicht immer wird auch bei den heute neu gebauten Gebäuden der für 2050 angestrebte niedrige Wärmebedarf gedeckt – eine energetische Sanierung dieser neu gebauten Gebäude innerhalb der nächsten Jahrzehnte ist gleichwohl nicht zu erwarten. 2.2 Die Gebäude--Wärmeversorgung Die Bereitstellung von Raumwärme und Warmwasser bildet mit Abstand den größten Teil des Energiemarktes in Hamburg: 8 Von ca. 48 TWh Endenergie, die im Jahr 2015 in Hamburg verbraucht wurden, entfielen etwa 19,12 TWh (ca. 40%) auf den Wärmebereich. Dabei wurden 12,1 TWh Erdgas, 2,5 TWh Heizöl und 4,3 TWh Fernwärme verbraucht. Etwas weniger als die Hälfte der Gesamtwärmemenge wurde in den Hamburger Haushalten verbraucht. Die Wärmeenergie für Prozesswärme in Betrieben sowie die Versorgung von gewerblich genutzten Gebäuden ist daher ebenso bedeutsam wie die Versorgung von Wohngebäuden. Prozessenergie hat meist jedoch höhere Anforderungen an das Temperaturniveau als mit der regulären Fernwärme über Warmwassernetze bereitgestellt werden kann, so dass dieser Teil gesondert betrachtet werden muss und im Rahmen dieses Kurzgutachtens nicht weiter untersucht werden kann. Für die Haushalte beansprucht Wärme mit über 70% (2011) den mit Abstand größten Teil des Energieverbrauchs.9 Bei der Beheizung und Warmwasser-Bereitstellung für Wohngebäude dominieren fossile Energien: Hier entfielen 5,6 TWh auf Erdgas, 1,6 TWh auf Heizöl und 2,2 TWh auf Fernwärme. Auch in der CO2-Bilanz schlägt sich der Wärmesektor stark nieder: Im Jahr 2015 wurden in Hamburg energiebedingt ca. 17,3 Mio. t CO2 ausgestoßen, etwa ein Drittel entfällt auf den Wärmebereich. Es wurden etwa 2,8 Mio. t CO2 durch den Einsatz von Erdgas emittiert. 1,5 Mio. t entfallen auf die Fernwärme und etwa 0,6 Mio. t auf Heizöl. Im Jahr 2015 war Wärme für mehr als die Hälfte der auf Haushaltsebene entstehenden CO2-Emissionen verantwortlich.10 8 Zum Folgenden: Energiebilanz und CO2-Bilanzen für Hamburg 2015, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (2017). 9 Vgl. Arrhenius (2010), S. 13ff. 10 Vgl. Energiebilanz und CO2-Bilanzen für Hamburg 2015, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (2017). 7 Abbildung 1: Anteile der Energieträger an der CO2-Bilanz 2015 von Haushalten, Gewerbe, Handel, Dienstleistungen und übrigen Verbrauchern (ohne Stromverbrauch, ohne Verkehr, ohne Industrie), Daten nach 11 11 Energiebilanz und CO2-Bilanzen für Hamburg 2015, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (2017). Kohle 0,3% Gase 48,1% Mineralöl 17,1% Fernwärme 34,5% CO2-Bilanz Hamburg 2015 Wärmeanwendungen Haushalte /GHD 8 2.3 Das Fernwärmenetz Die Fernwärmeversorger liefern etwa 25% des Hamburger Wärmebedarfs für Wohn- und Nichtwohngebäude,12 während drei Viertel des Wärmebedarfs über erdgas- und heizölbefeuerte Zentralheizungen gedeckt werden. Im bundesdeutschen Vergleich der Großstädte dürfte dies eine ansehnlicher Marktanteil sein, im Vergleich zu skandinavischen Großstädten ist dieser Wert hingegen niedrig.13 Das von Vattenfall Wärme Hamburg (VWH) betriebene Fernwärmenetz ist mit mehr als 450.000 angeschlossenen Nutzeinheiten das zweitgrößte Fernwärmenetz Deutschlands. Abbildung 2: Fernwärmenetzkarte VWH (Ausschnitt)14 Daneben existieren zahlreiche, teilweise deutlich kleinere Wärmenetze in Hamburg. Einige dieser Wärmenetze gehören ebenfalls der VWH, die nächstgrößeren Wärmenetze im Hamburger Nordosten und Nordwesten gehören zum e.on-Konzern (Hansewerk Natur). Die Transformation dieser Wärmenetze ist jedoch nicht Gegenstand dieses Gutachtens, welches sich vornehmlich auf das VWH-Wärmenetz bezieht. Etwa die Hälfte der von Wärmenetzen erschlossenen Gebäude sind Gewerbegebäude, einschließlich der zahlreichen Gebäude im Eigentum FHH (Schulen, Verwaltungsgebäude, Hochschulen, etc.). Nach der Erfassung der Beheizungsstruktur im Rahmen des Mikrozensus 2011 werden in der FHH 12 Vgl. Arrhenius (2010), S. 71. 13 In dänischen und schwedischen Großstädten liegt der Marktanteil der Fernwärme regelmäßig deutlich über 50%, s. Nachweise zu einzelnen Städten unten. 14 http://www.vattenfall.de/de/file/VWH_Netzkarte_Hamburg_26486980.pdf. 9 insgesamt 258.376 Wohnungen mit Fernwärme beheizt.15 Der von der Vattenfall-Fernwärme versorgte Anteil wird auf etwa 200.000 Wohnungen geschätzt.16 Die Fernwärme-Abnahmestruktur ist von einer hohen Wärmedichte geprägt. Der Leistungswert beträgt 4,0 MW je km Trasse, was der zweithöchste Wert im Bundesländervergleich. ist 17 Betrachtet man den Anteil der Gebäude mit Fernwärmeanschluss, ergeben sich je nach Bezirk unterschiedliche Werte, die in Hamburg-Mitte und Hamburg-Nord Werte über 20% aufweisen.18 Diese Werte geben jedoch keinen Aufschluss über den tatsächlichen Anschlussgrad an das Fernwärmenetz in den vom Wärmenetz erschlossenen Gebieten. Aus einigen Quartierskonzepten kann der Rückschluss gezogen werden, dass es innerhalb der vom Fernwärmenetz erschlossenen Gebiete viele Gebäude noch nicht an das Fernwärmenetz angeschlossen sind. Nachgewiesen wurde dies insbesondere in den Quartierskonzepten Eimsbüttel19 und Dulsberg20. In Dulsberg beträgt der Anschlussgrad ca. 65%, in Eimsbüttel hingegen sind im Untersuchungsgebiet ganze Straßenzüge nicht von der Fernwärme versorgt. Des Weiteren gibt es dicht besiedelte Stadteile wie Ottensen, die zwar innerhalb des Fernwärmeversorgungsgebiets liegen, jedoch nur ein leistungsarmes Verteilnetz aufweisen und damit quantitativ relevante zusätzliche potenzielle Wärmesenken für die Fernwärme darstellen. Darüber hinaus liegen in den Randbereichen des Fernwärmenetzes zahlreiche wachsende Stadtteile. Dies betrifft sowohl Stadtteile in der Planungsregion Hamburg-Ost („Stromaufwärts an Elbe und Bille“) wie Rothenburgsort, aber auch andere Stadtteile wie z.B. Lokstedt, Langenfelde, Bahrenfeld, Bramfeld und Alsterdorf, die bislang nicht oder nur rudimentär mit Fernwärme versorgt werden. Es bietet sich an, die in diesen Vierteln geplanten größeren Neubauvorhaben mit Fernwärme zu erschließen. Zur Versorgung dieser Gebiete bedürfte es teilweise jedoch erheblicher Investitionen, die nicht nur die Verlegung neuer Verteilnetze, sondern ggf. auch die Verstärkung der bestehenden Transportnetze erfordern. Im Zuge des seit mehreren Jahrzehnten andauernden Ausbaus des Netzgebietes in die nördlichen Stadtteile sind die ursprünglich für geringere Leistungen ausgelegten Wärmetransportleitungen von den Erzeugungsanlagen bereits stark ausgelastet. Um weitere Verbraucher anschließen zu können, wurde bereits in den 1970er Jahren die Heizwassersystemtemperatur auf 136°C im Vorlauf im Winter erhöht.21 Die weitere Ausdehnung und Verdichtung des Fernwärmenetzes kann daher in einigen Stadteilen nur parallel mit einer Verstärkung der Wärmetransportleitungen erfolgen, wie sie seit einigen Jahren in Altona vorgenommen werden. Hervorzuheben ist ebenfalls, dass die Stadtviertel entlang der Fernwärmetransportleistung von Wedel in die innere Stadt bislang kaum von der Fernwärme versorgt werden. Auch wenn die Wärmedichte in diesen Gebieten in der Regel deutlich geringer ist als in den innerstädtischen Siedlungsbereichen und die spezifischen Kosten für den Aufbau einer netzbasierten Wärmeversorgung damit höher sind, ist der Aufbau von Wärmenetzen eine mittel- bis langfristig 15 https://ergebnisse.zensus2011.de. 16 LBD/Hamburg Institut, S. 20. 17 AGFW-Hauptbericht 2010, Frankfurt 2012 18 Vgl. Ecofys (2014), S. 21ff. 19 http://suche.transparenz.hamburg.de/dataset/energetisches-konzept-fuer-das-quartier-eimsbuettel, S. 37 ff., 66 ff. 20 http://www.hamburg.de/contentblob/4497132/e75c35aa48b70e5225e60f51663c46c7/data/dl-energiekonzept-hamburg-dulsberg.pdf 21 Dieter Dommann: Die Fernwärme- und Fernkälteversorgung in der Freien und Hansestadt Hamburg, Hrsg. HEW 1994, S. 21 ff; Bürgerschaftsdrucksache 19/6387 (Parlamentsdatenbank der Hamburgischen Bürgerschaft) 10 denkbare Option. In vielen skandinavischen Großstädten – beispielsweise Kopenhagen,22 Göteborg23 und Stockholm - werden Stadtviertel mit einer ähnlichen Siedlungsstruktur bereits heute zu moderaten Kosten mit Fernwärme versorgt. 2.4 Die Fernwärme--Erzeugung Die Erzeugung der Fernwärme erfolgt in zwei Heizkraftwerken, fünf Heizwerken und acht Blockheizkraftwerken, 24 wobei jedoch 99% der Wärmearbeit von fünf Anlagen erbracht wird. Die Anteile der Erzeugungsanlagen an der Wärmebereitstellung für das innerstädtische Fernwärmenetz zeigt folgendes Bild: Abbildung 3: Anteile der Fernwärmeerzeugung in Hamburg Quelle: LBD/Hamburg Institut, S. 21. Die Bereitstellung der Vattenfall-Fernwärme basiert somit nur auf wenigen zentralen Anlagen an den Standorten Tiefstack, Wedel sowie den Abfallverbrennungsanlagen im Hamburger Osten. Der Brennstoffeinsatz in der Hamburger Fernwärme ist durch den mit rund 68% sehr hohen Anteil an Steinkohle gekennzeichnet. 25 Durch den als biogen klassifizierten Anteil am Siedlungsabfall (MVB) liegt hier der Anteil erneuerbarer Energien bei etwa 8%.26 Aufbauend auf den Empfehlungen des Gutachtens zum Ersatz des Kraftwerks Wedel27 soll zukünftig Fernwärme überwiegend aus regenerativen Energien und industrieller Abwärme auch am Standort Hafen in relevanten Größenordnungen erzeugt und über eine Anschlussleitung unter der Elbe nach 22 In Kopenhagen werden 55% des gesamten Wärmebedarfs über Fernwärme geliefert, http://www.hofor.dk/wp-content/uploads/2016/09/district_heating_in_cph.pdf. Hierunter sind auch zahlreiche Viertel außerhalb des verdichteten innerstädtischen Bereichs und Vororte außerhalb der Stadtgrenzen mit einer moderaten Siedlungsdichte. 23 https://grist.files.wordpress.com/2010/09/gothenburg,_sweden_i-district_energy_climate_award.pdf, S. 11: 60% aller Einwohner werden mit Fernwärme versorgt, darunter 90% aller Mehrfamilien und Gewerbegebäude sowie 20% der Ein- und Zweifamilienhäuser. 24 http://www.vattenfall.de/de/fernwaerme-fuer-berlin-und-hamburg.htm, Abruf am 1.7.2013 25 Vgl. zum Einsparungspotenzial bei einem Brennstoffwechsel von Kohle zu Erdgas Arrhenius Institut, Basisgutachten zum Masterplan Klimaschutz für Hamburg, 2010,. http://www.hamburg.de/contentblob/4312988/d35ac390ff234478e818023286d2a2b4/data/basisgutachten-masterplan-klimaschutz.pdf 26 LBD/Hamburg Institut, Rekommunalisierung der Hamburger Fernwärmeversorgung, Endfassung vom 5. September 2013, S. 36 f.; nicht berücksichtigt ist hierbei die Industriedampfversorgung im Hafen aus der Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm. 27 Hamburg Institut, Erneuerbare Energien im Fernwärmenetz Hamburg, 2016. HKW Wedel 29% MVB/AVG 20% HKW Tiefstack 36% GuD Tiefstack 12% HKW HafenCity 3% Anteile der Fernwärmeerzeugung 11 Norden geleitet werden. Daneben wird der Standort Stellingen mit verschiedenen Abfallverwertungsanlagen zu einem größeren Standort zur Erzeugung von Fernwärme ausgebaut. 2.5 Schlussfolgerungen  Der Gebäudebestand weist in Hamburg noch immer einen hohen Wärmebedarf auf. Selbst wenn die Sanierungsrate und –tiefe zukünftig gesteigert werden kann, wird – bereits durch den Zubau von neuen Gebäuden innerhalb des Siedlungsbereichs – auch mittel- und langfristig ein hoher Wärmebedarf verbleiben.  Bislang spielen die erneuerbaren Energien sowohl in der dezentralen Wärmeerzeugung als auch im Fernwärmesystem eine nur untergeordnete Rolle.  Die energetische Sanierung der Gebäude und die damit verbundene Verringerung des Fernwärmeabsatzes führen zwar strukturell zu einer Verschlechterung der Wirtschaftlichkeit der Fernwärme, jedoch wird dieser Effekt durch den von der Verbrauchsmenge unabhängigen Grundpreis-Anteil begrenzt. Zudem gibt es innerhalb des Fernwärmeversorgungsgebiets deutliche Potenziale zur Steigerung des Anschlussgrads. Ein Rückgang des spezifischen Wärmebedarfs pro Gebäude kann daher grundsätzlich durch Neuerschließungen und Verdichtung der Fernwärmenetze entgegengewirkt werden.  