Genossenschaftliche Solarwärme-Versorgung in Bracht

www.solare-wärmenetze.de Infoblatt Nr. 16 „Wir wollen hier eine Blaupause schaffen für andere Kommunen, die auch in diese Richtung denken“, sagt Helgo Schütze, Vorstandsmitglied der Genossenschaft Solarwärme Bracht eG. Er muss laut sprechen beim Ortstermin. Seine Stimme konkurriert mit dem Lärm von vier großen Baggern, einem Bulldozer und einer Rüttelwalze im Hintergrund. Etwa 14 Meter tief haben sie sich hineingegraben in den roten Sandstein Nordhessens. In der Grube, die die Form einer kopfstehenden Pyramide bereits erkennen läßt und aus der mal ein Erdbecken-Wärmespeicher wer den soll, füh ren sie ihr Baggerballet auf. Eine Szene wie bei Bob dem Baumeister: „Können wir das schaffen? – Yo, wir schaffen das!“ Das Motto der Trickfilm-Kinderstars Bob, Baggi, Buddel und Co., scheint auch für die Brachter Energiegenoss:innen zu gelten. Ja, wir schaffen eine 100-prozentig er neu erbare Wärmeversorgung für un ser 900-Einwohner-Dorf, sagten sich auf der Gründungsversammlung im Juli 2021 die damals 61 Mitglieder der Solar wärme Bracht eG. Und damit nicht ge nug: Wir schaffen es auch, 70 Prozent der gesamten Wärme direkt aus Solarstrahlung zu gewinnen. Eine solche so la re Deckungsrate im Wärmenetz dürfte zurzeit Weltrekord sein. Den Rest liefern Wärmepumpen und ein Holzkessel. Erfolgsfaktor Anschlussquote Um das Projekt, für das erste Ideen bereits im Jahr 2013 entwickelt wurden, Wirklichkeit werden zu lassen, mussten allerdings weit mehr als die 61 Gründungsmitglieder für einen Anschluss an das Wärmenetz in spe begeistert werden. Mindestens 130 Hausanschlüsse sollten es schon sein, besser wären 200, hatten Experten der Uni Kassel in einer Machbarkeitsstudie errechnet. Sonst wäre ein solches Netz nicht wirtschaftlich zu betreiben. Viel Klinkenputzen, etliche Informationsveranstaltungen, ein Appell des Bürgermeisters der Stadt Rauschenberg, zu der Bracht gehört, im Gemeindeblatt, und wohl auch eine Energiekrise im Jahr 2022 mögen ihren Teil zum Erreichen des Ziels beigetragen haben. Denn mittlerweile zählt die Genossenschaft fast 200 Mitglieder, die ihre 177 Gebäude an die Fernwärme anschließen lassen wollen. „Das ist eine Anschlussquote von etwa 60 Prozent“, freut sich Schütze. „Und wir gehen davon aus, dass noch der eine oder andere hinzukommen wird, wenn wir beim Netzausbau sind.“ Mit 6000 Euro ist man als Hausbesitzer dabei. Diese einmalige Anschlussgebühr ist zugleich Eintrittskarte zur Nach den ersten Bioenergiedörfern Anfang der 2000-er Jahre sind inzwischen zahlreiche Wärmenetze vor allem in ländlichen Regionen genossenschaftlich organisiert. Ein halbes Dutzend setzt dabei auch auf die Solarthermie als Energiequelle. Ein besonderes Leuchtturmprojekt entsteht im hessischen Dorf Bracht. GENOSSEN SPEICHERN DIE SONNE GEMEINSCHAFTLICHE SOLARWÄRME-VERSORGUNG Foto: Guido Bröer Infoblatt Nr. 16 Genossenschaft. Hinzu kommen beim Anschluss an das Wärmenetz noch Kosten für die Entsorgung der alten Heizung und der Öltanks. Ein neuer Heizkessel oder eine Wärmepumpe wäre allemal deutlich teurer. Das ist ein gutes Argument für das Wärmenetz. Und auch mit einer erwartbaren Preisstabilität der Wärme über Jahrzehnte punktet die Genossenschaft bei den Brachtern. Der kalkulierte Wärmepreis liegt bei 16,5 Cent pro Kilowattstunde. „Das er schien anfangs als relativ hoch. Inzwischen hat sich das durch die jüngste Energiekrise relativiert und der Preis ist akzeptiert“, sagt Schütze. „Unser Wärmepreis wird sehr, sehr stabil sein. Natürlich wird er auch leicht steigen, denn wir haben ja auch einige laufende Kosten. Die sind aber vergleichsweise ge ring.“ Für die Zukunft gerüstet Die Debatte um das „Heizungsgesetz“ im Jahr 2023 bescherte den Anschlusswerbern in Bracht ein weiteres Argument. Mit 70 Prozent Solarenergie und 100 Prozent erneuerbaren Energien im Netz weiß man sich als Energiegenosse auf der sicheren Seite, was künftige Auflagen betrifft. In Zentrum der Brachter Dorfwärme versorgung steht der Erdbecken-Wärmespeicher, für den aktuell so emsig gebaggert wird. Sein Inhalt von 26.600 Kubikmetern wird im Sommer mit Solarenergie auf etwa 90 Grad Celsius aufgeheizt. Dieser Energievorrat soll reichen, um damit über den Winter die angeschlossenen Gebäude weitgehend zu beheizen. Dass diese Technologie funktioniert und wirtschaftlich kon kur renz fähig ist, haben vor allem Energiegenossenschaften in Dänemark bewiesen. Und dennoch betritt Bracht damit an einigen Stellen technisches Neuland. Die Genossenschaft fühlt sich dabei gut beraten von Spezialisten der Universität Kassel. Das Team um Professor Klaus Vajen begleitet sie seit 2018. Die Wissenschaftler:innen wiesen in aufwendigen Simulationsrechnungen nach, dass eine zentrale Wärmeversorgung für das Dorf mit 70 Prozent Solaranteil machbar ist. Das Konzept, für das die örtliche Genossenschaft – gefördert vom Land Hessen – eine 16-Millionen-Euro-Investition stemmt, soll obendrein preiswerter sein als die zum Vergleich berechnete Alternative. Diese hätte nämlich bedeutet, alle Gebäude über einen Um stel lungszeitraum von 20 Jahren mit Wärmepumpen auszurüsten. Im Fernwärmenetz werden stattdessen künftig nur zwei große Wärmepumpen mit zusammen 1,2 MW arbeiten, und das auf innovative Weise. Im Ge gen satz zu üblichen Systemen bedienen sie sich nicht bei einer Wärmequelle wie Umgebungsluft oder Flusswasser. Vielmehr entnehmen sie Restwärme aus dem Wärmespeicher, wenn dieser sich im Winter deutlich abgekühlt hat. Die Wärmepumpe hebt die Energie auf ein höheres Temperaturniveau und speist sie in einen Pufferspeicher ein. Das Anlagenschema des Wärmenetzes im Dorf Bracht: Ein Erdbecken-Wärmespeicher ermöglicht 70 Prozent solaren Deckungsgrad. Eine Wärmepumpe hebt das Temperaturniveau vor allem in der zweiten Winterhälfte. Zugleich ermöglicht sie der Solarthermieanlage dabei hohe Wirkungsgrade. Die Nachheizung erfolgt bei Bedarf über Holzkessel, so dass die Wärmepumpe stets im idealen Effizienzbereich arbeiten kann. 70 % Solarthermie dank Saisonalspeicher und Wärmepumpe Helgo Schütze und seine Mitstreiter:innen in Vorstand und Aufsichtsrat der Solarwärme Bracht eG haben sich einiges aufgeladen. Seit Jahren steckt viel Freizeit im Dorfwärmeprojekt. Von Machbarkeitstudien über Fördergeldakquise und Verhandlungen mit Behörden bis zur Überzeugungsarbeit bei potenziellen Anschlußnehmern im Dorf werden viele Talente gebraucht, um ein Bürger-Wärmenetz zu realisieren. Das Wärmenetz in Bracht lebt vom Ehrenamt Grafik: Universität Kassel Foto: Guido Bröer www.solare-wärmenetze.de Dadurch können gleich mehrere Ef fek te erzielt werden. Zum einem kann auch in den Wintermonaten noch Solarenergie aus dem Speicher genutzt werden, wenn dessen Temperatur längst nicht mehr ausreichen würde, um das Netz mit seiner Vorlauftemperatur von 85 Grad direkt zu beschicken. Wärmepumpe steigert Effizienz Ein schöner Nebeneffekt ist, dass die Solarkollektoren dank der Wärmepum pe noch effizienter arbeiten können. Die Wärmepumpe entzieht nämlich vorzugsweise dem unteren, ohnehin kühleren Bereich des Speichers Energie. Indem diese Schicht weiter abgekühlt wird, sinkt auch die Rücklauftemperatur im Solarkreislauf. Wenn bei den Solarkollektoren kühleres Wasser ankommt, sinkt deren Arbeitstemperatur. Das er höht insgesamt den Solargewinn, denn je geringer die Temperatur eines Sonnenkollektors, desto geringer ist sein Ener gieverlust an die Umgebung. Außer dem kann der Solarkreislauf so auch bei geringer Sonneneinstrahlung und tiefen Außentemperaturen bereits stabil laufen und Energie ernten. Obendrein spart der Wärmepumpeneinsatz Baukosten. Schütze erklärt: „Der Trick ist: Wir nutzen den Speicher im Winter als Energiequelle für die Wärmepumpe. Damit können wir ihn kleiner bauen. Die Investitionskosten sinken, und wir benö tigen viel weniger Fläche.“ In dieser Hinsicht betreten die Brachter bei der Konstruktion ihres Erdbeckenspeichers ohnehin Neuland. Ein Zeichen dafür sind die kratzenden Geräusche der Baggerschaufeln, die zurzeit aus der Baugrube schallen. Wurden nämlich die dänischen Vorbilder allesamt in lockerem Kies und Sand gegraben, so beißen sich die Bagger schau feln in Nordhessen durch recht feste Sandsteinschichten. Das ist zwar mühsam, hat aber aus Sicht der Genossenschaft einen entscheidenden Vorteil. Die Böschungen können in dem festen Untergrund deutlich steiler angelegt werden als in lockerem Material. Die Hangneigung beträgt 29,5 Grad statt der üblichen 26 Grad. „Dadurch sparen wir Platz und Geld“, sagt Schütze. Er erklärt, dass das gleiche Volumen in einem flaBenjamin Dannemann von der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) erwartet eine Zunahme von Bürgerenergiegesellschaften, als Wärmenetzbetreiber. Wie häufig gibt es Genossenschaften im regenerativen Wärmesektor? In Deutschland gibt es schon etwas mehr als 200 Wärmenetzgenossenschaften, und das auch schon länger. Viele sogenannte Bioenergiedörfer nutzen die Wärme aus einer Biogasanlagen. Mittlerweile werden aber verstärkt auch andere Wärmequellen wie Solarthermie und Wärmepumpen eingesetzt. Sind Planung und Betrieb eines Wärmenetzes nicht zu komplex für eine ehrenamtlich geführte Genossenschaft? Es hat auf jeden Fall andere Dimensionen als die vielen genossenschaftlichen Photovoltaikprojekte. Das Investitionsvolumen ist größer, der Planungsvorlauf langwieriger. Die Mitglieder für einen Anschluss zu motivieren ist ein hoher Aufwand. Gleichwohl bietet gerade dieses ehrenamtliche Engagement Vorteile besonders im ländlichen Raum. Overheadkosten wären sonst vielleicht gar nicht zu stemmen. Hier bietet das genossenschaftliche Modell eine gute Möglichkeit, dies hinzukriegen. Natürlich kommt es dann für die Ehrenamtler darauf an, mit der Kommune, mit Planungsbüros und vielleicht auch mit der örtlichen Genossenschaftsbank gut zusammenzuarbeiten und sich professionelle Unterstützung zu holen. Besteht nicht die Gefahr, dass bei einer Energiegenossenschaft nach der Gründergeneration das Engagement erlischt, weil niemand die Arbeit machen will? Im Gegenteil höre ich von Wärmeenergiegenossenschaften oft, dass ein Ort, nachdem es dort eine erneuerbare Wärmeversorgung gibt, attraktiver wird für jüngere Familien und das Engagement im Dorf insgesamt steigt. Ein Wärmenetz ist auch eine Investition in die Zukunft. Eine Sorge vieler Hausbesitzer ist, dass sie sich durch den Anschluss an ein Wärmenetz abhängig machen. In einer Genossenschaft, der es ja nicht auf die Rendite ankommt, sondern auf die Versorgung ihrer Mitglieder zu einem vernünftigen Preis, können sie mitreden. Als Mitglied kann ich den Wärmepreis mitbestimmen. Ich bin natürlich da ran interessiert, einen möglichst ge rin gen Wärmepreis zu bezahlen. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch, dass die Genossenschaft wirtschaftlich existieren muss. Durch die demokratische Organisation wächst nicht nur die Akzeptanz, sondern auch das positive Verständnis für das Netz. Bringt die verpflichtende kommunale Wärmeplanung Chancen für Genossenschaften? Wo es bereits Wärmenetzgenossenschaften gibt, werden diese sicherlich im Zuge der kommunalen Wärmeplanung berücksichtigt. Wo das noch nicht der Fall ist, da bietet sich durch die Wärmeplanung die Gelegenheit, zu schauen, wo Wärmenetze möglich sind. Und das bietet auch die Chance, die Menschen mitzunehmen und sie überhaupt erstmal darüber zu informieren, dass es so etwas gibt wie eine genossenschaftliche Wärmeversorgung. Jetzt kommt es darauf an, diese Möglichkeit in der Wärmeplanung auch zu berücksichtigen. INTERVIEW: BENJAMIN DANNEMANN, DGRV Foto: DGRV Infoblatt Nr. 16 IMPRESSUM Das Infoblatt Solare Wärmenetze ist eine Initiative im Rahmen des Projekts SolnetPlus – Solare Wärmenetze als eine Lösung für den kommunalen Klimaschutz. Mehr unter: www.solare-wärmenetze.de Herausgeber: Solites Steinbeis Innovation gGmbh Text und Fotos: Guido Bröer, Solarthemen Veröffentlichung:März 2024 | ISSN (Print) 2750-753X | ISSN (Online) 2750-7548 Die Verantwortung für den Inhalt dieser Publikation liegt beim Autor und der Herausgeberin. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung der Fördermittelgeber wieder. Weder die Fördermittelgeber noch Autor und Herausgeberin übernehmen Verantwortung für jegliche Verwendung der darin enthaltenen Informationen. unterstützt durch die Industrieinitiative Solare Wärmenetze der Solarthermieanbieter (IniSW) Partner cheren Becken einen wesentlich größeren Deckel erfordert hätte. Dieses aufwendige, teure Bauteil wird „nur“ 70 mal 70 Meter messen. Es besteht aus mehreren, insgesamt 40 Zentimeter dicken Dämmschichten zwischen zwei Kunststoff-Membranen. Das Konstrukt muss die Wär meverluste minimieren und dabei zugleich verlässlich An samm lungen von Regenwasser vermeiden sowie diffundiertes Wasser aus der Dämmung nach außen abführen. Dabei muss die Abdeckung übers Jahr einen Hub von rund 20 Zentimetern aushalten. Den bewirkt das unterschiedliche Volumen des im Sommer 90 Grad heißen und am Ende der Heizperiode unter 30 Grad abgekühlten Speicherinhalts. Zur Sicherheit bohren Bevor man sich auf die kompakte, steile Bauform des Speichers festgelegt hat, ließ die Genossenschaft mehrere Er kun dungsbohrungen ins Erdreich treiben, um sich der Stabilität des Untergrundes wirklich sicher zu sein. Solche technischen Fragen bieten immer wieder Herausforderungen für die Ehrenamtlichen, aber sie bereiten ihnen keine ernsthaften Sorgen. Ganz im Gegensatz zu manchen Anforderungen, mit denen sie sich im Verlauf der Jahre immer wieder aus verschiedenen Amtsstuben konfrontiert sahen, lässt Helgo Schütze durchblicken. So wird sich die Fertigstellung des Netzes vermutlich um eine ganze Heizperiode verzögern, weil eine überaschende Auflage vom Land Hessen als Förder mit tel- geber die Genossen im vergangenen Jahr zwang, eine zeitraubende euro pa wei te Ausschreibung zu machen. Harmlos ist dagegen eine kurzfristige Forderung der Naturschutzbehörde, die indirekt aus dieser Verzögerung resultiert und die jetzt in Form von Holzpfählen mit bunten Flatterbändern den Bauplatz der späteren Heizzentrale ziert. Die waren als Vogelscheuchen alle zehn Meter auf der Fläche einzurammen, weil die Bauarbeiten jetzt in die Brutsaison der Feldlerche fallen. Dass auf der Fläche längst der Mutterboden abgeschoben wurde, so dass sich dort kaum eine Lerche ihrem Brutgeschäft widmen wird, ficht schließlich einen amtlichen Naturschützer nicht an. Solche Geschichten und andere Er fah rungsschätze aus 11 Jahren „Blaupause Solarenergiedorf“ sind in einem minutiös geführten Tagebuch nachzulesen, das die Solarwärme Bracht eG auf ihrer Internetseite präsentiert: www.solarwaerme-bracht.de 1,2 Kilometer lang ist die Verbindungsleitung von der Energiezentrale zum Hauptdorf. Die Fernwärmerohre werden jetzt auf den geraden Passagen oberirdisch geschweißt und später per Kran in einen noch auszuhebenden Graben gelegt. Fernwärmeleitung zum Hauptdorf Foto: Guido Bröer

Anna Laura Ulrichs2024-04-01T15:53:20+02:00Freitag, 15. März, 2024|

Große Solarthermie Systematische Risikoabschätzung als Entscheidungshilfe für Investoren

Infoblatt Solare Wärmenetze | Nr. 8 www.solare-waermenetze.de Die Energiewende wird ohne eine Wärmewende nicht zu leisten sein. Soll das Ziel der Bundesregierung, bis 2050 einen „nahezu klimaneutralen Gebäudebestand“ zu haben, auch nur ansatzweise erreicht werden, führt an einem massiven Ausbau der erneuerbaren Wärmeversorgung kein Weg vorbei. Neben vielen Einzelmaßnahmen sind dafür auch Großprojekte unverzichtbar – vornehmlich im Bereich der solarthermisch unterstützten Fernwärme sowie Solarthermie-Anlagen zur Nah-Versorgung von Häuserensembles und Quartieren. DER MARKT WÄCHST UND WIRD PROFESSIONELLER Die Solarthermie hat zuweilen immer noch den Ruf einer Nischentechnologie, dabei ist der Weg zur Marktreife längst beschritten. Eingesetzt wird sie bereits seit Mitte der 1990er Jahre. Heutzutage gilt sie als ausgereift und effizient, so dass neben den unbestrittenen ökologischen Vorteilen zunehmend auch rein marktwirtschaftliche Argumente für Investitionen in solarthermische Anlagen sprechen. Als ein wichtiger Markttrend ist dabei zu beobachten, dass immer mehr Stadtwerke und Versorger in die Technologie investieren und Solarthermie in städtische Fernwärmenetze einbinden. Unterstützt wird dies von einer guten Fördersituation und von dem immer breiter werdenden Angebot. STRUKTURIERTES RISIKOMANAGEMENT Mit steigender Projektanzahl und -größe wächst auch der Bedarf an Finanzierung. Insbesondere wenn zusätzlich zur solarthermischen Großanlage der Bau von Speichern oder Wärmenetzen geplant ist, handelt es sich um sehr kapitalintensive Investitionen. Da auf breiter Basis nach wie vor Erfahrungen aus der Praxis fehlen, sind Finanzierungsfragen rund um die Solarthermie für viele Beteiligte noch unscharf und unsicher. Für ein tragfähiges Finanzierungskonzept ist daher eine professionelle Beurteilung der Risiken unabdingbar – denn die können je nach Projekt vielfältig sein. Relevant ist ein transparentes Risikomanagement für eine große und diverse Zielgruppe von Investoren, Kreditgebern, Banken und Versicherungen über Projektentwickler, Betreiber und gegebenenfalls auch Endkunden bis hin zu politischen Entscheidungsträgern. Große Solarthermie-Anlagen können einen wichtigen Beitrag zum Ausbau erneuerbarer Wärme leisten. Neben der rein technischen Leistung kommt es dabei vor allem auf die Wirtschaftlichkeit an. Diese seriös einschätzen zu können, ist für Kreditgeber und Projektentwickler ein Schlüsselfaktor bei der Investitionsentscheidung. Hierbei helfen eine systematische Betrachtung und Bewertung der Risiken. Solarthermie: Systematische Risikoabschätzung als Entscheidungshilfe für Investoren VORTEILE GROSSFLÄCHIGER emissionsfrei und echt erneuerbar ausgereift und marktverfügbar Leistungsbereich bis größer 100 MW mehr als 50 % des Wärmebedarfs können solar gedeckt werden langfristige Planungssicherheit bezüglich der Wärmegestehungskosten einfacher technischer Betrieb neue Chancen zur Erreichung kommunaler Klimaschutzziele SOLARTHERMIE Um sich einer Bewertung strukturiert und möglichst neutral zu nähern, ist es sinnvoll, die Risiken zunächst zu klassifizieren und thematisch zu gruppieren. Dafür bietet sich die Unterteilung in folgende fünf Kategorien an: technisch – wirtschaftlich – politisch/planerisch – vertraglich – sozial/umweltbezogen. Im nächsten Schritt werden die Risiken konkret definiert und Ansätzen zur Minimierung gegenübergestellt. Das können bereits vorhandene Argumente sein, die das Risiko abschwächen oder gar entkräften. Alternativ werden Strategien und Maßnahmen entwickelt, um das Risiko so weit wie möglich zu minimieren. Ist keine Lösung zu finden, ist auch dies eine wichtige Erkenntnis für das weitere Vorgehen. Auf Basis einer solchen Auflistung bzw. Gegenüberstellung kann bereits eine erste Risikoanalyse und somit -bewertung erfolgen. BEISPIEL 1: HOHE INVESTITIONSKOSTEN ALS WIRTSCHAFTLICHES RISIKO? Im Gegensatz zu den bekannten und daher eingespielten Prozessen bei Investitionen in fossile Erzeugung folgen erneuerbare Anlagen einem anderen Geschäftsmodell. Die Anlagen selbst sowie Speicher bzw. Wärmenetze gehen zunächst grundsätzlich mit großen Investitionsvolumina einher. Betrachtet man aber die Kosten für Brennstoff, Wartung und Betrieb, so zeigen sich deutliche Kostenvorteile und Planungssicherheiten gegenüber fossil betriebenen Anlagen. Auch im Fall der solaren Wärmeerzeugung fallen die wesentlichen Kosten bei der Anschaffung an, die operativen Kosten sind hingegen in der Betriebsphase sehr gering. Brennstoffe werden nicht benötigt. Dieser Infoblatt Solare Wärmenetze | Nr. 8 technisch Reifegrad der Technologie Materialermüdung Ausfall-Wahrscheinlichkeit Maximum der unproduktiven Zeiten wirtschaftlich Mengenrisiken durch Änderung der netzseitigen Wärmeabnahme Wetterrisiken (Abweichungen von der durchschnittlichen Sonneneinstrahlung, Unwetter) Vandalismus Finanzierungsrisiken (Bonität des Eigenkapitals, Zinsänderung, etc.) Risiken beim Bau wie Verzögerung oder Ausfall eines Herstellers/Dienstleisters Risiken während des Betriebs wie Ausfall von Komponenten oder Konkurs des Betreibers/Auftragnehmers politisch/planerisch Klimapolitik Steuerpolitik Flächenbereitstellung und Genehmigung Position der politischen Entscheidungsträger und Meinungsführer vertraglich Miet- und Pachtverträge Wärmelieferverträge mit Endkunden Abnahmevereinbarungen mit Netzbetreibern/Wärmelieferanten Dienstleistungsverträge Kreditverträge sozial/umweltbezogen Allgemeine politische „Stimmungslage“ Integration im Zusammenhang mit den Interessengruppen (öffentliche Einrichtungen, lokale Politik, Kunden usw.) Dynamik der Sozial- und Einkommensstrukturen Auswirkungen auf Umwelt/Landschaft ÜBERSICHT MÖGLICHER RISIKEN (AUSWAHL) Quelle: HAMBURG INSTITUT Aspekt der langfristigen Kostensicherheit dürfte sich angesichts des durch die CO2-Abgabe zu erwartenden Preisanstiegs für fossile Energieträger künftig umso mehr auszahlen. Zudem werden, ähnlich wie bei Photovoltaik- und Windkraftanlagen, mit zunehmender Marktausweitung perspektivisch auch die Preise für die Anlagentechnik sinken. FÖRDERMITTEL Um das wirtschaftliche Risiko zu managen, sollten sich die Projektbeteiligten darüber hinaus unbedingt frühzeitig mit dem Thema Förderung befassen. Interessant ist derzeit insbesondere das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) initiierte Marktanreizprogramm (MAP)1 zur Förderung von Maßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmemarkt. Hier kann zwischen einem KfW-Förderdarlehen mit attraktiven Tilgungszuschüssen oder direkten Investitionszuschüssen über das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) gewählt werden. Für große Solarthermieprojekte gegebenenfalls mit Wärmespeicher und/oder Wärmenetzen kommen die KfW-Programme 271, 281 „Erneuerbare Energien – Premium“2 oder auch eine Förderung über das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) in Frage. BEISPIEL 2: FLÄCHENKONFLIKTE ALS SOZIALES RISIKO? Bei der Planung solarthermischer Großanlagen gibt es potenzielle Hürden in sozialen, gesellschaftlichen sowie umweltbezogenen Bereichen. Trotz der im Vergleich sehr hohen Flächeneffizienz der Solarthermie gegenüber anderen Wärmeerzeugungsoptionen (wie etwa Bioenergie), können bei der Projektentwicklung Konflikte bei der Flächenbereitstellung entstehen. Gerade im urbanen Bereich sind Freiflächen nur begrenzt verfügbar, entsprechend vielfältig sind die Ansprüche auf deren Nutzung, etwa für Wohnraum. Bereits realisierte Projekte zeigen, dass hier durchaus kreative Lösungen möglich sind. Als Beispiel sei die Nutzung ehemaliger Deponieflächen genannt: Aufgrund von Altlasten weder für Wohnungsbau noch für Landwirtschaft geeignet, kann die Solarthermie solche Brachflächen sinnvoll aufwerten. LOKALE AKTEURE FRÜHZEITIG EINBEZIEHEN Auch Umweltaspekte wie der Schutz bestimmter Tierarten können einer reibungslosen Umsetzung entgegenstehen. Umso wichtiger ist daher, das Gelände vorab einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Mit einem ökologischen Flächenkonzept kann es jedoch gut gelingen, mit dem Bau der Anlage die Biodiversität gegenüber dem ursprünglichen Zustand zu erhöhen. Grundsätzlich gilt: Eine transparente Planung sowie das frühzeitige Einbeziehen der lokalen Bevölkerung und Politik sind elementar, um soziale und umweltbezogene Risiken zu minimieren. Zur Steigerung der Akzeptanz und der Identifikation mit dem Projekt vor Ort können auch finanzielle Bürgerbeteiligungen oder Energiegenossenschaften als Betreibermodell in Betracht gezogen werden. 1https://www.erneuerbare-energien.de/EE/Navigation/DE/Foerderung/ Marktanreizprogramm/marktanreizprogramm.html 2https://www.kfw.de/inlandsfoerderung/Unternehmen/ Energie-Umwelt/Finanzierungsangebote/Erneuerbare-Energien- Premium-(271-281)/#4 www.solare-waermenetze.de FAZIT Eine zukunftsfähige Wärmeversorgung auf erneuerbarer Basis, niedrige Wärmepreise bei hohen CO2-Einsparungen, geringe operative Kosten – die Vorteile großer Solarthermie-Anlagen liegen auf der Hand. Die Frage nach der Finanzierung stellt sich hingegen komplexer dar. Vor der Investition in die Anlage lohnt es sich in jedem Fall, in eine professionelle Risikoanalyse zu investieren. Durch die Übersicht von Risikodefinition und Minimierungsstrategien entsteht eine hilfreiche Grundlage, um die beteiligten Akteure zu überzeugen und das Vertrauen in Großprojekte zur Ökologisierung der Heizsysteme zu stärken. Ein Patentrezept kann es hierbei jedoch nicht geben. Vielmehr ist eine differenzierte Betrachtung notwendig, denn durch die jeweils individuellen Parameter wie geografische Lage, Modellauswahl, Beteiligungsstruktur etc. hat jedes Projekt seine ganz eigenen Risiken. Dennoch werden mit jeder realisierten Anlage der Erfahrungsschatz und die Sicherheit auf allen Seiten größer – im Sinne der Wärme- und damit auch der Energiewende. Gefördert durch: www.solare-waermenetze.de Energiekommune IMPRESSUM Das Infoblatt Solare Wärmenetze ist eine Initiative im Rahmen von Solnet 4.0, einem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Vorhaben zur Marktbereitung für solare Wärmenetze. Die Projektpartner sind das Steinbeis Forschungsinstitut Solites, der Fernwärmeverband AGFW, das Hamburg Institut sowie die Herausgeber der Zeitschrift Energiekommune. Herausgeber: HIR Hamburg Institut Research gGmbH Redaktion: Dr. Matthias Sandrock, Philippa Kreis Fotos: Dr. Matthias Sandrock Veröffentlichung: Juli 2020 Haftungsausschluss: Das dieser Publikation zugrundeliegende Vorhaben wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie unter dem Förderkennzeichen 03EGB0002A gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieses Dokuments liegt bei den AutorInnen. Weder der Fördermittelgeber noch die AutorInnen übernehmen Verantwortung für jegliche Verwendung der darin enthaltenen Informationen. Infoblatt Solare Wärmenetze | Nr. 8 Im Gespräch: Michael Seeger und Ute Mann aus dem Fachbereich Erneuerbare Energien der DKB Deutsche Kredit Bank AG Wie gehen Sie als Bank grundsätzlich an eine Finanzierungsanfrage für eine große Solarthermieanlage heran? Michael Seeger: „Seit Mitte der 1990er Jahre begleiten wir Finanzierungen im Bereich der Erneuerbaren Energien, wir haben uns mit der Branche entwickelt und standardisierte Projektfinanzierungen etabliert. Mit einem Kreditvolumen von rund 11 Mrd. Euro – hauptsächlich im Stromsektor – sind wir der größte Finanzierer erneuerbarer Energien in Deutschland. Unser Engagement wollen wir weiter ausbauen und investieren deswegen auch in Wärmeprojekte und Sektorenkopplung. Die Solarthermie stellt dabei ein noch relativ neues Feld für uns dar. Im Vergleich zu Stromprojekten spielen bei Wärmevorhaben deutlich mehr Faktoren eine Rolle: vielfältigere Konzepte, mehr Akteure (Abnehmer wie Erzeuger) sowie andere Technologien. Hierfür entwickeln wir aktuell passende Finanzierungsansätze, die den Besonderheiten der Projekte gerecht werden. Diese aufzusetzen und neue Standards zu definieren, ist ein spannender Prozess, in dem wir uns aktuell befinden. Dabei hilft uns die langjährige Erfahrung im Strombereich.“ Was sind dabei zentrale Fragestellungen? Ute Mann: „Bei der Beurteilung aller Anfragen – egal ob aus dem Strom-, Wärmeoder einem anderen Bereich – verfolgen wir neben der rein cashflow-basierten Betrachtungsweise auf Einzelprojektebene einen konzeptbasierten Ansatz. Dazu nehmen wir die Akteure mit ihrem Unternehmenskonzept und die Unternehmensstrategie ganzheitlich in den Blick. Die Konzeptanalyse ist die wesentliche Grundlage unserer Kreditentscheidung. Wir schauen auf die Projektdetails mit ihren wichtigsten Risikotreibern, nehmen eine Plausibilisierung der technologie- und verfahrensspezifischen Annahmen vor und setzen uns mit den wesentlichen vertraglichen, gesetzlichen und regulatorischen Grundlagen auseinander. Wir befassen uns intensiv mit den betriebswirtschaftlichen Planungsrechnungen und Sensitivitätsanalysen, aber auch mit den Akteuren sowie deren Expertise im technischen und kaufmännischen Bereich. Schlussendlich geht es bei alldem um die Frage, wie eine Rentabilität aus dem Projekt darzustellen ist.“ Michael Seeger: „Ganz entscheidend ist für uns natürlich die Technologie. Mit unseren hauseigenen Ingenieuren betrachten wir die Anlagen-Konfiguration und bewerten die technologische Machbarkeit sowie eventuelle Risiken. Ab bestimmten Anlagengrößen ziehen wir auch externe Expertise hinzu. So benötigen wir bei einer Solarthermieanlage im Megawattbereich Ertragsgutachten für einen belastbaren Nachweis, welche Erlöse aus dem Vorhaben generiert werden können.“ Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Eigentümerstrukturen um? Ute Mann: „Es kann einen großen Unterschied machen, ob die Finanzierung beispielsweise mit einem Wohnungswirtschaftsunternehmen im Hintergrund oder in einem kommunalen/öffentlichen Kontext erfolgt – Stichwort Bonität. Das heißt aber nicht, dass dies andere Strukturen wie Energiegenossenschaften ausschließt. Im Gegenteil: Wir haben uns früh mit Bürgerbeteiligungsmodellen beschäftigt und in der Vergangenheit bereits entsprechende Finanzierungslösungen entwickelt. Teilhabe ist aus unserer Sicht unverzichtbar für die Energiewende. Im Zuge der Risikobetrachtung kann es hierbei allerdings schon zu höheren Anforderungen kommen, etwa in Bezug auf Laufzeiten oder Eigenkapitalanteile.“ Was erwarten Sie im Hinblick auf die Zinsentwicklung? Ute Mann: „Die Zinsentwicklung ist immer eng an die Marktentwicklung geknüpft. Wir erwarten, dass Projekte im Bereich erneuerbare Wärme weiter zunehmen – insbesondere auch im Zusammenhang mit Sektorenkopplung. Je größer der Markt wird, desto besser werden auch die Konditionen – auch weil Prozesse standardisiert werden. Bei PV- und Windprojekten haben wir diesen positiven Effekt auf die Finanzierungskosten bereits gesehen.“ „Neue Finanzierungsansätze erforderlich“

