Solarthermie als Teamplayer: Kollektoren passen in fast jeden Fernwärme-Mix

www.solare-wärmenetze.de Infoblatt Nr. 17 Bis vor wenigen Jahren galten innovative Wärmeerzeuger wie Wärmepumpen, So lar thermie-Kollektorfelder und Power-to-Heat-Anlagen für die Fernwärme bestenfalls als Fuel-Saver. Deren Megawattstundenpreis hatte zwar wettbewerbsfähig zu sein, aber ihre Einsatzbereitschaft und Berechenbarkeit spielte für die Versorgungssicherheit keine primäre Rolle, weil es ja stets fossile Backup-Aggregate gab. 100 Prozent CO2-freie Wärme Doch die Planungsmaximen der Fernwärmeversorger haben sich gewandelt. Im Lichte einer bis spätestens 2045 zu 100 Prozent klimaneutralen Wärmeerzeugung muss jede Investition in neue, langlebige Wärmeerzeugungskapazitäten bereits heute ihren Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten können. Das gilt auch für eine von Natur aus fluktuierende Energiequelle wie die Solarthermie. Einen zusätzlichen Schub hat diese Sichtweise durch die Energiekrise des Jahres 2022 mit explodierenden Erdgaspreisen erfahren. Stadtwerke, die in diesen Zeiten bereits eine Solarthermieanlage im Portfolio hatten, konnten sich über jede Megawattstunde freuen, die aus den Röhren- oder Flachkollektoren in ihre Netze strömte. Und bei den anderen Versorgern hat die Erdgasknappheit das Interesse an Solarwärme und anderen erneuerbaren Energien Ob in Verbindung mit Erdgas-BHKW, Holzkesssel, Wärmepumpe oder sogar Geothermie – Solarthermie bewährt sich in der Fernwärme im Zusammenspiel mit sehr unterschiedlichen Energieerzeugern und Speichern. Eine Solarthermieanlage übernimmt dabei verlässlich verschiedene Aufgaben im System. Beispiel Lemgo: Solarthermie mit Wärmepumpen und KWK Die Stadtwerke Lemgo zeigen, wie vielfältig ein moderner Fernwärme-Energiemix sein kann. Das Solarthermiefeld ar beitet zusammen mit Großwärmepumpen und Blockheizkraftwerken, die sich teils im grauen Betriebsgebäude im Hintergrund befinden. Eine Wärmepumpe mit 1 MW Leistung nutzt die Temperaturen des Flusses Bega, eine weitere die Restwär me aus dem Abwasser der benachbarten Kläranlage. SOLARTHERMIE ALS TEAMPLAYER KOLLEKTOREN PASSEN IN FAST JEDEN FERNWÄRME-MIX Infoblatt Nr. 17 deutlich gesteigert. Um allerdings im Zusammenspiel zu harmonieren, muss die Solarthermie „teamfähig“ sein. Solarthermie bringt Sicherheit Große Solarthermieanlagen seien eine schon seit vielen Jahren ausgereifte Technik, sagt Dirk Mangold, Leiter des Steinbeis-Forschungsinstituts Solites: „Die Solarthermie ist ein normaler Teil eines zukünftig emissionsfreien Erzeugerparks – mit einigen Vorteilen.“ Dazu gehört für den Wissenschaftler nicht nur, dass die Kosten einer solaren Kilowattstunde ab dem Zeitpunkt der Investition über Jahrzehnte im Voraus berechenbar und sicher sind. Vielmehr sei Solarwärme völlig emissionsfrei und erziele zudem den höchsten Energieertrag auf der Aufstellfläche im Vergleich zu allen anderen erneuerbaren Energien. Bei sehr kleinen solaren Deckungsanteilen werde die Solarwärme immer im Wärmenetz aufgenommen. Bei Anteilen ab rund 5 Prozent werde ein Wärmespeicher notwendig, so Mangold, wenn keine solar erzeugten Megawattstunden verschenkt werden sollten. Dieser Wärmespeicher gleiche den entsprechend der Sonneneinstrahlung fluktuierenden Solarertrag für das Wärmenetz aus. Ob das ein kleiner Pufferspeicher zur Abfederung von Erzeugungsspitzen sei, ein multifunktionaler Mehrtagesspeicher oder gar ein saisonaler