Zur Realisierung einer höheren Anschlussquote sind jedoch erhebliche Investitionen in neue Leitungen sowie teilweise auch für das Bestandsnetz (Transportleitungen) notwendig.  In den Randbereichen des heutigen Fernwärmenetzes besteht das Potenzial, wachsende Stadteile mit einer hinreichend hohen Wärmedichte neu mit Fernwärme zu erschließen.  Für den Transformationsprozess in Richtung erneuerbarer Energien bedeutet der pro Gebäude sinkende Absatzrückgang sowie die kostenaufwändige Erschließung neuer Stadtteile ein Auslastungs- und Finanzierungsrisiko, welches nur durch eine aktive Steuerung des Transformationsprozesses reduziert werden kann. 12 3 Ziele der Transformationsstrategie Jeder Prozess zur Formulierung einer Strategie zur Transformation der Fernwärme muss sich am Anfang die Frage stellen, was mit dem Prozess bewirkt werden soll. Die Zieldefinition des Transformationsprozesses ist dabei keine einfache Aufgabe: Neben dem primären Ziel einer Umstellung der Fernwärme auf Erneuerbare Energien gilt es eine Reihe weiterer gesellschaftlicher Anforderungen an die zukünftige Wärmeversorgung zu berücksichtigen. Eine große Herausforderung besteht darin, den Transformationsprozess der urbanen Wärmeversorgung zu erneuerbaren Energien in die grundlegenden Ziele einer vorausschauenden kommunalen Wärmepolitik zu integrieren. Dabei müssen verschiedene energiewirtschaftliche und kommunalpolitische Ziele miteinander in Einklang gebracht werden. Die Gewichtung der teils gegenläufigen Interessen ist wiederum dem vorgeschlagenen gesellschaftlich-politischen Klärungsprozess vorbehalten, der im Anschluss näher dargestellt wird. 3.1 Umsetzung des Volksentscheids Die Verfassungsorgane der FHH sind durch den Volksentscheid daran gebunden, „alle erforderlichen und zulässigen Schritte zu unternehmen, um die Hamburger Strom-, Fernwärme- und Gasleitungsnetze 2015 wieder vollständig in die Öffentliche Hand zu übernehmen. Verbindliches Ziel ist eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien.“ Aus dem Auftrag des Volksentscheides folgt, dass die Energie-Infrastrukturen für eine sozial gerechte und klimaverträgliche Energiepolitik genutzt werden sollen. Während das Strom- und Gasnetz bundesrechtlich stark reguliert sind und dies die Handlungsspielräume dieser Netzbetreiber deutlich einschränkt, verfügen die Eigentümer und Betreiber von Wärmenetzen über weitgehende Autonomie in ihren Entscheidungen zum Umbau der Infrastruktur zur Wärmeerzeugung und –verteilung. Hieraus ergeben sich erhebliche Spielräume für die Bewirtschaftung des Netzes im Sinne der Ziele des Volksentscheides. Die mangelnde Sicherheit im Hinblick auf die Rolle der Fernwärme in der zukünftigen Wärmever-sorgung hat erhebliche Auswirkungen auf den Unternehmenswert der VWH als Betreiber der Fernwärme – und damit auf die Umsetzung des Volksentscheides zur Rekommunalisierung des Fernwärmenetzes. Die Ausübung des vertraglich bestehenden Optionsrechts zum Erwerb der verbleibenden 74,9% VWH-Anteile durch die Stadt wird maßgeblich dadurch in Frage gestellt, dass der hierfür vereinbarte Mindestpreis im Rahmen einer Unternehmensbewertung nicht erreicht werden könnte. Eine klare Ausbaustrategie für die Fernwärme hätte erhebliche Auswirkungen auf die Unternehmens-bewertung. Je unklarer ist, ob der Fernwärmeabsatz in Zukunft stagniert, zurückgeht oder steigt, desto schwieriger wird die Bewertung des Unternehmenswertes. Investoren müssen in einer solchen Situation Risiken einkalkulieren, dass bei mangelnder Unterstützung der Stadt der Fernwärmeabsatz infolge zunehmender Sanierung und mangelnder Erschließung neuer Versorgungsgebiete stagniert oder sogar zurückgeht. Dies schlägt sich in der Bewertung des Unternehmenswertes nieder. Der Wert des Fernwärmenetzes liegt somit ganz wesentlich in der Hand der Stadt. Genauso wie der Aufbau des Hamburger Fernwärmenetzes durch die seinerzeitige HEW war nur möglich war aufgrund einer langfristig angelegten und mit hohen Summen finanziell hinterlegten Strategie der FHH und seiner öffentlichen Unternehmen, ist auch der weitere Ausbau dieses Netzes nur mit Unterstützung der Stadt denkbar. 13 3.2 Klima-- und Ressourcenschutz Klima- und Ressourcenschutz ist eine der zentralen Zielsetzungen für eine zukunftsorientierte Energiestrategie. Die Klimaschutzziele sind nur zu erfüllen, wenn die Transformation der Energieversorgung auf Erneuerbare Energien und eine gleichzeitige deutliche Energieeinsparung gelingt. Dies gilt insbesondere für das Ziel der Bundesregierung und des Senats,28 bis zum Jahr 2050 den dann vorhandenen Gebäudebestand nahezu klimaneutral mit Energie zu versorgen. Dieses Ziel stellt einen ganz zentralen Baustein des Masterplans Klimaschutz der Bundesregierung dar und wird daher als unverrückbare Voraussetzung angenommen. Nach den Szenarien der „Energieeffizienzstrategie Gebäude“29 des BMWi sind zur Erreichung eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestandes auf Bundesebene nicht nur erhebliche zusätzliche Anstrengungen bei der Gebäudesanierung nötig, sondern auch dramatische Steigerungen der Anteile erneuerbarer Energien. Bei einer Halbierung des Energiebedarfs bis 2050 wäre gleichzeitig eine Verfünffachung des EE-Anteils erforderlich (auf ca. 60%). Abbildung 4: Möglicher Zielkorridor aus Energieeinsparung und Umstellung auf erneuerbare Energien im Gebäudesektor30 Ohne eine erhebliche Steigerung der politischen Anstrengungen dürfte jedoch bereits eine Halbierung des Energiebedarfs gegenüber dem heutigen Bedarf kaum zu erreichen sein.31 Nach einer Studie für das seinerzeitige BMVBS zur Erreichung der Klimaschutzziele im Wohngebäudesektor32 könne dies nur gelingen, wenn die Schnelligkeit der energetischen Modernisierung des Gebäudebestandes in etwa verdreifacht wird und gleichzeitig die Qualität der Wärmeschutzmaßnahmen deutlich erhöht wird. Die im Ergänzungsgutachten von Ecofys zum Masterplan Klimaschutz im „Referenzszenario“33 angenommene Halbierung des Energiebedarfs der Wohngebäude in Hamburg bis zum Jahr 2050 (gegenüber 2010) und die hierauf gegründete entsprechende Einschätzung des Senats34 ist vor 28 Hamburger Klimaplan (2015), Bürgerschaftsdrucksache 21/2521, S. 28. 29 BMWi (2014b), S. 10ff. 30 BMWi (2014b), S. 10. 31 Vgl. z.B. Shell BDH (2013), S. 4. 32 Vgl. BMVBS (2013), S. 6. 33 Vgl. Ecofys (2010), S. 37. 34 Vgl. Zwischenbericht Wärmekonzept für Hamburg (2014) , Bügerschaftsdrucksache 20/11772. 14 diesem Hintergrund als optimistisch zu bewerten;35 dies gilt umso mehr für die im Klimaschutzplan von 2015 angestrebte Reduzierung des Heiz- und Warmwasserbedarfs um etwa 2/3 bis 2050. Vor diesem Hintergrund rückt eine Verstärkung der Integration der Erneuerbaren Energien in den Gebäudesektor in den Vordergrund: Andere Szenarien wollen die Klimaschutzziele stärker über eine forcierte Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmesektor erreichen.36 Das Fraunhofer ISE kommt in seinem Szenario für eine 100%ige Versorgung des gesamten Energiesektors aus erneuerbaren Energien zu dem Ergebnis, dass die volkswirtschaftlich kostengünstigste Variante einer erneuerbaren Vollversorgung im Strom- und Wärmesektor bei einer energetischen Gebäudesanierung auf 65% des heutigen Wertes für den Heizenergiebedarf des gesamten Gebäudesektors liegt, d.h. die erforderliche Einsparung über Effizienzmaßnahmen liegt bei 35%.37 Für eine Großstadt wie Hamburg können diese für die gesamte Bundesrepublik ermittelten Werte abweichen, jedoch liegen bislang keine entsprechenden Modellrechnungen für Hamburg vor. Es kann jedoch festgehalten werden, dass es Anhaltspunkte dafür gibt, dass das vom Senat angestrebte Niveau eines Heiz- und Warmwasserbedarfs von 40-45 kWh/m2 für Mehrfamilienhäuser und 45-55 kWh/m2 bis zum Jahr 2050  weder bei Fortschreibung der bisherigen Entwicklung, noch bei einer deutlichen Ausweitung der Sanierungstätigkeit realistisch erscheint, und  diese Sanierungsziele im Vergleich zu einer Strategie zur Dekarbonisierung und Ausweitung der Fernwärme möglicherweise nicht kosteneffizient sind. Dieser Befund darf jedoch nicht in einer Weise missverstanden werden, dass damit eine Steigerung der Energieeffizienz der Gebäude obsolet würde. Selbst ein vermindertes Reduzierungsziel für den Heizungs- und Warmwasserbedarf von „nur“ 40% oder 50% wäre lediglich mit einer Steigerung der Sanierungsrate und –tiefe gegenüber dem heutigen Stand erreichbar. 3.3 Versorgungssicherheit Unsere Gesellschaft ist auf ein jederzeit verlässliches Energiesystem angewiesen, die Wärmeversorgung der Gebäude und Betriebe muss jederzeit sichergestellt sein. Für die Versorgungssicherheit ist die derzeit hohe Abhängigkeit vom Import fossiler Energieträger nachteilig. Mit einer langfristigen Umstellung auf heimische erneuerbare Energieträger steigt auch die Versorgungssicherheit. Mit der Umstellung auf Erneuerbare Energieträger ergeben sich jedoch auch Herausforderungen für die Versorgungssicherheit: Die Wärmeversorgung muss auch dann gewährleistet werden, wenn fluktuierende Erneuerbare Energien wetterbedingt nicht erzeugt werden können. Durch den Wegfall von fossilen Energien als leicht und kostengünstig zu bevorratende Energieträge ergeben sich daher erhebliche Herausforderungen für die Speicherung der Energie. 35 Zutreffend Rabenstein 2014, S. 16ff. 36 Für Mehrfamilienhäuser vgl. GdW (2013) in dessen Szenario die Klimaziele stark durch eine Dekarbonisierung der Fernwärme erreicht werden. 37 Vgl. Fraunhofer Institut für solare Energieysteme (ISE) (2012). 15 3.4 Sozialverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Kostensicherheit Energie muss für Verbraucher und Gesellschaft auch langfristig bezahlbar bleiben. Durch den Ausbau erneuerbarer Energien wird die Wärmeversorgung von den volatilen Märkten fossiler Brennstoffe zunehmend entkoppelt. Die Wärmekosten werden dann vor allen durch die – gut kalkulierbaren – Investitionen in die Erzeugungs- und Verteilanlagen bestimmt. Für Investoren ist diese Planungssicherheit ein erheblicher Vorteil. Die sich dadurch ergebenden Kosten werden voraussichtlich jedoch – abhängig vom jeweiligen Preis- und Abgabenniveau fossiler Brennstoffe – höher liegen als die Kosten für die aktuelle, fossile Wärmeversorgung. Der Übergang zu erneuerbaren Energieträgern muss daher auf sozialverträgliche Weise ausgestaltet werden. Die Erreichung der Klimaschutzziele für den Gebäudesektor ist in jedem Fall mit Kosten verbunden. Im Interesse der Gebäudenutzer, welche letztlich für diese Kosten aufkommen müssen, müssen diese Kosten so niedrig wie möglich gehalten werden. Wie bereits oben dargestellt, sind Wärmenetze hierfür potenziell besonders geeignet: Mit Wärmenetzen können große, kostengünstige und klimafreundliche Wärmequellen erschlossen werden, was aufgrund der Skaleneffekte strukturell günstiger ist als die kleinteilige Wärmeerzeugung auf Gebäudeebene. Je höher der Anteil der Erneuerbaren Energien im Wärmenetz ist, desto geringer ist zudem der Druck, den Gebäudebestand sehr schnell und sehr anspruchsvoll energetisch zu sanieren, um die Klimaschutzziele im Gebäudesektor zu erreichen. Auch hierdurch können Kostenvorteile entstehen. Daher gilt es, spezifisch für alle Standorte im Stadtgebiet die jeweils kostengünstigsten Möglichkeiten zur Erreichung eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestandes zu identifizieren und umzusetzen. Speziell für das Hamburger Wärmenetz sollten daher die lokal verfügbaren Ressourcen für kostengünstige Erneuerbarer Wärmeproduktion systematisch erfasst und entwickelt werden. 