Julian Kuntze2023-08-18T11:34:39+02:00Dienstag, 1. September, 2020|

Energiedörfer mit erneuerbarer Wärmeversorgung – Modelle für den erfolgreichen Betrieb von Wärmenetzsystemen

Infoblatt Solare Wärmenetze | Nr. 7 www.solare-waermenetze.de Wärmenetze ermöglichen es, erneuerbare Energien und Effizienztechnologien effizient und kostengünstig in lokale Versorgungssysteme zu integrieren. Sie erweisen sich immer mehr als ein Schlüsselelement und als effizienter organisatorischer Ansatz für eine wirksame Wärmewende vor Ort. Immer öfter werden dabei auch große Solarthermie-Freiflächenanlagen eingebunden. Die Technologie ist ausgereift und auch wirtschaftlich attraktiv. Neben Vorhaben im Bereich der klassischen städtischen Fernwärme entstehen derzeit vielerorts neue Projekte in sogenannten Energiedörfern in ländlichen Gegenden, wo die Bürger gemeinschaftlich ihre Einzelheizungen durch ein neues Wärmenetz auf Basis erneuerbarer Energien ersetzen. Gängige Modelle zur Wärmeerzeugung sind Biomasseheizwerke mit sommerlicher Solarthermienutzung oder die Wärmenutzung bei Biogas-Blockheizkraftwerken. Weiter ist stets zu prüfen, ob bei lokalen Industriebetrieben nutzbare Abwärme anfällt. Neben dem positiven Effekt aus Klimaschutzsicht profitiert das ganze Dorf von der einhergehenden Modernisierung und einer lokalen Wertschöpfung. Insbesondere ist die parallele Verlegung des Wärmenetzes mit Glasfaserleitungen für schnelles Internet oftmals ein gewichtiges Argument. Letztendlich sind aber auch die Wärmekosten für die Bürger deutlich günstiger und preisstabiler als bei Einzelheizungen mit erneuerbaren Energien. ZENTRALE ROLLE DES BETREIBERS Doch der Weg von der ersten Projektidee bis zur Realisierung ist oftmals nicht einfach: Neben der Entwicklung eines schlüssigen und wirtschaftlich tragfähigen technischen Konzepts für das Wärmenetz müssen auch die Kommunikation und die Möglichkeiten zur Teilhabe stimmen, um möglichst viele Gebäudeeigner für den Anschluss an das Wärmenetz zu gewinnen. Bei Projekten, die von Bürgerseite initiiert wurden, stellt sich vor allem bald die wichtige Frage „Wer kann unser Wärmenetz bauen und im Anschluss auch betreiben?“. Denn dem Betreiber des Wärmenetzes kommt eine zentrale Rolle zu: Neben einem professionellen technischen Betrieb trägt er die wirtschaftliche Verantwortung für die Investition. Nur er kann eine verlässliche Aussage über die voraussichtlichen Wärmekosten machen und muss hierbei das Vertrauen der Bürger und Hauseigner gewinnen. Bei aktuell entstandenen Energiedorf-Projekten sind erfreulicherweise eine Reihe ganz unterschiedlicher Betreibermodelle zum Tragen gekommen. Von verschiedenen Betriebsmodellen der Energiedienstleister und Stadtwerke über Betreibergesellschaften mit kommunaler Beteiligung bis zu Energiegenossenschaften ist fast jede Betreiberform vorstellbar. Mit diesem Infoblatt möchten wir Ihnen sieben Projekte mit unterschiedlichen Betreibermodellen vorstellen und möchten so zur Orientierung bei Ihrem Wärmenetz-Projekt beitragen. In sogenannten Energiedörfern wechseln Bürger gemeinschaftlich von Einzelheizung in ihren Gebäuden zu einem neuen Wärmenetz auf Basis erneuerbarer Energien. Die Findung eines geeigneten Betreibers für das Wärmenetz spielt dabei eine zentrale Rolle. Dieses Infoblatt stellt aktuelle Energiedorf-Projekte mit ihren unterschiedlichen Betreibermodellen vor. Energiedörfer mit erneuerbarer Wärmeversorgung Modelle für den erfolgreichen Betrieb von Wärmenetzsystemen Foto: Guido Bröer Als die ersten Ideen für das gemeinsame Wärmenetz der Ortsgemeinden Neuerkirch und Külz entstanden, da war noch längst nicht klar, wer es betreiben würde. Eine Energiegenossenschaft stand bei den Diskussionen innerhalb der Dörfer hoch im Kurs. „Wir hätten es auch als Energiegenossenschaft machen können“, erinnert sich Volker Wichter, Ortsbürgermeister von Neuerkirch, an die Diskussionen. Für ihn selbst, den ehemaligen Eisenbahner, der jetzt als Rentner der wichtigste „Kümmerer“ im Ort ist, war allerdings von Anfang an wichtig, dass ein dauerhafter Betrieb der Anlagen gewährleistet sein muss. Eine Genossenschaft hätte schließlich über Jahrzehnte einen aktiven Vorstand gebraucht, der bereit sein müsste, sich im Ehrenamt mit der Anlage und den Anschlussnehmern zu beschäftigen. Vor allem, weil ihnen dies als Risiko erschien, entschieden sich die Neuerkircher und Külzer, Bau und Betrieb der Heizzentrale und des Netzes nicht selbst zu schultern, sondern sich dafür professionelle Unterstützung zu suchen. Sie beauftragten die Gemeindewerke der Verbandsgemeinde Simmern, zu der die beiden Dörfer gehören. DASEINSVORSORGE Um den Vorgang zu verstehen, muss man sich die kommunale Struktur in Rheinland- Pfalz vor Augen halten. Gerade in ländlichen Regionen wie dem Hunsrück wirkt sich aus, dass kleine und kleinste Dörfer ihre Entscheidungen einschließlich der Finanzplanung selbstständig treffen. Die Gebietsreform hat in Rheinland-Pfalz die Souveränität der Dörfer, hier Ortsgemeinden genannt, nicht angetastet. Sie haben allerdings zahlreiche Aufgaben der Verwaltung und der Daseinsvorsorge, wie Schulen, Wasser- und Abwasserversorgung, an die übergeordneten Verbandsgemeinden abgegeben. Külz und Neuerkirch, die beiden nur durch den Külzbach getrennten Ortsgemeinden mit Infoblatt Solare Wärmenetze | Nr. 7 Foto: ibs Energie Seite 2 DIE WÄRMEVERSORGUNG IN NEUERKIRCH UND KÜLZ Betreiber: Verbandsgemeindewerke Simmern Kontakt: Volker Wichter, Ortsbürgermeister, buergermeister@neuerkirch.de Inbetriebnahme Wärmenetz: 2016 Hausanschlüsse: 147 Netzlänge: 6,6 km Wärmeerzeugungsanlagen: Solarthermieanlage (1.400 m2), Holzhackschnitzelkessel Solarer Deckungsanteil: 19 % CO2-Einsparung: 1.200 t CO2 pro Jahr Foto: Guido Bröer Neuerkirch und Külz im Hunsrück Kommunale Eigenversorgung durch die Verbandsgemeindewerke Die benachbarten Dörfer Külz und Neuerkirch im Hunsrück heizen seit 2016 mit einem gemeinsamen Wärmenetz. Es war das erste Dorfwärmenetz in Rheinland- Pfalz, in dem neben Holzhackschnitzeln auch eine große Solarthermieanlage zum Einsatz gekommen ist. Die Initiative dazu entstand in den Dörfern selbst. Mit Bau und Betrieb von Wärmenetz und Energiezentrale beauftragte der Gemeinderat die Verbandsgemeindewerke Simmern-Rheinböllen. selbstständigen Gemeinderäten, gehören zur Verbandsgemeinde Simmern/Rheinböllen. Die Simmerner Verbandsgemeindewerke sind seit 40 Jahren für die Wasserver- und Abwasserentsorgung in Külz und Neuerkirch zuständig und haben sich dadurch auch Vertrauen erarbeitet. Nachdem sie in der Kreisstadt Simmern auch bereits Pionierleistungen mit dem Betrieb von Wärmeverbund-Inseln auf Biomassebasis vorzuweisen hatten, schienen sie prädestiniert, auch für die neue Form der solaren Wärmeversorgung in den beiden Hunsrückdörfern Verantwortung zu übernehmen. Als Eigenbetrieb der Verbandsgemeinde arbeiten die Gemeindewerke nicht gewinnorientiert. Sie müssen auch nicht wie die Stadtwerke vieler anderer Gemeinden den ÖPNV über Energieeinnahmen querfinanzieren, sondern sind allein für die Daseinsvorsorge in den angeschlossenen Ortsgemeinden verantwortlich. „UNSERE ANLAGE“ Trotzdem, das gibt Volker Wichter zu, habe es anfangs bei den lokalpatriotischen Neuerkirchern gewisse Vorbehalte gegeben, den Betrieb des Wärmenetzes an Simmern abzugeben. Inzwischen seien aber alle froh über diese Lösung, sagt der Ortsbürgermeister: „Die Solaranlage und das Wärmenetz gehören zwar den Verbandsgemeindewerken, wir erleben es aber als unsere Anlage.“ Schließlich ist die erste Idee für die Dorfwärmeversorgung in der „Ökogruppe” in Neuerkirch entstanden, einem Kreis, der sich im Rahmen eines Bürgerbeteiligungsprozesses um Umweltfragen Gedanken gemacht hat. Und als dann eine Delegation aus beiden Dörfern per Bus nach Büsingen gefahren ist, zum damals ersten Solar-Bioenergiedorf Deutschlands, da ist der Funke auf alle Gemeinderatsmitglieder übergesprungen. VERANTWORTLICHKEIT VOR ORT Dass der Bürgerwille für das Wärmenetz den entscheidenden Anstoß gegeben hat, das bestätigt auf der anderen Seite auch Marc Meurer, der für die Anlage zuständige Ingenieur der Verbandsgemeindewerke: „Weil die Ortsgemeinden die Initiatoren sind, ist die Identifikation mit dem Wärmenetz sehr stark. Die Zusammenarbeit ist sehr eng.“ Meurer kann die Betriebszustände der Heizzentrale jederzeit fernüberwachen und mit seinem technischen Know-how interpretieren. Trotzdem und gerade deshalb weiß er es zu schätzen, dass er sich nicht nur auf die elektronische Fernsteuerung verlassen muss: „Es ist schon viel wert, dass da vor Ort jemand ist, der sich für die Anlage verantwortlich fühlt und der auch einen Schlüssel für die Heizzentrale hat.“ Dieses Modell praktizieren die Verbandsgemeindewerke inzwischen auch in mehreren anderen Dorfwärmenetzen, für die sie die Verantwortung übernommen haben. Jedes der Projekte müsse sich zwar aus sich selbst heraus rechnen – das sei wichtig, erklärt Meurer. „Doch unser Eigenbetrieb verfolgt dabei satzungsgemäß keine Gewinnerzielungsabsicht.“ Sollte beispielsweise der Brennstoff günstiger werden, weil nach den großen Borkenkäferschäden die Holzhackschnitzel aus heimischen Wäldern billig einzukaufen seien, dann werde dies über eine Preisgleitklausel im Wärmepreis an die Bürger zurückgegeben. www.solare-waermenetze.de Volker Wichter ist Ortsbürgermeister von Neuerkirch. Zusammen mit einem Arbeitskreis engagierter Bürgerinnen und Bürger seiner Kommune entwickelte er das Konzept für das erste solare Nahwärmenetz in Rheinland-Pfalz. Das dies der Anfang für mehr war, berichtet der Bürgermeister im Interview. Herr Wichter, was hat dieses Nahwärmenetz in Neuerkirch und Külz bewegt? Es hat den Zusammenhalt im Dorf und zwischen den beiden Dörfern enorm befördert. Durch das Wärmenetz hat es bei allen Bürgern Klick gemacht. Wenn heute einer im Dorf mit einer neuen Idee kommt, wird er nicht gleich belächelt, sondern sie wird ernst genommen. Was für Ideen sind das? Wir haben eine Energiesparrichtlinie gemacht. Wir zahlen Bürgern Geld, wenn sie ihr Haus sanieren. Wir haben jetzt sogar Leihfahrräder als Gemeinde angeschafft – E-Bikes. Und ein Lastenrad – das ist der Renner. In den Nachbardörfern haben sie gedacht, jetzt drehen die durch in Neuerkirch. Aber nein: die Fahrräder werden richtig gut genutzt. Das Lasten-E-Bike ist im Sommer fast jeden Tag unterwegs. Als nächstes soll jetzt noch ein Dorfauto kommen – ein E-Mobil. Das sind alles Ideen, die wir viel leichter verwirklichen können, seit wir das Wärmenetz gebaut haben. Weil die Leute gemerkt haben, dass etwas daraus wird, wenn wir es gemeinsam anpacken. Wir sprechen darüber und dann machen wir es. Jetzt haben wir noch ein Förderprogramm für Weiße Ware – Austausch von Kühlschränken, Waschmaschinen und so weiter. Das ist alles aus der Nahwärme entstanden. Sie haben keine Genossenschaft gegründet, sondern die Verbandsgemeinde mit dem Betrieb beauftragt. Macht das einen Unterschied? Obwohl die Energieversorgung Simmern das Wärmenetz und das Heizwerk gebaut hat, haben alle Bürger im Hinterkopf: das ist „unser“ Heizwerk. „Wärmenetz hat Zusammenhalt befördert“ Seite 3 Foto: Guido Bröer Gesellschaftsrechtlich ist das Unternehmen eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft. Die Besonderheit bei solarcomplex ist, dass das Stimmrecht auf max. 5 Prozent je Anteilseigner begrenzt ist. So soll verhindert werden, dass einzelne Aktionäre das Unternehmen übernehmen. Gleichzeitig können aber einzelne Aktionäre auch mehr investieren, da sie mehr als 5 Prozent der Aktien halten dürfen. Der Großteil der Aktionäre sind Privatpersonen, aber auch kleinere Unternehmen, Energiegenossenschaften und Stadtwerke sind an solarcomplex beteiligt. Neben der Beteiligung über Aktien bietet solarcomplex zudem Genussrechte mit fester Verzinsung an. ALLES AUS EINER HAND Im Bereich der Wärmenetze hat solarcomplex schon langjährige Erfahrung und ist als Energiedienstleister sowohl Eigentümer als auch Betreiber von Wärmenetzen und den Erzeugungsanlagen. solarcomplex bietet die komplette Projektentwicklung von Wärmenetzprojekten an. Darunter fallen auch Konzepterstellung, Planung und Bauaufsicht. Als Betreiber ist solarcomplex zusätzlich für die Kundenbetreuung und den Anlagenservice zuständig. Aber auch einzelne Dienstleistungen werden angeboten, wodurch verschiedene Projektbeteiligungen ermöglicht werden. CO2-FREI DURCH DEN SOMMER Für alle von solarcomplex realisierten und betriebenen Wärmenetze gilt der Ansatz, dass entweder Abwärme aus z.B. einer stromgeführten Biogasanlage oder aus sonstigen Betrieben genutzt wird, oder Wärme über die Kombination aus Sonne und Holz erzeugt wird. Die Solarthermieanlage deckt dann CO2-frei den Sommerbedarf und der meistens zum Einsatz kommende Holzhackschnitzelkessel wird für die Übergangszeit und den Winterbedarf eingesetzt. So auch in Randegg, wo die Solarthermieanlage besonders gut ausgelastet ist. Dort erfordert nämlich eine Flaschenwaschanlage des ortsansässigen Getränkebetriebs Ottilien- Quelle einen hohen Wärmebedarf im Sommer. Infoblatt Solare Wärmenetze | Nr. 7 Foto: Jörg Dürr-Pucher DAS ENERGIEDORF RANDEGG Betreiber: solarcomplex AG Kontakt: Bene Müller, Vorstandsmitglied solarcomplex AG, www.solarcomplex.de Inbetriebnahme Wärmenetz: 2009 2018 nachgerüstet mit Solarthermie Hausanschlüsse: 150 Netzlänge: 6,6 km Wärmeerzeugungsanlagen: Solarthermieanlage (2.400 m2), Holzhackschnitzelkessel, Pelletkessel Solarer Deckungsanteil: 20 % CO2-Einsparung: 1.500 t CO2 pro Jahr Foto: Guido Bröer Seite 4 Randegg am Bodensee Der Energiedienstleister solarcomplex AG erweitert Solarthermieausbau Das in Singen ansässige Unternehmen solarcomplex AG betreibt mehrere Solar- Energiedörfer in der Bodenseeregion. Eines davon ist Randegg. Seit 2009 betreibt solarcomplex dort schon ein Biomasse-Nahwärmenetz, das im Jahr 2018 um eine Solarthermieanlage erweitert wurde. Das Unternehmen versteht sich als regional und dezentral agierendes Bürgerunternehmen. www.solare-waermenetze.de Jörg Dürr-Pucher ist Leiter „Projektentwicklung Wärmenetze“ der solarcomplex AG Warum hat sich die solarcomplex AG für die Form einer Aktiengesellschaft entschieden? Gegründet wurde das Unternehmen als solarcomplex GmbH von 20 Personen im Jahr 2000. Erst 2007 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Hauptgrund war, dass wir, ohne großen Aufwand, vielen Menschen ermöglichen wollten, sich an dem Unternehmen und damit an der Energiewende in der Region beteiligen zu können. Privatpersonen, die sich z.B. keine eigene PV-Anlage auf ihrem Dach leisten können, aber trotzdem aktiv in erneuerbare Energien investieren wollen, können bei uns Aktien kaufen und sind damit Miteigentümer unserer Anlagen. Welche Vor- und welche Nachteile hat die Unternehmensform? Neben der schnellen Aufnahme von Aktionären, ist das dadurch entstehende Kapital auch viel breiter gestreut. Ein weiterer wesentlicher Vorteil gegenüber z.B. einer Genossenschaft ist, dass wir als Unternehmen auch Gewinne machen dürfen. Dadurch ist der Handlungsspielraum des Unternehmens freier gestaltbar. Außerdem bilden sich Genossenschaften meist nur in der Gemeinde, in der die Mitglieder wohnen. Wir als AG können auch in mehreren Kommunen gleichzeitig aktiv sein und dort Projekte realisieren. Nachteilig ist der hohe formale Aufwand. Obwohl wir nicht börsennotiert sind, muss jährlich eine Hauptversammlung mit Wirtschaftsprüfung durchgeführt werden. Was sind aus Ihrer Sicht als Projektentwickler die entscheidenden Faktoren, dass in einem Dorf ein Wärmenetz gebaut wird? Das Wichtigste ist, dass die politischen Entscheidungsträger vor Ort, der Bürgermeister oder der Ortsvorsteher, dem Projekt positiv gegenüberstehen und es auch unterstützen. Das schafft insgesamt Vertrauen in das Projekt. Dazu kommt die Bereitschaft des Landwirts, wenn eine Biogasanlage den wesentlichen Teil der Wärmeversorgung übernehmen soll. Dabei ist auch das Ansehen des Landwirts in der Bevölkerung wichtig. Wenn dann noch die Möglichkeit besteht, Glasfaserkabel beim Bau des Wärmenetzes gleich mitzuverlegen, gibt es nochmal 10 Prozent mehr Bürger, die sich für das Wärmenetz interessieren. Das sind gute Voraussetzungen dafür, dass die Menschen sich anschließen lassen. Und je mehr Anschlussnehmer zusagen, desto günstiger wird der Wärmepreis. Wie sehen die Wärmepreise und das Preismodell bei solarcomplex aus? Pauschal kann man das leider nicht sagen. Jedes Projekt ist anders, deshalb wird der Preis auch immer neu kalkuliert. Das Wärmenetz muss wirtschaftlich sein, sonst kann man es nicht realisieren. Die Besonderheit bei solarcomplex ist, das wir auf die Übernahme der Anschlusskosten durch den Gebäudeeigentümer verzichten. Diese liegen zwischen 3.000 und 8.000 Euro pro Anschluss. Diese nicht unerhebliche Summe kann viele potentielle Abnehmer abschrecken. Der Wärmepreis setzt sich deshalb aus einem höheren Arbeitspreis und einem mittelhohen Grundpreis zusammen. Auf 20 Jahre gerechnet, sind die Kosten für dieses Preismodell ähnlich wie wenn Anschlusskosten verlangt werden und dafür der Arbeitspreis geringer ausfällt. Im Modell von solarcomlpex haben tendenziell diejenigen mit weniger Verbrauch einen preislichen Vorteil gegenüber den Großabnehmern. solarcomplex hat sich mit den Stadtwerken Sigmaringen zur Betreibergesellschaft Nahwärme Region Sigmaringen GmbH (NRS) zusammengeschlossen. Wie kam es dazu? Die Stadtwerke wollten in ihrem Versorgungsgebiet Wärmenetze ausbauen, hatten aber noch wenig Erfahrung in der Entwicklung und Planung von solchen Projekten. Für solarcomplex wiederum war das eine Gelegenheit, auch außerhalb der Bodenseeregion aktiv zu sein. Denn als eigenständiger Betreiber ist solarcomplex ausschließlich in der Region tätig, das heißt maximal eine Stunde Autofahrt von Singen entfernt. An der NRS GmbH sind die beiden Unternehmen je zur Hälfte beteiligt und stellen jeweils einen Geschäftsführer. Damit sind beide Unternehmen gemeinsam Eigentümer der realisierten Wärmenetze. Inhaltlich ist solarcomplex für die Projektentwicklung, Planung und Realisierung zuständig. Anders als bei unseren „eigenen“ Wärmenetzen haben wir hier mit den Aufgaben nach Inbetriebnahme nichts zu tun. Die Stadtwerke Sigmaringen verantworten den technischen Betrieb inklusive Wartungsund Reparaturarbeiten und das Abrechnen. Die jeweiligen Leistungen der Partner werden der NRS GmbH in Rechnung gestellt. Innerhalb dieser Kooperation wurden bereits drei auf Biogas basierende Wärmenetze realisiert. In Jungnau wird derzeit das vierte, diesmal mit Holz und Solarthermie, geplant. In welcher Phase befindet sich das Wärmenetzprojekt in Jungnau und welche Wärmeerzeugungstechnologien sind geplant? Die Fragebögen wurden im Frühjahr 2020 ausgefüllt und werden nun ausgewertet. Erfreulicherweise sind rund 170 Fragebögen zurückgekommen. Geplant wird auf der Grundlage, dass alle mitmachen, die den Fragebogen abgegeben haben. Wir planen noch innerhalb 2020 die erforderlichen Anträge bei der KfWBank und dem Land Baden-Württemberg zu beantragen und dann im darauffolgenden Jahr zu bauen. Geplant ist eine Kombination aus Holzhackschnitzel und Solarthermie, wobei wir von einer Kollektorfläche von 2.000 bis 3.000 Quadratmetern ausgehen - was natürlich von der tatsächlichen Wärmelast abhängt. „Als AG können wir mehr Menschen eine Beteiligung an unseren Energiewendeprojekten ermöglichen.“ Seite 5 Als Wärmeversorgungsunternehmen ist die Konstellation der Fernwärme Ettenheim GmbH ungewöhnlich. Gesellschafter sind neben dem Ingenieurbüro ratio energie GmbH, auch die Stadt Ettenheim und die Schulstiftung der Erzdiözese Freiburg. Das Ingenieurbüro ratio energie GmbH bringt die nötigen fachlichen Kompetenzen mit und unterhält neben der Tätigkeit in der Fernwärme Ettenheim GmbH auch weitere Nahwärmeversorgungen in Südbaden. In der Fernwärme Ettenheim GmbH ist die ratio energie GmbH deshalb für die operative Geschäftsführung zuständig. Das umfasst technische Aufgaben wie den Anlagenbetrieb und die Projektentwicklung, aber auch betriebswirtschaftliche Aufgaben wie die Buchhaltung und die Kundenbetreuung. Die ratio energie GmbH ist deshalb auch Hauptgesellschafter und hält 51 Prozent an der Fernwärme Ettenheim GmbH. Die anderen beiden Gesellschafter sind jeweils zur Hälfte mit je 24,5 Prozent an dem Wärmeversorgungsunternehmen beteiligt. Alle drei Gesellschafter stellen einen Geschäftsführer. Peter Blaser, Geschäftsführer der ratio energie GmbH, erzählt, wie es zu dieser Zusammenarbeit kam und von den Besonderheiten des Wärmeprojekts in Ettenheim: „Die Gründung der Fernwärme Ettenheim GmbH 1999 geht auf eine Ausschreibung der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA) 1998 zurück. Damals hatte zum einen die Heimschule St. Landolin, die für ihre Schulen und ihr Internat bereits ein eigenes Bestandswärmenetz hatte, einen hohen Sanierungsbedarf, und die Stadt Ettenheim plante ein neues Baugebiet, das über ein Wärmenetz versorgt werden sollte. Gemeinsam haben die Stadt und die Schulstiftung als Träger der Heimschule die KEA mit einer Ausschreibung beauftragt, bei der wir als ratio energie GmbH dann den Zuschlag erhalten haben. Die beiden Partner waren interessiert an der Gründung einer gemeinsamen Gesellschaft und wir als ratio energie waren dafür offen, wobei uns wichtig war, dass wir als verantwortlicher Betreiber mehrheitlich an dem neuen Unternehmen beteiligt sind. SYMBIOSE DER GESELLSCHAFTER Rückblickend kann ich sagen, dass der Zusammenschluss gut war und durchweg vorteilhafte Aspekte mit sich bringt. Da die Stadt beteiligt ist, hat die Fernwärme Ettenheim GmbH auch eine politische Verpflichtung, die Wärmeversorgung zukunftsweisend und nachhaltig zu gestalten. Gleichzeitig werden dadurch Netzausbaumaßnahmen begünstigt. Die Heimschule, die mehrere Schulen und ein Internat unterhält, ist durch die Beteiligung über die Schulstiftung gleichzeitig Eigentümer und Nutzer des Wärmenetzes. Bei allen Entscheidungen sitzt somit auch ein Kunde mit am Tisch. Für die Fernwärme Ettenheim GmbH ist es wiederum ein Glücksfall, da sie die bestehende Heizzentrale auf dem Gelände der Heimschule nutzen und für eine Holzhackschnitzelanlage umbauen konnte, und dort auch die notwendigen Räumlichkeiten für den Betrieb zur Verfügung stehen. Infoblatt Solare Wärmenetze | Nr. 7 Foto: Fernwärme Ettenheim GmbH Peter Blaser Operativer Geschäftsführer der Fernwärme Ettenheim GmbH Seite 6 Ettenheim in der Ortenau Betreibergesellschaft mit kommunaler Beteiligung erweitert Heizzentrale Im Frühjahr 2020 wurde die Solarthermieanlage für das seit 1999 bestehende Fernwärmenetz in Ettenheim fertiggestellt. Die Fernwärme Ettenheim GmbH hatte sich zum 20-jährigen Bestehen selbst beschenkt mit der Entwicklung einer CO2- neutralen Wärmeerzeugung, denn die Solarthermieanlage ersetzt nun das bisher mit Erdgas betriebene BHKW. Mit den beiden Partnern ist auch für Kontinuität in der Gesellschaft gesorgt, falls die inhabergeführte ratio energie eines Tages aus der Fernwärme Ettenheim ausscheiden sollte und ihre Gesellschaftsanteile veräußert. Sowohl die Stadt als auch die Schulstiftung haben die Möglichkeit, diese zu erwerben oder sich einen anderen Partner mit ins Boot zu holen. GEMEINSAME LÖSUNGEN Obwohl wir in der Fernwärme Ettenheim GmbH drei völlig unterschiedliche Partner sind, funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut. Wir haben eine gute Vertrauensbasis, wodurch die Geschäftsordnung auch sehr schlank gehalten werden konnte. Wenn eine Abstimmung ansteht, treffen wir uns - also die jeweiligen drei Geschäftsführer - und besprechen und entscheiden die Punkte gemeinsam; weitreichende Entscheidungen wie zum Beispiel der Beschluss zur Errichtung der Solarthermieanlage oder Netzerweiterungen erfolgen in der Gesellschafterversammlung. Ich kann mich nicht erinnern, dass es in den letzten 20 Jahren mal eine Mehrheitsentscheidung gab. Für uns als ratio energie GmbH ist die Betreiberform im Grunde zweitrangig. Es kommt auf die Personen und auf die Kompetenzen der beteiligten Partner an, mit denen man zusammenarbeitet. Wenn es der Sache dient und alle das Projekt voranbringen wollen, ist es letztendlich egal, welche Beteiligungsformen man wählt. „LANGFRISTIGE PLANUNGSSICHERHEIT“ Die Solarthermieanlage als neuer Wärmeerzeuger war bei uns schon länger im Gespräch. Anlass war das in die Jahre gekommene BHKW. Dieses BHKW deckte vor allem den sommerlichen Wärmebedarf. Dadurch konnte der Holzhackschnitzelkessel im Sommer vollständig außer Betrieb genommen und die Jahresrevision durchgeführt werden. Vor rund zwei Jahren trat ein größerer Schaden am BHKW auf, wodurch es häufiger ausfiel; die Notfallversorgung war durch zwei Ölheizkessel gesichert. Die Option, ein neues BHKW zu installieren, schied schon früh aus. Einerseits ist man stark von den politischen Rahmenbedingungen und dem jeweiligen Stand des KWKGs abhängig, das sich immer wieder ändert, andererseits war die Stromverwendung des BHKWs in der Schule vor 20 Jahren noch wesentlich einfacher und wirtschaftlicher. Heute muss der Strompreis komplett inklusive Umlagen etc. von der Schule bezahlt werden, obwohl sie über die Fernwärme Ettenheim GmbH auch Eigentümer des BHKWs ist. Zudem war schon immer ein Ziel der Fernwärme Ettenheim GmbH, die CO2- Bilanz zu verbessern, wodurch langfristig gedacht konventionelle Energieträger nicht mehr in Frage kamen. Die Installation einer Solarthermieanlage für den Sommerbedarf lag damit auf der Hand. Auch wirtschaftlich gesehen bringt die Solarthermieanlage Vorteile: Es fallen nur Kapitalkosten an, die im Vorfeld genau bekannt sind und sich nicht wie Brennstoffkosten ändern. Diese Preisstabilität bietet auch langfristige Planungssicherheit für uns als Betreiber und für unsere Kunden. Deshalb haben wir uns relativ schnell für eine Solarthermieanlage entschieden. ERWEITERUNGEN DURCH SOLARTHERMIE Der Bau einer Solarthermieanlage zur Deckung des sommerlichen Wärmebedarfs wurde im Jahr 2019 ausgeschrieben und nach wenigen Wochen konnte bereits mit den ersten Baumaßnahmen begonnen werden. Die Hauptverantwortung für Planung und Bau der Gesamtanlage hatte das Ingenieurbüro ratio energie GmbH inne. Des Weiteren übernahm es die Planung und Bauleitung für die Umbaumaßnahmen in der Heizzentrale und überwachte die baulichen Maßnahmen für den Standort der beiden Pufferspeicher. Der Solarthermieanlagenhersteller war als Generalunternehmer für den schlüsselfertigen Bau der Solarthermieanlage mit Pufferspeicher verantwortlich. Das hat alles sehr gut geklappt. Die Anlage wurde pünktlich vor dem Sommer im Mai 2020 fertiggestellt und befindet sich seitdem im Probebetrieb, welcher Ende August 2020 abgeschlossen sein soll.