Wärmespeicher, spiele für die Regelbarkeit der Solarthermieanlage zunächst mal keine Rolle. Vielmehr profitiere nicht nur die Kollektoranlage vom Speicher, betont Mangold: „Ein Wärmespeicher, der als zentrales Systemelement auch anderen Erzeugern wie Holzkessel, Wärmepumpen, Geothermieund Power-to-Heat-Anlagen dient, verbessert gleichzeitig deren Betriebseffizienz und damit die Wirtschaftlichkeit der gesamten Erzeugung. Ist die multifunktionale Nutzung des Wärmespeichers umfangreich, muss dessen Volumen im Vergleich zu einem reinen solaren Wärmespeicher gegebenenfalls erhöht werden. Durch Systemsimulationen kann das wirtschaftliche Optimum zwischen Speichergröße und Speicherkosten gefunden werden. Solche Simulationen sind auf jeden Fall notwendig, wenn ein saisonaler Wärmespeicher eingesetzt werden soll.” 70 Prozent Solardeckung 2024 sind in Deutschland mehrere saisonale Erdbecken-Wärmespeicher im Bau, die einen solaren Deckungs anteil bis zu 70 Prozent des jährlichen Wärmebedarfs ermöglichen. Dazu trägt auch die geschickte Kombination der Solarthermie mit anderen Erzeugern bei. Im hessischen Dorf Bracht sollen zwei Wärmepumpen mit zusammen 1,2 MW die im unteren Bereich des Speichers enthaltene Restenergie unter Einsatz von Ökostrom auf ein höheres Temperaturniveau veredeln. Damit he - ben sie auch den Wirkungsgrad der Solarkollektoren, in dem diese mit nied- Das Anlagenschema des in Bau befindlichen Wärmenetzes in Bracht, Ortsteil der Stadt Rauschenberg, könnte zur Blaupause einer weitgehend solaren Dorfwärmeversorgung werden. Der Erdbecken-Wärmespeicher ermöglicht einen 70-prozentigen sola ren Deckungsgrad. Dass die Temperaturschichtung im Speicher mittels Wärme - pum pen verbessert wird, bringt der Solarthermieanlage dabei hohe Wirkungsgrade. Bracht: 70 % Solarthermie dank Saisonalspeicher + Wärmepumpe Für die Systemeinbindung einer Solarthermieanlage und das Zusammenspiel mit den anderen Wärmeerzeugern spielt der Speicher oft eine zentrale Rolle. Hier in Bernburg sorgen 150 m3 Speichervolumen dafür, dass die Solarthermieanlage mit den Blockheizkraftwerken harmoniert. Und er puffert die Solarleistung, die im Sommer mittags oft höher ist als die aktuelle Last im Fernwärmenetz. Pufferspeicher – Moderator zwischen verschiedenen Erzeugern Grafik: Uni Kassel www.solare-wärmenetze.de Jens Kühne, Bereichsleiter Erzeugung, Sektorkopplung & Speicher beim Fernwärmeverband AGFW, erklärt, wie in Fernwärmesystemen das Zusammenspiel von Solarthermie mit anderen nachhaltigen Energiequellen gelingt. Es gibt jetzt in Deutschland fast 60 große Solarthermieanlagen in der Fernwärme. Ist eine solche Anlage für Netzbetreiber noch eine Exotin im Erzeugerpark? Solarthermie ist in das ganz normale Portfolio eingegangen, das man sich als Netzbetreiber anschaut, wenn man Erzeugungsleistung hinzubauen möchte. Was macht Solarthermie für ein Stadt - werk dennoch zu etwas Besonderem? Besonders ist die Kostenstabilität. Man weiß von vornherein, wie hoch die Gestehungskosten der Energie in Zukunft sein werden – unabhängig davon, wie sich die Energiemärkte verhalten. Aber besonders ist auch, dass die Solarenergie nicht regel- und steuerbar ist. Das muss natürlich berücksichtigt werden. Und man muss auch die Gegebenheiten vor Ort in die Überlegungen einbeziehen. An welche Gegebenheiten denken Sie? Vor allem die Flächenverfügbarkeiten. Es müssen Genehmigungen erteilt werden. Man muss zusammen mit Umwelt- und Naturschutz schauen, dass