3.5 Investitionssicherheit Ohne einen möglichst breit akzeptierte städtische Strategie zu den entscheidenden Weichenstellungen, wie zukünftig die Wärmeversorgung Hamburgs umgesetzt wird, kann keine langfristig angelegte Strategie zur Transformation der Fernwärme formuliert werden. Jede Fernwärme-Transformationsstrategie müsste „auf Sicht“ fahren, d.h. es könnten keine langfristig ausgerichteten Investitionen getätigt werden. Das Fernwärmegeschäft ist besonders investitionsintensiv und langfristig angelegt, fehlende Sicherheit in Bezug auf die langfristige Wirtschaftlichkeit der Investitionen in neue Netz- und Erzeugungsinfrastruktur führt zwangsläufig zur Unterlassung solcher Investitionen. Je höher hingegen die Sicherheit für das Fernwärmeunternehmen ist, dass sich Zukunfts-Investitionen in die Fernwärme in den kommenden Jahrzehnten langfristig auszahlen, desto größer ist die Bereitschaft, diese Investitionen zu tätigen. 3.6 Effiziente und flexible Infrastrukturen Vor dem Hintergrund des rasanten Wandels im Energiemarkt ist es wichtig, bei anstehenden Investitionen auf eine hohe Flexibilität für sich verändernde Märkte und neue Technologien zu achten. Die Integration erneuerbarer Energien in das Energiesystem erfordert eine stärkere Verzahnung von Strom- und Wärmemarkt. Wärmenetze bieten hier große Potenziale und weisen zudem eine hohe Flexibilität zur Einbindung künftiger Wärmeerzeugungstechnologien auf. Vor 16 diesem Hintergrund muss die kommunale Wärmepolitik zunehmend auch als planerische Aufgabe interpretiert werden, die Infrastrukturpolitik und Stadtplanung verzahnt und die systematisch (z.B. mit digitalen Wärmebedarfskarten wie in Bielefeld) nach wirtschaftlichen Ausbaumöglichkeiten für Wärmenetze sucht. 3.7 Regionale Wertschöpfung Für die Wärmeversorgung der Stadt werden jedes Jahr hohe Summen für den Import fossiler Energien ausgegeben. Mit dem Transfer dieses Geldes in die Erdöl, Gas und Kohle exportierenden Regionen geht es dem lokalen Wirtschaftskreislauf verloren. Die Nutzung der erneuerbaren Energien im Wärmesektor kann Energieimporte durch handwerkliche Arbeit und Ingenieurverstand vor Ort ersetzen.38 Sie generiert für die Kommunen sowie deren Bürger und Wirtschaft einen nachhaltigen ökonomischen Nutzwert. 3.8 Berücksichtigung von Verbraucherinteressen Ausbau und Weiterentwicklung der leitungsgebundenen Wärmeversorgung benötigt eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Denn anders als im Strom- und Gasmarkt können Verbraucher den Lieferanten der Wärme bei der Fernwärme nicht im Wettbewerb frei auswählen. Die marktbeherrschende Stellung der Fernwärmeversorger erfordert einen besonderen Schutz der Verbraucherinteressen. Für Verbraucher sind zudem weder die Preisbildung noch die ökologische Qualität der Fernwärme transparent.39 Eine stark auf den Ausbau des Fernwärmenetzes zielende Wärmestrategie kann daher an Akzeptanzgrenzen stoßen. Dies gilt umso mehr, solange das Fernwärmenetz mehrheitlich nicht in kommunaler Hand ist und die staatlichen Einflussmöglichkeiten zugunsten des Verbraucherschutzes daher begrenzt sind. 3.9 Bürgerbeteiligung Eine gut funktionierende Bürgerbeteiligung ist notwendig, um den um den Umstrukturierungsprozess auf eine gesellschaftlich breite Basis zu stellen. Dabei geht es nicht nur darum, Akzeptanz in der Bevölkerung für neue Infrastrukturprojekte zu erreichen. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich auch finanziell mit konkreten Projekten an der Energiewende. Dabei sollte in Zukunft auch der Wärmesektor für die finanzielle Bürgerbeteiligung – etwa auf der Basis genossenschaftlicher Strukturen - weiter erschlossen werden. 38 S. näher AGFW, Wertschöpfung aus Fernwärme mit KWK, 2016. 39 Vgl. hierzu näher Hamburg Institut, Fernwärme und Verbraucherschutz, 2015. 17 4 Der Weg zur Transformationsstrategie Im Folgenden wird ein Vorschlag für die mögliche Ausgestaltung eines Verfahrens zur Entwicklung einer Fernwärme-Transformationsstrategie entwickelt. Es existiert bislang noch keine übergeordnete Planung, aus der sich die mittel- und langfristige Strategie der FHH für die Entwicklung der Fernwärme ergibt. Der Senat hat im Mai 2014 einen Zwischenbericht40 für ein „Wärmekonzept für Hamburg“ vorgelegt, der im Februar 2015 ergänzt wurde.41 Hierauf gilt es aufzubauen und die erforderliche Definition der zukünftigen Rolle der Fernwärme im Verbund mit anderen Arten der Wärmeversorgung festzulegen, um eine klimafreundliche, möglichst kostengünstige und zukunftssichere Wärmeversorgung der Stadt dauerhaft zu gewährleisten. Bereits in der Einleitung wurde dargelegt, dass eine solche Strategie nicht im Rahmen dieses Kurzgutachtens erarbeitet werden kann, sondern eines strukturierten und wissenschaftlich unterfütterten partizipativen Prozesses bedarf. Das Ziel des hier vorgeschlagenen Prozesses besteht darin, einen möglichst breit in der Stadt verankerten Konsens zur zukünftigen Rolle der Fernwärme herzustellen und auf dieser Basis eine Strategie für den hieraus abzuleitenden Umbau der Fernwärme zu entwickeln. Hierzu bedarf es als erstes einer Verständigung über die zukünftige Rolle des Fernwärmesystems in der Stadt bei der Erreichung eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestands bis 2050:  Wo wird die Fernwärme zukünftig gebraucht und sollte ausgebaut werden?  Wo wird Fernwärme zukünftig keine Rolle spielen, weil ein nahezu klimaneutraler Gebäudebestand über anspruchsvolle energetische Sanierung und dezentrale Gebäudeheizung erreicht wird?  Wo wird Fernwärme in Zukunft mangels erforderlicher Wärmeabnahme nicht zu wirtschaftlich attraktiven Preisen angeboten werden können? Der Prozess zur Beantwortung dieser Fragen sollte auf einen gesellschaftlich möglichst breit getragenen Konsens zielen, da die entsprechenden politischen Maßnahmen nur langfristig wirken und stabile Rahmenbedingungen bedürfen. Vorbild für eine solche konsensuale Ziel- und Strategiefindung zur Energiepolitik ist das Nachbarland Dänemark. Dort ist es üblich, sowohl auf nationaler, wie auch auf kommunaler Ebene einen möglichst breiten Konsens über die Grundlagen der Energiepolitik herzustellen.42 Auch das Berliner Abgeordnetenhaus hat in der vergangenen Legislaturperiode mit einer Enquete-Kommission einen bemerkenswerten Versuch zur Herstellung eines weitgehenden Konsenses über Ziele und langfristige Strategien zur Ausrichtung der Landes-Energiepolitik unternommen.43 Um einen möglichst kostengünstigen Weg zur Einsparung von Treibhausgasen im Wohnungssektor zu finden ist der Blick über das einzelne Gebäude hinaus zu richten. Sofern Lösungen zur netzgebundenen Wärmeversorgung kostengünstiger sind als die Summe aus einzelnen gebäudebezogenen Maßnahmen, sind diese vorzuziehen. 40 Zwischenbericht „Wärmekonzept für Hamburg“ (2014), Bügerschaftsdrucksache 20/11772. 41 Zwischenbericht „Wärmekonzept für Hamburg“ (2015), Bügerschaftsdrucksache 20/14648. 42 Vgl. Danish Ministry of Climate, Energy and Building (2012). 43 Vgl. Abgeordnetenhaus Berlin (2015): Drs. 17/2100. 18 Solche Entscheidungen setzen Planung voraus. Im bisherigen stadtplanerischen Instrumentarium ist eine solche umfassende Fachplanung nicht vorgesehen – mit Ausnahme von Energie-Konzepten bei der Erschließung von neu zu entwickelnden größeren Bau-Gebieten. Die Herausforderung liegt jedoch darin, im gesamten Hamburger Gebäudebestand flächendeckend die jeweils kostenoptimale Lösung zur Erreichung eines langfristig „nahezu klimaneutralen“ Gebäudebestands zu identifizieren. Eine solche Strategie erfordert mehrere Schritte:  Der erste Schritt besteht in einer Erfassung des spezifischen Wärmebedarfs der Gebäude sowie die Prognose der erwarteten Entwicklung in den verschiedenen Stadtvierteln. Mit dem Hamburger Wärmekataster44 und dem GEWISS-Projekt hat Hamburg bereits wichtige Schritte eingeleitet.45  Des Weiteren muss auf gesamtstädtischer Ebene erfasst werden, welche Potenziale zur Nutzung von erneuerbaren Energien sowie zur Nutzung von industrieller Abwärme zur Verfügung stehen und welche spezifischen CO2-Vermeidungkosten mit ihrer Erschließung und Integration in das Versorgungssystem verbunden sind.  Schließlich muss bewertet werden, mit welchen spezifischen CO2-Vermeidungkosten Energieeffizienzmaßnahmen in den typischen Gebietstypologien verbunden sind. Die jeweiligen Werte sind zueinander ins Verhältnis zu setzen, um die kostenoptimale Strategie zu ermitteln. Hierbei kann es zu relevanten Unterschieden in verschiedenen Stadtvierteln kommen. In den bereits von Wärmenetzen erschlossenen Gebieten kann es beispielsweise am kostengünstigsten sein, auf eine Vollversorgung aus erneuerbarer Fernwärme zu setzen und lediglich moderate Effizienzverbesserungen anzustreben. In locker bebauten Gebieten könnte hingegen eine vornehmlich auf Effizienz zielende Strategie am effizientesten sein. In Dänemark ist die Wärmeplanung seit langem eine gesetzlich verankerte Pflichtaufgabe der Kommunen. Für die vom Wärmenetzen erschlossenen bzw. erschließbaren Stadteile sollte in Hamburg eine solche Planung auf gesamtstädtischer Ebene erfolgen, da die Netzgebiete Bezirksgrenzen überschreiten. Hierauf aufbauend kann dann entschieden werden, welches Sanierungsniveau für die erschlossenen Gebäude angestrebt werden sollte. Für Gebiete, die weder jetzt noch in Zukunft von Wärmenetzen erschlossen werden, kann eine Planung auf bezirklicher Ebene ausreichend und sinnvoll sein. Der oben beschriebene Prozess bedarf einer fachlich fundierten Vorbereitung. Hierfür erscheint es sinnvoll, für Hamburg eine konkrete Modellrechnung vorzunehmen, in der unter Berücksichtigung der hiesigen Bedingungen die jeweiligen Kosten für verschiedene Lösungsansätze zur Schaffung eines langfristig klimaneutralen Gebäudebestandes ermittelt werden. Unter Verwendung realer Daten des Hamburger Gebäudebestands, des Wärmenetzes sowie der Erneuerbare-Energien-Potenziale wird dann analysiert, in welchen Gebieten die Verdichtung bzw. der Ausbau des Wärmenetzes am kosteneffizientesten für die Erreichung der Klimaschutzziele ist. Auf der Grundlage dieser Untersuchungen kann eine integrierte Wärmestrategie im Sinne eines zentralen Gesamtkonzepts für Hamburg diskutiert und entwickelt werden. 44 http://www.hamburg.de/energiewende/waermekataster/ 45 GEWISS-Projekt, https://projektinfos.energiewendebauen.de/projekt/geografisches-waermeinformations-und-simulationssystem/; auf Europäischer Ebene besteht zudem der digitale Wärmeatlas des Projekt Heat Roadmap for Europe, http://www.heatroadmap.eu/peta.php . 19 Zu diesem Diskussionsprozess sollte als Teil eines kulturellen Wandels eingeladen werden, bei dem die Stadt gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft, Versorgern und Verbrauchern eine möglichst breit getragene und somit langfristig verlässliche Strategie für die zukünftige Wärmeversorgung entwickelt. 20 5 Arbeitsthesen für die Transformationsstrategie Im Folgenden werden einige Arbeitsthesen für die Ausgestaltung der Transformationsstrategie zur Diskussion gestellt. Es handelt sich dabei ausdrücklich nicht um den Versuch einer Vorwegnahme der Inhalte der Transformationsstrategie, sondern um vorläufige fachliche Einschätzungen auf der Grundlage von Erfahrungswerten, die näher untersucht und diskutiert werden sollen. Erst auf der Basis weitergehender fachlicher Untersuchungen, insbesondere einer Modellierung des Hamburger Wärmesystems (unter Einbeziehung der regionalen, nationalen und europäischen Energiesystems)46 können belastbare Aussagen getroffen werden, welche sodann die Grundlage für die partizipative Erarbeitung einer Wärmestrategie bilden. Die Arbeitsthesen beziehen sich auf verschiedene Ebenen:  Systemebene: Ausbau der Fernwärme?  