“ DIE WÄRMEVERSORGUNG IN ETTENHEIM Betreiber: Fernwärme Ettenheim GmbH Kontakt: Peter Blaser, operativer Geschäftsführer der Fernwärme Ettenheim GmbH, info@ratioenergie.de Inbetriebnahme Wärmenetz: 1999 2020 nachgerüstet mit Solarthermie Hausanschlüsse: 135 + die Heimschule Netzlänge: 3,5 km Wärmeerzeugungsanlagen: Solarthermieanlage (1.800 m2), Holzhackschnitzelkessel Solarer Deckungsanteil: 14 % CO2-Einsparung: 1.600 t CO2 pro Jahr Foto: Fernwärme Ettenheim GmbH www.solare-waermenetze.de Seite 7 Stadtwerke sind kommunale Unternehmen, die in öffentlichem Auftrag technische Leistungen hinsichtlich der Grundversorgung und Daseinsvorsorge der Bevölkerung erbringen. Diese Leistungen können sehr vielfältig und umfangreich sein. Angefangen bei Versorgungsdienstleistungen wie die Energieversorgung, bis hin zu Infrastrukturdienstleistungen wie die Unterhaltung von öffentlichen Gebäuden, z.B. Schwimmbäder. Stadtwerke sind entweder öffentlichrechtliche oder privatwirtschaftliche Betriebe mit meist mehrheitlicher Beteiligung der Kommune. Die Geschäftsführung von privatwirtschaftlichen Betrieben ist aufgrund der kommunalen Beteiligung an die Vorgaben der jeweiligen Kommune gebunden. Vor allem langfristige Ziele und Geschäftsausrichtungen können so von der Kommune beeinflusst werden. Die Stadtwerke Radolfzell GmbH ist ein privatwirtschaftlicher Betrieb, an dem die Stadt Radolfzell zu 51 Prozent beteiligt ist. Die Thüga AG aus München ist die zweite Gesellschafterin und hält 49 Prozent. Das Projekt in Liggeringen ist ein Leuchtturmprojekt für die Wärmeversorgung mit erneuerbaren Energien für die Stadt Radolfzell. Andreas Reinhardt, seit 2014 Geschäftsführer der Stadtwerke Radolfzell, berichtet von seinen Erfahrungen aus dem Projekt: „Noch 2011 wollte man den Ortsteil Liggeringen mit Erdgas erschließen. Allerdings gab es dann 2013 einen Wechsel im Rathaus. Der neue Oberbürgermeister hatte einen viel ökologischeren Ansatz für die Verwaltung und die städtischen Beteiligungen vorgesehen. Damit war das Thema Gasnetzausbau vom Tisch. Als ich 2014 die Geschäftsführung übernommen habe, haben wir ziemlich rasch damit angefangen, ein erstes Konzept für ein Wärmenetz in Liggeringen zu entwickeln. Der Ortsteil besteht hauptsächlich aus Bestandsgebäuden und zum damaligen Zeitpunkt waren dort viele Ölkessel und Flüssiggasanlagen in Betrieb. Unser Konzept sah damals schon die Versorgung mit einer Solarthermieanlage für den sommerlichen Wärmebedarf und einer Biomasseanlage für den Winterbetrieb vor. Für dieses Konzept haben wir eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung durchgeführt, indem wir zum einen das Wärmepotential des Ortsteils ermittelt haben - rund 20 GWh pro Jahr - und zum anderen alle Kosten aufgestellt haben, die durch den Anschluss und die Versorgung der 240 Grundstücke entstehen. Basierend auf einer Anschlussquote von 40 Prozent haben wir 2015 das Budget aufgestellt. Daraufhin haben wir mehrere Infoveranstaltungen organisiert und auch Exkursionen zu bestehenden Solar-Energiedörfern angeboten. Die hydraulische Planung hatten wir extern vergeben, wobei uns wichtig war, dass das erfahrene Wärmenetzplaner übernehmen. Als wir 75 Verträge mit Anschlussnehmern geschlossen hatten, konnten wir das Ausschreibungsverfahren für die einzelnen Komponenten und Leistungen starten und die Aufträge vergeben. „SYNERGIEEFFEKTE NUTZEN“ Schon zu diesem Zeitpunkt war für uns klar, dass wir die Wirtschaftlichkeit erhö- Infoblatt Solare Wärmenetze | Nr. 7 Foto: Stadtwerke Radolfzell GmbH Andreas Reinhardt Geschäftsführer der Stadtwerke Radolfzell GmbH Seite 8 Liggeringen am Bodensee Die Stadtwerke als kommunale Betreibergesellschaft Liggeringen ist ein Ortsteil der Stadt Radolfzell. Dort realisierten und betreiben die Stadtwerke Radolfzell ein Solar-Energiedorf. Im Mai 2020 gab es bereits einige Tage, an denen allein die Solarthermieanlage die Wärmeversorgung der rund 100 angeschlossenen Gebäude übernommen hat. hen, wenn wir die Synergieeffekte nutzen, die wir als Stadtwerke mit unserem breiten Geschäftsfeld ausmachen können. So haben wir gleichzeitig mit dem Bau des Wärmenetzes die Trink- und Abwasserleitungen erneuert, die Straßenbeleuchtung modernisiert und unsere dort noch vorhandenen Stromfreileitungen in die Erde verlegt. Wir konnten also viele unserer Aufgaben auf einmal – mit einer Baumaßnahme – erledigen. In Liggeringen haben wir zudem auch Glasfaserkabel mitverlegt und Kunden, die bereits Strom von uns beziehen, konnten einen günstigeren Internettarif bekommen. PROBLEMATIK FLÄCHENFINDUNG Das kritischste und langwierigste Unterfangen war die Flächenfindung für die Heizzentrale und die Solarthermieanlage. Insgesamt 20 potentielle Flächen haben wir geprüft, was uns ein ganzes Jahr im Projekt gekostet hat. Dazu muss man wissen, dass Liggeringen in einem Landschaftsschutzgebiet liegt. Um also überhaupt dort diese Anlagen bauen zu können, mussten wir lange mit den übergeordneten Planungsbehörden verhandeln und eine geeignete Ausgleichsfläche suchen. Zudem hat sich in dem doch eher kleinen Ort schnell herumgesprochen, dass wir ein Grundstück suchen, was einige Grundstücksbesitzer auszunutzen versuchten, um den Preis in die Höhe zu treiben. Schlussendlich hat uns dann ein Obst- und Gemüsehändler sein Grundstück verkauft, auf dem jetzt die Heizzentrale und die Solarthermieanlage stehen. Der schöne Abschluss an dem mühsamen Prozess ist: Der Händler hat das Geld aus dem Verkauf des Grundstücks wieder reinvestiert und nun einen Nahversorgerladen in Liggeringen aufgebaut, in dem er auch Mitarbeiter beschäftigt. Der Ort hat somit doppelt profiti ert. WIRTSCHAFTLICHKEIT FÜR ALLE Weiterer Erfolgsfaktor für das Projekt war die Wirtschaftlichkeit für alle Beteiligten. Wir haben dafür sehr viel Öffentlichkeitsarbeit betrieben: Insgesamt zehn Infoveranstaltungen, drei Exkursionen und zahlreiche weitere Gespräche mit den Bürgern vor Ort oder in Bürgersprechstunden. Die unstabile Ölpreisentwicklung und in diesem Zusammenhang eine Vollkostenrechnung waren Hauptargumente für ein Wärmenetz. Im Wärmepreis sind alle Nebenkosten wie Service, Notdienst etc. enthalten, während beim Ölpreis erstmal nur das Öl bezahlt wird. Durch den Wechsel auf erneuerbare Energien ist die Preisentwicklung auch planbar und gegenüber dem Ölpreis deutlich weniger dynamisch. Für uns als Stadtwerke war das Investment für das Wärmenetz in Liggeringen zwar hoch, aber es ermöglicht uns langfristig kalkulierbare Einnahmen und eine dauerhafte Kundenbeziehung. SONNIGE ZUKUNFT In Liggeringen kommen kontinuierlich weitere Anschlüsse hinzu. Das Wärmenetz und die Erzeugungsanlagen sind so ausgelegt, dass 150 Anschlussnehmer möglich sind. Aber auch für die Erweiterung der Erzeugung ist vorgesorgt. Die Fläche, auf der die Solarthermieanlage steht, ist so groß, dass diese auf 2.000 Quadratmeter erweitert werden kann und dann den sommerlichen Wärmebedarf des ganzen Orts decken würde. Rund um Radolfzell sind wir jetzt in allen sechs Ortsteilen Energieversorger. In vier Ortsteilen betreiben wir ein Erdgasnetz und in zwei Ortsteilen ein Wärmenetz. Darüber hinaus wurden wir von Allensbach, einer Gemeinde außerhalb unseres Versorgungsgebiets, angefragt, um dort gemeinsam mit der Firma solarcomplex AG ein Wärmenetz zu bauen.“ DAS ENERGIEDORF LIGGERINGEN Betreiber: Stadtwerke Radolfzell GmbH Kontakt: Andreas Reinhardt, Geschäftsführer Stadtwerke Radolfzell GmbH, andreas.reinhardt@stadtwerke-radolfzell.de Inbetriebnahme Wärmenetz: 2018 Hausanschlüsse: 103 Netzlänge: 6 km Wärmeerzeugungsanlagen: Solarthermieanlage (1.200 m2), Holzhackschnitzelkessel Solarer Deckungsanteil: 20 % CO2-Einsparung: 1.400 t CO2 pro Jahr Foto: Solites www.solare-waermenetze.de STADTWERKE RADOLFZELL GMBH Anteilseigner: Stadt Radolfzell mit 51 Prozent Thüga AG mit 49 Prozent Geschäftsbereiche: - Energieversorgung von Strom, Gas, Wärme - Energiedienstleistungen und Betriebsführung - Wasserver- und -entsorgung - Infrastrukturdienstleister auch in anderen Netzgebieten - Breitband - ÖPNV, E-Carsharing Seite 9 Die Naturstrom AG wurde durch Mitglieder aus Natur- und Umweltverbänden unmittelbar nach der Strommarktliberalisierung 1998 als einer der ersten Stromanbieter gegründet, der nur Ökostrom im Angebot hatte. Bis heute ist sie ausschließlich im Bereich der erneuerbaren Energien tätig und entwickelte sich so zu einem mittelständischen Unternehmen mit über 400 Mitarbeitern und 13 Standorten in ganz Deutschland. Die Aktien der nicht börsennotierten Naturstrom AG werden zu 51 Prozent von Kleinaktionären gehalten. Darunter fallen Privatpersonen und auch kleinere Genossenschaften. Das Unternehmen eco eco AG ist größter Anteilseigner und hält 25 Prozent der Aktien. NATURSTROM MACHT WÄRME Seit rund acht Jahren ist die Naturstrom AG innerhalb des Geschäftsbereichs „Dezentrale Energieversorgung“ auch im Bereich der Wärmenetze aktiv. Für Nahwärmeprojekte im ländlichen Raum setzt sie bewusst auf die Kombination aus Sonne und Holz als Wärmequelle. Infoblatt Solare Wärmenetze | Nr. 7 Foto: Naturstrom AG DAS ENERGIEDORF HALLERNDORF Betreiber: Naturstrom AG Kontakt: Thilo Jungkunz, Geschäftsbereichsleiter „Dezentrale Energieversorgung“ der Naturstrom AG, Thilo.Jungkunz@naturstrom.de Inbetriebnahme Wärmenetz: 2016 Hausanschlüsse: 137 Netzlänge: 7 km Wärmeerzeugungsanlagen: Solarthermieanlage (1.300 m2), Holzhackschnitzelkessel Solarer Deckungsanteil: 20 % CO2-Einsparung: 600 t CO2 pro Jahr Foto: Naturstrom AG Seite 10 CONTRACTING IN DER WÄRMEVERSORGUNG Contracting bezeichnet einen Vertragsschluss über die Lieferung von Betriebsstoffen. Im Bereich der Wärmenetze gibt es grundsätzlich zwei Contractingformen, wobei beide sich entweder ausschließlich auf die Wärmeerzeugungsanlagen beziehen können oder auch das Wärmenetz einschließen. Wärmeliefer-Contracting: Der Contractinggeber übernimmt die Investition in die Wärmeerzeugungstechnologie und betreibt diese Anlagen auch, während der Contractingnehmer nur die Wärme abnimmt und sonst keinen Betreuungs- oder Investitionsaufwand für die Anlagen hat. Betreiber-Contracting: Der Contractinggeber übernimmt nur den Betrieb der Wärmeerzeugungsanlagen und ist für die Brennstoffbeschaffung zuständig. Die Investition tätigt der Contractingnehmer, der auch Eigentümer der Anlagen bleibt. Hallerndorf in Oberfranken Ökostrom-Anbieter betreibt größte Solarthermieanlage Bayerns In der oberfränkischen Gemeinde Hallerndorf betreibt der Energieversorger Naturstrom AG das 2016 entstandene Wärmenetz mit einer Solarthermieanlage und einem Holzhackschnitzelkessel. Für die Naturstrom AG ist es das zwölfte Wärmenetz, das sie realisiert hat. www.solare-waermenetze.de Thilo Jungkunz ist Geschäftsbereichsleiter „Dezentrale Energieversorgung“ der Naturstrom AG Die Naturstrom AG ist ein deutschlandweit aktives Unternehmen. Gilt das auch für den Wärmenetzbereich? Jein. Für Nahwärmeprojekte, die wir betreiben, müssen wir vor Ort sein. Wir brauchen mindestens einen Betriebsleiter und einen Heizwärter, die die Anlagen betreuen. Deshalb sind wir in der klassischen Nahwärmeversorgung in einem Umkreis von rund 150 Kilometer um Eggolsheim aktiv - grob gesagt in Nordbayern und Thüringen. Wir planen und betreiben aber auch kalte Nahwärmenetze und urbane Quartierkonzepte. Für diese Projekte sind wir deutschlandweit aktiv. Welche Aufgaben übernimmt Naturstrom in den Nahwärmeprojekten? Wir bearbeiten die gesamte Projektentwicklung und -umsetzung. Darunter fällt die Konzepterstellung und die Akquise, sowie danach eine detaillierte Planung, die Bauaufsicht und dann auch der Betrieb der Anlagen und des Netzes. Wir investieren selbst meistens aber nur in die Wärmeerzeugungstechnologien, da das Wärmenetz als Infrastrukturmaßnahme aus unserer Sicht in der Hand der Kommune oder der Bürger vor Ort liegen sollte. Wir arbeiten z.B. in Moosach mit der Kommune und einer Genossenschaft zusammen. Der Kommune gehört das Wärmenetz und die Genossenschaft ist für die Kundenbetreuung zuständig. Naturstrom ist Eigentümer und Betreiber der Wärmeerzeugungsanlagen. Das Wärmenetz haben wir von der Kommune gepachtet, um so auch die gesamte Wärmelieferung bis zum Endkunden sicherstellen zu können. Wir sind vor Ort dann als Betreibergesellschaft in der Form einer GmbH&Co.KG aktiv. An dieser Gesellschaft können sich die Bewohner des Orts beteiligen. Unabhängig von diesem Konzept, sind wir für alle denkbaren Kooperationsformen offen. In Hallerndorf beispielsweise sind wir momentan zumindest alleiniger Eigentümer und Betreiber des Wärmenetzes und der Erzeugungsanlagen. Wie kam es zum Wärmeprojekt und zur besonderen Rolle der Naturstrom AG in Hallerndorf? Initiator für das Wärmenetz war der ortsansässige Verein „Generation Erde“. Dieser Verein betrieb damals bereits ein kleines Wärmenetz in einem Ortsteil von Hallerndorf, das über eine Biogasanlage versorgt wird. Als im Hauptort die Straßensanierung anstand, hat der Verein gleich an das Thema Nahwärme gedacht und kam auf uns zu. Zusammen haben wir die Idee dem Bürgermeister und dem Gemeinderat vorgestellt. Die Gemeinde hat ziemlich schnell das Projekt unterstützt. Allerdings war die Investition für das Wärmenetz von der Kommune finanziell nicht stemmbar. Auch die Gründung einer Genossenschaft kam nicht zustande, weil niemand als Vorstand die Sache in die Hand genommen hätte. Deshalb haben wir uns entschlossen, dort nicht nur in die Erzeugungsanlagen, sondern auch in die Infrastruktur zu investieren. Die Tür steht aber weiterhin für eine Beteiligung der Kommune oder der Bürger offen. Welche anderen Herausforderungen gab es im Vorfeld der Projektentwicklung? Im Vorfeld löste die optische Wahrnehmung der Solarthermieanlage und des Heizhauses Vorbehalte aus. Aber eine Solarthermieanlage kann eine grüne Fläche und das Aussehen eines Ortes auch aufwerten; als die Idee einer Holzverkleidung von Heizzentrale und Pufferspeicher vorgestellt wurde, konnten sich die Bewohner mit dem Projekt anfreunden. Die jetzige Gestaltung mit den großen Fensterflächen ermöglicht den Einblick von außen für die Öffentlichkeit und versprüht einen gewissen Biergarten-Charme. Auch der Koordinationsaufwand während der Bauphase war in Hallerndorf schon sehr hoch. Zum einen lagen teilweise für das Gebiet keine Spartenpläne vor. In manchen Straßenzügen mussten deswegen beide Seiten der Straße aufgebaggert werden, weil auf der einen Seite schon was drin lag. Zum anderen haben sich in Hallerndorf besonders viele Hauseigentümer erst während der Tiefbauarbeiten zu einem Anschluss entschlossen. Dadurch mussten teilweise ganze Trassenverläufe während des Baus neu geplant werden. Welche Vorteile bietet aus Ihrer Sicht eine Wärmenetzlösung mit der Naturstom AG? Wir haben intern einen Prozess mit fünf Stufen definiert, um zielgerichtet Projekte realisieren zu können. Außerdem binden wir die Bürger von Anfang an mit ein und wollen ihre Ideen mitberücksichtigen. Ich denke, dass sind auch die Hauptgründe, warum unsere Projekte ziemlich schnell umgesetzt werden. Bislang haben wir im Schnitt immer ein bis eineinhalb Jahre für die Projekte insgesamt gebraucht. Vorteil eines größeren Unternehmens ist es auch, dass verschiedene Finanzierungsmodelle und Beteiligungsformen möglich sind. Wie man auch an dem Projekt in Hallerndorf sieht, kann flexibel auf die gegebenen Bedingungen reagiert werden, um ein Wärmeprojekt zu realisieren. „Wir sind bei Wärmenetzprojekten für alle Kooperations- und Beteiligungsformen offen.“ Seite 11 Markus Bohnert, Vorstand der Bürger Energie St. Peter eG, ist sehr glücklich mit dem Wärmeprojekt und auch damit, es als Genossenschaft umgesetzt zu haben. Er sagt: „Als Genossenschaftsmitglieder sind wir alle Eigentümer der Wärmeversorgung und beziehen die Wärme zu Selbstkostenpreisen. Das Geschäftsmodell ist ganz anders als das eines Contractors oder eines Energieversorgungsunternehmens: Wir machen keinen Gewinn, sondern ermöglichen bezahlbare Wärme aus der Region. Seit 2013 bleibt unser Wärmepreis konstant - bedenkt man die Inflation, sinkt der Wärmepreis eigentlich.“ DIE URSPRÜNGE Im August 2009 wurde die Genossenschaft mit damals 13 Mitgliedern gegründet. Beteiligt als Aufsichtsratsmitglieder waren auch die Gemeinde mit dem Bürgermeister und die Erzdiözese Freiburg mit einem Mitarbeiter der Abteilung Bau und Liegenschaften, da das Kloster als großer Verbraucher an das Wärmenetz mitangeschlossen werden sollte. Letzterer war vor allem als Rechtsexperte eine wichtige Bereicherung. Um als Genossenschaft eingetragen zu werden, muss ein detailliertes Konzept vorliegen, das vom Genossenschaftsverband geprüft wird. Bohnert erklärt: „Gerade die Prüfung durch eine neutrale Stelle und die damit verbundene Insolvenzsicherheit war uns wichtig und Hauptgrund, weshalb wir uns für die Genossenschaft und gegen einen wirtschaftlichen Verein entschieden haben.“ Für die Zeit vor der Eintragung bedeutete das allerdings: viel Arbeit ohne Kapital. ZUSAMMENARBEIT MIT PLANER „In dieser Vorphase war das ehrenamtliche Engagement der Mitglieder wichtig, denn erst mit der Eintragung erhält man von der Bank auch Kredite und kann tatsächlich Verträge abschließen. Aber wir wussten auch, dass wir es alleine nicht schaffen und haben deshalb nach einem Planungsbüro mit Erfahrung in diesem Bereich gesucht. Da haben wir Arnold Berghoff (s. Interview) gefunden. Er hat sich daraufhin unsere Genossenschaft angeschaut, ob er uns dieses Projekt auch zutraut, denn er ging hier in relevantem Maße in Vorleistung.“, beschreibt Bohnert den Beginn der Zusammenarbeit. Die zukünftigen Genossenschaftsmitglieder organisierten Infoveranstaltungen für die Infoblatt Solare Wärmenetze | Nr. 7 Foto: Bürger Energie St. Peter eG Seite 12 Markus Bohnert Vorstand der Bürger Energie St. Peter eG DAS ENERGIEDORF ST. PETER Betreiber: Bürger Energie St. Peter eG Kontakt: Markus Bohnert, Vorstand der eG, info@buergerenergie-st-peter.de Inbetriebnahme Wärmenetz: 2010 Hausanschlüsse: 252 Netzlänge: 12 km Wärmeerzeugungsanlagen: Holzpellets-Holzgas-BHKW, Holzhackschnitzelkessel CO2-Einsparung: 3.500 t CO2 pro Jahr St. Peter im Schwarzwald Eine Genossenschaft realisiert ihr Wärmeprojekt mit einem Planer Gerade im ländlichen Raum werden nachhaltige Wärmenetze auch von Genossenschaften betrieben, die sich zu diesem Zweck gründen. So auch in der Gemeinde St. Peter im Schwarzwald. Die Genossenschaftsmitglieder waren dort für die komplette Projektentwicklung zuständig und führen den Betrieb. Für die technische Planung und Ausführung unterstützte sie ein kompetenter Planer. Bürger und erhoben die relevanten Daten für die Wärmeplanung mittels Fragebögen. Aus diesen Daten erstellte der Planer die technische Dimensionierung und Kostenkalkulation. Das war die Grundlage für den Wärmepreis und für die Genossenschaftseintragung. Darauf aufbauend konnten die Mitglieder Förderanträge stellen und KfWKredite beantragen. Im Februar 2010 wurde die Genossenschaft dann eingetragen und im Mai begann der Bau. DER ALLTAG Ruhig ist es aber noch lange nicht in St. Peter. Das Wärmenetz wächst immer noch und auch die Mitgliederzahl steigt. Die technische Planung übernimmt dabei weiter Berghoff. 2013 wurde ein innovatives Holzpellets- Holzgas-BHKW in Betrieb genommen, das Ökostrom und Wärme produziert. 2016 wurde dann noch ein zweiter Hackschnitzelkessel installiert, wodurch jetzt ganz St. Peter mit Wärme versorgt werden könnte. Bohnert erzählt begeistert: „Das Bio-Energiedorf St. Peter hat Preise gewonnen und ist auch international bekannt. Da müssen wir als Genossenschaft für die Nahwärme keine Werbung mehr machen.“ Aber nicht nur die Erweiterung des Netzes macht Arbeit, sondern auch der Betrieb. „Für die meisten Vorstandsaufgaben und die technische Leitung bin ich zuständig. Da ich als Förster Beamter bin, konnte ein Dienstüberlassungsvertrag über 10 Prozent meiner Beamtenarbeitszeit vereinbart werden. Außerdem beschäftigen wir auch vier Minijobber, die die Wartung und die Ablesung übernehmen. Allerdings hat jeder Beschäftigte bei uns einen Hauptberuf.“, berichtet Bohnert. Mittlerweile hat sich die Genossenschaft finanziell schon so weit entwickelt, dass sie sich auch hauptamtliches Personal leisten könnte. „Für die Zukunft ist die Genossenschaft gut aufgestellt, damit sie auch noch nach der Generation der Gründer bestehen kann.“, ist sich Bohnert sicher. www.solare-waermenetze.de Seite 13 Arnold Berghoff ist selbstständiger Planungsingenieur und begleitete bereits mehrere Nahwärmegenossenschaften in Baden-Württemberg. Welche Rolle übernehmen Sie als Planer bei der Entwicklung eines genossenschaftlichen Wärmenetzprojektes? Die technische Planung umfasst Datenerhebung, Auslegung des Netzes und der Wärmeerzeuger sowie die Auswahl von geeigneten Herstellerfirmen. Neben den rein technischen Fragestellungen, ist es für die Genossenschaft aber auch wichtig, dass bei der Akquise immer auch ein Experte dabei ist, der aus Erfahrung sagen kann: „es funktioniert tatsächlich“. Welche Bedingungen sind für ein genossenschaftliches Wärmenetz notwendig? Die Genossenschaft ist eine Firma. Das heißt, das Geschäftsmodell muss wirtschaftlich tragfähig sein, sonst funktioniert es nicht. Die Projekte sind alle sehr unterschiedlich, aber die Wirtschaftlichkeit entscheidet sich daran, ob die Wärmeabnahme bei gleichzeitig hoher Wärmedichte groß genug ist. Sie waren bereits in sechs Projekten mit Genossenschaften beteiligt. Welche Vorteile bietet dieses Betreibermodell? Die Bürger sind dem Projekt gegenüber viel aufgeschlossener, wenn eine Genossenschaft dieses initiiert. Es gibt zwar immer auch Skeptiker, aber niemand sagt: „Die wollen uns über den Tisch ziehen“. Und nicht nur in Bezug auf den Umsetzungserfolg hat die Genossenschaft Vorteile, sondern auch für die Mitglieder und Wärmeabnehmer insgesamt. Die Mitglieder bestimmten selbst das Preismodell. Da sie keine Gewinnmaximierung verfolgen, sind die Preise immer moderat und stabil. Ein genossenschaftliches Wärmenetz ist ein Geschenk für den Ort. Welche Voraussetzungen sind nötig für eine funktionierende Genossenschaft? Die Menschen, die die Genossenschaft gründen wollen, sind entscheidend. Es braucht einige „Macher“, die motiviert sind und ihre Begeisterung für ein solches Projekt auch weitergeben und die Bürger überzeugen können. Denn nur, wenn ausreichend Viele mitmachen, kann das Projekt wirtschaftlich sein. Dafür müssen die Initiatoren bereit sein, viel Zeit ehrenamtlich zu investieren. Erforderlich sind auch Personen, die betriebswirtschaftliche Kenntnisse mitbringen. Jemand muss die Geschäftsführung übernehmen und es muss sich jemand um die finanziellen Dinge kümmern: vor der Gründung mit der Bank sprechen, Förderanträge stellen etc. und nach der Gründung die Buchhaltung verantworten. Die Projekte, in denen z.B. ein Bankangestellter oder ein Steuerberater involviert ist, haben sehr gute Voraussetzungen für die Gründung. Vorteilhaft für den Betrieb ist es, wenn jemand technisch versiert ist, um die Anlagen betreuen zu können. „Ein genossenschaftliches Wärmenetz ist ein Geschenk für den Ort.“ Begonnen hat die Geschichte des Energiedorfes Mengsberg mit dem europaweiten Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“, der die Dorfgemeinschaft zusammengeschweißt hat. Ohne diesen hätten die Mengsberger wahrscheinlich nie über eine gemeinsame Energieversorgung nachgedacht. In immer neuen Qualifikationsrunden brachte es das 800-Einwohner Dorf seit 2011 mit seinen Ideen und Taten erst zum Regionalsieger, dann zum Hessenmeister, schließlich 2013 zum Bundessieger und 2014 sogar zur europäischen Vizemeisterschaft. Die Energieversorgung in die eigenen Hände zu nehmen, war eines der Leitmotive im Wettbewerb. Und dass die Wärme dabei eine große Rolle spielen muss, wurde bald klar, je mehr sich die Mengsberger in das Thema einarbeiteten. Ein Wärmenetz auf Basis heimischer erneuerbarer Energien sollte entstehen. Und um dieses zu betreiben, gründeten die Mengsberger eine gemeinsame Firma, die Bioenergiegenossenschaft Mengsberg eG, die nach Jahren des Planens und Bauens seit dem Frühjahr 2018 ihr eigenes Dorfwärmenetz betreibt. Eine erste Machbarkeitsstudie, die seit dem Jahr 2012 von einem großen Heizungsbauunternehmen aus der nordhessischen Nachbarschaft betreut wurde, sah allerdings zunächst eine Biogasanlage als Basis der Energieversorgung vor. Dafür gab es bereits viele Vorbilder in Deutschland. Doch im Dorf wurde der dafür notwendige flächenhafte Maisanbau immer kritischer diskutiert. Ungenutzte Restholz-Potenziale verrotteten hingegen in den heimischen Wäldern, an denen viele Mengsberger Familien Grundbesitz haben. Schließlich einigte man sich auf eine Kombination aus 80 Prozent Holzheizung und 20 Prozent Solarwärme. GENERALUNTERNEHMER 2017 schlossen die Genossen dann für den Bau des Netzes einen Vertrag mit dem Unternehmen, das sie bereits seit der ersten Machbarkeitsstudie betreut hatte. Es fungierte fortan als Generalunternehmer für Netz und Heizzentrale und übergab die Anlage im Sommer 2018 schlüsselfertig. Sicher seien für Genossenschaften auch andere Konstellationen möglich, meint Vorstandsmitglied Michael Rudewig, indem man sich beispielsweise mit einem erfahrenen Planungsbüro zusammentue, das die einzelnen Baufirmen koordiniere. „Allerdings müsste dann jemand in der Lage sein, sehr genau alle Schnittstellen zu definieren. Damit wären ehrenamtliche Genossenschaftler definitiv überfordert.“ Die Mengsberger jedenfalls fühlten sich bei ihrem Generalunternehmer in guten Händen. In die Genossenschaft hat jeder Anschlusswillige eine Einlage von 4.000 Euro pro Gebäude eingebracht. Dafür wird ihm das Fernwärmerohr bis ins Haus gelegt und eine Übergabestation installiert. ARBEIT IN DER GENOSSENSCHAFT Für die Ehrenamtlichen in Vorstand und Aufsichtsratssitzung war das eine anstrengende und teils nervenaufreibende Zeit. Jeden Mittwochmorgen um acht Uhr war Baubesprechung im Feuerwehrhaus, und am gleichen Abend ging es jeweils mit einer Aufsichtsratssitzung weiter. Die Aufsichtsräte wiederum trugen die Informationen zu ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern ins Dorf. Und mindestens einmal pro Jahr trifft sich satzungsgemäß auch die große Runde aller Genossinnen und Genossen. Dass es dort mitunter hoch hergehe, bestätigt Rudewig mit Augenzwinkern: „Unsere Generalversammlungen sind von Diskussionen geprägt.“. Denn bei aller Einigkeit in der Sache ist immer wieder auch Überzeugungsarbeit zu leisten. Ein Dauerthema sind die jeweils aktuellen Energieund Wärmepreise. Denn seit dem Beschluss über die Gründung der Genossenschaft und dem Bau des Wärmenetzes ging der Ölpreis keineswegs stetig nach oben. Getrieben vom Weltmarkt gab es vielmehr auch Niedrigpreis- Infoblatt Solare Wärmenetze | Nr. 7 Foto: Guido Bröer Seite 14 Mengsberg in Mittelhessen Ein Generalunternehmer unterstützt das genossenschaftliche Wärmeprojekt Auch in Mengsberg betreibt eine Genossenschaft ein Wärmenetz – mit Solarthermieanlage. Aber nicht nur die Solarthermieanlage unterscheidet die Genossenschaft von jener in St. Peter, sondern auch die Umsetzung. In Mengsberg arbeitet die Genossenschaft mit einem Generalunternehmer zusammen. Dieser war für die komplette Projektentwicklung und Realisierung zuständig und ist im Betrieb auch Ansprechpartner für technische Serviceleistungen. phasen. Und der eine oder andere im Dorf hat neben dem Wärmenetzanschluss seine alte Ölheizung oder seinen Kaminofen behalten und befeuert diese weiter, was zu einer geringeren Wärmeabnahme im Netz und somit höheren Wärmepreisen für alle führt. Nach der ersten Heizperiode sah sich die Genossenschaft deshalb gezwungen die Mindestabnahmemenge pro Anschluss zu erhöhen, wovon nur Besitzer von Niedrigenergiegebäuden ausgenommen werden können. WARUM GENOSSENSCHAFT? Bei solchen Beschlüssen hat jedes Genossenschaftsmitglied eine Stimme, egal ob es ein oder mehrere Gebäude besitzt und entsprechend viele Geschäftsanteile. „Eine Genossenschaft ist die fairste Form der Bürgerbeteiligung“, ist Rudewig überzeugt. Denn wie in keiner anderen Unternehmensform würden hier ja nicht nur unerwartete Lasten gemeinsam geteilt, sondern auch ein möglicher Überschuss. Wenn beispielweise aufgrund des starken Borkenkäferbefalls der Jahre 2019 und 2020 Brennstoff zum Schnäppchenpreis beschafft werden kann, dann könne die Genossenschaft am Jahresende sehr unbürokratisch eine Rückvergütung an alle vornehmen, erklärt Rudewig, der für die Genossenschaft ehrenamtlich alle Abrechnungen macht. In der Saison 2020 sieht es danach allerdings nicht aus, denn die Corona-Pandemie hat den Genossen einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Während der Heizsaison sind unsere größten Energieabnehmer – Hallenbad, Grundschule und Kindergarten – geschlossen“, klagt Rudewig. „Immerhin hilft uns das billige Käferholz die Verluste teilweise zu kompensieren.“ Freuen können sich die Energiegenossen aber bereits auf den Zeitpunkt in 10 bis 15 Jahren, wenn die Kredite für das Wärmenetz abbezahlt sein sollen. Dann nämlich wollen alle von sinkenden Wärmepreisen profitieren. „Ja,“ sinniert Rudewig, „es ist ein Generationenprojekt!“ www.solare-waermenetze.de Seite 15 DIE ENERGIEGENOSSENSCHAFT Eine Energiegenossenschaft ist eine eingetragene Genossenschaft (eG), die speziell in Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien aktiv ist. Wesenskern jeder Genossenschaft ist ein konkreter, langfristiger Nutzen für die Mitglieder, der nicht ausschließlich finanzieller Natur ist. Die Energiegenossenschaft strebt eine ökologisch nachhaltige und preisstabile Energieversorgung für die Genossenschaftsmitglieder an. Dafür realisiert und betreibt diese lokal erneuerbare Energieerzeugungsanlagen. Ist die Energiegenossenschaft nur im Wärmesektor aktiv, wird sie auch Nahwärmegenossenschaft genannt. ZAHLEN IN DEUTSCHLAND Der Zuwachs an Energiegenossenschaften in den letzten Jahren zeigt, wie wichtig den Menschen die Mitbestimmung und Mitgestaltung in Bezug auf erneuerbare Energien geworden ist. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich die Anzahl an Energiegenossenschaften in Deutschland mehr als verfünffacht. Mittlerweile gibt es über 840 Energiegenossenschaften in ganz Deutschland.1 RECHTLICHE GRUNDLAGEN Genossenschaften unterliegen dem Genossenschaftsgesetz. Wesentliche gesellschaftsrechtlichen Merkmale sind: 1 DGRV, Zahlen und Fakten, www.dgrv.de/bundesgeschaftsstelle- energiegenossenschaften, 2019 DAS ENERGIEDORF MENGSBERG Betreiber: Bioenergiegenossenschaft Mengsberg eG Kontakt: Michael Rudewig, Vorstandsmitglied, begmengsberg@outlook.de Inbetriebnahme Wärmenetz: 2018 Hausanschlüsse: 147 Netzlänge: 9 km Wärmeerzeugungsanlagen: Solarthermieanlage (2.950 m2), Holzhackschnitzelkessel Solarer Deckungsanteil: 17 % CO2-Einsparung: 1.400 t CO2 pro Jahr Foto: Guido Bröer Eigenkapital wird aus den Geschäftsanteilen der Mitglieder gebildet. Jedes Mitglied hat eine Stimme, unabhängig von der Anzahl seiner Geschäftsanteile. Es besteht eine Prüfungspflicht durch den Genossenschaftsverband vor der Gründung und anschließend mind. alle zwei Jahre. Die eG gilt als insolvenzsicherste Rechtsform in Deutschland. ZUM THEMA GENOSSENSCHAFT Der Dachverband: Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. www.dgrv.de Die Prüfungsverbände für Genossenschaften sind regional organisiert. Spezielle Informationen für Energiegenossenschaften: www.genossenschaften.de/energie Gefördert durch: www.solare-waermenetze.de IMPRESSUM Das Infoblatt Solare Wärmenetze ist eine Initiative im Rahmen von Solnet 4.0, einem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Vorhaben zur Marktbereitung für solare Wärmenetze. Die Projektpartner sind das Steinbeis Forschungsinstitut Solites, der Fernwärmeverband AGFW, das Hamburg Institut sowie die Herausgeber der Zeitschrift Energiekommune. Herausgeber: Steinbeis Innovation gGmbH vertreten durch Steinbeis Forschungsinstitut Solites (www.solites.de) Redaktion: Sabine Ott, Thomas Pauschinger (Solites) Guido Bröer, Guido Bröer & Andreas Witt GbR Veröffentlichung: August 2020 Haftungsausschluss: Das dieser Publikation zugrundeliegende Vorhaben wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie unter dem Förderkennzeichen 03EGB0002A gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieses Dokuments liegt bei den AutorInnen. Weder der Fördermittelgeber noch die AutorInnen übernehmen Verantwortung für jegliche Verwendung der darin enthaltenen Informationen. Energiekommune Infoblatt Solare Wärmenetze | Nr. 7 Weiterführende Informationen zu solaren Wärmenetzen Die Seite www.solare-waermenetze.de bietet Ihnen: Aktuelle Neuigkeiten zu solaren Wärmenetzen Veranstaltungen, Workshops und Kurse Eine Wissensdatenbank mit zahlreichen Publikationen und Medien Leitfäden mit praktischem Know-how Kontakte zu Anbietern und Dienstleistern für ihr Projekt Gefördert durch: www.solare-waermenetze.de IMPRESSUM Das Infoblatt Solare Wärmenetze ist eine Initiative im Rahmen von Solnet 4.0, einem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Vorhaben zur Marktbereitung für solare Wärmenetze. Die Projektpartner sind das Steinbeis Forschungsinstitut Solites, der Fernwärmeverband AGFW, das Hamburg Institut sowie die Herausgeber der Zeitschrift Energiekommune. Herausgeber: Steinbeis Innovation gGmbH vertreten durch Steinbeis Forschungsinstitut Solites (www.solites.de) Redaktion: Sabine Ott, Thomas Pauschinger (Solites) Guido Bröer, Guido Bröer & Andreas Witt GbR Veröffentlichung: August 2020 Haftungsausschluss: Das dieser Publikation zugrundeliegende Vorhaben wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie unter dem Förderkennzeichen 03EGB0002A gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieses Dokuments liegt bei den AutorInnen. Weder der Fördermittelgeber noch die AutorInnen übernehmen Verantwortung für jegliche Verwendung der darin enthaltenen Informationen.