auf technisch geeigneten Flächen auch tatsächlich eine Solaranlage gebaut werden kann. Wie kommen andere Erzeugungseinheiten im Netz mit der Solarthermie klar? Die einzelnen Anlagen sollten sich natürlich nicht „kannibalisieren“. Die Gefahr besteht im Sommer und in den Übergangsjahreszeiten, wenn die Solarthermie am meisten leisten kann. Wo eine Müll ver bren nungsanlage oder Industrieabwärme bereits einen Großteil der Sommerlast abdeckt, harmoniert das nicht so gut mit Solarthermie. Bei einer Geothermieanlage könnte es ähnlich sein. Anson - sten sehe ich kaum Einschränkungen. Aprilwetter: Hohe Sonneneinstrahlung wech selt mit dunklen Wolken. Dann drückt eine große Solaranlage starke Lastwechsel ins Netz. Muss sich der übrige Erzeugerpark darauf einstellen? Der übrige Anlagenpark muss sich nicht sehr darauf einstellen, wenn man die richtigen Vorkehrungen trifft. Wenn man zum Beispiel einen kleinen Zwischenspeicher einbaut, der die untertägigen Schwankungen ausgleichen kann, dann geht das recht gut. Dann werden solche Schwankungen in Megawattstärke nicht direkt ins Netz übergeben. Ansonsten sind aber auch größere Speicher sehr zu empfehlen, um die Fluktuation der Solarenergie tageweise auszugleichen. Muss die Solarthermie quasi ihren Speicher ins System mitbringen? Oder haben Wärmenetzbetreiber heutzutage ohnehin den Speicher auf dem Schirm, der dann zugleich den Einsatz einer Solarthermieanlage begünstigt? Viele haben den Speicher schon auf dem Schirm, um beispielsweise die KWKAnlagen stromgeführt fahren zu können. Aber mit einer Solarthermieanlage werden die Speicher um so wichtiger. Wer noch keinen Speicher hat, denkt den spätestens mit der Solarthermieanlage mit. Betrachtet ein Fernwärmebetreiber die Solarthermie vor allem als Fuel Saver? Ja. Aber sie kann auch zusätzliche Funktionen erfüllen. Beispielsweise kann sie eine Boosterfunktion übernehmen. Das müssen Sie erklären! Ich ersetze nicht einen anderen Wärmeerzeuger, sondern ich versuche in Netzbereichen, die weit von den im Sommer betriebenen Erzeugern weg liegen, durch die Solarther mieanlage samt Speicher eine Temperatursteigerung zu erreichen. Ist denn die Solarthermie für eine so tragende Rolle ausreichend berechenbar? Eine Solarthermieanlage, ein Gaskessel und ein Speicher könnten sich im Bundle als Netzbooster durchaus gut ergänzen. Kann man eine Solarthermieanlage in - zwi schen „von der Stange“ bestellen? Jedenfalls eher als vor fünf Jahren. Man kann mittlerweile auf standardisierte Produkte zurückgreifen und auch auf ein größeres Spektrum von Dienstleistungen. Die Hersteller haben sich weiterentwickelt. Sie bringen immer mehr Eigenleistung und Erfahrung in die Planung ein. Wie läuft der Erfahrungsaustausch dazu innerhalb der Versorgerbranche? Wir können als AGFW recht gute Unterstützung liefern und auch andere Verbände tun ihr Mögliches. Die Branche ist recht stark vernetzt, so dass man sich tatsächlich vor- und nach einer Solarinvestition gut austauschen kann. INTERVIEW: JENS KÜHNE Infoblatt Nr. 17 IMPRESSUM Das Infoblatt Solare Wärmenetze ist eine Initiative im Rahmen vom Projekt SolnetPlus – Solare Wärmenetze als eine Lösung für den kommunalen Klimaschutz. Mehr unter: www.solare-wärmenetze.de Herausgeber: Solites Steinbeis Innovation gGmbh Text und Fotos: Guido Bröer, Solarthemen Veröffentlichung: März 2024 | ISSN (Print) 2750-753X | ISSN (Online) 2750-7548 Die Verantwortung für den Inhalt dieser Publikation liegt beim Autor und der Herausgeberin. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung der Fördermittelgeber wieder. Weder die Fördermittelgeber noch Autor und Herausgeberin übernehmen Verantwortung für jegliche Verwendung der darin enthaltenen Informationen. unterstützt durch die Industrieinitiative Solare Wärmenetze der Solarthermieanbieter (IniSW) PARTNER rigen Rücklauftemperaturen arbeiten können. Außerdem hilft die Wärmepumpe, das Speichervolumen besser auszunutzen. Der Stromverbrauch der Wärmepumpe soll dabei nur 8 Prozent der Gesamtenergie ausmachen. Maximal ein Viertel des Jahresbedarfs sollen Holzkessel beisteuern. 70 Prozent Solarwärme sind auch das Ziel für ein Neubaugebiet der Stadt Hechingen. Auch hier sollen neben der großen So lar thermieanlage ein Erdbecken- Wär mepeicher sowie Wärmepumpen wirken. Zu sätz lich kommt oberflächennahe Geothermie aus einem Erdsondenfeld zum Einsatz, das über die Wärmepumpen ans Netz ange bun den ist. In He chingen werden die Erdsonden im Sommer mit dem Solarwärmeüberschuss auch regeneriert, sodass das Erdreich als weiterer Wärmespeicher wirkt. Das erhöht die Ausnutzung der Solarenergie weiter. Verschiedene Erzeugerparks Erzeugerparks mit Solarthermiekomponente werden immer vielfältiger. Fast schon ein Klassiker der ländlichen Ener giewende sind Dorfwärmenetze mit Holzfeuerungen, in denen eine Solarthermieanlage auf die vollständige Deckung des sommerlichen Wärmebedarfs ausgelegt wird. Seit rund 10 Jahren entstehen solche Anlagen in Deutschland. Dörfer wie Büsingen, Mengsberg oder Hallerndorf decken so seit Jahren ein Fünftel ihres Jahres- Wärmebedarfs von der Sonne. Weitaus komplexer ist der Erzeugerpark der Stadtwerke Greifswald, die aktuell die mit rund 18.700 Quadratmetern Kollektorfläche größte Solarthermieanlage Deutschlands betreiben. Die Anlage ist Teil eines sogenannten innovativen KWK-Systems (iKWK), zu dem auch ein Blockheizkraftwerk und ein Elektrodenkessel gehören. Letztere sollen es ermöglichen, den in der Region reichlich vorhandenen Windstrom bei Stromnetzengpässen sinnvoll zu nutzen. Die Greifswalder Fernwärme verfügt über weitere Blockheizkraftwerke, Kesselanlagen und eine große Luftwärmepumpe. Ihr Zwischenziel von 35 Prozent CO2-freier Fernwärmeerzeugung wollen die Stadtwerke erreichen, wenn bald der 5.500-Kubikmeter-Speicher in Be - trieb geht, der eine zentrale Rolle spielt. Heutzutage sind Solarthermieanlagen selbst in Fernwärmenetzen, die auf eine Grundlastversorgung aus Müllverbrennungsanlagen oder Industrieabwärme basieren, für Expert:innen nicht mehr undenkbar. Dirk Mangold erklärt, wa - rum: „Zum einen, weil beim Ausbau der Wärmenetze weitere erneuerbare Er - zeu gungskapazitäten gebraucht werden. Zum anderen, weil Multifunktionswärmespeicher ein Nebeneinander durchaus ermöglichen können.“ Deutschlands zurzeit größte Solarthermieanlage in Greifswald ist Teil eines komplexen Erzeugerparks mit BHKWs, Gaskesseln, Wärmepumpe, Elektrodenkessel und Speicher. Greifswald: Erzeugungsmix in der Transformation

Anna Laura Ulrichs2024-04-01T15:28:59+02:00Montag, 1. April, 2024|

Baggern in Bracht für den saisonalen Wärmespeicher und Solarthermie

Im Dorf Bracht, Nordhessen, wird für einen großen saisonalen Wärmespeicher gebaggert. Zukünftig liefert eine rund 13.000 Quadratmeter (Bruttokollektorfläche) große Solarthermieanlage die Wärme, die in diesen Wärmespeicher eingespeist wird. Genießen Sie unser Baggerballett von der Großbaustelle!