Erzeugung  Speicherung  Verteil-Infrastruktur  Vertrieb  Kundenseitige Maßnahmen Neben der grundsätzlichen Fragestellung eines Ausbaus der städtischen Fernwärmeversorgung zulasten dezentraler Versorgungssysteme ist ein technisch-ökologischer Strukturwandel des bestehenden Systems notwendig. Dies betrifft alle Wertschöpfungsstufen von der Erzeugung bis hin zur Optimierung der Abnahmeanlagen bei den Endverbrauchern. Abbildung 5: Technisch-ökologischer Strukturwandel im Fernwärmesystem 46 Vgl. etwa ZSW u.a. (2017): Energie- und Klimaschutzziele 2030 für Baden-Württemberg; s. auch die bereits oben zitierte Modellierung des Fraunhofer ISE für Frankfurt sowie die Modellierungen für dänische Großstädte durch die Universität Aalborg. 21 5.1 Wärmesystem: Ausbau der Fernwärme? Auf der Systemebene ist die allen operativen Überlegungen zur Systemtransformation vorgelagerte Frage zu klären, in wie vielen Bereichen der Stadt in Zukunft die Fernwärmeversorgung die kostenoptimale Option zur Erreichung eines klimaneutralen Gebäudebestandes ist und entsprechend ausgebaut werden sollte. Hierzu werden folgende Thesen formuliert:  Auch langfristig wird – zumindest im verdichteten Stadtbereich, in dem bereits Fernwärme liegt - ein hinreichend relevanter Wärmebedarf vorhanden sein. Dieser könnte deutlich über den bisher vom formulierten Zielen des Hamburger Klimaschutzplans für den Gebäudebestand im Jahr 2050 liegen.  Dezentral an Gebäuden betriebene (Luft-/Wasser- oder Wasser-/Wasser-)Wärmepumpen auf Basis von Grünstrom in Kombination mit Solarthermie stellen voraussichtlich die wichtigste Alternative zu einer netzgebundenen Wärmeversorgung dar, um einen hohen Anteil Erneuerbarer Energien in der Wärmeversorgung zu erreichen. Demgegenüber werden andere Technologien zur dezentralen Nutzung von Erneuerbaren Energien voraussichtlich nicht in der Breite zum Einsatz kommen. Dies gilt insbesondere für Stromdirektheizungen, 47 die Verbrennung von synthetischem Erdgas48 oder Biogas sowie feste Biomasse in Heizungsanlagen.  Problematisch an einer weitgehenden Elektrifizierung der dezentralen Wärmeerzeugung ist die drastisch steigende Stromnachfrage. Es steht in Frage, ob es eine ausreichende Akzeptanz für die erforderliche Vervielfachung der Erzeugungsleistung von Strom aus Windkraftanlagen besteht und ob in absehbarer Zeit hinreichend günstige Strom-Langzeitspeicher verfügbar sind. Demgegenüber steht Wärme lokal in erheblichem Umfang zur Verfügung und kann auch saisonal kostengünstig gespeichert werden. Es muss im Einzelnen näher untersucht werden, in welchem Umfang das notwendige erneuerbare Strompotenzial zur Verfügung steht und der Einsatz dezentraler Wärmepumpen im (nord-)deutschen Energiesystem kosteneffizient ist.  Die Kosten für eine dezentrale Nutzung der Erneuerbaren Energien sind strukturell spezifisch höher als bei einer großtechnischen Erzeugung im Multi-Megawatt-Bereich (Abwärme, Tiefe Geothermie, Großwärmepumpen, große Solarthermie). Dem stehen jedoch bei netzgebundener Wärmeversorgung Kosten durch Wärmeverluste bei der Übertragung sowie ggf. Investitionskosten in das Wärmenetz gegenüber. 47 Stromdirektheizungen (Nachtspeicherheizungen) weisen zwar den Vorteil auf, dass sie mit einer vorhandenen Infrastruktur betrieben werden können; sie stellen aufgrund ihrer Ineffizienz im Vergleich zu Wärmepumpen sowie wegen der hohen Kosten für das Energiesystem und für Mieterinnen und Mieter jedoch auch mittelfristig keine geeignete Alternative für eine dezentrale erneuerbare Wärmeversorgung dar, vgl. näher: https://www.oeko.de/oekodoc/1498/2012-067-de.pdf. 48 Diese Variante hätte den Vorteil der Nutzung einer vorhandenen Verteil-, Speicher- und Nutzungsinfrastruktur, allerdings sind wegen Verluste auf der Übertragungskette die spezifischen Kosten hoch. Die Nutzung von synthetischem Erdgas dürfte daher entsprechend vieler Szenarien vor allem in anderen Bereichen des Energiesystems erfolgen, für die bislang kaum erneuerbare Erzeugungsoptionen zur Verfügung stehen (Schwerlastverkehr, Luftfahrt, Schifffahrt, ggf. Erzeugung von Strom in der Spitzenlast). 22  In den bereits heute vom Wärmenetz erschlossenen Gebieten dürften die Skaleneffekte bei zentraler Nutzung der Erneuerbaren Energien die ökonomischen Nachteile der Wärmenetze meist übersteigen.  Aus ökonomischer Sicht dürfte eine hohe Verdichtung des bestehenden Fernwärmenetzes sinnvoll sein, sofern das Fernwärmenetz zukünftig mit kohlenstoffarmen Brennstoffen und Erneuerbaren Energien betrieben wird. Insbesondere hoch verdichtete Stadtteile mit einem lockeren Fernwärmenetz wie z.B. Ottensen sind hierfür gut geeignet.  In den noch nicht vom Wärmenetz erschlossenen Gebieten muss stadtteilspezifisch analysiert werden, ob eine Ausdehnung des Wärmenetzes aus kommunaler Perspektive sinnvoll und wirtschaftlich ist. Eine Netzerweiterung ist aufgrund der hohen Investitionen in neue Wärmenetze ökonomisch dabei noch anspruchsvoller als die Verdichtung eines vorhandenen Wärmenetzes, wurde jedoch in der Vergangenheit auch in Hamburg und vielen anderen Städten erfolgreich praktiziert. Insbesondere in Skandinavien und Osteuropa werden in den meisten Großstädten anteilig deutlich mehr Gebäude von Fernwärmenetzen versorgt, darunter auch Gebiete mit lockerer Bebauung wie sie in Hamburg z.B. in den Elbvororten anzutreffen ist.  Auch die Hamburger Stadtviertel entlang der bestehenden Fernwärmetrasse von Wedel in die Innenstadt sowie die Stadt Wedel und Schenefeld sollten daher als potenzielles Fernwärme-Erweiterungsgebiet überprüft werden.  Die Erweiterung und Verdichtung des Fernwärmenetzes ist notwendigerweise ein Prozess, den die jeweilige Kommune steuern muss. Ohne eine aktive Steuerung und Unterstützung durch die Stadt entsteht nicht die erforderliche Investitionssicherheit für langfristige Investitionen in die Netz-Infrastruktur.  Die Erarbeitung einer Hamburger Wärmestrategie hat unmittelbare Auswirkungen auf den Ertragswert des Fernwärmenetzes und damit die Umsetzung des Volksentscheides. Entschließt sich die Stadt zu einer konsequenten Ausbaustrategie für die Fernwärme und hinterlegt dies durch entsprechende politische Unterstützungsmaßnahmen, steigt der Wert des Fernwärmeversorgungssystems signifikant.  Im Zuge der Erstellung einer Wärme-Transformationsstrategie sollten vom Senat bislang formulierten Ziele für den Bedarf an Energie für Heizung und Warmwasser evaluiert werden. Die bisherigen Ziele erscheinen für solche Siedlungsbereiche angemessen, die auch zukünftig nicht von Wärmenetzen auf Basis erneuerbarer Energien erschlossen werden. Für zukünftig von solchen Wärmenetzen erschlossene Gebiete dürfte es hingegen sinnvoll sein, ein weniger strenges Effizienzziel zu formulieren.49  Eine deutliche Verdichtung und Ausweitung des vorhandenen Wärmenetzes und dessen Umstellung auf erneuerbare Energien bietet voraussichtlich das Potenzial, die Kosten für die Wohnungswirtschaft, die Mieterinnen und Mieter sowie die für die an die Fernwärme 49 Nochmals sei darauf hingewiesen, dass ein Nachlassen der Sanierungsanstrengungen gegenüber dem Status quo nicht sinnvoll wäre; es bleibt vielmehr auch in den zukünftig von einem weitgehend mit erneuerbaren Energien aus einem Wärmenetz versorgten Gebieten eine Steigerung der Anstrengungen im Bereich der Gebäude-Energieeffizienz nötig. 23 angeschlossenen Unternehmen bei der Erreichung der Klimaschutzziele des Senats zu minimieren. 5.2 Erzeugung  Ein Fernwärmenetz verfügt als Infrastruktur über die Möglichkeiten, verschiedenartige Wärmeströme aus unterschiedlichen Quellen in das System zu integrieren und zum Verbraucher zu leiten. Neben den heute noch vorherrschenden Wärmeströmen aus fossilen Brennstoffen können auf diese Art kostengünstig und flexibel auch Wärmeströme aus Erneuerbaren Energien integriert werden. Das Wärmenetz ermöglicht auch die Nutzung von Anwendungen mit hohen thermischen Leistungen wie etwa Tiefen-Geothermie oder Industrieabwärme. Abbildung 6: Wärmenetz zur Integration verschiedener Wärmeströme  Einige Möglichkeiten zur Integration Erneuerbarer Energien und Industrieabwärme in das Hamburger Fernwärmenetz werden in einem Gutachten50 des Hamburg Instituts dargelegt.  Mit der von der BUE befürworteten Realisierung der Elemente Klärwerks- Großwärmepumpe, Aquifer-Saisonalwärmespeicher, Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm, Zentrum für Ressourcen und Energie Stellingen, Industrie-Abwärme Trimet/Arcelor/Aurubis würde ein erster, großer Schritt zur Dekarbonisierung des Fernwärmenetzes vollzogen werden, der auch im internationalen Maßstab neue Impulse für den Fernwärmesektor setzt.  Vattenfall hat im Rahmen der Realisierung der „Süd-Lösung“ eine Anbindung des Kohlekraftwerks Moorburg an die geplante Rohrtrasse unter der Elbe ins Spiel gebracht. Bei 50 Hamburg Institut, Erneuerbare Energien im Fernwärmenetz Hamburg, 2016. 24 der Entscheidung hierüber sollte eine umfassende Bewertung der Vor- und Nachteile einer solchen Lösung aus ökologischer, energiewirtschaftlicher und ökonomischer Sicht für die langfristige Wärmestrategie der Stadt erfolgen. Dabei sind – neben dem Vergleich der aktuell kalkulierten Wärmegestehungskosten aus den verschiedenen Erzeugungsanlagen - auch folgende Aspekte zu berücksichtigen:  Die Klimafreundlichkeit der Fernwärme hängt in erster Linie von den eingesetzten Brennstoff ab. Fernwärme, die auf Kohle basiert, ist trotz des Einsatzes von Kraft-Wärme-Kopplung nach der amtlichen, vom Bund und den Ländern verwendeten Bilanzierungsmethode klimaschädlicher als eine dezentrale Gasheizung. Bei Verwendung von anderen Bilanzierungsmethoden – die insbesondere von Seiten der Fernwärmeversorger verwendet werden - werden jedoch hiervon abweichende Ergebnisse erzielt.  Die aktuell wichtigste Maßnahme zur Dekarbonisierung der Hamburger Fernwärmeerzeugung ist der Ersatz des Brennstoffs Kohle durch Erdgas und Erneuerbare Energien. Im Ergebnis kann die Klimabelastung je kWh Wärme mit der Substitution von Kohle durch Erdgas etwa halbiert werden, mit Erneuerbaren Energien ist eine noch stärkere Reduzierung möglich. Auch hier hängt die genaue Beurteilung jedoch von der Wahl der Bilanzierungsmethode ab. Bei der Kalkulation der notwendigen Erzeugungskapazitäten im Fernwärmesystem sollte geprüft werden, inwieweit zukünftig unter Nutzung moderner IT und Steuerungstechnik auf (spezifisch besonders teure) Spitzenlast-Kapazitäten durch kundenseitige Maßnahmen verzichtet werden kann. Hierbei rückt die Fähigkeit der Gebäude zur Speicherung von Wärme in den Fokus: Durch eine zentrale Steuerung der gebäudeseitigen Einstellungen zur Wärmeabnahme in der Nacht und am Morgen können morgendliche Lastspitzen vermieden werden.  Eine weitgehende Abhängigkeit der Fernwärmeproduktion von Kohlekraftwerken ist für die Versorgungs- und Kostensicherheit nicht unproblematisch: Die Wirtschaftlichkeit von Kohlekraftwerken hängt maßgeblich von den Rahmenbedingungen auf den Märkten für Strom und Treibhausgasemissionen ab. Einnahmen aus der Fernwärmeproduktion sind demgegen-über untergeordnet. Die Preisentwicklung auf beiden Märkten ist maßgeblich politisch bestimmt und nur schwer prognostizierbar. Sofern etwa aufgrund steigender CO2-Preise und dauerhaft niedriger Strompreise der Betrieb von Kohlekraftwerken unwirtschaftlich wird, steht auch die Produktion von Fernwärme in diesen Kraftwerken in Frage.  Besondere Relevanz hat dabei die im Februar 2018 von der EU beschlossene Reform des Emissionshandels.51 Auf Seiten der an der Reform beteiligten EU-Parlamentarier wird von einem Anstieg des Zertifikatepreises auf 35 Euro/t in den 2020ern ausgegangen.52 Tritt dies so ein, ist Fernwärme aus Kohlekraftwerken mit sehr hohen Kosten verbunden. Bei einem derartigen CO2-Preisniveau kommen (unter der Annahme stabiler Brennstoffpreise) selbst 51 https://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/news/reform-des-eu-emissionssystems-nimmt-letzte-huerde/ 52 https://www.wiwo.de/technologie/green/analysten-erwarten-preisanstieg-eu-parlament-stimmt-fuer-reform-des-co2-emissionshandels/20932952.html Andere Einschätzungen sind etwas zurückhaltender, gehen aber ebenfalls von einem deutlichen Anstieg der Zertifikatepreise aus http://www.fr.de/wirtschaft/emissionshandel-preis-fuer-co2-ausstoss-wird-steigen-a-1384084. 