Julian Kuntze2023-08-18T11:37:11+02:00Dienstag, 1. September, 2020|

Genossen ernten Solarwärme

12 Energiekommune 7/2020 Von 860 Energiegenossenschaften, die es laut Zahlen des Deutschen Genossenschaftsund Raiffeisenverbandes (DGRV) in Deutschland gibt, befassen sich derzeit 164 mit Wärmeversorgung. Als Hauptwärmequelle dient bei zwei Dritteln von ihnen eine Biogasanlage, bei 30 Prozent ein Holzhackschnitzelkessel. Nur zwei von diesen Wärmegenossenschaften betreiben auch eine Solarthermieanlage, um in ihrem Dorf im Som - mer Energie vom Himmel zu ernten: die Bürger GemeindeWerke Breklum eG in Nordfriesland und die Bioenergiegenossenschaft Mengsberg in Hessen. die nächsten Ausbaustufen Die Breklumer Energiegenossen, die ihr Netz mit 60 Anschlüssen im Ortskern bereits im Jahr 2018 ans Laufen gebracht haben, wollen jetzt in die näch ste Dimension vorstoßen. Nach drei Monaten Verschiebung wegen der Corona-Pande mie erläuterten sie Ende Juni in einer Dorfversammlung die Pläne für einen zweiten und dritten Bauabschnitt, mit dem 220 weitere Gebäude an das Wärmenetz angeschlos - sen werden könnten. Genaueres soll eine Machbarkeitsstudie klären, die jetzt vom Bürgerenergiefonds des Landes Schleswig-Holstein gefördert wer - den soll. Parallel hat die Genossenschaft bereits etliche Interessensbekundun - gen bei anschluss willi gen Hausbesit - zern eingeholt. Das ist die kritische Phase jedes dörflichen Wärmenetzprojektes, ob genossenschaftlich oder anders orga ni - siert. Es geht um Überzeugungs ar beit, Klinkenputzen ist angesagt. Denn da alle Projekte auf Freiwilligkeit setzen, kommt es entscheidend darauf an, wie viele Hausbesitzer sich anschließen lassen. Von der Anschlussdichte hängt schließlich die Wirtschaftlichkeit des Projektes ab. Oder anders gesagt: Je mehr mitmachen, desto günstiger wird es für den einzelnen Teilnehmer. In Breklum muss die Überzeugungsarbeit zumindest nicht mehr bei null anfangen, denn dass und wie es technisch funktioniert, gehört ja durch den ersten Bauabschnitt im Ort bereits zum Allgemeinwissen. Und die Genossenschaft hat einen weiteren Trumpf im Ärmel. In den neuen Bauabschnitten mit überwiegender Einfamilienhaus- Bebauung gibt es nämlich bereits seit Jahren zahlreiche Mitglie der, obwohl weder ein Fernwärmerohr in der Straße liegt noch eine konkrete Planung überhaupt begonnen hatte. Denn Mitglied in der Genossenschaft kann jede Breklumerin und jeder Breklumer werden, unabhängig von einem Wärmenetzanschluss. Mit 100 Euro Mindestanteil ist man dabei und hat bei Entscheidungen das gleiche Stimm recht wie ein Haus - be sitzer, der meh rere Gebäude anschließt und deshalb et liche tausend Euro Einlage beigesteuert hat. Für Heiko Hansen, einen der beiden Genossenschaftsvorstände der Bürger GemeindeWerke Breklum eG, liegt hierin der große Vorteil der genossenschaftlichen Organisationsform: „Von der Genossenschaft als Form bin ich absolut überzeugt, weil jeder mit einem kleinen Anteil Mitglied werden kann. Dadurch wird es zum Projekt des gan - zen Dorfes.“ die fairste form der Beteiligung So sieht das auch Michael Rudewig aus Mengsberg. Er ist dort, wie Hansen in Breklum, derjenige, der sich vor Ort um die kaufmännischen Fragen der Genossenschaft kümmert: „Die Genossen - schaft ist die fairste Form der direkten Bürgerbeteiligung“, sagt Rudewig. Und dazu zähle auch, dass finanzielle Risiken und mögliche Gewinne von allen ge - teilt würden: „Sollten wir zum Beispiel am Ende des Jahres Geld übrig haben, können wir als Genossenschaft ganz einfach eine Rückvergütung vorneh - men – in anderen Betriebsfor men ist das nicht so leicht möglich.“ Der Betrieb von Wärmenetzen kann auch von einer Genossenschaft übernommen werden. Die ersten zwei von diesen nutzen nun auch große Solarthermie-Anlagen. Damit es klappt, sind ehrenamtliches Engagement und Professionalität erforderlich. Genossen ernten Solarwärme Foto: Guido Bröer v 13 Solare Wärmenetze Energiekommune 7/2020 In Mengsberg würden alle in so einem Fall profitieren, weil hier im Gegensatz zu Breklum die eG-Mitglied schaft unmittelbar mit dem Hausanschluss verbunden ist. Jedes Genossenschaftsmitglied zahlt pro An schluss 4000 Euro als Einlage und erhält dafür die Fernwärmeleitung samt Übergabestation ohne weitere An schluss gebüh ren ins Haus gelegt. heiße diskussionen Aktuell sind Überschüsse in Mengsberg allerdings kein Thema. Zwar können günstige Brennstoffkosten hier für lange Zeit als gesichert gelten, da der Solarwärmeanteil von 17 Prozent aus dem 3000 Quadratmeter großen Kollektorfeld zusammen mit dem Hauptbrennstoff Restholz aus heimi schen Wäldern für stabile Bezugskosten sorgt. Allerdings gibt es unerwartete Schwankungen auf der Abnahmeseite. „Unsere drei größten Wärmeabnehmer, Hallenbad, Grundschule und Kindergarten, sind seit Monaten geschlossen“, klagte Rudewig während der Coronakrise. Zugleich verleiten die derzeit unerwartet billigen Ölpreise manche der 150 Mengsberger Energiegenossen dazu, ihre fossilen Heizkessel weiterzubetreiben. Denn deren Verschrottung hatte die Genossenschaft seinerzeit nicht zur Anschlussbedin gung gemacht. „Wir haben ein paar Rosinenpicker dabei“, kommentiert Rudewig dieses Verhalten. Deshalb sah sich die Genossenschaft im vergan genen Jahr gezwungen, die Mindestabnahme pro Hausanschluss auf 10.000 Kilowattstunden pro Jahr zu erhöhen. Ausnahmen sind nur für Niedrigenergiehäuser möglich. Dass solchen schmerzhaften Beschlüssen in einer Genossenschaft intensive Debatten vorausgehen, versteht sich von selbst. „Ja, unsere Hauptversammlungen sind von Diskussionen geprägt“, sagt Rudewig schmunzelnd. Sturmerprobt, nicht nur wegen der Nähe zur Nordsee, ist inzwischen auch die Genossenschaft in Breklum. Nach Problemen mit dem Ende 2018 in Insolvenz gegangenen Generalübernehmer, den die Genossen mit Bau und Betrieb beauftragt hatten, gab es Stress mit den finanzierenden Banken. Schon im er s - ten Betriebsjahr, während die Restarbeiten am ersten Bauabschnitt ins Stocken geraten waren, hatte sich auch der vorab kalkulierte Wärmepreis als nicht haltbar entpuppt und musste um 2,07 Cent angehoben werden. Den Be - schluss dazu traf die Hauptversamm - lung übrigens einstimmig. Seit dann im August 2019 auch noch ein kompletter Vorstandswechsel über die Bühne gebracht worden ist, befindet sich die Genossenschaft inzwischen wieder in ruhigerem Fahrwasser. Eine Tochtergesellschaft der Stadtwer - ke Bremen hat sie jetzt mit Abrechnung und Betriebsführung betraut. Den 24/7- Wartungsservice übernimmt dabei ein örtlicher Heizungsbaubetrieb. Nach - dem inzwischen die letzten der 60 Gebäude des ersten Bauabschnitts endlich angeschlossen sind, soll nun auch die Erschließung weiterer Wohngebiete da - zu beitragen, dass die vorhandene Heiz - zen trale samt Solarfeld besser ausge - lastet ist. Dass sich die Solaranlage mit 600 Quadratmetern Kollektorfläche, wie es in den sonnigen Junitagen jüngst der Fall war, am Nachmittag abschaltet, wenn die beiden 88 Kubikmeter großen Heißwasserspeicher voll beladen sind, das soll möglichst bald Geschichte sein. Professionalisierung Hansen hat aus den turbulenten Jahren eine zentrale Lehre gezogen: „Um Wärmenetze als Genossenschaft zu organisieren, bedarf es einer hohen Professionalisierung. Man braucht ei nen guten Techniker und einen guten Kaufmann.“ Gewiss: Viele Bürgerenergieprojek te kämen erst an den Start, weil ein Visionär die Leute im Ort mitziehe. Aber genauso wichtig sei es, jemanden im Boot zu haben, der die Visionen jederzeit kritisch prüfe, meint Hansen: „Die richtige Mischung zwischen Visio när und Bremser zu finden, das ist die Kunst.“ Wie dabei am Ende die Arbeits - teilung zwischen Profis und Ehrenamt - lern aussieht, das kann durchaus unterschiedlich sein. Während die Brek lumer sich, so Hansen, wohl nie wieder einem Generalübernehmer anvertrauen würden, aber bei Abrechnung und Betriebsführung auf die Erfahrung eines großen Stadtwerkes setzen, machen es die Mengsberger genau anders herum. Sie sind mit der Arbeit ihres Generalunternehmers, der Heizzentrale und Wärmenetz im Früh jahr 2018 schlüsselfertig übergeben hat, rundweg zufrieden. „Als Genossen schaft von Ehrenamtlern braucht man so einen professionellen Partner, mit dem ein Vertrauensver - hältnis besteht. Man könnte es stattdessen auch mit verschiedenen Partnern machen,“ sagt Rudewig, „aber nur, wenn man in der Lage ist, alle Schnittstellen sauber zu definieren.“ Viele laufende Arbeiten, einschließlich der jährlichen Abrechnung für 150 Wärmeabnehmer, die Rudewig selbst übernimmt, sind ihn Mengsberg ehrenamtlich organisiert. Rudewig: „Unser Wärmenetz ist ein Projekt für Generationen. Dafür braucht es dauerhaft einige Leute, die bereit sind, die Arbeit zu leisten.“ Guido Bröer GRÜNDUNG GENOSSENSCHAFTLICHER WÄRMENETZE SEIT 2006 Quelle: DGRV Energiekommune Institution/Kommune/Firma Straße Name, Vorname PLZ, Ort Telefon E-Mail Unterschrift/Datum Zum Lesen gibt es zwei Optionen: Als gedruckte Zeitschrift: Im Abonnement können Sie Energiekommune mit 12 Ausgaben pro Jahr für 49,- Euro bestellen. Als E-Paper/PDF: Zum Preis von 29,- Euro erhalten Sie die aktuellen Ausgaben der Zeitschrift per E-Mail als PDF-Datei. Ich möchte die Zeitschrift Energiekommune gedruckt zum Preis von 49,- Euro für 12 Aus gaben abon nieren. * Ich möchte die Energie kom - mune als E-Paper/PDF zum Preis von 29,- Euro pro Jahr abonnieren. * Der Infodienst für die lokale Energiewende! • monatlich aktuell • für kommunale Akteure • hilft zu vernetzen * Abonnements verlängern sich um ein Jahr, wenn Sie nicht zum Ende des Bezugszeitraums gekündigt werden. Verlag: Guido Bröer & Andreas Witt GbR, Bültestraße 70 b, 32584 Löhne, Tel. 05731 83460, Fax 05731 83469, www.energiekommune.info Energiekommune – Der Infodienst für die lokale Energiewende erscheint monatlich. Er berichtet über aktuelle Energiethemen mit Handlungsrelevanz für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kommunen, Stadtwerken, für Gemeinderatsmitglieder und viele andere Akteure der lokalen Zivilgesellschaft.

Julian Kuntze2023-08-18T13:50:26+02:00Mittwoch, 1. Juli, 2020|

Innovative Lösungs- und Entwicklungskonzepte zur Marktbereitung für solare Wärmenetze in der Wohnungswirtschaft