Anna Laura Ulrichs2024-04-01T17:19:40+02:00Samstag, 16. März, 2024|

Genossenschaftliche Solarwärme-Versorgung in Bracht

www.solare-wärmenetze.de Infoblatt Nr. 16 „Wir wollen hier eine Blaupause schaffen für andere Kommunen, die auch in diese Richtung denken“, sagt Helgo Schütze, Vorstandsmitglied der Genossenschaft Solarwärme Bracht eG. Er muss laut sprechen beim Ortstermin. Seine Stimme konkurriert mit dem Lärm von vier großen Baggern, einem Bulldozer und einer Rüttelwalze im Hintergrund. Etwa 14 Meter tief haben sie sich hineingegraben in den roten Sandstein Nordhessens. In der Grube, die die Form einer kopfstehenden Pyramide bereits erkennen läßt und aus der mal ein Erdbecken-Wärmespeicher wer den soll, füh ren sie ihr Baggerballet auf. Eine Szene wie bei Bob dem Baumeister: „Können wir das schaffen? – Yo, wir schaffen das!“ Das Motto der Trickfilm-Kinderstars Bob, Baggi, Buddel und Co., scheint auch für die Brachter Energiegenoss:innen zu gelten. Ja, wir schaffen eine 100-prozentig er neu erbare Wärmeversorgung für un ser 900-Einwohner-Dorf, sagten sich auf der Gründungsversammlung im Juli 2021 die damals 61 Mitglieder der Solar wärme Bracht eG. Und damit nicht ge nug: Wir schaffen es auch, 70 Prozent der gesamten Wärme direkt aus Solarstrahlung zu gewinnen. Eine solche so la re Deckungsrate im Wärmenetz dürfte zurzeit Weltrekord sein. Den Rest liefern Wärmepumpen und ein Holzkessel. Erfolgsfaktor Anschlussquote Um das Projekt, für das erste Ideen bereits im Jahr 2013 entwickelt wurden, Wirklichkeit werden zu lassen, mussten allerdings weit mehr als die 61 Gründungsmitglieder für einen Anschluss an das Wärmenetz in spe begeistert werden. Mindestens 130 Hausanschlüsse sollten es schon sein, besser wären 200, hatten Experten der Uni Kassel in einer Machbarkeitsstudie errechnet. Sonst wäre ein solches Netz nicht wirtschaftlich zu betreiben. Viel Klinkenputzen, etliche Informationsveranstaltungen, ein Appell des Bürgermeisters der Stadt Rauschenberg, zu der Bracht gehört, im Gemeindeblatt, und wohl auch eine Energiekrise im Jahr 2022 mögen ihren Teil zum Erreichen des Ziels beigetragen haben. Denn mittlerweile zählt die Genossenschaft fast 200 Mitglieder, die ihre 177 Gebäude an die Fernwärme anschließen lassen wollen. „Das ist eine Anschlussquote von etwa 60 Prozent“, freut sich Schütze. „Und wir gehen davon aus, dass noch der eine oder andere hinzukommen wird, wenn wir beim Netzausbau sind.“ Mit 6000 Euro ist man als Hausbesitzer dabei. Diese einmalige Anschlussgebühr ist zugleich Eintrittskarte zur Nach den ersten Bioenergiedörfern Anfang der 2000-er Jahre sind inzwischen zahlreiche Wärmenetze vor allem in ländlichen Regionen genossenschaftlich organisiert. Ein halbes Dutzend setzt dabei auch auf die Solarthermie als Energiequelle. Ein besonderes Leuchtturmprojekt entsteht im hessischen Dorf Bracht. GENOSSEN SPEICHERN DIE SONNE GEMEINSCHAFTLICHE SOLARWÄRME-VERSORGUNG Foto: Guido Bröer Infoblatt Nr. 16 Genossenschaft. Hinzu kommen beim Anschluss an das Wärmenetz noch Kosten für die Entsorgung der alten Heizung und der Öltanks. Ein neuer Heizkessel oder eine Wärmepumpe wäre allemal deutlich teurer. Das ist ein gutes Argument für das Wärmenetz. Und auch mit einer erwartbaren Preisstabilität der Wärme über Jahrzehnte punktet die Genossenschaft bei den Brachtern. Der kalkulierte Wärmepreis liegt bei 16,5 Cent pro Kilowattstunde. „Das er schien anfangs als relativ hoch. Inzwischen hat sich das durch die jüngste Energiekrise relativiert und der Preis ist akzeptiert“, sagt Schütze. „Unser Wärmepreis wird sehr, sehr stabil sein. Natürlich wird er auch leicht steigen, denn wir haben ja auch einige laufende Kosten. Die sind aber vergleichsweise ge ring.