25 moderne Kohlekraftwerke aufgrund zu hoher variabler Kosten in der Merit Order nur noch selten auf dem Strommarkt zum Einsatz.53 Um überhaupt noch Fernwärme liefern zu können, müssten die Fernwärmekunden an den Kraftwerksbetreiber die Differenz zu den nicht auskömmlichen Einnahmen aus dem Stromverkauf bezahlen. (Da dies zu exzessiv hohen Wärmepreisen führen würde, ist in der Praxis eher damit zu rechnen, dass die Fernwärme über einen neu zu installierenden Gaskessel am Kraftwerksstandort produziert würde.)  Auch die von der Großen Koalition geplante Verdoppelung des Anteils Erneuerbarer Energien am deutschen Strommix auf 65% bis zum Jahr 2030 wird notwendigerweise zu deutlich geringeren Einsatzzeiten des Kraftwerks Moorburg führen. Die hierfür erforderlichen Kapazitäten an Wind- und Photovoltaikanlagen werden aufgrund ihres Einspeisevorrangs in wind- oder sonnenreichen Jahreszeiten fossile Kraftwerke fast vollständig vom Strommarkt verdrängen. Fossile Kraftwerke kommen dann nur noch zu den Zeiten zum Einsatz, wenn die Wind- und Solaranlagen keinen oder wenig Strom liefern.  Beide politisch beschlossenen Entwicklungen zusammen (1. weniger Einsatzstunden fossiler Kraftwerke durch höheren EE-Anteil, 2. Verschiebung der Merit Order innerhalb der fossilen Kraftwerke zulasten von Steinkohlekraftwerken) führen zu einem hohen Liefer- und Kostenrisiko bei einer Einspeisung von Fernwärme aus dem Kraftwerk Moorburg.  Über diese Risiken hinaus, wirkt sich ein Ansteigen des CO2-Preises aufgrund der von VWH verwendeten Preisgleitklausel unmittelbar preissteigernd auch auf den Endkunden-Fernwärmepreis aus.54 Hierbei gelangen zwingend die oben genannten amtlichen Bilanzierungsmethoden zum Einsatz, d.h. die CO2-Fracht wird zu einem Großteil der Wärmeproduktion angelastet. Die hieraus resultierenden Kostenrisiken für die privaten und gewerblichen Fernwärmenutzer sollten quantifiziert werden, jedoch dürften die unmittelbaren Auswirkungen überschaubar bleiben und sind gegenüber den zuvor beschriebenen generellen Liefer- und Kostenrisiken nachrangig.  Noch deutlichere ökonomische Nachteile für Mieterinnen und Mieter sowie gewerbliche Fernwärmekunden könnten sich aufgrund absehbarer Entwicklungen beim Primärenergiefaktor ergeben. Der in der EnEV regulierte Primärenergiefaktor determiniert maßgeblich, wie hoch die Wärmeschutzanforderungen beim Neubau und bei der grundlegenden Sanierung von Gebäuden sind. Ein niedriger Primärenergiefaktor entlastet die Fernwärmenutzer, ein hoher Primärenergiefaktor führt zu höheren Wärmeschutz-anforderungen. Sofern im relevanten Umfang Kohle für die Fernwärme zum Einsatz kommt, kann dies mittelbar Folgekosten auf Seiten der Wohnungswirtschaft und damit für die Mieterinnen und Mieter induzieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die aktuelle Gleichstellung der Brennstoffe Erdgas, Kohle und Erdöl trotz der gravierenden Unterschiede im Hinblick auf die CO2-Emissionen bereits lange umstritten ist und voraussichtlich nicht auf Dauer Bestand haben wird. Die höheren Treibhausgasemissionen von Fernwärme aus Kohle-KWK werden sich daher voraussichtlich in einem höheren Primärenergiefaktor niederschlagen. Diese Kostenrisiken für die Wohnungswirtschaft und die Fernwärmenutzer sollten in verschiedenen Szenarien untersucht und quantifiziert werden. 53 Vgl. hierzu näher Hecking/Cam/Schönfisch/Schulte, Aktuelle Entwicklungen auf den Kohle- und Gasmärkten und ihre Rückwirkungen auf die Merit Order, energiewirtschaftliche tagesfragen 6/2017, S. 34ff. 54 Vgl. hierzu näher Hamburg Institut, Fernwärme und Verbraucher

Julian Kuntze2023-03-22T11:50:53+01:00Donnerstag, 1. Dezember, 2016|

Zukunft Sonne

Zukunft Sonne! Solarthermie und Fernwärme: Ein Wegweiser für die Praxis. 2 Auftraggeber: Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz Bearbeitet von: Steinbeis Transfer GmbH Willi-Bleicher-Straße 19 , 70174 Stuttgart Ausführende Stelle: Solites – Steinbeis Forschungsinstitut für solare und zukunftsfähige thermische Energiesysteme Meitnerstraße 8, 70563 Stuttgart Tel. +49 711 6732000-0 E-Mail info@solites.de Oktober 2016 3 Inhalt Fragen-Antworten-Katalog Solarthermie und Fernwärme 4 Fallstudie Solare Fernwärme Erfurt 24 1 Kurzfassung 25 2 Hintergrund 25 3 Ausgangssituation 26 4 Integration der Solarthermie 28 4.1 Variante Solare Fernwärme 29 4.2 Variante Niedertemperaturnetz 29 5 Ergebnisse 29 6 Wirtschaftlichkeit 31 7 Flächeneignung 32 8 Bürgerbeteiligung und Geschäftsmodelle 32 Fallstudie Solare Fernwärme Sondershausen 34 1 Kurzfassung 35 2 Hintergrund 35 3 Ausgangssituation 36 4 Integration der Solarthermie 38 5 Ergebnisse 39 6 Wirtschaftlichkeit 43 7 Flächeneignung 45 8 Bürgerbeteiligung und Geschäftsmodelle 45 Fallstudie Solare Nahwärme Gemeinde Werther (LandKreis Nordhausen) 46 1 Kurzfassung 47 2 Hintergrund 47 3 Ausgangssituation 48 4 Integration der Solarthermie 50 5 Ergebnisse 51 6 Wirtschaftlichkeit 54 7 Flächeneignung 55 8 Bürgerbeteiligung und Geschäftsmodelle 56 9 Replikationspotenzial 56 Literaturverzeichnis 58 4 Fragen-Antworten-Katalog Solarthermie und Fernwärme Erstellt im Rahmen des Arbeitskreises 1 „Optionen der Integration von Solarthermie in Wärmenetzen“ der Thüringer Solarthermie-Initiative1 1 Die Beantwortung der Fragen erfolgte durch Experten der FH Nordhausen - Institut für Regenerative Energietechnik, des Hamburg Instituts, Solites sowie der TU Ilmenau - Fachgebiet Thermo- und Magnetofluiddynamik in enger Abstimmung mit Abteilung 3 Energie und Klima des TMUEN (Referat 33) 5 Die Solarthermie-Initiative und der Fragen-Antworten-Katalog Das Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz (TMUEN) verfolgt mit der verstärkten Nutzung von erneuerbaren Energien zur Wärmeerzeugung einerseits und der Senkung des Wärmebedarfs in Thüringen andererseits eine Doppelstrategie. Über innovative Lösungsansätze im Gebäudebestand und in Quartieren wird angestrebt, dauerhaft sozial verträgliche Wärmepreise zu sichern. Um die vorhandenen Chancen und Möglichkeiten stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern, sollen zugleich Vorhaben mit Vorbildwirkung z.B. von Kommunen oder Bürgergenossenschaften unterstützt werden. Zur Erreichung der genannten Ziele wurden in der Vergangenheit bereits zahlreiche Maßnahmen in Angriff genommen. Unter anderem erfolgte die Durchführung eines Energiemonitorings für Thüringen, dessen Abschlussbericht konstatiert, dass bei der Wärmeerzeugung aus erneuerbaren Energien in Thüringen die Biomassepotenziale praktisch ausgeschöpft, jedoch bei der Solarthermie sowie der Erd- und Umgebungswärme bisher ungenutzte Leistungskapazitäten vorhanden sind. Mit Blick auf die Potenziale der Solarthermie wurde daher im Februar 2014 die Solarthermie-Initiative Thüringen auf den Weg gebracht, deren Bausteine beispielsweise die Einführung eines methodischen Systems zur wärmeenergetischen Analyse von quartiersbezogenen Stadtstrukturen, das die Bereitstellung von Werkzeugen für die kostengünstige und zielgenaue Erstellung von Wärmekonzepten besonders in kleineren Kommunen ermöglicht, oder die Durchführung von thematisch verschiedene Arbeitskreisen sind. In mit den Arbeitskreisen verbundenen Workshops, die Aspekte der Integration von Solarthermie in bestehenden oder neuen Wärmenetzen sowie bei Bestandsgebäuden thematisieren, können Vertreter von Kommunen, Stadtwerken sowie Wohnungswirtschaftsunternehmen gemeinsam mit Wissenschaftlern und Experten systemische Ansätze diskutieren und Erfahrungen austauschen. Im Rahmen des Arbeitskreises „Optionen der Integration von Solarthermie in Wärmenetzen (Bestand und Neubau)“, der Aspekte zur Markteinführung von solaren Nah- und Fernwärmeanlagen diskutiert, entstand 2014 die Idee, konkrete Fragen von Marktakteuren zu einem Fragenkatalog zum Thema solare Nah- und Fernwärme zusammenzustellen und diesen von einem Expertenteam beantworten zu lassen. Der daraus entstandene Fragen-Antworten-Katalog liegt nun in seiner Endfassung vor und soll einen Anteil hinsichtlich der zukünftigen Umsetzung von Solarthermie-Projekten kombiniert mit Fern- und Nahwärmenetzen in Thüringen beitragen. Inhaltliche Anmerkungen vorab: Es gibt eine große Bandbreite an Typen der solaren Nah- und Fernwärme, beginnend mit kleinen Wärmenetzen zur Objekt-, Quartiers- oder Siedlungsversorgung, über Wärmenetze in ländlichen Energiedörfern bis hin zu Fernwärmenetzen in Klein-, Mittel- und Großstädten. Unterschieden werden insgesamt sieben Grundkonfigurationen der solaren Nah- und Fernwärme, die erfreulicherweise fast alle auf internationaler Ebene realisiert und erprobt sind1: 1. Solare Wärmenetze zur Quartiersversorgung 2. Solare Wärmenetze mit Langzeitwärmespeicher und hohen solaren Deckungsanteilen für Wohngebiete und Quartiere 3. Dezentral eingebundene Solaranlagen in Quartieren (Beispiel SE) 4. Solare Wärmenetze für Dörfer und Kleinstädte (Beispiele DK, AT und DE) 5. Mittelgroße solare Fernwärmesysteme mit gekoppelter Strom- und Wärmeerzeugung (Smart District Heating, Beispiel DK) 6. Dezentral in städtische Fernwärmesysteme eingebundene solarthermische Großanlagen (Beispiel AT) 7. Zentral in städtische Fernwärmesysteme eingebundene solarthermische Großanlagen (Fallstudie) 1 Details hierzu siehe Präsentation von Solites während des Workshops des TMWAT am 22.5.14, Präsentation zu beziehen über TMUEN, Abteilung 3 Energie und Klima, Referat 53/E Erneuerbare Energien 6 Ein Teil der im nachfolgenden Fragen-Antworten-Katalog formulierten Fragen bezieht sich nicht unmittelbar auf die Einbindung der Solarthermie in Wärmenetze. Sie sind allgemeiner Natur oder beziehen sich auf solarthermische Trinkwassererwärmung bzw. Heizungsunterstützung im Geschosswohnungsbau oder sogar im Ein- und Zweifamilienhaus. In Verbindung mit Wärmenetzen muss die Solarthermie als eine weitere Wärmeerzeugungstechnologie wie Kraftwärmekopplung oder Holzhackschnitzelkessel verstanden werden, die grundsätzlich in der gesamten Breite der Wärmenetzanwendungen eingesetzt werden kann. Dies umfasst die Integration in die städtische Fernwärme, die Integration in die vielfach entstehenden Wärmenetze von „Energiedörfern“ und die klassische solare Nahwärme für Neubau- oder Sanierungsquartiere und auch die Einbindung in Subnetze. Die Solarthermieanlagen werden bei Kombination mit Wärmenetzen in den meisten Fällen mit den erforderlichen Speichern direkt am Standort der Heizwerke/Heizzentralen installiert. Einbau und Betrieb der Solaranlage wirken sich also nicht auf die versorgten Gebäude direkt aus. Aus prinzipiellen Erwägungen wurden nachfolgend auch die Fragen beantwortet, die sich nicht unmittelbar auf die Fernwärme beziehen, die betreffenden Antworten wurden jedoch gekennzeichnet. Fragen-Antworten-Katalog – Solarthermie und Fernwärme 7 Antworten von Solites zu Fragen aus wirtschaftlicher Sicht und technisch-wirtschaftlicher Sicht 1. Möglichkeiten der Förderung Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) bietet über das Marktanreizprogramm (MAP) zur Förderung von Maßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmemarkt eine Regelförderung an. Diese kann über das KfW-Programm „Erneuerbare Energien Premium 271“ bei der Umsetzung folgender Maßnahmen abgerufen werden: > Große Solarwärmeanlagen ab 40 m² Bruttokollektorfläche, die ihre Wärme überwiegend einem Wärmenetz zuführen, werden über ein KfW-Darlehen mit einem Tilgungszuschuss von bis zu 40 % der Investitionskosten gefördert. Der Kredithöchstbetrag beträgt in der Regel maximal 10 Mio. € pro Vorhaben. > Wärmenetze, die überwiegend Wärme für den Gebäudebestand bereitstellen, werden mit einem Tilgungszuschuss von 60 € je errichtetem Meter Trassenlänge gefördert. Dabei muss die verteilte Wärme zu gewissen Anteilen aus erneuerbaren Energien gewonnen werden und der Mindestwärmeabsatz 500 kWh pro Trassenmeter und Jahr betragen. Der Förderhöchstbetrag beträgt 1 Mio. €. Darüber hinaus werden Hausübergabestationen in Bestandsgebäuden mit 1800 € je Station gefördert. > Für Wärmespeicher mit einem Speichervolumen über 10 m³ beträgt der Tilgungszuschuss 250 € je m³ sofern sie überwiegend aus erneuerbaren Energien gespeist werden. Dabei ist die Förderung auf 30 % der für den Wärmespeicher nachgewiesenen Nettoinvestitionskosten beschränkt. Der maximale Tilgungszuschuss je Wärmespeicher beträgt 1 Mio. €. Die Förderung kann auch von einem Energiedienstleistungsunternehmen in Anspruch genommen werden. Für besonders innovative Projekte und Demonstrationsvorhaben besteht die Möglichkeit der Forschungsförderung durch das BMWi. 2. Kennzahlen zur Darstellung der Wirtschaftlichkeit? Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung erfolgt in der Regel über die Ermittlung der Wärmegestehungskosten für die Solarwärme. Dabei wird die Kostenberechnung mit der Annuitätenmethode durchgeführt, welche sich an die VDI 2067 anlehnt. Die bei der Berechnung über den Betrachtungszeitraum anfallenden Kosten untergliedern sich in kapitalgebundene-, bedarfsgebundene-, betriebsgebundene- und in sonstige Kosten. Betrachtet werden die Mehrkosten durch die Solaranlage. Des Weiteren werden neben dem Kapitalzinssatz auch Preissteigerungsfaktoren, wie z.B. für Betriebsenergie, Inflation etc., berücksichtigt. Das Verhältnis aus den jährlichen Gesamtkosten und der jährlich in das Wärmenetz abgegebenen solaren Nutzwärmemenge ergibt die Wärmegestehungskosten in Euro je MWh. Bei günstigen Konfigurationen werden heute Wärmegestehungskosten unter 50 €/MWh erreicht (netto, ohne Förderung). Die Kostenstruktur bei großen Solarthermieanlagen bietet den Vorteil einer langfristigen Absicherung der Wärmegestehungskosten, da der Anteil der Kapitalkosten überwiegt und die Wärmegestehungskosten somit bereits am ersten Tag für die restliche Betriebsdauer kalkuliert werden können. 3. Wird durch Einbindung von Solarwärme eine bestehende KWK-Wärmeerzeugung (aus fossilen oder regenerativen Energieträgern) verdrängt und wird dies akzeptiert werden? Fernwärmenetze werden in der Regel mit Wärme aus Heizkraftwerken, Heizwerken oder industrieller Abwärme betrieben. Die Einsatzplanung der einzelne Wärmeerzeuger leitet sich in der Regel aus der geordnete Jahresdau8 erlinie der Wärmelast und aus der Art der Erzeuger (Grund-, Mittel- und Spitzenlasterzeuger), externen Betriebsvorgaben (z.B. Muss-Betrieb bei Müllverbrennungsanlagen) sowie einer übergeordneten wirtschaftlichen Optimierung ab. Für die KWK haben sich insgesamt die Rahmenbedingungen aufgrund des Verfalls der Stromerlöse verschlechtert. In der Praxis heißt das insbesondere für die gasbasierte KWK, dass die Laufzeiten stark zurückgehen, weshalb vermehrt fossile Heizkessel eingesetzt werden. Für die Technologien der erneuerbaren Wärmeerzeugung eröffnen sich hier Möglichkeiten. Mit entsprechenden Speichern kann die Solarthermie auch so betrieben werden, dass sie vorrangig Fernwärme aus Heizkesseln verdrängt. Die jeweilige Situation ist für die existierenden Fernwärmesysteme sehr spezifisch und muss im Einzelfall geprüft werden. Kriterien für den Einsatz der Solarthermie sind in der Regel eine Steigerung der Gesamteffizienz des Systems, die Wirtschaftlichkeit sowie auch lokal- und regionalpolitische Vorgaben bezüglich des Umweltund Klimaschutzes. 4. Gibt es erfahrene Finanzierer? Über das o.g. KfW-Förderprogramm steht die KfW-Bank als Finanzinstitution zur Verfügung. Die professionellen Systemanbieter haben langjährige Erfahrung bei der Finanzierung von solarthermischen Großanlagen. Diese bieten die Anlagen auch schlüsselfertig oder im Contracting an. Eine weitere Möglichkeit sind Bürgerfinanzierungsmodelle, für die solarthermische Großanlagen aufgrund des positiven Images besonders geeignet sind. 5. Welche Speicherart ist am wirtschaftlichsten (Neubau)? Die Wahl des Speichertyps hängt wesentlich von der Art der Anwendung, der Systemeinbindung und einer Vielzahl von örtlichen Anforderungen und Begebenheiten ab, so dass diese Antwort nicht allgemeingültig beantwortet werden kann. Pufferspeicher bis 500 m³ wurden in realisierten Projekten wurden mehrfach als Betonbehälterspeicher mit spezifischen Kosten 2000 m³ wurden mehrere in den Untergrund integrierte Speichertechnologien entwickelt und zu spezifischen Kosten von 50 – 200 €/m³ realisiert. (siehe auch www.saisonalspeicher.de) Antworten des Hamburg Instituts zu den rechtlich-wirtschaftlichen Fragestellungen 6. Gibt es klare Regelungen durch den Gesetzgeber? Die leitungsgebundene Wärmeversorgung durch Wärmenetze sowie die Einspeisung solarer Wärmenetze ist derzeit durch den Gesetzgeber sowohl auf europäischer wie auch auf nationaler Ebene durch das klassische Energie-, Klimaschutz- und Wettbewerbsrecht nur randständig geregelt. Um einen funktionierenden europäischen Energie-Binnenmarkt zu schaffen, hat der europäische Gesetzgeber bei der Versorgung der Allgemeinheit mit Strom und Gas in den letzten Jahren die Liberalisierung stark vorangetrieben. Im Rahmen der Umsetzung in nationales Recht wurde dazu das deutsche Energiewirtschaftsgesetz EnWG umfassend erweitert sowie zahlreiche und sehr detaillierte Verordnungen erlassen. Diese Regelungen betreffen jedoch den Fernwärmesektor nicht. Fragen-Antworten-Katalog – Solarthermie und Fernwärme 9 Folgende Regelungen sind derzeit auf europäischer Ebene für den Fernwärmesektor und die Förderung solarer Wärmenetze besonders relevant: > Die EU-Emissionshandels-RL2 wird in Deutschland durch das TEHG und die uV2020 in nationales Recht umgesetzt. Mit der 3. Handelsperiode wird die Fernwärmeversorgung sukzessive in den Zertifikatehandel integriert. > Die Industrieemissions-RL3 stellt Anforderungen an große Feuerungsanlagen. Sie wird in Deutschland u.a. durch das BImSchG und die 13. BImschV in nationales Recht umgesetzt. > Die EU-Gebäude-RL4 stellt Anforderungen u.a. an die Energieeffizienz von Gebäuden. Die Umsetzung er folgt in Deutschland durch die Energieeinsparverordnung EnEV. > Die EU-Erneuerbare-RL5 legt Ziele für die Transformation des Energiesystems zu erneuerbaren Energieträgern fest. In Bezug auf den Wärmesektor wird diese Richtlinie in Deutschland durch das EEWärmeG umgesetzt. > Die EU-Effizienz-RL6 formuliert Vorgaben zur Verbesserung der Energieeffizienz. U.a. ist in dieser Richtlinie auch die Etablierung einer vorausschauenden Wärmeplanung durch die Kommunen bzw. Regionen vorge sehen. Eine Umsetzung in deutsches Recht steht noch aus. Eine der wichtigsten bestehenden europäischen Rechtsnormen in Bezug auf die Ausweitung solarer Wärmenetze ist die o.g. EU-Erneuerbare-RL 2009/28/EG. Darin ist u.a. fixiert, dass die Mitgliedsstaaten Nationale Aktionspläne für erneuerbare Energie zur Erreichung der Ziele verabschieden sollen. Besonders relevant für die Förderung solarer Wärmenetze ist Artikel 13 Abs. 4 der Richtlinie. Hierin ist festgelegt, dass die Mitgliedsstaaten in ihren Bauvorschriften und Regelwerken Maßnahmen aufnehmen müssen, um den Anteil erneuerbarer Energie im Gebäudebereich zu erhöhen. Konkret müssen bis zum 31.12.2014 dort Regelungen aufgenommen werden, die bei Neubau und grundlegender Renovierung ein Mindestmaß an Energie aus erneuerbaren Quellen sicherstellen sollen. Diese Anforderung kann auch über Fernwärme erfüllt werden, wenn diese zu einem bedeutenden Anteil aus erneuerbaren Energien erzeugt wird. Auch auf bundesgesetzlicher Ebene ist die leitungsgebundene Wärmeversorgung vergleichsweise wenig reguliert. Wichtige Aspekte einer ökologischen und verbraucherfreundlichen Fernwärmeversorgung sind derzeit vom geltenden Rechtsrahmen auf nationaler Ebene nicht erfasst. So existieren keine verbindlichen Vorgaben für die energetische Effizienz der Erzeugung und der Verteilung, keine Vorgaben zur Produkt- und Preistransparenz für die Verbraucher sowie keinen geregelten Zugang Dritter zu den Netz-Infrastrukturen. Dies wird in anderen europäischen Ländern teilweise unterschiedlich gehandhabt. Insbesondere das Beispiel Dänemark zeigt, dass ein verlässlicher Regulierungsrahmen u.a. über eine Besteuerung fossiler Brennstoffe, die staatliche Preisaufsicht und die Etablierung kommunaler Wärmeplanung effektive Anreize für private Investitionen in die solare Fernwärme setzen kann. 2 Richtlinie 2003/87/EG 3 Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen 4 Richtlinie 2010/31/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 über die Gesamteffizienz von Gebäuden 5 Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen 6 Richtlinie 2006/32/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2006 über Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen 10 In Deutschland umfasst der geltende Rechtsrahmen den Bereich Wärmenetze und großflächige Solarthermie in folgenden Rechtsbereichen: Gesetzgebungskompetenz Rechtsbereich Regelungen Bund Emissionshandel TEHG ZuV2020 Gemischte Zuständigkeit Umweltrecht BlmSchG Bund/Länder WHG NaturschutzG Konkurrierende Gesetzgebung Energierecht EnEG/EnEV Bund/Länder Wirtschaftsrecht EEWärmeG Bauplanungsrecht MAP Verbraucherschutz KWKG BauGB GWB AVBFernwärmeV Mietrecht Steuer- und Finanzrecht > Die AVBFernwärmeV regelt die allgemeinen Bedingungen für Lieferverträge zwischen Fernwärmeanbieter und Endkunden. Sie stellt einen grundlegenden Verbraucherschutz dar. > Im GWB ist ein kartellrechtliches Missbrauchsverbot formuliert, das formal einen Zugang Dritter zur Wärmenetz-Infrastruktur eines marktbeherrschenden Unternehmens ermöglichen könnte. In der Praxis findet jedoch Wettbewerb im Netz bisher nicht statt. > Große Wärmeerzeugungsanlagen unterfallen im Hinblick auf deren Treibhausgasemissionen dem TEHG und in Bezug auf den Immissionsschutz dem BImSchG. > Das EEWärmeG fixiert einen Mindestanteil an erneuerbarer Energie bei Errichtung neuer Gebäude. Der Einsatz von Wärme aus Wärmenetzen kann als Ersatzmaßnahme gewertet werden. > Die EnEV stellt Anforderungen an die Energieeffizienz bei der Errichtung und der Modernisierung von Gebäuden. Eine leitungsgebundenen Wärmeversorgung geht über den Primärenergiefaktor in die Primärenergiebilanz des Gebäudes ein. > Das KWKG fixiert einen Abnahme- und Vergütungsanspruch für Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung sowie einen finanziellen Zuschlag für den Neu- und Ausbau von Wärmenetzen. Zur Umsetzung der o.g. EU-Erneuerbare-RL dient in Deutschland das Erneuerbare-Wärme-Gesetz EEWärmeG. In Bezug auf die Umsetzung der genannten Anforderung sind jedoch hier noch zwei wesentliche Regelungslücken vorhanden. Das EEWärmeG betrifft in Deutschland erstens nur die Errichtung von Gebäuden, nicht die Modernisierung des Bestands. Und zweitens ist die Erfüllung der Anforderung durch die Ersatzmaßnahme Fernwärme nicht daran gebunden, dass ein bedeutender Anteil der Fernwärme aus erneuerbarer Energie stammt. Im Fall einer entsprechenden Novellierung des EEWärmeG könnte sich ein zusätzlicher Treiber für die Marktausweitung der solaren Fernwärme ergeben. Bislang gehen vom bestehenden gesetzlichen Rahmen keine positiven Steuerungseffekte zur Marktausweitung der solaren Fernwärme aus. Fragen-Antworten-Katalog – Solarthermie und Fernwärme 11 7. Welche Vertragsbasis zur Flächennutzung sollte favorisiert werden? Der Zugriff auf die benötigten Flächen sollte langfristig gesichert sein, um die Refinanzierung der Investitionskosten durch die Wärmeerlöse zu ermöglichen. Dafür kommen in erster Linie der Erwerb der Grundstücke oder eine langfristige Pachtlösung in Frage. 