Innovative Lösungs- und Entwicklungskonzepte zur Marktbereitung für solare Wärmenetze in der Wohnungswirtschaft HIR Hamburg Institut Research gGmbH 2 Innovative Lösungs- und Entwicklungskonzepte zur Marktbereitung für solare Wärmenetze in der Wohnungswirtschaft Autoren: Dr. Matthias Sandrock, Dr. Nikolai Strodel, Christian Maaß, Dr. Alexandra Purkus, Dr. Hilmar Westholm, Jonathan Claas-Reuther, Felix Landsberg, Eva Augsten HIR Hamburg Institut Research gGmbH Paul-Nevermann-Platz 5 22765 Hamburg www.hamburg-institut.com Hamburg, 2020 Wir bedanken uns für die Unterstützung aus der Wohnungswirtschaft durch: GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. VNW Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen e.V. WGH Wohnungsbaugenossenschaft Halberstadt eG Dieser Bericht wurde im Rahmen des Vorhabens: „Solnet 4.0 - Innovative Lösungs- und Entwicklungskonzepte zur Marktbereitung für solare Wärmenetze“ erstellt. Förderkennzeichen: 03EGB0002A, 03EGB0002B, 03EGB0002C Laufzeit des Vorhabens: 1.8.2017 - 30.9.2020 Gefördert durch: Haftungsausschluss: Das dieser Publikation zugrundeliegende Vorhaben wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie unter dem Förderkennzeichen 03EGB0002A gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieses Dokuments liegt bei den AutorInnen. Weder der Fördermittel-geber noch die AutorInnen übernehmen Verantwortung für jegliche Verwendung der darin enthaltenen Informationen. 3 Inhalt A Bedeutung der Solarthermie für den Klimaschutz im Gebäudesektor ............. 5 1. Potenzial und Nutzungseigenschaften ..................................................... 5 2. Derzeitiger Marktstatus ............................................................................ 8 3. Entwicklungsperspektiven ...................................................................... 12 4. Rolle der Wohnungswirtschaft ............................................................... 14 B Anwendungsoptionen der Solarthermie im Wohnungsbau ........................... 16 1. Gebäudeorientierte Nutzung .................................................................. 16 1.1. Warmwasserbereitung.................................................................... 17 1.2. Heizungsunterstützung ................................................................... 17 1.3. Solarhäuser ..................................................................................... 18 2. Solarthermisch unterstützte Wärmenetze ............................................. 19 2.1. Wärmenetze für Trinkwarmwasser ................................................ 20 2.2. Wärmenetze für Raumheizung und Trinkwarmwasser .................. 21 2.3. Wärmenetze mit saisonaler Speicherung ....................................... 22 C Kosten und Wirtschaftlichkeit ......................................................................... 24 1. Investitionskosten ................................................................................... 24 2. Betriebskosten ........................................................................................ 25 3. Wärmegestehungskosten ....................................................................... 25 4. Förderung ............................................................................................... 26 D Rechtlicher Rahmen ........................................................................................ 29 1. Europäischer Regelungsrahmen ............................................................. 29 1.1. Europäisches Klimagesetz ............................................................... 29 1.2. Europäische Klimaschutzverordnung .............................................. 30 1.3. Europäische Governance-Verordnung ............................................ 30 1.4. Europäische Gebäudeeffizienzrichtlinie ......................................... 31 1.5. Europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie ................................ 31 1.6. Europäische Effizienz-Richtlinie ...................................................... 32 1.7. Europäische Emissionshandelsrichtlinie ......................................... 32 2. Nationaler Regelungsrahmen ................................................................. 33 2.1. Bundes-Klimaschutzgesetz .............................................................. 33 2.2. Gebäudeenergiegesetz ................................................................... 33 2.3. Brennstoff-Emissionshandelsgesetz ............................................... 35 2.4. Wärmelieferverordnung ................................................................. 35 2.5. AVBFernwärmeverordnung ............................................................ 36 2.6. Bauordnungsrecht für gebäudeorientierte Solaranlagen ............... 37 2.7. Planungs- und Genehmigungsrecht für solare Freiflächenanlagen 37 4 E Hemmnisse ...................................................................................................... 39 1. Bekanntheit und Image........................................................................... 39 2. Rechtliche Hemmnisse ............................................................................ 40 3. Flächenverfügbarkeit .............................................................................. 42 4. Technische Herausforderungen .............................................................. 43 5. Wirtschaftliche Hemmnisse .................................................................... 44 F Technische Lösungsansätze ............................................................................. 45 1. Saisonale Wärmespeicherung im Quartier ............................................. 45 2. Dezentrale Einspeisung in das Fernwärmenetz ...................................... 48 3. Sektorkopplung mit dem Stromsystem .................................................. 50 4. Multikodierte Flächennutzung ............................................................... 52 G Organisatorische und rechtliche Lösungsansätze ........................................... 58 1. Wärmenetze in eigener Verantwortung der Wohnungswirtschaft ........ 58 2. Contracting und Betreibermodelle ......................................................... 59 3. Warmmieten-Modelle ............................................................................ 61 4. Bivalente Netzversorgung mit Solarthermie .......................................... 62 5. Geschäftsmodelle zur Netznutzung ........................................................ 66 6. Herkunftsnachweise und Bilanzierung von Wärme ............................... 68 H Fallbeispiele ..................................................................................................... 73 1. Freiburg: Neue Energie für alte Mauern ................................................. 73 2. Hamburg-Harburg: Sonnenernte für den Winter einfrieren .................. 75 3. Rostock-Brinckmannshöhe: Solarwärme aus dem Untergrund ............. 79 4. Frankfurt-Unterliederbach: Sozialer und solarer Wohnungsbau ........... 81 5. Düsseldorf: Optimierung der dezentralen Solareinspeisung .................. 83 6. Hamburg-Wilhelmsburg: Einspeisetarif für Solarwärme ........................ 85 7. Berlin-Adlershof: Das Wärmenetz als Speicher nutzen .......................... 87 8. Cottbus-Sandow: Sonnenhäuser mit Energie-Flatrate ........................... 89 9. Graz-Waltendorf: Solarcontracting am Berliner Ring ............................. 92 I Literaturverzeichnis ......................................................................................... 94 5 A Bedeutung der Solarthermie für den Klimaschutz im Gebäudesektor 1. Potenzial und Nutzungseigenschaften Die Solarthermie wird als Baustein der Energiewende im Wärmebereich in der öffentlichen Wahrnehmung oft unterschätzt. Das theoretische Energiepotenzial der Solarstrahlung ist immens groß und flächendeckend verfügbar. Die während nur einer Stunde auf die Erdoberfläche eingestrahlte Solarstrahlung entspricht etwa dem globalen Energiebedarf eines ganzen Jahres. In Deutschland beträgt die jährliche Solarstrahlung etwa 1.000 kWh je m² Landfläche, daraus ergibt sich ein – theoretisches – Potenzial von 357.000 TWh. Zum Vergleich: die jährlich notwendige Wärmemenge für Heizung und Warmwasser in den Wohngebäuden beträgt etwa 500 TWh. Im Süden Deutschlands scheint die Sonne mehr und kräftiger als im Norden. Jedoch sind diese Unterschiede nicht so gravierend, wie es die Darstellung in den üblichen Strahlungskarten vermuten läßt. Auch im Norden ist eine wirtschaftliche Nutzung der Solarthermie möglich. Die Nutzung der Solarthermie ist möglich über dezentrale (gebäudebezogene) Anwendungen oder über die Einspeisung der Solarwärme in Nah- und Fernwärmesysteme (zentrale Anwendung). Das technisch nutzbare Potenzial der dezentralen Solarthermie wird in verschiedenen wissenschaftlichen Studien mit Werten in einem Korridor zwischen 78 und 120 TWh jährlich beziffert. (Corradini, 2013) (Jochum, et al., 2017). Für die zentrale Anwendung der Solarthermie wurden im BMWi-Projekt AIRE etwa 92 TWh ermittelt (IFEU, 2020). Gegenüber dem technischen Potenzial hängt das wirtschaftlich erschließbare Potenzial der Solarthermie von vielen energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab, wie etwa den Referenzkosten einer fossilen Energieversorgung, der Förderkulisse oder der (künftigen) Bepreisung von CO2-Emissionen. Auch die jeweilige Kombination der Solarthermieanlage mit anderen Erzeugungstechniken beeinflußt das wirtschaftliche Potenzial. Beispielhaft kann durch eine Kombination von Wärmepumpen mit Solarthermie die Wärmequelle der Wärmepumpe regeneriert werden und so ein Zusatznutzen generiert werden. Bei der zentralen Anwendung der Solarthermie in Wärmenetzen sind weitere Kriterien wie etwa die Konkurrenz durch andere Wärmequellen (z.B. Müllverbrennungsanlagen) zu berücksichtigen. Für die Abschätzung künftiger Ausbaupotenziale ergeben sich somit große Unsicherheiten. Das wirtschaftliche Potenzial der Solarthermie kann für den dezentralen Sektor mit Werten zwischen 18 und 33 TWh jährlich abeschätzt werden (Sterchele, et al., 2020). Für den Bereich der zentralen Solarthermieanwendung mit Einbindung in Wärmenetze ergeben sich je nach zugrunde gelegtem Szenario Potenzialwerte von 6 bis zu 55 TWh jährlich (Gerhardt, et al., 2019) (Gerbert, et al., 2018). Hieraus wird deutlich, dass ein großer Teil des heutigen Wärmebedarfs im Gebäudesektor über die Energiequelle Solarthermie abgedeckt werden könnte. Das Potenzial der Solarenergie übersteigt den Wärmebedarf um ein Vielfaches Das wirtschaftlich nutzbare Potenzial hängt stark von den energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab Ein großer Teil des heutigen Wärmebedarfs im Gebäudebereich könnte solar gedeckt werden. 6 Im Gegensatz zur Verwendung fossiler Brennstoffe ist die Nutzung der Solarstrahlung mit nahezu keinen umweltschädlichen Wirkungen verbunden. Es enstehen keine Emissionen, keine Risiken und keine Altlasten. Solarkollektoren werden in verschiedenen Bauarten für die Energiegewinnung eingesetzt. Entscheidend ist hier das erforderliche Nutztemperaturniveau. Unverglaste Absorber können bei sehr niedrigem Temperaturniveau eingesetzt werden (Freibäder) oder in Verbindung mit Wärmepumpen (Luftkollektoren). Flachkollektoren sind die üblichste Bauform für Raumheizung und Warmwasser. Für höhere Temperaturen können Vakuumröhrenkollektoren eingesetzt werden. Konzentrierende Kollektoren kommen bei sehr hohen Temperaturen zum Einsatz (industrielle Prozesswärme). Der Wirkungsgrad der Solarkollektoren für die Umwandlung der Solarstrahlung in nutzbare Wärme beträgt etwa 30 – 50%. Dabei sind der Kollektortyp und die Nutztemperatur entscheidend. Niedrige Nutztemperaturen begünstigen den Wirkungsgrad der Kollektoren. Die eingestrahlte Solarenergie konzentriert sich zu etwa ¾ auf das Sommerhalbjahr. Der Gebäude-Wärmebedarf ist jedoch in der Heizperiode am größten, im Sommer hauptsächlich auf Warmwasserbereitung beschränkt. Dieses gegenläufige Verhältnis zwischen Energiedargebot und -bedarf beschränkt die Nutzung der Solarthermie bzw. erfordert speziell angepasste Techniken. Abbildung 1: Solare Einstrahlung und Nutzungsmöglichkeiten im Gebäudebestand (Bildquelle: Solites) Die Auslegung einer dezentralen Solarthermieanlage zur Warmwasserbereitung nach der VDI-Richtlinie 6002 (Solare Trinkwassererwärmung) führt im Gebäudebestand1 zu einem sehr geringen solaren Deckungsgrad am gesamten gebäudebezogenen Wärmebedarf von nur etwa 3%. Üblicherweise wird jedoch eine derartige 1 Bei neu errichteten Gebäuden hat durch den verbesserten baulichen Wärmeschutz der Energiebedarf für Warmwasser gegenüber der Raumheizung einen wesentlich höheren Anteil. Entsprechend erhöhen sich dadurch auch die möglichen solaren Anteile am gebäudebezogenen Wärmebedarf. Die Nutzung hat nahezu keine schädlichen Umweltauswirkungen. Etwa ¾ der Solar-strahlung entfällt auf das Sommerhalbjahr 7 Solarthermieanlage so ausgelegt, dass im Sommer der Warmwasserbedarf komplett durch die Anlage abgedeckt wird. Mit einer solchen Anlagenkonfiguration können etwa 7 % des Gebäudewärmebedarfs gedeckt werden. Mit größeren Kollektorflächen und Nutzung der Solarwärme auch für die Raumheizung kann dieser Wert auf etwa 15-20 % erhöht werden. Werden noch höhere Anteile der Solarthermie am Wärmebedarf gewünscht, muss die eingestrahlte Solarwärme bis zur Nutzung in der Heizperiode gespeichert werden. Mit dem Einsatz saisonaler Wärmespeicher bei solarthermisch unterstützten Wärmenetzen können solare Anteile von mehr als 50 % erreicht werden. Hier stehen verschiedene Bauarten saisonaler Speicher zur Verfügung. Mit saisonaler Speicherung können solare Anteile am Wärmebedarf von mehr als 50% erreicht werden 8 2. Derzeitiger Marktstatus Generell hat sich die Solarthermie in Deutschland als Technologie zur Warmwasserbereitung und Unterstützung der Raumheizung in Wohngebäuden mit großer Verbreitung bewährt. Thermische Sonnenkollektoren und die zugehörigen Systemlösungen haben einen hohen technischen Standard erreicht. In Deutschland sind derzeit thermische Solaranlagen mit einer kumulierten Gesamtkollektorfläche von etwa 19,3 Mio. Quadratmetern installiert und leisten einen Beitrag zur Wärmeversorgung von etwa 8,5 TWh jährlich (Stand 12/2019).2 Insgesamt stellen die erneuerbare Energien im Wärmesektor mit einer Energiemenge von etwa 176 TWh im Jahr 2019 einen Anteil von etwa 14,5 % des gesamten Endenergieverbrauchs an Wärme und Kälte. Die Solarthermie liefert davon einen Anteil von etwa 5 %. Abbildung 2: Endenergieverbrauch an Wärme aus erneuerbaren Energien im Jahr 2019, Quelle: Umweltbundesamt Auf den gesamten Energiebedarf an Wärme bezogen liegt der Anteil der Solarthermie nur bei etwa 1 %. Jedoch steht der Strukturwandel im Wärmesektor zu erneuerbaren Energien noch am Anfang und es wird vor dem Hintergrund der Zielsetzung eines künftig klimaneutralen Gebäudebestands ein deutliches Marktwachstum in den nächsten Jahren erwartet (s. Kapitel A3). 2 Diese Zahlen beziehen sich auf die amtliche Statistik der AGEE-Stat (Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik). Die Werte sind geringer als die der Branchenstatististik des BSW (Bundesverband Solarwirtschaft), da die AGEEStat im Gegensatz zum BSW einen Rückbau von Anlagen nach einer Lebensdauer von 20 Jahren voraussetzt. Solarthermie liefert etwa 5 % des Anteils an erneuerbaren Energien im Wärmesektor 9 Entwicklungen in den letzten Jahren Deutschland war in den 1990er und Anfang der 2000er Jahre mit großem Abstand der größte Solarthermiemarkt Europas. Dieser Rang konnte zumindest in absoluten Zahlen bislang noch gehalten werden, jedoch ist der jährliche Ausbau seit dem Rekordjahr 2008 bis einschließlich 2019 fast stetig zurückgegangen. Abbildung 3: Eigene Darstellung auf der Grundlage der Verbandsstatistik BSW/BDH Stand: 03/2020 Der weitaus größte Teil des Solarthermiemarktes in Deutschland entfällt auf relativ kleine Dachanlagen im Bereich der von den Eigentümern selbst genutzten Ein- und Zweifamilienhäuser. Genaue statistische Daten liegen hierzu nicht vor. Von verschiedenen Marktexperten wird jedoch der Anteil dieser Kleinanlagen auf mehr als 95 % des Marktes geschätzt. Andere Solarthermie-Anwendungen wie etwa im Bereich des Mietwohnungsbaus oder im Bereich Industrie und Gewerbe stehen demgegenüber deutlich zurück. Marktsituation im Mietwohnungsbau Auch für den hier im Fokus stehenden Bereich der Mietwohngebäude stehen nur wenig belastbare Daten zur Verfügung. Eine Unterstützung des Projekts erfolgte freundlicherweise durch den GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. Nach eigener Aussage repräsentiert der GdW rund 3.000 kommunale, genossenschaftliche, kirchliche, privatwirtschaftliche, landes- und bundeseigene Wohnungsunternehmen. Insgesamt bewirtschaften diese Unternehmen etwa 30 % aller Mietwohnungen in Deutschland. Nach einer internen Statistik3 des GdW waren im Jahr 2016 etwa 3.480 Solarkollektoranlagen mit ingesamt etwa 106.000 m² Kollektorfläche bei den Mitgliedsunternehmen installiert. Dies entspräche einem Anteil von etwa 0,6 % der insgesamt installierten Kollektorfläche. 3 Persönliche Mitteilung des GdW 0,00 0,00 200,00 200,00 400,00 400,00 600,00 600,00 800,00 800,00 1000,00 1000,00 1200,00 1200,00 1400,00 1400,00 1600,00 1600,00 1800,00 1800,00 2000,00 2000,00 2000 2000 2001 2001 2002 2002 2003 2003 2004 2004 2005 2005 2006 2006 2007 2007 2008 2008 2009 2009 2010 2010 2011 2011 2012 2012 2013 2013 2014 2014 2015 2015 2016 2016 2017 2017 2018 2018 2019 2019 Zubau an Solarkollektorfläche in 1.000 m² Zubau an Solarkollektorfläche in 1.000 m² Zubau an Kollektorfläche 2000 --20192019 Flachkollektor Flachkollektor Vakuumkollektor Vakuumkollektor Der Solarthermiemarkt ist in Deutschland seit etwa 10 Jahren rückläufig Etwa 95 % des Marktes entfallen auf kleine Anlagen im Ein- und Zweifamilienhaus-bereich 10 Wird vorausgesetzt, dass der GdW-Anteil am Mietwohnungsmarkt in Deutschland etwa 1/3 beträgt und auch im restlichen Mietwohnungsmarkt eine ähnliche Verbreitung von Solarthermieanlagen zu finden ist, kann der Anteil am gesamten Solarthermiemarkt mit etwa 1,5 - 2 % abgeschätzt werden. Vor dem Hintergrund, dass etwa 57% der Haushalte in Deutschland zur Miete wohnen4, ist dieser Marktanteil sehr gering. Aufschlussreich ist auch die Entwicklung der installierten Solaranlagen im Bereich der GdW-Mitgliedsunternehmen aufgeteilt nach Solarthermie-Anlagen und Fotovoltaik-Anlagen zur Stromerzeugung. Abbildung 4: Installierte Solaranlagen bei GdW-Unternehmen (Daten: GdW) Während in den Jahren bis 2010 zahlenmäßig noch mehr Solarthermie-Anlagen als Photovoltaik- Anlagen in Betrieb waren, hat sich das Verhältnis seitdem umgekehrt. Diese Entwicklung dürfte sich in den letzten Jahren seit 2016 weiter zugunsten der Photovoltaik fortgesetzt haben. Solarthermisch unterstützte Wärmenetze Im Gegensatz zu dem insgesamt rückläufigen Solarthermiemarkt in Deutschland zeigt sich in den letzten Jahren eine positive Marktentwicklung im Bereich großflächiger Solaranlagen mit Einbindung in Nah- und Fernwärmenetze. Sehr oft werden diese Anlage nicht auf Gebäudedächern, sondern als Freiflächenanlagen errichtet. Ende 2019 waren in Deutschland etwa 38 solarthermische Großanlagen mit einer einer Kollektorfläche von etwa 75.000 Quadratmetern in Wärmenetze eingebunden und in Betrieb. Die Kollektorfläche in diesem Marktsegment hat sich im Jahr 2019 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Mitte des Jahres 2020 wurde die Schwelle von 100.000 Quadratmetern überschritten. Auch für die kommenden Jahre ist nach dem Stand der in Bau und Planung befindlichen Projekte unter Berücksichtigung ihrer verschiedenen Realisierungs-wahrscheinlichkeiten eine deutliche Steigerung in diesem Marktsegement zu erwarten. Die prognostizierte Marktentwicklung bis 2025 geht von einer Verdopplung 4 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/237719/umfrage/verteilung-der-haushalte-in-deutschland-nach-miete-und-eigentum/ 0 0 1.000 1.000 2.000 2.000 3.000 3.000 4.000 4.000 5.000 5.000 6.000 6.000 2001 2001 2005 2005 2007 2007 2010 2010 2013 2013 2016 2016 Anzahl der Anlagen Anzahl der Anlagen Installierte Solaranlagen bei GdW--UnternehmenUnternehmen Solarthermie Solarthermie Photovoltaik Photovoltaik Obwohl mehr als 50 % der Haushalte in Miet-wohnungen wohnen, beträgt der Anteil am Solarthermiemarkt nur etwa 2 % Eine positive Markt-entwicklung zeigt sich im Bereich der solaren Wärmenetze. 11 der Anlagenzahl auf mehr als 80 und einem Ausbau auf gut 300.000 Quadratmeter Kollektorfläche aus. 5 Abbildung 5: Reale und prognostizierte Marktentwicklung bei solarthermischen Großanlagen mit Einbindung in Wärmenetze (Quelle: Solites) Ursächlich für diesen Trend sind vor allem die deutlich geringeren Wärme-gestehungskosten der solaren Großanlagen gegenüber den kleinen Anlagen auf Ein- und Zweifamilienhäusern (s. Kap. C). Welchen Einfluß das Segment der Wärmenetze bei geeigneten energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf den Solarmarkt insgesamt haben kann, zeigt die Entwicklung im Nachbarland Dänemark. Dort nimmt die Solarthermie als Erzeugungsoption für Wärmenetze mittlerweise einen wichtige Rolle im Mix der verschiedenen erneuerbaren Energien ein. Mehr als 150 Großanlagen mit mehr als 1,3 Mio. Quadratmetern Kollektorfläche sind in Dänemark bereits installiert. Dies hat dazu geführt, dass die pro Kopf installierte Kollektorfläche in Dänemark in den letzten Jahren eine rasante Marktentwicklung zeigt und weit über den anderen europäischen Ländern liegt. 