“ Für die Zukunft gerüstet Die Debatte um das „Heizungsgesetz“ im Jahr 2023 bescherte den Anschlusswerbern in Bracht ein weiteres Argument. Mit 70 Prozent Solarenergie und 100 Prozent erneuerbaren Energien im Netz weiß man sich als Energiegenosse auf der sicheren Seite, was künftige Auflagen betrifft. In Zentrum der Brachter Dorfwärme versorgung steht der Erdbecken-Wärmespeicher, für den aktuell so emsig gebaggert wird. Sein Inhalt von 26.600 Kubikmetern wird im Sommer mit Solarenergie auf etwa 90 Grad Celsius aufgeheizt. Dieser Energievorrat soll reichen, um damit über den Winter die angeschlossenen Gebäude weitgehend zu beheizen. Dass diese Technologie funktioniert und wirtschaftlich kon kur renz fähig ist, haben vor allem Energiegenossenschaften in Dänemark bewiesen. Und dennoch betritt Bracht damit an einigen Stellen technisches Neuland. Die Genossenschaft fühlt sich dabei gut beraten von Spezialisten der Universität Kassel. Das Team um Professor Klaus Vajen begleitet sie seit 2018. Die Wissenschaftler:innen wiesen in aufwendigen Simulationsrechnungen nach, dass eine zentrale Wärmeversorgung für das Dorf mit 70 Prozent Solaranteil machbar ist. Das Konzept, für das die örtliche Genossenschaft – gefördert vom Land Hessen – eine 16-Millionen-Euro-Investition stemmt, soll obendrein preiswerter sein als die zum Vergleich berechnete Alternative. Diese hätte nämlich bedeutet, alle Gebäude über einen Um stel lungszeitraum von 20 Jahren mit Wärmepumpen auszurüsten. Im Fernwärmenetz werden stattdessen künftig nur zwei große Wärmepumpen mit zusammen 1,2 MW arbeiten, und das auf innovative Weise. Im Ge gen satz zu üblichen Systemen bedienen sie sich nicht bei einer Wärmequelle wie Umgebungsluft oder Flusswasser. Vielmehr entnehmen sie Restwärme aus dem Wärmespeicher, wenn dieser sich im Winter deutlich abgekühlt hat. Die Wärmepumpe hebt die Energie auf ein höheres Temperaturniveau und speist sie in einen Pufferspeicher ein. Das Anlagenschema des Wärmenetzes im Dorf Bracht: Ein Erdbecken-Wärmespeicher ermöglicht 70 Prozent solaren Deckungsgrad. Eine Wärmepumpe hebt das Temperaturniveau vor allem in der zweiten Winterhälfte. Zugleich ermöglicht sie der Solarthermieanlage dabei hohe Wirkungsgrade. Die Nachheizung erfolgt bei Bedarf über Holzkessel, so dass die Wärmepumpe stets im idealen Effizienzbereich arbeiten kann. 70 % Solarthermie dank Saisonalspeicher und Wärmepumpe Helgo Schütze und seine Mitstreiter:innen in Vorstand und Aufsichtsrat der Solarwärme Bracht eG haben sich einiges aufgeladen. Seit Jahren steckt viel Freizeit im Dorfwärmeprojekt. Von Machbarkeitstudien über Fördergeldakquise und Verhandlungen mit Behörden bis zur Überzeugungsarbeit bei potenziellen Anschlußnehmern im Dorf werden viele Talente gebraucht, um ein Bürger-Wärmenetz zu realisieren. Das Wärmenetz in Bracht lebt vom Ehrenamt Grafik: Universität Kassel Foto: Guido Bröer www.solare-wärmenetze.de Dadurch können gleich mehrere Ef fek te erzielt werden. Zum einem kann auch in den Wintermonaten noch Solarenergie aus dem Speicher genutzt werden, wenn dessen Temperatur längst nicht mehr ausreichen würde, um das Netz mit seiner Vorlauftemperatur von 85 Grad direkt zu beschicken. Wärmepumpe steigert Effizienz Ein schöner Nebeneffekt ist, dass die Solarkollektoren dank der Wärmepum pe noch effizienter arbeiten können. Die Wärmepumpe entzieht nämlich vorzugsweise dem unteren, ohnehin kühleren Bereich des Speichers Energie. Indem diese Schicht weiter abgekühlt wird, sinkt auch die Rücklauftemperatur im Solarkreislauf. Wenn bei den Solarkollektoren kühleres Wasser ankommt, sinkt deren Arbeitstemperatur. Das er höht insgesamt den Solargewinn, denn je geringer die Temperatur eines Sonnenkollektors, desto geringer ist sein Ener gieverlust an die Umgebung. Außer dem kann der Solarkreislauf so auch bei geringer Sonneneinstrahlung und tiefen Außentemperaturen bereits stabil laufen und Energie ernten. Obendrein spart der Wärmepumpeneinsatz Baukosten. Schütze erklärt: „Der Trick ist: Wir nutzen den Speicher im Winter als Energiequelle für die Wärmepumpe. Damit können wir ihn kleiner bauen. Die Investitionskosten sinken, und wir benö tigen viel weniger Fläche.