8. Besteht die Möglichkeit langfristige Verträge zur Wärmeabnahme zu schließen? Die Laufzeit der Versorgungsverträge ist beim Erstanschluss nach §32 AVBFernwärmeV auf 10 Jahre begrenzt. Dies gilt nicht für Industrieunternehmen und für den besonderen Fall, dass der Kunde mit einer abweichenden Regelung ausdrücklich einverstanden ist. Da die Umstellung seitens bestehender Fernwärmekunden auf eine andere Art der Versorgung jedoch im Regelfall aufwändig ist, wird diese unterbleiben, wenn der Versorger zu angemessenen Preisen Wärme liefert. Wird der Vertrag nicht von einer der beiden Seiten mit einer Frist von neun Monaten vor Ablauf der Vertragsdauer gekündigt, so gilt eine Verlängerung um jeweils weitere fünf Jahre als stillschweigend vereinbart. 9. Gibt es Möglichkeiten, die Nutzung vorzuschreiben (z.B. Satzung)? Die Kommune verfügt über verschiedene Instrumente, den Anschluss an ein Wärmenetz und die Nutzung der Wärme vorzuschreiben. Dabei kommen folgende Rechtsgrundlagen in Betracht: > Erlass einer Gemeindesatzung auf der Rechtsgrundlage der landesgesetzlichen Gemeindeordnungen, auch in Verbindung mit § 16 EEWärmeG > Vertragliche Fixierung in einem privatrechtlichen Vertrag, z.B. Grundstückskaufvertrag oder städtebaulichem Vertrag > Festsetzung im Bebauungsplan im Rahmen einer verbindlichen Bauleitplanung > Erlass eines Verbrennungsverbotes gemäß § 9 Nr. 23 BauGB zum Schutz gegen Luftverunreinigung Gemeindesatzung In den meisten Fällen (etwa 70 %) wird ein kommunaler Anschluss- und Benutzungszwang durch eine Gemeindesatzung erlassen. In allen Bundesländern gibt es dafür die entsprechenden landesrechtlichen Ermächtigungen für die Kommunen. In Thüringen ist dies der § 20 Abs. 2 Nr. 2 der Thüringer Kommunalordnung7: … Weiter können die Gemeinden in Satzungen insbesondere regeln: …2. aus Gründen des öffentlichen Wohls die Verpflichtung zum Anschluss von Grundstücken an Anlagen zur Versorgung mit Fernwärme, zur Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Straßenreinigung und ähnliche dem Gemeinwohl dienende Einrichtungen (Anschlusszwang) sowie die Verpflichtung zur Benutzung dieser Einrichtungen (Benutzungszwang). Während in den alten Bundesländern vom Anschluss- und Benutzungsgebot hauptsächlich bei der Planung von neuen Siedlungsgebieten Gebrauch gemacht wurde, um die Wirtschaftlichkeit neuer Wärmenetze sicherzustellen, 7 Thüringer Kommunalordnung i.d.F. vom 28.03.2003 nach Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung der Thüringer Kommunalordnung und anderer Gesetze vom 18. Dezember 2002 (GVBl. S. 467) 12 gibt es in den neuen Bundesländern auch zahlreiche Anschluss- und Benutzungsgebote für den Gebäudebestand, der jeweils bei einem anstehenden Austausch der bestehenden Heizung zur Anwendung kommt. Mit dem Erlass des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes (EEWärmeG) hat der Bundesgesetzgeber die Rechtsgrundlage für einen kommunalen Anschluss- und Benutzungszwang aus Klimaschutzgründen gestärkt8. Nach § 16 EEWärmeG wird den Kommunen ermöglicht, „von einer Bestimmung des Landesrechts, die sie zur Begründung eines ABZ an ein Netz der öffentlichen Fernwärme- oder Fernkältenutzung ermächtigt, auch zum Zweck des Klima- und Ressourcenschutzes Gebrauch zu machen“. Städtebauliche und privatrechtliche Verträge Gegenüber dem Instrument der Gemeindesatzung werden privatrechtliche Vereinbarungen in Grundstückskaufverträgen oder städtebaulichen Verträgen weniger häufig angewandt. Gegenüber Bebauungsplanung nach § 9 BauGB ist der städtebauliche Vertrag nach § 11 BauGB ein eher kooperatives Instrument der Bauleitplanung. Mit diesem öffentlich-rechtlichen Vertrag können zwischen Gemeinde und dem Vertragspartner Regelungen zur Umsetzung städtebaulicher Ziele getroffen werden. Die Regelungsmöglichkeiten der Vertragspartner im städtebaulichen Vertrag sind relativ weit gefasst, dies gilt auch für Festlegungen in energetischer Sicht. Mit der Novelle des Baugesetzbuches 2004 wurde bezüglich des städtebaulichen Vertrages klargestellt, dass auch die Nutzung erneuerbarer Energien wie etwa Solarthermie Vertragsgegenstand sein kann. Neben den hoheitlich-rechtlichen Maßnahmen kann die Kommune auch zivilrechtliche Instrumente nutzen, um das Ziel einer erhöhten Anwendung der Solarthermie zu erreichen. Solange die Kommune die auch im Verwaltungsprivatrecht geltenden grundrechtlichen Bindungen beachtet, ist die Kommune frei in der Entscheidung, ob sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben das öffentliche oder das private Recht heran zieht. Für die Anwendung des Zivilrechts kommt insbesondere die Liegenschaftspolitik in Betracht. Immer dann, wenn die Kommune öffentliche Grundstücke zum Zweck der Bebauung verkauft, verpachtet oder vermietet, könnte sie Bestimmungen zur verpflichtenden Nutzung eines solaren Wärmenetzes vertraglich fixieren. Bauleitplanung Mit der verbindlichen Bauleitplanung nach § 9 des Baugesetzbuches hat die Kommune die Möglichkeit, energetische Festsetzungen in kommunalen Bebauungsplänen zu treffen. Mit der Novellierung des Baugesetzbuches in 2004 sind der allgemeine Klimaschutz und die Energieeffizienz als berücksichtigungsfähige Belange in die kommunale Bauleitplanung integriert worden (§1 Abs. 5 und 6 BauGB). Damit ist nun gesetzlich festgelegt, dass die Kommune im Rahmen der Bebauungsplanung klimaschutzbezogene Regelungen treffen kann. Auf der Grundlage des Baugesetzbuches kann die Kommune aus städtebaulichen Gründen u.a. folgende Festsetzungen treffen, die die Nutzung der Solarthermie begünstigen: > Versorgungsflächen, einschließlich der Flächen für Anlagen und Einrichtungen zur dezentralen und zentralen Erzeugung, Verteilung, Nutzung oder Speicherung von Strom, Wärme und Kälte aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärmekopplung (§ 9 Abs. 1, 12) > Gebiete, in denen bei der Errichtung von Gebäuden oder bestimmten sonstigen baulichen Anlagen bestimmte bauliche und sonstige technische Maßnahmen für die Erzeugung, Nutzung oder Speicherung von Strom, Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung getroffen werden müssen (§ 9 Abs.1, 23) 8 Tomerius (2013): Der Anschluss- und Benutzungszwang für kommunale Nah- und Fernwärmesysteme; ER 2/13 S. 61ff Fragen-Antworten-Katalog – Solarthermie und Fernwärme 13 > Bauweisen oder Ausrichtung der Baukörper. Dies kann z.B. die Nutzung der Solarthermie durch die entsprechende Orientierung der Gebäudedächer begünstigen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 23). Diese Regelungen ermöglichen einen für Dritte rechtsverbindlichen Rahmen der baulichen Raumnutzung, während der Flächennutzungsplan lediglich für die Kommune selbst bei Ihrer Planung verbindlich ist. Die möglichen Festsetzungen durch Bebauungspläne sind auf den im Baugesetzbuch definierten Regelungskatalog beschränkt. In der Fachdiskussion wird teilweise bestritten, dass durch einen Bebauungsplan privaten Bauherren die Nutzung der Solarthermie vorgeschrieben werden kann9. Jedoch sprechen auch einige Argumente dafür, dass mit der erfolgten Konkretisierung des BauGB auch gerade solche technische Maßnahmen festgesetzt werden können10. Eine Konkretisierung und Erweiterung des Rechtsrahmens zur Erweiterung der kommunalen Festsetzungsmöglichkeiten im Bereich der Bauleitplanung wäre hier sinnvoll. Eine Grundlage zur Weiterentwicklung des Rechtsrahmens könnten hier auch weitergehende und praxiserprobte Regelungen sein, die auf Basis der konkurrierenden Gesetzgebung durch die Bundesländer erfolgt sind. So hat z.B. die Freie und Hansestadt Hamburg bereits im Jahr 1997 ein Klimaschutzgesetz11 erlassen, auf dessen Grundlage in zahlreichen Bebauungsplänen Wärmenetze mit einem Mindestanteil Erneuerbarer Energien oder auch der Verpflichtung zum Einsatz solarer Warmwasserbereitung festgesetzt wurde. Ein vorhabenbezogener Bauleitplan nach § 12 BauGB (auch „Vorhaben- und Erschließungsplan“, VEP) ist eine Sonderform der verbindlichen Bauleitplanung, um die Zulässigkeit bestimmter Vorhaben zu bestimmen. Der Investor eines Bauvorhabens trifft im Rahmen eines solchen Verfahrens Vereinbarungen mit der Gemeinde über die Durchführung und Kostentragung für die Erschließung des Gebietes und die Durchführung städtebaulicher Maßnahmen. Durch einen Satzungsbeschluss der Gemeinde wird der VEP dann rechtlicher Bestandteil des vorhabenbezogenen Bebauungsplans. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan ist nicht an das relativ enge Raster der Festsetzungsmöglichkeiten nach § 9 BauGB gebunden (§ 12 Abs. 3 Satz 2 BauGB). Es können damit Festlegungen zu energetischen Standards der Bauweise oder der Energienutzung getroffen werden, die über die Gestaltungsvorgaben der Bauleitplanung hinausgehen. Dies betrifft z.B. die mögliche Festlegung der Versorgung durch Wärmenetze oder erneuerbare Energien, z.B. Solarthermie. Verbrennungsverbote Das Verbrennungsverbot gemäß § 9 Nr. 23 a) BauGB wirkt wie ein Quasi-Anschluss- und Benutzungszwang, da dezentrale Kesselanlagen bzw. bestimmte Brennstoffe dort nicht zulässig sind. Es kommt nur in Ausnahmefällen bei besonders sensiblen Gebieten wie etwa Kurorten oder Naherholungsgebieten zur Anwendung. 10. Gibt es Anforderungen an Mindestabstände zu Wohnhäusern? Grundsätzlich stehen keine rechtlichen Hemmnisse entgegen, eine frei aufgestellte Solarkollektoranlage in der direkten Nähe zu Wohnhäusern aufzustellen. Von den Anlagen gehen weder besondere Gefahren noch problematische Emissionen aus. Eine baurechtliche Genehmigung mit Abwägung alle Belange ist jedoch erforderlich. 9 Kahl (2010): Klimaschutz durch die Kommunen, ZUR 9/2010, S. 397 ff. 10 Kopf (2012): Klimaschutz in der Planungs- und Genehmigungspraxis – die BauGB-Novelle 2011, LKRZ 7/2012, S. 264 ff. 11 Hamburgisches Gesetz zum Schutz des Klimas durch Energieeinsparung (Hamburgisches Klimaschutzgesetz - HmbKliSchG) Vom 25. Juni 1997), HmbGVBl. 1997, S. 261, geändert durch Gesetz vom 6. Juli 2006, HmbGVBl. S. 404 14 In der Praxis werden frei aufgestellte Anlagen aus ökonomischen Gründen eher dort in Betracht kommen, wo die Grundstückspreise niedrig sind (z.B. landwirtschaftliche Flächen, Brachflächen) oder wo eine Wohnnutzung nicht möglich ist (z.B. Flächen mit belasteten Böden). 11. Wie ist die politische/gesellschaftliche Meinung vor Ort zu derartigen Anlagen? Die politisch-gesellschaftliche Meinung vor Ort für solare Wärmenetze betrifft grundsätzlich zwei Bereiche: Erstens den Anschluss an ein Wärmenetz insgesamt und zweitens den Bau großflächiger Solarkollektoranlagen „auf der grünen Wiese“. Um eine Akzeptanz für beide Themen zu erreichen, sind vor allem eine breitenwirksame Information sowie eine veränderter Rahmens für die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger erforderlich. Teilweise bestehen emotionale Hürden, die eigene Heizanlage im Haus durch einen Anschluss an ein extern gesteuertes Netz zu ersetzen. Eine gemeinschaftliche Organisationsform mit Eigentumsanteilen kann helfen, diese Hürden zu überwinden. Der Erfolg der dänischen Fernwärmepolitik wird auch darauf zurückgeführt, dass die Bürgerinnen und Bürger über Genossenschaften oft unmittelbar an den Wärmeversorgern beteiligt sind. Die gesetzlich gedeckelten Gewinne aus dem Betrieb des Fernwärmesystems verbleiben somit bei den Verbrauchern. Auch sollten die Wärmeversorger mit einem hohen Maß an Produkt- und Preistransparenz versuchen, emotionale Hürden gegenüber einer Fernwärmeversorgung abzubauen. In Bezug auf die frei aufgestellten Solarkollektoranlagen sollte heraus gestellt werden, dass diese Energieform auf die Fläche bezogen gegenüber der Bioenergienutzung viel effizienter ist und auch keine Umweltbelastung (etwa durch Düngung etc.) auftritt. Durch diese Art der Anlagen kann ein konkurrenzfähiger Wärmegestehungspreis gegenüber fossiler Wärme erzielt werden. Dies ermöglicht die Verbesserung der Versorgungssicherheit im Wärmesektor und auch langfristig gut kalkulierbare Wärmepreise. 