5 Solites (2020): Solare Nah- und Fernwärme in Deutschland. Online verfügbar unter https://www.solar-district-heating.eu/de/aktuelles/medien/ In Dänemark sind große Freiflächenanlagen weit verbreitet 12 Abbildung 6: Entwicklung des Solarthermiemarkts pro Einwohner in Europa (Quelle: Solar Heat Europe) 3. Entwicklungsperspektiven Auch wenn derzeit die Solarthermie mit weniger als 1 % Anteil noch einen vergleichsweise geringen Beitrag zur Deckung des gesamtem Wärmebedarfs beiträgt, so ist doch davon auszugehen, dass dieser Anteil in Zukunft deutlich ansteigen wird. Für das Ziel eines langfristig klimaneutralen Gebäudebestandes ist neben der energetischen Modernisierung der Gebäude die Transfomation der Wärme-versorgung zur Nutzung erneuerbaren Energien und unvermeidbarer Abwärme der wichtigste Hebel. Es ist weder realistisch noch kosteneffizient, die Klimaschutzziele im Gebäudesektor ausschließlich über Effizienzmaßnahmen anzustreben. Ohne eine dynamische Zunahme der erneuerbaren Energien im Wärmesektor würden die Kosten für die dann zusätzlich erforderlichen Effizienzmaßnahmen erheblich steigen. Verschiedene volkswirtschaftliche Studien wie auch die Leitszenarien der Bundesregierung deuten hierbei auch auf eine steigende Bedeutung der Solarthermie für den Wärmemarkt hin. Zwar ist die Solarthermie angesichts konkurrierender Technologien wie Wärmepumpen und Biomasse nicht alternativlos, dürfte aber doch in einem überwiegend auf erneuerbaren Energien beruhenden Energiemix für den Wärmebereich weitaus größere Bedeutung als bisher gewinnen. Nach der im Jahr 2015 veröffentlichten Energieeffizienzstrategie Gebäude der Bundesregierung steigt im Zielszenario „Erneuerbare Energien“ (36 % Endenergie-einsparung, 69 % erneuerbare Energien) der Anteil der Solarthermie am Energie-bedarf für Raumwärme und Warmwasser im Jahr 2050 auf einen Wert von etwa 18 %. Nach den Ergebnissen dieses Szenarios werden etwa 93 TWh jährlich über die Solarthermie erzeugt, davon 11 TWh zentral über Wärmenetze. (BMWi, 2015) Die BDI-Studie „Klimapfade für Deutschland“ (Gerbert, et al., 2018) aus dem Jahr 2018 geht in ihrem Szenario mit 95 % Treibhausgasemission davon aus, dass im Jahr 2050 ein Anteil von 16 % des Wärmebedarfs für Gebäude über Solarthermie gedeckt wird. Bei einem dort zugrunde gelegten Wärmebedarf von insgesamt 383 TWh werden Die Bedeutung der Solarthermie im künftigen Energiemix wird stark ansteigen 13 nach diesem Szenario 41 TWh über dezentrale Solarthermie erbracht und 20 TWh zentral über die Einspeisung in Wärmenetze. Nach dem Szenario der 2020 erschienenen Studie „Klimaneutrales Deutschland“ (Prognos; Öko-Institut; Wuppertal Institut, 2020) werden im Jahr 2050 etwa 45 TWh über Solarthermie erzeugt, davon 13 TWh zentral über Wärmenetze. Insgesamt deckt die Solarthermie nach diesem Szenario etwa 7 % des Wärmebedarfs im Gebäudesektor. Abbildung 7: Möglicher Beitrag der Solarthermie zur Deckung des gebäudebezogenen Wärmebedarfs in 2050 Der Blick auf das Jahr 2050 ist naturgemäß mit vielen Unsicherheiten in Bezug auf die künftigen energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen behaftet. Allen betrachteten Szenarien ist jedoch gemeinsam, dass ◼ der Beitrag der Solarthermie zum Wärmebedarf im Gebäudesektor gegenüber dem status quo sehr deutlich anwachsen wird und ◼ ein wesentlicher Anteil der solaren Wärme zentral über Wärmenetze bereit gestellt werden wird. Der künftige Wachstumspfad der Solarthermie im Bereich der zentralen Erzeugung hängt stark vom Ausbau der Fernwärme-Infrastruktur in Deutschland und der Transformation der Fernwärmeerzeugung zu erneuerbaren Energien und Abwärme ab. Mit einem starken Ausbau der Fernwärme-Infrastruktur in Deutschland gewinnt auch die Option der Solarthermie über die Integration in die Wärmenetze eine stärkere Bedeutung. 0 0 10 10 20 20 30 30 40 40 50 50 60 60 70 70 80 80 90 90 100 100 Status Quo Status Quo BMWi BMWiEffizienzstrategieEffizienzstrategie(2050)(2050) Klimapfade für Klimapfade fürDeutschlandDeutschland(2050)(2050) Klimaneutrales KlimaneutralesDeutschlandDeutschland(2050)(2050) TWh/a TWh/a Beitrag der Solarthermie zur Gebäudewärme 2050 Solarthermie dezentral Solarthermie dezentral Solarthermie in Wärmenetzen Solarthermie in Wärmenetzen 14 4. Rolle der Wohnungswirtschaft Die Wohnungswirtschaft hat in diesem Themenkreis mehrere Rollen. Einerseits nimmt der Mietwohnungsbau die Rolle des größten Abnehmers von Fernwärme in Deutschland ein und andererseits betreibt die Wohnungwirtschaft zahlreiche Quartiers-Wärmenetze in eigener Verantwortung. Insgesamt werden knapp die Hälfte des im GdW vetretenen Wohnungsbestandes über Fernwärme versorgt. Die Unterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern sind dabei beträchtlich: Während in den alten Bundesländern etwa 29 % über Fernwärme versorgt werden, sind dies in den neuen Bundesländern etwa 71 %. (Viering, 2015) Grundsätzlich ist die Wohnungswirtschaft an einer Wärmeversorgung durch Dritte sehr interessiert. Gerade vor dem Hintergund, dass die energetische Gebäude-sanierung in der Wohnungswirtschaft erkennbar an Grenzen stößt, kann die zunehmende Integration erneuerbarer Wärme in die Fernwärmeversorgung eine gute Perspektive für sozialverträgliche Wärmepreise auf dem Weg zur Klimaneutralität im Gebäudebestand darstellen. Für Axel Gedaschko (Präsident des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen) „kommt dem letztlich bezahlbaren Umbau der Fernwärme-systeme eine herausragende Bedeutung für einen sozial vertretbaren Pfad zur Erreichung der Klimaziele zu, denn es zeige sich immer deutlicher, dass trotz aller Investitionen in die Energieeffizienz weder der Energieverbrauch, noch der CO2-Footprint der Wohnungen wie eigentlich erwartet absinken“. (Gedaschko, 2020) Ein größerer Anteil der Solarthermie bei der Erzeugung von Fernwärme sowie der zu erwartende Ausbau der Fernwärme führen dazu, dass die Mieter künftig einen Teil ihres Wärmebedarfs über solarthermisch erzeugte Fernwärme decken können. Ein anderer (und bisher wenig beachteter) Aspekt ist die Rolle der Wohnungswirtschaft als Eigentümer und Betreiber von Wärmenetzen. Insbesondere zur Wärmeversorgung von Wohnquartieren werden Wärmenetze nicht nur von der klassischen Fernwärmewirtschaft oder Contractoren betrieben, sondern auch von den Wohnungsunternehmen selbst. Bei diesen Wärmenetzen können die Wohnungsunternehmen selbst und direkt Einfluß nehmen auf den Erzeugungsmix. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Einsatz von Solarthermie in der Wohnungswirtschaft, die Hemmnisse gegenüber einer stärkeren Verbreitung und mögliche Lösungsansätze für eine stärkere Marktverbreitung wurden am 29. Oktober 2018 in einem Workshop beim Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen in Hamburg diskutiert. Sie sind mit eingeflossen in diesen Fachbericht. Die Wohnungswirtschaft hat mehrere Rollen bei der künftigen Entwicklung solarer Wärmenetze 15 Abbildung 8: Workshop zu solaren Wärmenetzen in der Wohnungswirtschaft am 29.10.2018 in Hamburg (Foto: Hamburg Institut) 16 B Anwendungsoptionen der Solarthermie im Wohnungsbau Die Solarthermie kann auf unterschiedliche Art und Weise zur anteiligen Deckung des Wärmebedarfs im Wohnungsbau eingesetzt werden. Die Nutzung kann dabei dezentral (gebäudeorientiert) oder zentral über Wärmenetze erfolgen. In den meisten Ländern wird Solarwärme vor allem dezentral am jeweiligen Gebäude gewonnen und genutzt. Die größte Ausnahme ist Dänemark, hier wird der Solarmarkt durch großflächige Kollektoranlagen in Freilandaufstellung dominiert, die Wärme in Nah- und Fernwärmenetze einspeisen. 1. Gebäudeorientierte Nutzung Bei der gebäudeorientierten Nutzung werden die Sonnenkollektoren meist auf Dachflächen montiert, seltener an der Fassade. Wesentlich für die technische Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit sind daher vor allem die Einstrahlung auf das Dach, die Dachstatik, die Koordinierung mit bevorstehenden Dachsanierungen, die Leitungsführung vom Dach in den Heizungsraum sowie genügend Platz für einen Wärmespeicher. Je nach Nutzungsart und – umfang kann die gebäudeorientierte Solarthermienutzung in verschiedene Kategorien eingeteilt werden: von der reinen Warmwasserbereitung, bei der nur ein vergleichsweise geringer Anteil der Wärme durch Solarthermie erzeugt wird bis hin zu den sogenannten Solarhäusern, deren Wärmebedarf überwiegend solar gedeckt wird. Abbildung 9: Arten der gebäudeorientierten Nutzung von Solarthermie Bei allen Nutzungsarten hängt der spezifische Solarertrag (in kWh pro Quadratmeter Kollektorfläche) und damit auch die Wirtschaftlichkeit stark davon ab, dass im Sommer ein möglichst großer Anteil der verfügbaren Solarwärme genutzt wird. Erfolgt keine Wärmeabnahme bzw. ist der Wärmespeicher voll beladen, stoppt der Kollektorkreislauf – die Anlage geht in Stagnation. Die Temperatur im Kollektorkreis steigt dann stark an. Eine gut geplante und ausgeführte Solaranlage kann diesen Zustand verkraften, doch sowohl wegen der Belastung des Materials als auch im Sinne der Wirtschaftlichkeit ist eine möglichst hohe Wärmenutzung auch im Sommer erstrebenswert. Das ist bei Mehrfamilienhäusern leichter zu gewährleisten als bei Einfamilienhäusern, da die Abnahme gleichmäßiger ist. Bisher dominiert die gebäudeorientierte Nutzung der Solarthermie 17 1.1. Warmwasserbereitung Die Warmwasserbereitung ist der Klassiker unter den Solarthermie-Nutzungsformen: In den Sonnenkollektoren wird ein Wärmeträgermedium (in der Regel Wasser mit Frostschutzmittel) erhitzt. Das heiße Fluid strömt durch den Kollektorkreislauf in den Heizungsraum und wird dort in der Regel über einen Wärmetauscher an den Warmwasserspeicher abgegeben. Die Anlagen werden im Ein- und Zweifamilienhausbereich meist so dimensioniert, dass sie im Sommer den gesamten Warmwasserbedarf decken, im Jahresmittel etwa die Hälfte. Für die solare Warmwasserbereitung gilt als Faustformel eine Kollektorgröße von 1,2 bis 1,5 m² pro Person. Das Speichervolumen liegt bei etwa 80 bis 100 Litern pro Quadratmeter Kollektorfläche (bei Flachkollektoren). Im Wohnungsbau hat die Wirtschaftlichkeit der Solaranlage im Regelfall eine hohe Bedeutung. Hier ist es erforderlich, möglichst hohe Systemnutzungsgrade und damit hohe spezifische Erträge zu erzielen. Aus diesem Grund werden die Anlagen hier oft mit geringerer Dimensionierung der Kollektorfläche je Person ausgelegt. Dies führt im Ergebnis zu höheren Wirkungsgraden, jedoch auch eines kleineren solaren Anteils am Warmwasser-Wärmebedarf. Eine sehr wichtige Grundlage für die Auslegung der Anlage ist die Kenntnis des tatsächlichen Warmwasserverbrauchs. Dies kann bei bestehenden Gebäuden über die Warmwasserverbrauchmessungen erfolgen, im Neubau muss der Bedarf über Vergleichswerte abgeschätzt werden. Ausgehend vom Warmwasserverbrauch im Gebäude können etwa 1 m² Flach-kollektorfläche je 50 Liter Warmwasserverbrauch (60°C) pro Tag als Richtwert angesetzt werden. Hiermit läßt sich auf das Jahr bezogen eine mittlere solare Deckung von 35-45 % des Warmwasser-Energiebedarfs erzielen. Bei einem angenommen mittleren Warmwasserverbrauch von 70 Litern (60°C) pro Wohneinheit ergibt dies bei Flachkollektoren etwa 1,5 m² pro Wohneinheit. Wichtig bei der Dimensionierung der Anlagen ist auch die Größe des Speichers. Im Bereich der solarthermischen Anlagen im Wohnungsbau haben sich Systeme durchgesetzt, bei denen der überwiegende Teil des notwendigen Wasservolumens in Pufferspeichern bevorratet und nur noch ein relativ kleiner Bereitschaftsspeicher mit Trinkwasser befüllt wird, oder das warme Trinkwasser im Durchflusssystem bereitgestellt wird. Ein Richtwert für die Größe des Pufferspeichers sind hier Speichergröße Pufferspeicher 50 Liter je m² Kollektorfläche. Typische Erträge für die solare Warmwasserbereitung liegen bei 300 - 400 Kilowattstunden pro Quadratmeter Kollektorfläche. Mit der solaren Warmwasserbereitung können im Gebäudebestand etwa 5-10 % des gesamten Wärmebedarfs (Raumheizung + Warmwasser) solar bereitgestelt werden. Im Neubau lassen sich höhere Werte erzielen, da hier der Heizbedarf geringer ist. 1.2. Heizungsunterstützung Für eine Heizungsunterstützung wird die Kollektorfläche größer ausgelegt. Die in der Literatur empfohlenen Kollektorflächen variieren stark. Für den Fall der solaren Heizungsunterstützung ist gegenüber der reinen Warmwasserbereitung eine Verdopplung der spezifischen Kollektorfläche und entsprechende Anpassung des Speichervolumens empfehlenswert. Diese Richtwerte geben eine erste Abschätzung, ersetzen jedoch nicht die objektspezifische Fachplanung. Warmwasserbereitung: der Klassiker in der Solarthermie Grober Richtwert für die Warmwasser-Anlagen: 1 m² Kollektor je 50 Liter Warmwasserverbrauch 18 Im Rahmen eines vom BMWi geförderten Forschungsprojekts „Solar unterstützte Wärmezentralen in Mehrfamilienhäusern“ wurden insbesondere die Potenziale einer verbesserten Systemintegration der Solarwärme das Heizsystem durch hydraulisch optimierte Übergabestationen untersucht. (Adam, Backes, Wirth, Eggert, & Helbig, 2018) Ein Beispiel für eine an die besonderen Erfordernisse von Mehrfamilienhäusern angepasste technische Lösung ist der „Juri Energiemanager“ des Unternehmens Parabel Energiesysteme GmbH. Es handelt sich dabei um eine hydraulische Steuerungseinheit, die im Heizsystem die Solarwärme dort nutzt, wo der größten Einspareffekt zu erzielen ist. Das kann je nach Situation die Trinkwassererwärmung, die Heizungsunterstützung, der Heizungspuffer oder ein Spitzenlastspeicher sein. (Parabel Energiesysteme GmbH, 2020) In der Praxis setzen vor allem bei Mehrfamilienhäusern sowohl die Dachfläche als auch der Platz im Heizungskeller oft Grenzen. Welchen Anteil des Heizwärmebedarfs die Solarwärme decken kann, hängt zudem stark von der energetischen Effizienz des Gebäudes ab. Im Gebäudebestand können etwa 15 – 20% des Wärmebedarfs ohne saisonale Speicherung solar gedeckt werden, im Neubau können aufgrund des geringeren Bedarfs an Heizwärme und im Verhältnis größeren Energiebedarfs für Trinkwarmwasser größere Anteile solar erzeugt werden. 1.3. Solarhäuser Noch größere solare Anteile am gebäudebezogenen Wärmebedarf lassen sich erzielen, wenn das Gebäude selbst von vornherein auf die Nutzung der Solarenergie hin optimiert ist. Ein Pionier für den Bau von Solarhäusern ist das Schweizer Unternehmen Jenni Energietechnik AG. Im Jahr 1989 errichtete Jenni in Oberburg das erste rein solar beheizte Haus Europas. Das erste rein solare Mehrfamilienhaus mit acht Wohneinheiten wurde 2007 errichtet, weitere Mehrfamilienhäuser folgten. (Jenni Energietechnik AG, 2020) Die dabei eingesetzten Technologien sind im Wesentlichen am Markt verfügbar. Mittlerweile haben sich verschiedene Anbieter von Solarhäusern etabliert, die jeweils einen eigenen Fokus verfolgen. Bei einigen kann man Solarhäuser sogar schlüsselfertig erwerben. Das Sonnenhaus-Institut in Freiberg hat den Begriff „Sonnenhaus“ geprägt (Sonnenhaus Institut e.V., 2014). Diese Bezeichnung bedeutet, dass mindestens die Hälfte der Energie für Warmwasser und Heizung von der Sonne bereitgestellt werden. Das ist deutlich leichter, wenn die starke Nutzung der Sonnenenergie bereits bei der Planung des Gebäudes berücksichtigt werden: steile, nach Süden gerichtete Dachflächen ohne Verschattung, Platz für einen großen Wärmespeicher, eine gut gedämmte Gebäudehülle, solare Gewinne durch südliche Fensterflächen. Möglich sind hohe solare Deckungsgrade aber sogar im denkmalgeschützten Altbau. Eine aktive Lüftung mit Wärmerückgewinnung ist nicht zwingend erforderlich. Viele Solarhausfachleute lehnen diese sogar ausdrücklich ab. Zusätzlich wird bei den meisten Solarhäusern auch ein nennenswerter Teil des Strombedarfs solar gedeckt. Das „Sonnenhaus Autark“ legt den Fokus auf eine hohe Eigenversorgung und sieht entsprechend große Speicher für Wärme und Strom vor. Beim „Sonnenhaus Plus“ liegt der Schwerpunkt dagegen auf einer hohen Energieerzeugung – das Haus gewinnt Kennzeichnend für Solarhäuser: gute Wärmedämmung, große Kollektorflächen und ein saisonaler Wärmespeicher 19 mehr Energie von der Sonne, als es selbst verbraucht, und speist die Überschüsse ins Stromnetz ein. Während einerseits eine wachsende Bandbreite von Solarhäusern mit heutigen Standardtechnologien am Markt verfügbar ist, geht parallel die Forschung weiter: Beim „Solar Decathlon“ präsentieren Studierende aus aller Welt ihre Solarhäuser. Sie messen sich dabei in zehn Disziplinen, von „Energy Performance“ bis „Market Potential“. Im Jahr 2022 soll der Solar Decathlon Europe erstmals in Deutschland stattfinden und zwar in Wuppertal. 2. Solarthermisch unterstützte Wärmenetze Bei der gebäudebezogenen Nutzung von Solarthermie ist deren Anwendung in verschiedener Hinsicht beschränkt. Ein entscheidendes Kriterium für die Auslegung der Solaranlage ist der gebäudebezogene Wärmebedarf. Um sommerliche Überschüsse und Stagnation der Anlagen zu vermeiden, wird die Kollektorfläche am Wärmebedarf ausgerichtet, auch wenn möglicherweise ein Flächenangebot für eine größere Anlage vorhanden ist. Aber auch die verfügbare Dach – oder Fassadenfläche des Gebäudes begrenzt die Anwendung der Solarthermie im Wohnungsbau. In vielen Fällen sind geeignete Flächen zur Installation der Kollektoren nicht in ausreichendem Maß vorhanden. Im Verhältnis zur Wohnfläche ist die Dachfläche im Geschoßwohnungsbau grundsätzlich kleiner als bei Ein- und Zweifamilienhäusern. Weitere begrenzende Faktoren sind die statische Eignung, die Ausrichtung der Flächen und mögliche Verschattungen. Dazu kommen oft noch Aufbauten für Schornsteine, Lüftungen oder Aufzugsanlagen, die die verfügbare Fläche weiter verringern. Eine Lösung dieser Begrenzungen besteht darin, mehrere Gebäude in einem räumlichen Zusammenhang gemeinsam über Wärmeleitungen mit solarer Wärme zu versorgen. Die Kollektorflächen für diese Anlage können auf verschiedene gut geeignete Flächen verteilt werden oder in einer gemeinsamen Fläche zusammgefasst werden. Hierfür können Dächer, Fassaden oder Freiflächen genutzt werden. Gegenüber einer kleinteiligen Installation der Kollektorflächen auf jedem Gebäude mit dem entsprechenden Verrohrungsaufwand können hier Investitionskosten eingespart werden. Die solar erzeugte Wärme wird dann in ein Wärmenetz eingespeist (Fernwärme, Nahwärme) und die Gebäude werden mit Wärme aus diesem Netz versorgt. Netzgebundene Lösungen von Solarthermie-Anlagen lassen sich nach der Nutzungart und dem damit verbundenen Solar-Anteil am Wärmebedarf klassifizieren: von der Wärmenetzlösung ausschließlich zur Deckung des Warmwasserbedarfs mit relativ geringen solaren Anteilen bis hin zu Wärmenetzen mit einer saisonalen Speicherung der Wärme. Wärmebedarf und Montageflächen beschränken die Nutzung der Solarenergie am Gebäude Die wärmenetzbezogene Anwendung der Solarthermie eröffnet neue Perspektiven 20 Abbildung 10: Arten solarthermisch unterstützter Wärmenetze 2.1. Wärmenetze für Trinkwarmwasser Bei einer entsprechend hohen Wärmedichte im Quartier kann die Errichtung eines Wärmenetzes zur Deckung des Warmwasserbedarfs sinnvoll sein. Die Größe der Anlage wird üblicherweise so ausgelegt, dass der sommerliche Bedarf an Traink-Warmwasser möglichst komplett gedeckt wird, jedoch kaum Überschüsse entstehen und eine Stagnation der Anlage (keine Wärmeabnahme trotz solarem Angebot) möglichst vermieden wird. Der Anteil der benötigten Wärmeenergie zur Deckung des Trinkwarmwasserbedarfs am gesamten gebäudebezogenen Wärmebedarf ist aufgrund des erhöhten baulichen Wärmeschutzes im Neubau bedeutend größer als im Gebäudebestand. Dadurch lassen sich im Bereich der Neubau-Quartiere deutlich höhere solare Deckungsanteile bei dieser Art Wärmenetzen erzielen. 2.1.1. Beispiel Hamburg Hafen-City Ein Beispiel für ein solares Trinkwarmwasser-Wärmenetz bietet die Energie-versorgung der westlichen Hafen-City in Hamburg. Hier sorgen insgesamt etwa 1.800 Quadratmeter Solarkollektorfläche zur anteiligen Deckung von etwa 35 % des Wärmebedarfs für Warmwasser im Quartier. Hier werden neben Eigentumswohnungen und Gewerbeimmobilien auch Bestände der Hamburger Wohnungswirtschaft (Gemeinnützige Baugenossenschaft Bergedorf-Bille eG) versorgt. Die Solarkollektoren sind auf etwa 30 geeigneten Gebäuden im Quartier installiert, mehrheitlich wurden hier Vakuumröhrenkollektoren verwendet. Die angeschlossenen Gebäude verfügen über einen Fernwärmeanschluß für die Gebäudeheizung und die ggfls. erforderliche Nacherwärmung des Warmwassers. Die Anlagen wurden im Auftrag der damaligen Vattenfall Wärme Hamburg parallel zur Entwicklung des Quartiers in den Jahren 2012 bis 2019 errichtet und wurden nach der Rekommunalisierung der Hamburger Fernwärme von der Wärme Hamburg GmbH übernommen. Über den Bebauungsplan hatte die Freie und Hansestadt Hamburg eine verbindliche Nutzung eines Mindestanteils von 30 % regenerativer Energie am Warmwasserbedarf festgelegt. 