“ In dieser Hinsicht betreten die Brachter bei der Konstruktion ihres Erdbeckenspeichers ohnehin Neuland. Ein Zeichen dafür sind die kratzenden Geräusche der Baggerschaufeln, die zurzeit aus der Baugrube schallen. Wurden nämlich die dänischen Vorbilder allesamt in lockerem Kies und Sand gegraben, so beißen sich die Bagger schau feln in Nordhessen durch recht feste Sandsteinschichten. Das ist zwar mühsam, hat aber aus Sicht der Genossenschaft einen entscheidenden Vorteil. Die Böschungen können in dem festen Untergrund deutlich steiler angelegt werden als in lockerem Material. Die Hangneigung beträgt 29,5 Grad statt der üblichen 26 Grad. „Dadurch sparen wir Platz und Geld“, sagt Schütze. Er erklärt, dass das gleiche Volumen in einem flaBenjamin Dannemann von der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) erwartet eine Zunahme von Bürgerenergiegesellschaften, als Wärmenetzbetreiber. Wie häufig gibt es Genossenschaften im regenerativen Wärmesektor? In Deutschland gibt es schon etwas mehr als 200 Wärmenetzgenossenschaften, und das auch schon länger. Viele sogenannte Bioenergiedörfer nutzen die Wärme aus einer Biogasanlagen. Mittlerweile werden aber verstärkt auch andere Wärmequellen wie Solarthermie und Wärmepumpen eingesetzt. Sind Planung und Betrieb eines Wärmenetzes nicht zu komplex für eine ehrenamtlich geführte Genossenschaft? Es hat auf jeden Fall andere Dimensionen als die vielen genossenschaftlichen Photovoltaikprojekte. Das Investitionsvolumen ist größer, der Planungsvorlauf langwieriger. Die Mitglieder für einen Anschluss zu motivieren ist ein hoher Aufwand. Gleichwohl bietet gerade dieses ehrenamtliche Engagement Vorteile besonders im ländlichen Raum. Overheadkosten wären sonst vielleicht gar nicht zu stemmen. Hier bietet das genossenschaftliche Modell eine gute Möglichkeit, dies hinzukriegen. Natürlich kommt es dann für die Ehrenamtler darauf an, mit der Kommune, mit Planungsbüros und vielleicht auch mit der örtlichen Genossenschaftsbank gut zusammenzuarbeiten und sich professionelle Unterstützung zu holen. Besteht nicht die Gefahr, dass bei einer Energiegenossenschaft nach der Gründergeneration das Engagement erlischt, weil niemand die Arbeit machen will? Im Gegenteil höre ich von Wärmeenergiegenossenschaften oft, dass ein Ort, nachdem es dort eine erneuerbare Wärmeversorgung gibt, attraktiver wird für jüngere Familien und das Engagement im Dorf insgesamt steigt. Ein Wärmenetz ist auch eine Investition in die Zukunft. Eine Sorge vieler Hausbesitzer ist, dass sie sich durch den Anschluss an ein Wärmenetz abhängig machen. In einer Genossenschaft, der es ja nicht auf die Rendite ankommt, sondern auf die Versorgung ihrer Mitglieder zu einem vernünftigen Preis, können sie mitreden. Als Mitglied kann ich den Wärmepreis mitbestimmen. Ich bin natürlich da ran interessiert, einen möglichst ge rin gen Wärmepreis zu bezahlen. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch, dass die Genossenschaft wirtschaftlich existieren muss. Durch die demokratische Organisation wächst nicht nur die Akzeptanz, sondern auch das positive Verständnis für das Netz. Bringt die verpflichtende kommunale Wärmeplanung Chancen für Genossenschaften? Wo es bereits Wärmenetzgenossenschaften gibt, werden diese sicherlich im Zuge der kommunalen Wärmeplanung berücksichtigt. Wo das noch nicht der Fall ist, da bietet sich durch die Wärmeplanung die Gelegenheit, zu schauen, wo Wärmenetze möglich sind. Und das bietet auch die Chance, die Menschen mitzunehmen und sie überhaupt erstmal darüber zu informieren, dass es so etwas gibt wie eine genossenschaftliche Wärmeversorgung. Jetzt kommt es darauf an, diese Möglichkeit in der Wärmeplanung auch zu berücksichtigen. INTERVIEW: BENJAMIN DANNEMANN, DGRV Foto: DGRV Infoblatt Nr. 16 IMPRESSUM Das Infoblatt Solare Wärmenetze ist eine Initiative im Rahmen des Projekts SolnetPlus – Solare Wärmenetze als eine Lösung für den kommunalen Klimaschutz. Mehr unter: www.solare-wärmenetze.de Herausgeber: Solites Steinbeis Innovation gGmbh Text und Fotos: Guido Bröer, Solarthemen Veröffentlichung:März 2024 | ISSN (Print) 2750-753X | ISSN (Online) 2750-7548 Die Verantwortung für den Inhalt dieser Publikation liegt beim Autor und der Herausgeberin. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung der Fördermittelgeber wieder. Weder die Fördermittelgeber noch Autor und Herausgeberin übernehmen Verantwortung für jegliche Verwendung der darin enthaltenen Informationen. unterstützt durch die Industrieinitiative Solare Wärmenetze der Solarthermieanbieter (IniSW) Partner cheren Becken einen wesentlich größeren Deckel erfordert hätte. Dieses aufwendige, teure Bauteil wird „nur“ 70 mal 70 Meter messen. Es besteht aus mehreren, insgesamt 40 Zentimeter dicken Dämmschichten zwischen zwei Kunststoff-Membranen. Das Konstrukt muss die Wär meverluste minimieren und dabei zugleich verlässlich An samm lungen von Regenwasser vermeiden sowie diffundiertes Wasser aus der Dämmung nach außen abführen. Dabei muss die Abdeckung übers Jahr einen Hub von rund 20 Zentimetern aushalten. Den bewirkt das unterschiedliche Volumen des im Sommer 90 Grad heißen und am Ende der Heizperiode unter 30 Grad abgekühlten Speicherinhalts. Zur Sicherheit bohren Bevor man sich auf die kompakte, steile Bauform des Speichers festgelegt hat, ließ die Genossenschaft mehrere Er kun dungsbohrungen ins Erdreich treiben, um sich der Stabilität des Untergrundes wirklich sicher zu sein. Solche technischen Fragen bieten immer wieder Herausforderungen für die Ehrenamtlichen, aber sie bereiten ihnen keine ernsthaften Sorgen. Ganz im Gegensatz zu manchen Anforderungen, mit denen sie sich im Verlauf der Jahre immer wieder aus verschiedenen Amtsstuben konfrontiert sahen, lässt Helgo Schütze durchblicken. So wird sich die Fertigstellung des Netzes vermutlich um eine ganze Heizperiode verzögern, weil eine überaschende Auflage vom Land Hessen als Förder mit tel- geber die Genossen im vergangenen Jahr zwang, eine zeitraubende euro pa wei te Ausschreibung zu machen. Harmlos ist dagegen eine kurzfristige Forderung der Naturschutzbehörde, die indirekt aus dieser Verzögerung resultiert und die jetzt in Form von Holzpfählen mit bunten Flatterbändern den Bauplatz der späteren Heizzentrale ziert. Die waren als Vogelscheuchen alle zehn Meter auf der Fläche einzurammen, weil die Bauarbeiten jetzt in die Brutsaison der Feldlerche fallen. Dass auf der Fläche längst der Mutterboden abgeschoben wurde, so dass sich dort kaum eine Lerche ihrem Brutgeschäft widmen wird, ficht schließlich einen amtlichen Naturschützer nicht an. Solche Geschichten und andere Er fah rungsschätze aus 11 Jahren „Blaupause Solarenergiedorf“ sind in einem minutiös geführten Tagebuch nachzulesen, das die Solarwärme Bracht eG auf ihrer Internetseite präsentiert: www.solarwaerme-bracht.de 1,2 Kilometer lang ist die Verbindungsleitung von der Energiezentrale zum Hauptdorf. Die Fernwärmerohre werden jetzt auf den geraden Passagen oberirdisch geschweißt und später per Kran in einen noch auszuhebenden Graben gelegt. Fernwärmeleitung zum Hauptdorf Foto: Guido Bröer

Anna Laura Ulrichs2024-04-01T15:53:20+02:00Freitag, 15. März, 2024|
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