12. Sind der Anschluss und die Abnahme durch die im Planungsgebiet vorhandenen Verbraucher langfristig mittels Vereinbarung oder Satzung gesichert? siehe Antworten 8 und 9 Antworten von in.RET (FH Nordhausen) und FG Thermo- und Magnetofluiddynamik (TU Ilmenau) zu den rechtlich-wirtschaftlichen Fragestellungen 13. Kriterien bei Einbindung in Nah- oder Fernwärmenetze hinsichtlich Temperaturniveau und Druck? Solarthermieanlagen werden grundsätzlich indirekt eingebunden, verfügen also über einen getrennten Hydraulikkreislauf, meist mit Glykol-Wasser-Gemisch. Die Übertragung der Solarwärme kann in verschiedenen Varianten erfolgen, die zu unterschiedlichen Auswirkungen auf das Wärmenetz führen. 14. Müssen Veränderungen/Anpassungen bei den Endkundenanlagen vorgenommen werden? Nein – Solaranlage werden generell am Wärmeerzeugungsort (Heizzentrale, Heizwerk, Heizkraftwerk) eingebunden. Der Endkunde wird daher weiterhin über die bestehende Hausanschlussstation (HAST) mit Wärme versorgt. Fragen-Antworten-Katalog – Solarthermie und Fernwärme 15 Es wurden jedoch jüngst dezentrale Einspeisevarianten vorgestellt, bei der die Solarwärme über eine modifizierte HAST eingebunden ist12. Nur in diesem Fall wären Anpassungen an Endkundenanlagen notwendig. 15. Einsatz mobiler Wärmespeicher möglich? Der Einsatz mobiler Wärmespeicher (z.B. als Container mit PCM-Inventar) ist nur in wenigen speziellen Fällen wirtschaftlich sinnvoll, maßgebend hierbei sind die Wärmegestehungskosten. Zudem sollte eine belastbare Aussage des PCM-Herstellers bzgl. der Zyklenfestigkeit der verwendeten Materialien vorliegen. Zum Einsatz von mobilen Zeolith-Speichern liegt eine Machbarkeitsstudie des Bundesamts für Energie (BFE, Schweiz) vor (Schlussbericht zu den Projekten 153964 / 102617). 16. Welche Unternehmen sind potenzielle Planer/Projektentwickler? Grundsätzlich alle Ingenieur- und Planungsbüros, Institute und Hersteller mit nachgewiesener Erfahrung und Qualifizierung im Bau und Betrieb großer Solarthermieanlagen. Entsprechende Referenzen sollten vorgelegt werden können, Empfehlungen können bei SOLITES, der TU Ilmenau u.a. abgerufen werden. 17. Gibt es Anbieter für schlüsselfertige Anlagen? Ja. Informationen sind erhältlich über die die Internetseite www.solare-fernwaerme.de (> Branchenverzeichnis), die DSTTP-Solarthermie-Technologie-Plattform (www.dsttp.de), über der Fördermittelgeber (www.bafa.de) und diverser Hersteller. 18. Können andere Wärmequellen (z.B. Abwärme) „gleich mit“ erschlossen werden? [Energieeffizienz allgemein, nicht spezifisch Solarthermie & Wärmenetze] Es empfiehlt sich immer ein serielles Vorgehen: 1. Minderung des Energieverbrauchs (Vermeidung, Verhaltensänderung) 2. Erhöhung der Effizienz durch Betriebsoptimierung (Minderung des Temperaturniveaus, Erhöhung Wirkungsgrade etc.) 3. Nutzung/Einbindung kostenloser Abwärme 4. Einsatz erneuerbarer Energie (Solarthermie) Vor Beginn der Umsetzungsmaßnahmen sollten die Ziele und Kriterien bzgl. Wirtschaftlichkeit und Umweltstandards unter allen Beteiligten abgestimmt werden. 19. Können Abweichungen zwischen Bedarf und „Angebot“ mit Speichern, Wärmepumpen und/oder Adsorptions-Kälteanlagen ausgeglichen werden? Wenn ja, ist dafür geeigneter Platz vorhanden oder kann geschaffen werden? Dies ist ein grundlegendes Problem des Anlagenentwurfs, vgl. auch Antwort zur Frage 46. Meist bedarf es detaillierter Jahresertragssimulationen, um die passende Anlagenkonfiguration auszuwählen. 12 vgl. dazu Dezentrale Einspeisevarianten sind z.B. beschrieben in: Schäfer, K.: Dezentrale Einspeisung von Solarthermie in Wärmenetze – technische Analyse von realisierten Anlagen, (Solites, Stuttgart), veröffentlicht bei OTTI 2014 sowie Löser. et.al.: Solarthermische Einspeisung in Fernwärmesysteme – Testerfahrungen mit einer kombinierten Hausanschluss- und Netzeinspeisestation. (TU Dresden, Institut für Energietechnik), veröffentlicht bei OTTI 2014 16 20. Welche Speichergröße gilt als ideal (grober Richtwert)? [Solarthermie allgemein, nicht spezifisch Solarthermie & Wärmenetze] Wirtschaftlichkeit ist unter den gegebenen Bedingungen derzeit vor allem mit knapp bemessenen Solarthermieanlagen zu erzielen (vgl. Antwort 46). Diese sog. Vorwärmanlagen mit geringen Deckungsanteilen ( Solare Fernwärme: Einbindung der Solarthermie direkt in das bestehende Fernwärmenetz mit Temperaturen von 95/65 °C (Vorlauf/Rücklauf). Diese Einbindung ist bereits heute voll umsetzbar. Bei der zukünftigen Erschließung des Entwicklungsgebiets kann die solare Wärme dann sukzessive für das Niedertemperaturnetz ausgekoppelt werden. > Niedertemperaturnetz: Versorgung des Gebiets Äußere Oststadt mit 20 % Solarwärme über das Niedertemperaturnetz mit Temperaturen von 70/40 °C. Die restliche Wärme wird aus dem Fernwärmenetz bereitgestellt. Auf diese Weise wird das Entwicklungsgebiet zukünftig umweltfreundlich mit einem Anteil von 20 % aus emissionsfreier erneuerbarer Solarwärme und annähernd 80 % aus hocheffizienter KWK versorgt. Es wurde mit einer Kollektorfläche von 12 000 m² (Vakuumröhrenkollektoren) gerechnet, die auf der Freifläche der SWE Energie GmbH installiert werden können. In der Variante Solare Fernwärme kann ein solarer Nutzwärmeertrag von 4500 MWh/a zu solaren Wärmegestehungskosten von 46 €/MWh bereitgestellt werden. In der Variante Niedertemperaturnetz können über die verfügbare Fläche 135 Gebäude mit insgesamt 30 000 MWh/a Wärmebedarf mit einem solaren Deckungsanteil von 20 % versorgt werden. Die Kollektoren stellen dabei einen solaren Nutzwärmeertrag von 6172 MWh/a zu solaren Wärmegestehungskosten von 40 €/MWh bereit. Es wird ein zusätzlicher Wärmespeicher mit 3000 m³ Volumen benötigt. Die genannten Wärmegestehungskosten (netto) wurden vereinfacht nach VDI 2067 mit einer Investitionsförderung für Wärmespeicher und Kollektoren nach dem Marktanreizprogramm (MAP) des BMWi berechnet [1]. Die Einbindung von Solarthermie in das bestehende Fernwärmenetz kann schon jetzt realisiert werden. Diese Variante stellt eine gute Möglichkeit dar, insbesondere da die Entwicklung des Gebiets Äußere Oststadt zeitlich noch nicht absehbar ist. Bei Beginn der Bebauung der Äußeren Oststadt wird das Niedertemperaturnetz realisiert und die Solarwärme abhängig von dem sich entwickelnden Wärmebedarf eingebunden. Der Betrieb der Solarkollektoren wird dann auf das Niedertemperaturnetz umgestellt, so dass sie effizienter arbeiten. Das Fernwärmenetz stellt weiterhin Wärme für das Niedertemperaturnetz bereit. 2 Hintergrund Das Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz (TMUEN) führt seit Januar 2014 eine Initiative zur Markteinführung von solaren Nah- und Fernwärmeanlagen durch. Hierzu wurden durch das TMUEN zwei Workshops organisiert, die sich an Vertreter der regionalen Wärmeversorger, der Wohnungswirtschaft und der Kommunen richteten. Weiter wurde gemeinsam mit Marktakteuren ein Fragenkatalog zur Thematik solare Nahund Fernwärme erstellt, der im Nachgang durch Experten der TU llmenau, HS Nordhausen, Hamburg Institut Consulting GmbH (HIC) und Solites bearbeitet wurde. Als nächster Schritt sollen drei Fallstudien für solare Nah- und Fernwärmeanlagen erstellt werden. Die Fallstudien werden anhand realer Daten in Kooperation mit Kommunen und/oder Stadtwerken aus Thüringen erstellt. In 26 den drei Kommunen soll hierbei repräsentativ die Einbindung von Solarthermie in ein großes Fernwärmenetz, ein mittelgroßes Fernwärmenetz und ein Nahwärmenetz untersucht werden. Zweck der Fallstudien ist es, die technische und wirtschaftliche Machbarkeit von solaren Nah- und Fernwärmeanlagen anhand konkreter Beispiele nachzuweisen und bestenfalls neue Projekte zu initiieren. Die Fallstudien sollen weiter bei Verbreitungsaktivitäten unterstützend Verwendung finden. Die Fallstudien werden gemeinschaftlich durch die Organisationen TU llmenau, HS Nordhausen, HIC und Solites als Projektpartner bearbeitet. Für die Fallstudie für ein großes städtisches Fernwärmenetz wurde die Landeshauptstadt Erfurt ausgewählt. Erfurt ist eine Wachstumsstadt mit aktuell ca. 200 000 Einwohnern. Damit auch zukünftig ausreichend Wohnraum zur Verfügung steht, plant die Stadt Erfurt, neue Gebiete für den Wohnungsbau zu erschließen. Zusammen mit dem Bau von Wohnungen sind Konzepte für die Energieversorgung der neuen Gebäude unerlässlich. Der örtliche Energieversorger SWE Energie GmbH möchte für die neuen Gebiete nachhaltige Energieversorgungskonzepte erarbeiten und in die Planungen der Stadt integrieren. Eines der neuen Entwicklungsgebiete ist die ICE City Ost. In dieser Studie werden mögliche Konzepte zur Integration von Solarwärme in die Wärmeversorgung des Gebiets ICE City Ost erarbeitet. Die Energieerträge und die Wirtschaftlichkeit werden berechnet und Hinweise zur Einbindung der Solarthermie gegeben. 3 Ausgangssituation In Verbindung mit dem Verkehrsprojekt Deutsche Einheit (VDE 8), in dem der Erfurter Hauptbahnhof bis 2017 in ein ICE-Drehkreuz umgebaut wird, werden Bahn- und Gewerbeflächen im Umfeld des Hauptbahnhofes frei. Östlich des Hauptbahnhofes erfolgt auf den freiwerdenden Flächen die Neuentwicklung des Stadtteils ICE City Ost für die bereits ein städtebauliches Konzept vorliegt. Das Nutzungskonzept für das Gebiet umfasst mehrgeschossige Gebäude mit Gewerbe-, Büro- und Wohnnutzungen [2]. Die Bebauung wird innerhalb der nächsten 10 bis 20 Jahre erwartet. Die bestehende Fernwärmeversorgung der SWE Energie GmbH für die Stadt Erfurt besteht aus einem Dampf- und Heißwassernetz. Eine Gas- und Dampfturbinenanlage (GUD) und zwei Heißwassererzeuger am Standort Erfurt Ost versorgen das Heißwassernetz mit ca. 600 GWh/a Wärme [3]. Für die Optimierung der GUD-Anlage wurde am Standort Iderhoffstraße ein Wärmespeicher mit 7000 m³ nutzbarem Speichervolumen realisiert. In diesem Rahmen wurde das primäre Heißwassernetz in zwei Abschnitte aufgeteilt. Die beiden Abschnitte werden durch eine Beimischstation getrennt, die im Sommerhalbjahr die Netztemperaturen in dem nachgelagerten Teilnetz mit integriertem Wärmespeicher auf 95 °C im Vorlauf absenkt, während die Temperaturen in dem verbleibenden Wärmenetz mit 115 °C im Vorlauf und 70 °C im Rücklauf beibehalten werden. Im Winterbetrieb ist bei Entladung des Wärmespeichers eine Erwärmung auf die Netzvorlauftemperatur durch den Fernwärmedampf aus dem Dampfnetz der SWE Energie GmbH möglich. Die Beimischstation wird im Winter nicht betrieben. Die Äußere Oststadt als Teil der in Planung befindlichen ICE City Ost grenzt unmittelbar an den Standort Iderhoffstraße des Wärmespeichers der SWE Energie GmbH. Das Gelände am Speicherstandort der SWE umfasst zusätzlich zu dem Wärmespeicher eine Brachfläche des ehemaligen Gaswerks und des ehemaligen Heizkraftwerks. Das Konzept der SWE ist, diese Fläche ganz oder teilweise mit Solarthermie zu belegen und somit die geplanten Gebäude über ein neues Nahwärmenetz mit Solarwärme zu versorgen. Das neue Nahwärmenetz soll dabei über den Wärmespeicher mit dem bestehenden Fernwärmenetz verbunden werden. Der Rahmenplan für die Äußere Oststadt und ein Kartenausschnitt des gleichen Gebiets mit der aktuellen Bebauung sind in Abbildung 1 und Abbildung 2 dargestellt. Die in den Kartenausschnitt eingezeichnete Fläche ist die maximale Freifläche des ehemaligen Gaswerks und Heizkraftwerks, welche für Solarthermie zur Verfügung steht. Fallstudie Solare Fernwärme Erfurt 27 Abbildung 1: Rahmenkonzept Äußere Oststadt mit dem Abbildung 2: Kartenausschnitt zur heutigen Bebauung mi

Julian Kuntze2023-03-22T11:50:53+01:00Dienstag, 1. November, 2016|
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