1.800 m² Solar-kollektoren für die Trinkwassererwärmung 21 Abbildung 11: Solarthermiekollektoren zur Versorgung der Hamburger Hafen-City (Foto: Warmuth) 2.2. Wärmenetze für Raumheizung und Trinkwarmwasser Mit einer Anlagenkonzeption, die als Ziel neben der anteiligen Deckung des Bedarfs an Trinkwarmwasser auch eine solare Unterstützung der Raumheizung verfolgt, lassen sich größere solare Anteile am Gesamt-Wärmebedarf der Gebäude erzielen. Hierzu ist jedoch auch die Installation einer größeren Kollektorfläche in Bezug auf die Quadratmeter Wohnfläche bzw. die Anzahl der Personen notwendig. In der Regel werden die notwendigen Kollektorflächen auf den Dächern oder an den Fassaden der zu versorgenden Gebäude installiert. Für die Versorgung eines Quartiers reicht es normalerweise aus, wenn einzelne gut geeignete Gebäude mit den Kollektoren ausgestattet werden und die restlichen Gebäude über ein Verteilnetz versorgt werden. Für die Sicherstellung der restlichen Wärmeversorgung kommen in der Regel Quartiers-Energiezentralen mit Kesseln, KWK-Anlagen oder aber ein Fernwärme-anschluß zum Einsatz. 2.2.1. Beispiel Ford-Siedlung Köln In der sogenannten Ford-Siedlung in Köln-Niehl erfolgte durch die landeseigene Immobiliengesellschaft LEG6 im Rahmen des Projekts „Solarsiedlungen NRW“ in 2008 eine umfassende architektonische und energetische Modernisierung der Bestandsgebäude aus den 50er Jahren. Im Rahmen des Projektes wurde die ursprünglich dezentrale Wärmeerzeugung auf eine gemeinschaftliche Wärmeversorgung über drei separate Nahwärmenetze mit Wärmeerzeugung durch Gas-Brennwertkessel in Verbindung mit Solarthermie umgesetzt. 6 Seit dem Jahr 2016 erfolgt die Betreuung der Anlage über die Energiegesellschaft ESP EnergieServicePlus GmbH, an der die LEG Immobilien AG zu 51 % und die innogy SE zu 49 % beteiligt sind. 22 Abbildung 12: Modernisierte Ford-Siedlung mit den Solarkollektoren auf den Pultdächern (Grafik: EnergieServicePlus GmbH) Die Solarkollektoren wurden vollflächig auf den Pultdächern von neu errichteten Aufstockungen in Form von Maisonette-Wohnungen installiert. So wurde zusätzlicher Wohnraum geschaffen und eine optimal ausgerichtete Installationsfläche für die Kollektoren bereit gestellt. (Schaefer, 2011) Die Kollektoranlage mit insgesamt etwa 1.000 m² Kollektorfläche (Vakuumröhren) versorgt 345 Wohneinheiten im Quartier mit Wärme. Sie speist die Solarwärme in den Rücklauf der Heizkreise ein. Alternativ kann die solare Wärme in Pufferspeicher-Erdtanks mit je 15.000 Liter Volumen zwischengespeichert werden. Die Solarthermie deckt in der Siedlung etwa 60% des Warmwasserbedarfs ab und liefert einen signifikanten Beitrag zur Raumheizung. Die Reduzierungen des Energiebedarfs und der CO2-Emissionen durch die Modernisierungsmaßnahmen insgesamt sind beträchtlich: der spezifische Wärme-bedarf konnte von 290 kWh je qm auf weniger als 90 kWh je qm gesenkt werden. Der CO2-Ausstoß der gesamten Siedlung konnte um mehr als 90 % von etwa 3.000 t/a auf etwa 200 t/a vermindert werden. (Rühl, 2018) Durch das realisierte Energiekonzept wurden die Heizkosten deutlich abgesenkt, im Ergebnis sind die Wohnkosten für die Mieter trotz höherer Kaltmiete geringer als vorher. (Warmbold, 2011) 2.3. Wärmenetze mit saisonaler Speicherung Ohne eine groß dimensionierte Zwischenspeicherung der solar erzeugten Wärme ist ein solarthermischer Deckungsgrad am Wärmebedarf von etwa 15-20 % erreichbar. Ein größerer Anteil der Solarthermie am Wärmebedarf eines Quartiers lässt sich erreichen, wenn die Solarwärme in saisonalen Wärmespeichern über längere Zeiträume gespeichert wird. So kann die im Sommerhalbjahr erzeugte Wärme auch in der Heizperiode genutzt werden. In der Praxis wurden bisher Versorgungssysteme mit einem solaren Anteil am Wärmebedarf bis zu 50 % realisiert. Zu bedenken ist jedoch, dass die saisonale Wärmespeicherung zusätzliche Investitionen erfordert und damit die Im Ergebnis: geringere Wohnkosten für die Mieter und hohe CO2-Einsparung 23 Wärmegestehungskosten erhöht. Aus wirtschaftlicher Sicht ist die direkte Nutzung der Wärme prioritär. 2.3.1. Beispiel Solarsiedlung Crailsheim In der Stadt Crailsheim in Baden-Württemberg wurde auf der Konversionsfläche einer ehemaligen US-Kaserne das Baugebiet Hirtenwiesen entwickelt. Die Wärme-versorgung erfolgt über ein solar unterstützes Nachwärmesystem mit saisonalem Wärmespeicher. Mit Abschluß des ersten Bauabschnittes im Jahr 2012 werden etwa rund 260 Wohneinheiten in Mehrfamilienhäusern, sowie eine Schule und eine Sporthalle mit Wärme versorgt. Die Anlage wurde durch die Stadtwerke Crailsheim errichtet. Für die solare Wärmeversorgung wurden insgesamt ca. 7.500 m² Solarkollektoren installiert. Die Kollektorfläche verteilt sich auf mehrere Standorte. Etwa 2.300 m² wurden auf den Dächern der Mehrfamilienhäuser (umgebaute Kasernengebäude), der Schule und der Sporthalle installiert. Der Großteil der Kollektorfläche mit etwa 5.200 m² wurde jedoch als Freiflächenanlage auf dem angrenzenden Lärmschutzwall errichtet. Zwei Heisswasser-Pufferpeicher mit 100 bzw. 480 m³ Volumen und ein saisonaler Erdsonden-Wärmespeicher sowie eine Wärmepumpe ergänzen das System. Abbildung 13: Prinzipskizze der solaren Nahwärmeversorgung in Crailsheim (Grafik: Solites) Der sommerliche Überschuss an Wärme wird in dem Erdsondenspeicher für die Nutzung im Herbst und Winter zwischengelagert. Über 80 Erdwärmesonden wird die Wärme bis in eine Tiefe von 55 m abgegeben. Auf diese Weise können etwa 37.500 m³ im Untergrund anstehendes Gestein als Speichermedium genutzt werden. Um eine effiziente Nutzung des Speichers zu ermöglichen, ist zusätzlich eine Wärmepumpe für dessen Auskühlung installiert. Im Ergebnis wird ein solarer Deckungsanteil von etwa 50 % am Gesamtwärmebedarf der Siedlung erreicht. Die restliche Wärmeversorgung erfolgt über einen Fernwärmeanschluß der Stadtwerke Crailsheim. (Solites Stuttgart, AGFW Frankfurt, Hamburg Institut, IER Stuttgart, 2016) 24 C Kosten und Wirtschaftlichkeit Die Wirtschaftlichkeit der Investition in eine großflächige thermische Solarlange ergibt sich wie bei allen Energieversorgungssystemen nicht aus finanziellen Erlösen der Anlage selbst, sondern aus dem Vergleich mit einem Referenzsystem und den dort entstehenden Wärmegestehungskosten. Die Abschätzung der realen Wirtschaftlichkeit trifft hierbei auf die Herausforderung, dass für diesen Vergleich die gesamte künftige Lebensdauer der Anlage und das jeweilige Referenzsystem in den Blick genommen werden müssen. Zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit muss daher auch ein Zukunftsbild der künftigen energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen entwickelt werden. Entwicklungen auf dem Brennstoffmarkt, aber auch Technologieentwicklungen und Veränderungen der Kundenbedarfe müssen dabei berücksichtigt werden. In der Nachschau aus heutiger Erkenntnis betrachtet, waren frühere in die Zukunft gerichtetete Energiepreisprognosen auch namhafter Institute in vielen Fällen falsch. An erster Stelle aber ist der künftige Energiemarkt durch die Energiepolitik geprägt. Veränderungen im Rechtsrahmen, der Energiebesteuerung oder der Förderung von Investitionen sind für die Wirtschaftlichkeit der Investitionen von entscheidender Bedeutung. Prognosen über den künftigen Energiemarkt sind daher in erster Linie Politikprognosen. Vor dem Hintergrund dieser unsicheren Rahmenbedingungen bietet die Investition in großflächige Solaranlagen eine vergleichsweise hohe Sicherheit bei der Kalkulation der künftigen Kosten. Bei der Nutzung von Solarthermie fallen im Gegensatz zu fossilen Heizsystemen im Lauf der Lebensdauer der Anlage keine Brennstoffkosten an und auch die Betriebskosten der Anlagen sind sehr gering. Die solaren Wärmegestehungskosten resultieren zu sehr großen Anteilen aus der annuisierten Investition und sind damit auch langfristig gut kalkulierbar. 1. Investitionskosten Eine umfassende Analyse der Wirtschaftlichkeit verschiedener solarthermischer Anlagensysteme im urbanen Umfeld findet sich in den Untersuchungen der Internationalen Energie Agentur IEA im Sektor SHC (Solar Heating and Cooling). Nach (Mauthner & Herkel, 2017) können für die Investionen in Solarkollektoranlagen abhängig von deren Größe und technischer Ausstattung folgende Werte angesetzt werden: Anlagenart Kollektorfläche [m²] Spez. Kosten [€/m²] Einfamilienhaus 5 - 10 801 – 1.050 Mehrfamilienhaus 30 - 300 520 – 800 Quartier 500 – 5.000 420 – 660 Quartier mit Saisonalspeicher 1.000 – 10.000 480 – 800 Solare Fernwärme 5.000 – 20.000 210 - 270 Tabelle 1: Investitionskosten solarthermischer Anlagen. Daten nach (Mauthner & Herkel, 2017) Maßgeblich für die Wirtschaftlichkeit ist der Vergleich mit einem Referenzsystem Die Wirtschaftlichkeits-betrachtung erfordert ein Zukunftsbild der künftigen energie-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Durch die geringen Betriebskosten bietet die Solarthermie eine hohe Kostensicherheit 25 In diesen Kosten sind alle erforderlichen Investionen für eine betriebsfertige Anlage zugrunde gelegt. Mehrwertsteuer und Fördermittel sind nicht berücksichtigt. Es zeigt sich, dass die spezifischen Investionen mt Größe der Anlage stark absinken. Gegenüber einer Anlage im Einfamilienhausbereich sind bei solarer Fernwärme 3 – 4 mal geringere Investitionen notwendig. Bei allen Anlagen (mit Ausnahme der solaren Fernwärme) ist eine Dachflächen-montage vorausgesetzt. 2. Betriebskosten Die Kosten im laufenden Betrieb sind bei solarthermischen Anlagen im Vergleich zu anderen Wärmeversorgungsoptionen äußerst gering. Brennstoffe sind nicht erforderlich. Nur die Umwälzpumpen im jeweiligen System benötigen elektrische Energie, die mit etwa 1,5 kWh je 100 kWh erzeugte Wärme abgeschätzt werden kann. Für den Betrieb und die Instandhaltung der Anlagen können die in Tabelle 2 dargestellten Werte angesetzt werden. Anlagenart Betriebskosten, fix [€/m²] Betriebskosten, var. [€/m²] Einfamilienhaus 7,0 1,4 Mehrfamilienhaus 5,5 1,4 Quartier 3,5 1,4 Quartier mit Saisonalspeicher 4,0 1,1 Solare Fernwärme 1,7 1,5 Tabelle 2: Betriebskosten solarthermischer Anlagen. Daten nach (Mauthner & Herkel, 2017) 3. Wärmegestehungskosten Die Wärmegestehungskosten der Anlagen (Levelized cost of heat, LCOH) ergeben sich aus den Investitionen, den darauf basierenden Kapitalkosten sowie den Betriebs- und Personalkosten im jeweiligen Verhältnis zu der erzeugten Wärme. Die Ergebnisse der Berechnungen sind in Tabelle 3 dargestellt. Auch hier ist zu beachten, dass etwaige Förderprogramme bei der Berechnung der Kosten nicht berücksichtigt sind. Anlagenart Wärmekosten [ct/kWh] Wärmekosten, mittel [ct/kWh] Einfamilienhaus 14,3 – 18,1 16,2 Mehrfamilienhaus 8,9 – 13,4 11,2 Quartier 7,3 - 11,2 9,2 Quartier mit Saisonalspeicher 10,6 – 17,4 14,0 Solare Fernwärme 3,7 – 4,6 4,1 Tabelle 3: Wärmegestehungskosten solarthermischer Anlagen netto, ohne Förderung. Daten nach (Mauthner & Herkel, 2017) 26 Im Mehrfamilienhaus liegen die Wärmegestehungskosten mit etwa 11,2 ct/kWh etwa 5 ct (ca. 30 %) geringer als im Bereich der Einfamilienhäuser, die heute noch den Markt dominieren. Noch günstiger stellen sich mit 9,2 ct/kWh im Mittel die Wärmekosten einer Quartierslösung mit Solarthermie dar. Damit sind die Wärmekosten bei einer gemeinsamen solaren Quartierslösung nur etwa halb so hoch wie im Einfamilienhaus. Wird dort ein Saisonalspeicher einegesetzt, steigen zwar die Wärme-gestehungskosten an, in diesem Fall kann jedoch auch der durch Solarenergie abgedeckte Anteil des Wärmebedarfs von etwa 20 % auf etwa 50 % deutlich erhöht werden. Die mit Abstand günstigsten Wärmegestehungskosten werden beim Einsatz großflächiger Anlagen erzielt, die auf Freiflächen errichtet werden und in Wärmenetze einspeisen. Ein wesentlicher Grund dafür sind die deutlich geringeren Installations-kosten. Im Ergebnis werden hier Wärmegestehungskosten erzielt, die mit 4,1 ct/kWh etwa 75 % geringer sind als im Ein- und Zweifamilienhausbereich. Abbildung 14: Wärmegestehungskosten solarthermischer Anlagen netto, ohne Förderung. Daten nach (Mauthner & Herkel, 2017) 4. Förderung Die Installation solarthermischer Anlagen wird seit vielen Jahren staatlich gefördert. Im Gegensatz zur Photovoltaik, wo die Förderung über eine Einspeisevergütung des erzeugten Stroms stattfindet, basiert die Förderung der Solarthermie auf Investitionskostenzuschüssen und zinsgünstigen Krediten. Die Ausgestaltung der Förderprogramme bezüglich der Fördersätze und einzuhaltenden Förderkriterien ist einem stetigen Wandel unterworfen. Hier empfiehlt es sich, bei der Planung von Projekten jeweils aktuelle Informationen einzuholen. 0 0 2 2 4 4 6 6 8 8 10 10 12 12 14 14 16 16 18 18 20 20 EFH EFH MFH MFH Quartier Quartier Quartier / Quartier /SaisonspeicherSaisonspeicher Solare Fernwärme Solare Fernwärme Wärmegestehungskosten in ct/kWh Wärmegestehungskosten in ct/kWh Wärmegestehungskosten solarthermischer Anlagen Wärmegestehungskosten solarthermischer Anlagen 27 Mit Beginn des Jahres 2020 hat die Bundesregierung die Förderkulisse im Gebäudesektor für erneuerbare Energien und Energieeffizienz deutlich verbessert. Die Förderung der gebäudeorientierten Anwendung der Solarthermie erfolgt ab dem Jahr 2021 über das neu aufgelegte Programm Bundesförderung effiziente Gebäude BEG. Dieses Programm fasst die frühere Förderung über das MAP (Marktanreizprogramm erneuerbare Energien) sowie die Effizienzhauspakete der KfW unter einem Förderdach zusammen. Die Abwicklung der Förderung erfolgt über die BAFA (Bundesanstalt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) in Eschborn.7 Der Einbau von Solarkollektoranlagen wird mit einem Investitionsszuschuss in Höhe von 30 % der förderfähigen Kosten unterstützt. Die Solaranlage kann aber auch Teil einer umfassenden Lösung, wie etwa beim Austausch einer bestehenden Ölheizung sein. In diesem Fall würden 45 % der Investitionskosten (inkl. Montage und Nebenkosten) gefördert. Flankierend dazu kann die gesamte Investition über zinsgünstige Kredite finanziert werden. Auch große Kollektoranlagen auf Sonnenhäusern (nach der Förderrichtlinie: „Solaraktivhaus“) erhalten weiterhin Investitionszuschüsse in Höhe von 30 %. Neben der Einzelförderung von Investitionen in solarthermische Anlagen kann deren Installation durch die Integration erneuerbarer Energien in die Gesamtbilanz des Gebäudes auch wesentlich dazu beitragen, dass bestimmte KfW-Effizienzklassen für eine attraktive sytemische Förderung erreicht werden. Diese systemische Förderung in Neubau und Gebäudebestand beginnt ab dem 1. Juli 2021 und bietet ebenfalls attraktive Investitionsanreize. Innerhalb des BEG ist auch der Anschluss an ein Wärmenetz förderfähig, wenn dieses Netz einen über einen Mindestanteil erneuerbarer Energien (EE) verfügt. Die Anschlusskosten an ein solches Netz werden ab einem EE-Anteil von 25 % mit 30 % der förderfähigen Kosten bezuschusst. Ab einem EE-Anteil von 55 % im Netz erhöht sich der Zuschuß auf 35 %. Das Wärmenetz kann hierbei ein klassisches Fernwärmenetz oder auch ein Gebäudenetz (z.B. der Wohnungswirtschaft) sein, das nur wenige Gebäude miteinander verbindet. Auch für diesen Fall gilt: die Versorgung über ein Quartiersnetz mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien kann für das Gebäude oder das gesamte Quartier das Erreichen von Effizienzstandards der KfW (z.B. KfW 55-EE, KfW 40-EE) ermöglichen, die im Ergebnis eine sehr attraktive systemische Förderung nach sich ziehen kann. Darüber hinaus wird derzeit von der Bundesregierung ein Förderprogramm erarbeitet, das sich speziell an den Anforderungen von Wärmenetzsystemen auf Basis erneuerbarer Energien ausgerichtet ist. Das Bundesprogramm effiziente Wärmenetze BEW soll die bestehenden Förderprogramme in diesem Sektor (Wärmenetze 4.0, MAP) ablösen. Das neu aufgelegte Förderprogramm BEW wird ab dem 2. Quartal 2021 erwartet. Neuerungen darin sind, dass neben neuen Wärmenetzen auch die Transformation bestehender Wärmenetze gefördert werden soll. Zudem sieht das neue BEW betriebliche Förderungen für Solarthermie (vsl. 2 ct/kWh) und Wärmepumpen vor. Die Details zu diesem Förderprogramm stehen allerdings noch nicht endgültig fest. 7 https://www.bafa.de/DE/Energie/Effiziente_Gebaeude/effiziente_gebaeude_node.html 30 -45 % der Investitionskosten für die Solarthermie werden gefördert Attraktive Förderung für Quartiers-Wärmenetze mit Solarthermie Ein neues Förder-programm für Wärme-netze mit erneuerbaren Energien ist avisiert. 28 Im Bereich von Nah- und Fernwärmenetzen kommt für die Integration der Solarthermie als Förderinstrument auch das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz KWKG in Betracht. Die Kombination von KWK-Anlagen mit Anlagen auf Basis erneuerbarer Energien wird über den im novellierten Gesetz ab 2020 neu fixierten EE-Bonus und auch in Ausschreibungsverfahren über die sogenannte innovative KWK (iKWK) attraktiv gefördert. 29 D Rechtlicher Rahmen Die energiepolitischen Rahmenbedingungen und Instrumente auf europäischer und nationaler Ebene (teilweise auch auf Landesebene) haben großen Einfluß auf das Marktgeschehen und die Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen. Die Entwicklung des regulatorischen Rahmens befindet sich derzeit in einer Phase tief greifender Veränderungen. So wurden in den letzten Jahren bereits eine ganze Reihe von Instrumenten eingeführt oder modifiziert, die eine maßgebliche Wirkung auf die energetische Gebäudesanierung und die Wärmeerzeugung entfalten. Vor dem Hintergrund der langfristigen Zielvorstellung eines klimaneutralen Gebäudebestands sind jedoch den nächsten Jahren weitere deutliche Verschärfungen im regulatorischen Rahmen zu erwarten, die die Transformation zu mehr Energieeffizienz und den Umstieg auf erneuerbare Energien flankieren sollen. 1. Europäischer Regelungsrahmen Der Klimaschutz zählt zu den politischen Schwerpunkten der Europäischen Union. Auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Wirtschaft setzt die Europäischen Union auf übergreifende Zielformulierungen, EU-weite Maßnahmen und verbindliche nationale Klimaschutzziele. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich im Dezember 2019 zum Ziel der Klimaneutralität bis 2050 bekannt. Bis zum Jahr 2050 sollen also alle Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union soweit als möglich vermieden werden. Das neue Schlüsselprojekt der EU-Kommission ist der sogenannte Europäische Grüne Deal (European Green Deal, EGD). Hierbei handelt es sich um eine umfassende Wachstumsstrategie für eine klimaneutrale und ressourcenschonende Wirtschaft. Übergeordnetes Ziel des EGD ist die EU-weite Treibhausgas-Neutralität bis zum Jahr 2050. Am 11. Dezember 2019 hat die EU-Kommission eine Mitteilung mit ihren Vorstellungen für den EGD und ein umfassendes Arbeitsprogramm zur Weiterentwicklung der EU-Politiken in diesem Sinne vorgestellt. Neben dem EGD und den darauf basierenden Europäischen Klimaschutzgesetz sind für den Gebäudesektor auch die EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie und die EU-Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Renewable Energy Directive - RED II) von besonderer Bedeutung. 1.1. Europäisches Klimagesetz Am 4. März 2020 hat die EU-Kommission ihren Vorschlag für ein Europäisches Klimagesetz als zentralen Bestandteil des European Green Deal vorgelegt8. Das Gesetz soll das Ziel der EU-weiten Treibhausgasneutralität bis 2050 verbindlich festschreiben und somit Behörden, Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürgern Planungs-sicherheit bieten. Darüber hinaus soll im Rahmen des EU-Klimagesetzes auch ein ambitioniertes Klimaziel für 2030 rechtlich verankert werden. Das bisherige Ziel einer Absenkung der THG-Emissionen um 40 % bis 2030 soll im selben Zeitraum auf einen Wert von 8 https://ec.europa.eu/clima/policies/eu-climate-action/law_de Auf der EU-Ebene ist eine deutliche Verschärfung der regulatorischen Rahmens zu erwarten Der European Green Deal ist das neue Schlüsselprojekt der EU 30 mindestens 55 % Minderung erhöht werden. Das Europäische Parlament strebt sogar eine Minderung der Emissionen bis 2030 um 60 % an. Die Verhandlungen zum EU-Klimagesetz zwischen Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten sollen im ersten Quartal 2021 abgeschlossen werden. 1.2. Europäische Klimaschutzverordnung Die sogenannte EU-Klimaschutzverordnung ist eine zentrales EU-weit gültiges verbindliches Instrument zur Minderung von Treibhausgasemissionen. Die Klimaschutzverordnung9 (auch Lastenteilungsverordnung oder Effort-Sharing-Regulation, ESR) aus dem Jahr 2018 gilt für Anwendungssektoren, die nicht dem EU-Emissionshandel unterfallen, also beispielsweise den Gebäudesektor, Verkehr, Landwirtschaft und Gewerbe). In der Klimaschutzverordnung ist für den Zeitraum 2021-2030 fixiert, dass die THG-Emissionen in den relevanten Sektoren europaweit um 30 Prozent gegenüber 2005 sinken sollen. Vor dem Hintergrund der großen regionalen Unterschiede innerhalb der EU wurden die zu erreichenden spezifischen Ziele der Mitgliedsstaaten auf Basis der Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung und der verschiedenen Potenziale zur Treibhausgas-minderung festgelegt. Für die Bundesrepublik Deutschland wurde eine Treibhausgas-reduktion von 38 Prozent bis 2030 gegenüber dem Jahr 2005 in den betroffenen Sektoren verbindlich fixiert. Die Einhaltung der nationalen Zielverpflichtung wird jährlich überprüft. Falls die nationalen Ziele nicht erreicht werden, müssen bei anderen EU-Mitgliedern überschüssige Nicht-ETS-Emissionsrechte erworben werden, um die Unterdeckung auszugleichen. Hiermit entsteht ein großes Risiko für den Bundeshaushalt. N

Julian Kuntze2023-03-22T11:50:52+01:00Freitag, 1. Mai, 2020|

Instruments for market support – Mieterwärmemodelle

Solar district heating Instruments for market support Best-Practice Policy, Legal Framework or Financing Instrument This project has received funding from the European Union's Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 691624 Gegenstand: Marktbereitung Beschreibung: Mieterwärmemodelle Datum: 20.11.2018 Autor: Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz Dokumentendownload: www.solar-district-heating.eu/en/knowledge-database/ Zusammenfassung der Maßnahme Region: Freistaat Thüringen Beteiligte Partner: Projektpartner, Experten, regionale Akteure Kurzbeschreibung der Maßnahme: Solarthermie in Mehrfamilienhäusern / Mieterwärme - Erstellung eines Arbeitskonzepts zur Intensivierung der Investitionen in solarthermische Anlagen für die Warmwasser- und Wärmeversorgung von Mehrfamilienhäusern Ausgangssituation Thüringen kann einen Beitrag zum international vereinbarten Klimaschutz leisten. Damit dies gelingt, ist es wichtig die Wärmewende als essentiellen Teil der Energiewende zu verstehen. Um die Treibhausgasreduktionspotentiale, die der Wärmesektor für eine Wärmewende leisten kann, nutzen zu können, verfolgt Thüringen eine Doppelstrategie: Auf der einen Seite soll der Wärmebedarf generell reduziert werden, während auf der anderen Seite der Anteil der erneuerbaren Energien und der effizienten Technologien an der Wärmebereitstellung langfristig steigen soll. Eine Untersuchung des Energieversorgungssystems Thüringens durch die Fachhochschule Nordhausen und die EKP Energie-Klima-Plan GmbH hat gezeigt, dass dieses heute neben Fernwärmesystemen auch von dezentralen Gas- und Ölfeuerungsanlagen dominiert wird aber insgesamt sehr heterogen ist. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass bereits im Jahr 2010 der Anteil der erneuerbaren Energien an der Wärmeversorgung größer war, als dies für den bundesdeutschen Durchschnitt der Fall war. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Fernwärmeerzeugung lag in Thüringen im Jahr 2015 bei 21,5%. Der größte Teil der Wärme aus erneuerbaren Energien wird in Deutschland durch die Nutzung von Biomasse bereitgestellt deren Potentiale aber in Thüringen bereits nahezu erschöpft sind. Im Gegensatz Solar district heating Instruments for market support Best-Practice Policy, Legal Framework or Financing Instrument This project has received funding from the European Union's Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 691624 dazu werden die Potentiale anderer erneuerbarer Energien, wie der Solarthermie und der Geothermie, noch nicht umfänglich genutzt. Daher und auf Grund der Besiedelungsstruktur Thüringens mit einem hohen Anteil ländlicher Regionen bietet die Kombination der Biomasse mit der Solarthermie in Wärmenetzen einen vielversprechenden Ansatz um den Anteil der erneuerbaren Energien an der Wärmeversorgung zu steigern. Darüber hinaus sind die Thüringer Städte durch Mehrfamilienhausbebauungen geprägt, wo eine Installation von Solarkollektoren auf den Dachflächen eine gute Möglichkeit darstellt die Solarthermie auch in Städten in Wärmenetze zu integrieren. Etwa 75% der bestehenden Mehrfamilienhäuser sind bereits an ein – öffentliches oder gesellschaftseigenes – Wärmenetz angeschlossen. Der weitere Bestand der Mehrfamilienhäuser ist oftmals mit einem Anschluss an ein Gasnetz versehen. Da eine Phase der intensiven Bestandssanierungen bereits 20 bis 25 Jahre zurückliegt, ist mit neuerlichen umfassenden Gebäudesanierungen in der kommenden Zeit zu rechnen. Ziele Vor dem Hintergrund der Erarbeitung des Thüringer Klimagesetzes, der Integrierten Energie- und Klimastrategie sowie der Landeswärmestrategie, welche die besondere Bedeutung der Wärmeversorgung mit erneuerbaren Energien hiervorheben, soll in Zukunft der Einsatz der erneuerbaren Energien für die Wärmebereitstellung in Thüringen weiter intensiviert werden. Für den Einsatz der großflächigen Solarthermie stellt sich insbesondere in Städten die Frage nach Flächen für die Installation der Anlagen, wobei Mehrfamilienhäuser z.T. über große ungenutzte und verbrauchsnahe Dachflächen verfügen. Aus diesem Grund soll auf eine Aktivierung der Investitionen für solarthermische Anlagen für Mehrfamilienhäuser abgezielt werden. Mit dem Mieterstrommodell existiert in Deutschland bereits ein Betreibermodell, bei dem Mieter vom Einsatz erneuerbarer Energien für die eigene Stromversorgung direkt profitieren können. Insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Anteile zur Miete wohnender Personen, steigender Kosten für die Wärmeversorgung und der Tatsache, dass die Wärmeversorgung damit auch eine große soziale Komponente aufweist, wurden die Möglichkeiten zur Umsetzung eines analogen „Mieterwärmemodells“ sowie den generellen Einsatz der Solarthermie in Mehrfamilienhäusern beleuchtet. Maßnahmen und Aktivitäten Im Zuge der Erstellung eines Arbeitskonzepts, das Grundlage für weitere Aktivitäten des TMUEN zum Thema Solarthermie in Mehrfamilienhäusern darstellen soll, wurde zunächst eine intensive Analyse der Ausgangssituation angestellt. Dazu wurden die regionalen Rahmenbedingungen des Solar district heating Instruments for market support Best-Practice Policy, Legal Framework or Financing Instrument This project has received funding from the European Union's Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 691624 Mehrfamilienhausbestandes sowie nationale und regionale gesetzliche Vorgaben zur Wärmeversorgung, aber auch verfügbare Förderprogramme, analysiert. Zudem wurden die Ergebnisse zielgruppenspezifischer Arbeitstreffen hinsichtlich dieser Aspekte ausgewertet und zusammengefasst. Parallel dazu fand ein intensiver Austausch mit Projektpartnern sowie mit weiteren Experten zu diesem Thema statt. Letztlich konnten die gewonnenen Erkenntnisse über die Möglichkeiten zur Intensivierung von Investitionen in solarthermische Anlagen für die Warmwasser- und Wärmeversorgung von Mehrfamilienhäusern als Arbeitspapier zusammengefasst werden. Zudem wurden zwei Konzepte für Folge-Fachveranstaltungen erarbeitet. Hürden und Möglichkeiten Die Zusammenarbeit mit den regionalen Akteuren sowie verschiedenen Experten zum Thema der Solarthermie in Mehrfamilienhäusern gestaltete sich sehr ertragreich. Insgesamt zeichnete sich eine große Bereitschaft aller involvierten Akteure ab, zu diesem Thema künftig intensiver zusammen zu arbeiten um den Anteil der erneuerbaren Energien an der Wärmeversorgung in Mehrfamilienhäusern zu steigern. Für den Einsatz der Solarthermie in Mehrfamilienhäusern konnten verschiedene organisatorische, aber auch technische Hemmnisse, identifiziert werden. Während technische Hemmnisse wie eine zu geringe Tragfähigkeit der Dachflächen mitunter ein (ökonomisches) Ausschlusskriterium für den Einsatz der Solarthermie in Mehrfamilienhäusern darstellen, können verschiedene organisatorische Hemmnisse intensiv diskutiert werden. Eine besondere Betrachtung verlangen dabei künftig noch Fragen nach dem Betreibermodell und damit zusammenhängend auch steuerrechtliche Aspekte unter Berücksichtigung der Vorgaben der Heizkostenverordnung. Installieren Wohnungsgenossenschaften eine solarthermische Anlage, sind die entstehenden Kosten zu maximal 11% jährlich auf die Miete umlegbar. Gleichzeitig können die solaren Wärmegestehungskosten nicht nach Verbrauch abgerechnet werden. Mit dem Verkauf von Wärme nehmen Wohnungsgesellschaften dann zudem den Status eines Versorgers ein und entsprechende steuerrechtliche Vorgaben müssen berücksichtigt werden. Aus diesem Punkten ergibt sich das „Investor- Nutzer-Dilemma“. Ein Abrechnungsmodell besteht noch nicht. Für den Einsatz solarthermischer Anlagen empfiehlt sich insbesondere der Neubau. Mit der Anforderung an hohe Gebäudestandards ist auch eine entsprechende Gebäudetechnik verbunden, welche auf Grund niedriger Heizungsvorlauftemperaturen den Einsatz der Solarthermie begünstig. Für den Bestandsbau wiederum ist der Einsatz der Solarthermie oft mit weiteren (kosten)intensiven Anpassungsmaßnahmen verbunden, weshalb ein Einsatz im Bestandsbau von den Akteuren nicht favorisiert wird. Dennoch existieren Solar district heating Instruments for market support Best-Practice Policy, Legal Framework or Financing Instrument This project has received funding from the European Union's Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 691624 bundesweit verschiedene Projekte, welche belegen, dass ein Einsatz der Solarthermie in Mehrfamilienhäusern auf vielfältige Weise – auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten – möglich ist. Ergebnisse Es konnte ein Arbeitspapier zusammengefasst werden, das den aktuellen Stand wiedergibt, Hürden und Möglichkeiten auflistet und weitere Ansätze zur zukünftigen Arbeit am Thema Solarthermie in Mehrfamilienhäusern beschreibt. - Der Einsatz solarthermischer Anlagen in Mehrfamilienhäusern ist möglich. Ein Mieterwärmemodell könnte dazu beitragen, Mieter von stark steigenden Heizkosten zu entlasten und gleichzeitig den Wert einer Immobilie steigern. - Kernfrage dabei ist die Finanzierung der solarthermischen Anlage. - Ein gängiges Abrechnungsmodell besteht noch nicht und ist abhängig von steuerrechtlichen Vorgaben sowie Regelungen der Heizkostenverordnung. - Diskutiert wurde neben dem Mieterwärmemodell auch der Ansatz der „Flatrate-Miete“, bei der pauschal die Kosten für die Wärmeversorgung – unabhängig vom Verbrauch – vom Vermieter auf die Kaltmiete aufgeschlagen werden. Eine Umsetzung wird angestrebt, insbesondere vor dem Hintergrund der Sektorenkopplung. - Weiterhin rückte bei der Frage nach einem Betreibermodell als mögliche Lösung die Variante des Contractings in den Vordergrund, bei der regionale Versorger wie Stadtwerke den Betrieb der solarthermischen Anlage übernehmen. Eventuell könnte auf diese Weise auch der Anteil der erneuerbaren Energien an der Fernwärmeversorgung gesteigert werden. Eine intensive Zusammenarbeit zu diesem Thema ist notwendig. Zudem konnten zwei Konzepte für Fachveranstaltungen für die Akteure vor Ort erarbeitet werden, deren Ziel zum einen das „capacity building“ zu technischen und organisatorischen Aspekten des Einsatzes erneuerbarer Energien in der Wärmeversorgung ist, das aber auch darauf abzielt weiterhin eine Umsetzung von Projekten zur Solarthermie in Mehrfamilienhäusern / Mieterstrommodelle zu erleichtern. Letztlich konnte das Thema Contracting / Solarthermie in Mehrfamilienhäusern bei einem SDH-Workshop diskutiert werden, an dem etwa 30 regionale Akteure teilnahmen. Insgesamt konnte mit der Erarbeitung des Arbeitskonzepts eine Sensibilisierung für das Thema erzielt werden. Auch eine weitere Zusammenarbeit mit regionalen Akteuren dazu ist geplant. Da parallel zu den Aktivitäten zu Solarthermie in Mehrfamilienhäusern auch an der Erarbeitung eines Konzepts für das Förderprogramm Solar Invest gearbeitet wurde, konnten auch dort Aspekte aus den Arbeiten zum Thema Solarthermie in Mehrfamilienhäusern berücksichtig werden. Beispielsweise ist angedacht, eine Förderung zur technischen Überprüfung / Anpassung bereits bestehender Solar district heating Instruments for market support Best-Practice Policy, Legal Framework or Financing Instrument This project has received funding from the European Union's Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 691624 Solarthermieanlagen in Mehrfamilienhäusern in das Programm mit aufzunehmen. Auch Machbarkeitsstudien zum Einsatz der Solarthermie in Mehrfamilienhäusern sollen künftig gefördert werden. Gewonnene Erkenntnisse Die Wärmewende mit erneuerbaren Energien bedarf der Zusammenarbeit verschiedenster Akteure. Insbesondere im Bereich der Mehrfamilienhäuser sind die Rahmenbedingungen auf Grund der nationalen Gesetzeslage sehr anspruchsvoll. Gleichzeitig ist das Potential für den Einsatz der Solarthermie für die Wärmeversorgung von Mehrfamilienhäusern und auch die städtische Fernwärmeversorgung sehr groß. Aus diesen Gründen sollte weiter an diesem Thema gearbeitet werden. Insbesondere die künftig zu erwartenden gesetzlichen Änderungen auf Bundesebene werden dabei von entscheidender Bedeutung sein, wobei sich Thüringen künftig weiterhin für den Einsatz der erneuerbaren Energien stark machen wird. ┘ The sole responsibility for the contents of this publication lies with the authors. It does not necessarily reflect the opinion of the European Union. Neither the European Commission nor the authors are responsible for any use that may be made of the information contained therein. ┌

Julian Kuntze2023-03-22T11:50:52+01:00Dienstag, 1. Januar, 2019|

Vernetzte Solarwärme im Wohnungsbau + Solarenergiedörfer liegen im Trend

9 Oktober 2018 Solare Wärmenetze ei einer Umfrage des GdW Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, an der sich 131 Wohnungsbaugesellschaften beteiligten, erklärte jedes vierte Unternehmen, dass es eigene Wärmenetze betreibe. Ausdrücklich nicht erfasst waren dabei Netze, die von Contractoren wie beispielsweise Stadtwerken betrieben werden. Bislang ist dieser Bereich der Wärmeversorgung weitgehend statistische Grauzone. Simona Weisleder vom Ham burg Insti tut, das in diesem Bereich mit dem GdW koo pe riert, findet das Umfrageergebnis deshalb sehr interessant: „Dass ein derart hoher Anteil der Wohnungsunternehmen eigene Netze betreibt, bestätigt unsere These, dass hier im Zuge der Wärmewende ein Feld zu beackern ist.“ Während sich der Fokus der Wohnungswirtschaft nach Weisleders Einschätzung bislang eher auf den Bereich der Gebäudedämmung gerichtet habe, sei die Erzeugung von Wärme mittels erneuerbarer Energien bislang noch zu wenig im Mittelpunkt, meint Weisleder. Ein vorhandenes Wärmenetz biete al - ler dings die beste Voraussetzung, um erneuerbare Energien, wie beispiels - weise Solarthermie, Erdwärme oder Holz, in vielfältigen Va ria tionen für die Wärmewende in Quar tie ren zu nutzen. Das zeigen etliche Beispiele. Sonne und Eis So betreibt eine Hamburger Wohnungsgenossenschaft, der Eisenbahnbauverein (EBV), seit 2014 im Quartier Roseggerstraße für 480 Wohnungen einen zentralen Eisspeicher mit Wärmepumpe, der von 600 Quadratmetern Solarthermiekollektoren regeneriert wird. Der Betontank mit 20 Metern Durchmesser fasst 1500 Kubikmeter Wasser und rettet trotz dieser relativ geringen Ausmaße große Mengen der Solar wärme vom Sommer in den Winter. Dies funktioniert, weil im Phasenübergang zwischen Eis und flüssi - gem Wasser bei Null Grad relativ große Mengen Energie gespeichert werden kön nen. Allerdings wird eine Wärmepumpe benötigt, um die bei null Grad gespeicherte „Wärme“ auf ein nutz - bares Temperaturniveau für die Raumheizung zu heben. Im Winter entzieht die Wärmepumpe dem Speicher die Energie und lässt dabei das Wasser im Speicher gefrieren. Im Sommerhalbjahr wird der Speicher dann durch die Kollektor anlage wieder aufgetaut und erwärmt. Die Heizkosten der Mieter konnten nach Darstellung von EBV-Vorstand Joachim Bode mit dem neuar - tigen System im Schnitt um 30 Prozent gesenkt werden. In den nächsten Jahren sollen nach diesem Vorbild weitere Quartiere mit Eisspeichersystemen ausgestattet werden. Ganz ohne großen Speicher kommen hingegen fünf neue Solarhäuser der HOWOGE Wohnungsbaugesell - schaft in Berlin-Adlershof aus (Foto oben), obwohl diese sich übers Jahr bilanziell zu 100 Prozent mit der Solarthermie vom eigenen Dach versorgen. Dafür mussten sogar nur eineinhalb Flach dächer mit Solarwärmekollek - toren bestückt werden. Die restlichen Dachflächen können für die Stromerzeugung aus Photovoltaik genutzt wer- Wärmenetze mit Solarthermie-Einspeisung sind eine interessante Energiewende- Option für städtische Quartiere, die bislang aber im Markt noch kaum angekommen ist. Vernetzte Solarwärme im Wohnungsbau Foto: Guido Bröer B Solare Wärmenetze den. Möglich wird dies, weil der Fernwärmeversorger BTB sein Netz gewissermaßen als Solarspeicher zur Verfü - gung stellt: Was die hoch effiziente Solarthermieanlage im Sommer an Mehr ertrag produziert, der in den Häusern selbst nicht gebraucht wird, das speist sie in die Fernwärme leitungen der BTB ein und erwirbt damit für die Mieter ein Energieguthaben. Im Winter steht der Hausgemeinschaft dafür die gleiche Menge Fernwärme ohne Berechnung zu. Im ersten Betriebsjahr der Anlage ist die Bilanz aufgegangen: Die Sonne lieferte mehr Wärme als die Häuser verbraucht haben. Andreas Reinholz, der das Modell als Projektentwickler der BTB zu verantworten hat, freut sich, dass dabei das Temperaturniveau der Solaranlage fast immer hoch genug war, um in den heißeren Vorlauf des Wärmenetzes einzuspeisen. Die Option einer Rücklaufeinspeisung, die bei Netzbetreibern nicht so beliebt ist, musste kaum genutzt werden. Neue Geschäftsmodelle Reinholz lässt durchblicken, dass an diesem im Sinne des Klimaschutzes vorbildlichen Deal zwischen der BTB und dem Wohnungsunternehmen für den Wärme netz betrei ber nicht wirklich viel zu verdienen sei. Allerdings sei es aus Sicht der Fernwärmebranche wichtig, auch in hocheffizienten Neubauquartieren im Geschäft zu bleiben, indem man solche flexiblen Angebote mache. „Die Musik für die Wärmewende spielt allerdings im Altbau“, sagt er. Und auch dort würden großflächige Solaranlagen im Sommer Überschüsse erwirt schaf - ten, die bei attraktiven Verrechnungsmodellen – die es heute in Deutschland allerdings noch nicht gibt – an das Netz abgege ben werden könnten. Bei einem neuen Quartierskonzept der eG Wohnen in Cottbus wird zwar künftig auch Solarwärme an Nachbargebäude weitergegeben, allerdings will man dort mit Verrechnung nichts zu tun haben. Die Schlagworte des vom Energieexperten Timo Leukefeld entwickelten Energiekonzeptes heißen „Flat - rate-Miete“ und „vernetzte Autarkie“. Die beiden fast fertiggestellten Sonnenhäuser mit jeweils sieben Wohnungen sollen sich nicht nur zu 60 bis 70 Prozent selbst mit Strom und Wärme versorgen; sie werden darüber hinaus ihre unvermeidlichen sommerlichen Solarwärmeüberschüsse jeweils an einen benachbarten Platten bau aus DDR-Zeiten abgeben. In den ansonsten mit Fernwär me versorgten Altbauten werden nur kleine Pufferspeicher installiert. Leukefeld geht davon aus, dass die Überschüsse der Solarhäuser ausrei - chen werden, um die Nachbargebäude in den Sommermonaten vollständig mitzuversorgen. „Indem wir den Nach - ba r gebäu den die Überschussenergie schenken, verdoppeln wir in den Solarhäuser den jährlichen Kollektor ertrag.“ Den Mieter im Sonnenhaus kostet diese Freizügigkeit nichts. Er zahlt in diesem Gebäude eine sogenannte Flatrate- Miete, in der Wärme und Strom bereits enthalten sind. Guido Bröer Mit den schlüsselfertigen Solarwärme-Großanlagen von Arcon-Sunmark erzeugen Sie Ihre eigene Wärme und sparen damit nicht nur echtes Geld, sondern unterstützen aktiv den Umweltschutz. Als Marktführer mit über 25 Jahren Erfahrung in Großanlagen ist Arcon-Sunmark ein kompetenter Ansprechpartner rund um die Beratung, Installation und Betreuung individueller Solarthermie-Anlagen. Wir freuen uns auf Sie! www.arcon-sunmark.com JETZT UMSTEIGEN AUF UMWELTFREUNDLICHE UND GÜNSTIGE WÄRME Arcon-Sunmark GmbH Clermont-Ferrand-Allee 26e 93049 Regensburg info@arcon-sunmark.com Tel. 0941-64090804 Die vernetzten Sonnenhäuser der eG Wohnen in Cottbus versorgen über kleine Wärmenetze im Sommer Bestandsgebäude in der Nachbarschaft mit. Foto: eG Wohnen 11 Solare Wärmenetze Oktober 2018 Als 2012 in Büsingen das erste deutsche Solar-Bioenergiedorf an den Start ging, bei dem die Holzkessel im Sommer abgestellt bleiben und die Wärme ausschließlich von der Sonne kommt, da sorgte dies nicht nur in Fachkreisen für Furore. Auch viele Delegationen aus Kommunen reisten teils über weite Strecken an den Hochrhein, um sich das Büsinger Wärmenetz erklären zu lassen. Doch bis die ersten Nachahmer in die Gänge kamen, dauerte es vier Jahre. Erst 2016 erhöhte sich die Anzahl der deutschen Solar-Bioenergiedörfer je nach Zählweise auf zwei bis drei. Die rheinland-pfäl zischen Nachbargemeinden Neuerkirch und Külz hatten sich mit ihrem Wärme netz zum siamesi - schen Zwillingsdorf verbunden – mit der Solar-Heizzentrale als Herz. Anfang 2017 stieß dann das fränkische Hallerndorf zum kleinen Kreis der Solarenergiedörfer. Erst 2018 ist der Club stark gewachsen: Gleich fünf neue Dorf-Solarheizungen nehmen im laufenden Jahr den Betrieb auf. Breklum im hohen Norden und Randegg ganz im Süden haben ihre Einweihungsfeiern schon hinter sich. In Liggeringen am Bodensee, Mengsberg in Hessen und Ellern im Hunsrück laufen die letzten Vorbereitungen zur vollständigen Inbetriebnahme von Wärmenetz und Solar- Heizzentrale in diesem Jahr. Alle diese fünf Projekte folgen der gleichen Grundidee: Im Som mer bleibt der Holzkessel für einige Monate ausgeschaltet. Dann über nimmt die Sonne die Restwärmeversorgung des Dorfes. Das spart einerseits Brennstoff, was sich mithilfe von Fördermitteln des Bundes auch für den heute noch relativ günstigen Energieträger Holz schon nach einigen Jahren rechnet. Andererseits wird damit der ineffiziente Teillastbetrieb der Kesselanlagen im Sommer vermieden. Das spart Wartungskosten und erhöht die Lebensdauer. 20 Prozent Solarbeitrag Der prognostizierte Beitrag zur jährlich verbrauchten Wärmemenge liegt in den neuen Solardörfern typischerweise bei knapp 20 Prozent. Diese Größenordnung ergibt sich fast automatisch, wenn das Solarfeld für eine Volldeckung im Sommer ausgelegt wird. Wollte man größere Solaranteile erreichen – wie es in Dänemark bereits häufig der Fall ist –, so müsste man deutlich größere Spei cher bauen oder in Kauf nehmen, dass die Kollektoren sich im Sommer mit unter abschalten und die Energie verloren geht. Beides würde die Kosten pro Kilowattstunde Solarwärme verteuern. Unterschiede im Detail So ähnlich sich die Solardorfprojekte auf den ersten Blick sind, so unterscheiden sie sich doch im Detail. Das fängt schon mit der Betreibergesellschaft an. In Mengsberg und Breklum haben sich lokale Bürgerenergiegenossenschaften gebildet, um das Netz zu betreiben. Wer angeschlossen werden möchte, wird Genosse und trägt mit seiner Einlage zum Stamm kapital des Unternehmens bei. Die Gegenleistung ist Wärme zum dauerhaft günstigen Preis. Und vielleicht gibt es sogar eine kleine Dividende am Jahresende. Der Auf - wand für Wartung der Anlagen, Abrechnung der Wärme und Betreuung der Mitglieder, dem sich die Genossenschaften hier über die Bauphase hinaus stellen müssen, ist allerdings erheblich. In den Gemeinden Ellern und Liggerin- Fünf neue Solar-Bioenergiedörfer nehmen 2018 in Deutschland den Regelbetrieb auf. Foto: Stadtwerke Radolfzell. Solarenergiedörfer liegen im Trend In Liggeringen am Bodensee haben die Stadtwerke Radolfzell das Solarthermiefeld bereits aufgestellt. Solare Wärmenetze gen hat sich die Dorfgemeinschaft deshalb entschieden, Bau und Betrieb des Netzes von vornherein dem jeweiligen Versorgungsunternehmen der Kommune zu überlassen. In Randegg hingegen wird das Netz von der Solarcomplex AG betreiben (vgl. Energiekommune 7/2018), einer als Aktiengesell schaft organisierten regionalen Bürgerenergiefirma, die schon im ersten Solarenergiedorf Büsingen Pionierarbeit geleistet hat. Technische Varianten Der auffälligste technische Unterschied zwi schen den einzelnen Solarsystemen ist die Bauform der Kollek toren. Drei der Anlagen (Ellern, Randegg, Breklum) arbeiten mit Vakuumröhrenkollektoren, die nach dem Thermoskannenprinzip isoliert sind und so bei kühler Witterung eine höhere Effizienz erreichen. In Liggeringen und Mengsberg kom men hin - ge gen Großflächen-Flachkollektoren zum Einsatz, wie sie im Vorreiterland Dänemark üb lich sind. Diese sind in der Anschaffung güns tiger, ha ben aber einen geringeren Flächenertrag. Für Thomas Pauschinger vom Steinbeis- Forschungsinstitut Solites in Stuttgart hat jedes System seine Vor- und Nachteile; für die Wärme wende in Deutschlands Dörfern seien diese aber letzt lich nicht entscheidend. Er sieht inzwischen einen klaren Trend zur Sonne: „Es liegt auf der Hand, dass sich die Solarthermie in immer mehr Energie dör - fern als verlässlicher und wirtschaftli - cher Wärmeerzeuger durchsetzt, denn solche Anlagen sind eine zukunftssi - chere Investition und genießen bei den Bewohnern eine hohe Akzeptanz.“ Mit der heutigen Technik sei dabei noch mehr möglich, so Pauschinger: „Wir rechnen damit, dass die Solarthermie zukünftig nicht nur den Sommerbedarf solcher Wärmenetze deckt, sondern durch größere Speicher auch höhere Solaranteile erzielt.“ Guido Bröer Das Solarthermiefeld im hessischen Mengsberg arbeitet seit dem 1. August. Die beiden Speicher sind schon prall gefüllt mit Solarwärme. Die ersten Gebäude werden versorgt. Foto: Viessmann Solarthermie Anlagen Im Norden geht die Sonne auf! garantiert höchste Erträge stabile Wärmepreise schlüsselfertig oder im Contracting Jetzt anrufen und eine unserer über 15.000 m² großen Referenzanlagen in Dänemark besuchen! Savosolar Kühnehöfe 3 | 22761 Hamburg info@savosolar.de | ✆ +49 (0) 40 500 349 7-0 GmbH 15. Oktober 2018 in Erfurt Wärmenetze mit erneuerbarer Ener gie und Multifunktions-Wärmespeichern Der kostenfreie Workshop des Umwelt- und Energie mi - nis teriums Thüringen richtet sich an Versorger, Kommu - nen, Genossenschaften, Wohnungswirtschaft und Planer. Info: A. Kornmann, aline.kornmann@tmuen.thueringen.de 25. Oktober 2018 in Stuttgart Regenerative Wärmekonzepte Der Stadtwerkeverbund ASEW gibt seiner Veranstaltung den Untertitel „Wärmewende mitgestalten und dabei Geld verdienen“. Es geht dabei unter anderem um die Verbindung von Solarthermie und Techniken der Sektorenkopplung in Wärmenetzen. www.asew.de/waermekonzepte 7. bis 9. November 2018 in Dänemark Exkursion zu dänischen Wärmenetzen Das Kompetenzzentrum Wärmenetze Baden-Württem - berg bietet eine Tour nach Dänemark an. Die Veran stal - tung richtet sich an Vertreter von Kommunen und Stadtwerken. Dänische Kommunen und Energiegenos - senschaften sind weltweit führend bei der Entwicklung von (Solar-)Wärmenetzen und Sektorenkopplung. KEA, www.energiekompetenz-bw.de/ddd TERMINE ZU SOLAREN WÄRMENETZEN Oktober 2018

Julian Kuntze2023-03-22T11:50:52+01:00Montag, 1. Oktober, 2018|
Nach oben