Beim Thema Kommunale Wärmeplanung ist Baden-Württemberg Vorreiter. Für Städte mit mehr als 20.000 Einwohnern ist die Erstellung eines Wärmeplans dort Pflicht. Für kleine Kommunen wird Wärmeplanung seit dem 1. Oktober gefördert. Einige Kommunen in der Region Neckar-Alb wollten darauf nicht warten. Sie realisieren bereits Wärmenetze mit erneuerbaren Energien in unterschiedlichen Modellen.
Seit Wochen schon stapeln sich auf einer Wiese am Ortsrand von Breitenholz Fernwärmerohre. Jetzt haben die Bagger damit begonnen, die Straßen des 750-Einwohner-Dorfes aufzureißen, das malerisch am Rande des Naturparks Schönbuch liegt. Holz ist hier reichlich vorhanden, mit dem künftig die drei Kessel in der neuen Heizzentrale des Ortes gefüttert werden sollen. Sie ersetzen weit über 100 Einzelheizungen in den Gebäuden. Zu drei Vierteln sind das alte Ölkessel, denn ein Gasnetz gibt es in Breitenholz nicht.
Vom „Öldorf“ zum „Bioenergiedorf“ – das wäre an sich schon eine spannende Geschichte. In der Fachwelt wird Breitenholz aber wohl eher als „Solardorf“ von sich reden machen. Denn das mehr als 2000 Quadratmeter große Solarkollektorfeld soll den Wärmebedarf des Ortes übers Jahr zu 37 Prozent decken. Das ist ein rund doppelt so hoher Solaranteil wie in dem guten Dutzend anderen Solar-Bioenergiedörfern, die deutschlandweit schon in Betrieb sind.
Für Günther Gamerdinger, Genossenschaftsvorstand der Tübinger Energiegenossenschaft, die das Wärmenetz in Breitenholz initiiert hat und die als Komplementärin an der örtlichen Bürgerenergie-Gesellschaft beteiligt ist, ist der hohe Solaranteil ein logischer Schritt: „Auch mit dem Holz verbrennt man wertvolle Ressourcen. Deshalb haben wir gesagt, wir möchten die Kraft der Sonne nutzen, um die Ressource Holz ein Stück weit zu entlasten.“
Speicher macht den Unterschied
Die technische Möglichkeit für den hohen Solaranteil schafft ein zehn Meter hoher Speicher. Dank ihm steht die geerntete Solarenergie auch an weniger sonnigen Tagen zur Verfügung. In bisherigen Solar-Bioenergiedörfern mit vergleichsweise kleineren Kollektorfeldern und Speichern trumpfen die Solaranlagen vor allem im Sommer auf, wenn sie den niedrigeren Wärmebedarf im Netz komplett decken. Hingegen soll das Zusammenspiel von Kollektoren und Speicher in Breitenholz auch in den kühleren Übergangsjahreszeiten und sogar an sonnigen Wintertagen nennenswerte Beiträge leisten.
Ihr Netz werden die Breitenholzer Bürger:innen selbst betreiben. Mit Kommanditanteilen von jeweils mindestens 1000 Euro haben sie sich an der eigens gegründeten örtlichen Betreibergesellschaft beteiligt. Das finanzielle und technische Know-how organisiert dabei die Genossenschaft Bürger-Energie Tübingen, die als Komplementärin der Bioenergie Breitenholz eG & Co. KG im Boot ist. Die Tübinger Genossen haben seit vielen Jahren Erfahrung mit Photovoltaikanlagen. In Breitenholz wagen sie sich erstmals an ein Wärmeprojekt.
ENTRAIN präsentiert gute Beispiele
Und wenn man sich umschaut im Ländle, dann gibt es immer mehr solcher gemeinschaftlichen und kommunalen Initiativen im Wärmebereich. In der Region Neckar-Alb ist Breitenholz eines von mehreren Vorzeigeprojekten, mit denen der Regionalverband Neckar-Alb und die drei jeweils kreisweit organisierten Klimaschutzagenturen für die Idee ländlicher Wärmenetze werben. Unterstützt durch EU-Geld versuchen sie im Projekt ENTRAIN mit solchen guten Beispielen auch andere Kommunen von den Vorzüge gemeinschaftlicher Wärmeversorgung mit erneuerbaren Energien zu überzeugen.
Das wichtigste Argument ist dabei neben dem Klimaschutz eine hohe regionale Wertschöpfung anstelle der bisherigen Energieimporte. Obendrein werden die Energiepreise durch heimische Erneuerbare absehbar stabiler bleiben, was Sicherheit gibt und somit auch eine soziale Komponente hat.
Und noch einen anderen sozialen Aspekt sieht Franziska Kenntner, die Bürgermeisterin von Mehrstetten, wenn sie an das kurz vor dem Baubeginn stehende Wärmenetz der Kommune denkt: „Ich glaube, dass es den Zusammenhalt fördert. Mein Nachbar hat die gleiche Wärme, und der, der eine Straße weiter wohnt, hat sie auch. Das hilft, den Zusamenhalt zu stärken.“
Bürgerunternehmen treibt die Wärmewende voran
Zumal auch in Mehrstetten, mit 1450 Einwohnern hoch auf der schwäbischen Alb gelegen, die Antreiberin der örtlichen Wärmewende eine Genossenschaft ist – die Energie für Bürger Mehrstetten eG. Die hat sich eigens für Planung, Bau und Betrieb des Netzes im Ort gebildet. Genossenschaftsvorstand Rolf Schiller ist begeistert von der Idee des gemeinsamen Wirtschaftens: „Das hat ja auch was urdemokratisches, wie man es in modernen Gesellschaften, die so komplex sind wie unsere, kaum noch findet.“
Seit drei Jahren engagieren sich die Mehrstetter:innen für ihr Wärmenetz. Ausgehend zunächst von einem Quartierskonzept zur Versorgung von städtischen Gebäuden wie Schule, Rathaus und Kindergarten ist die Idee gewachsen. Nach drei Jahren intensiver Diskussionen, des Planens und der Überzeugungsarbeit werden viele Hausbesitzer:innen in Mehrstetten vielleicht schon im kommenden Jahr die Möglichkeit zum Anschluss an eine CO2-neutrale Wärmeversorgung mit Holz haben, um die sich die meisten viel weniger kümmern müssen als um ihre heutige Solo-Heizung, obwohl ihnen alles gemeinsam gehört.
Wärmenetze bringen Kommunen Wertschöpfung
Im 20 Kilometer entfernten Pfronstetten verfolgt Bürgermeister Reinhold Teufel einen etwas anderen Ansatz, Dort liegen sogar schon bislang ungenutzte Wärmeleitungen zwischen drei kommunalen Gebäuden, dem Kindergarten, der Schule und einer Veranstaltungshalle. Die Rohre hat der Gemeinderat bei passender Gelegenheit vor einigen Jahren vorsorglich mit verlegen lassen, um diese Liegenschaften eines Tages zentral zu versorgen, wenn die bereits betagten Einzelheizungen zum Austausch anstünden. Inzwischen allerdings ist die Idee weiter gewachsen.
Die Gemeinde selbst will auch ihren Bürger:innen eine Fernwärmeversorgung anbieten. Darin unterscheidet sich das Pfronstetter Modell von Breitenholz und Mehrstetten. Während dort Bürgerenergiegesellschaften die Projekte organisieren, will die Gemeinde Pfronstetten selbst investieren. Für Teufel liegt das nicht nur deshalb auf der Hand, weil seine Gemeinde über ausreichend Eigenkapital verfügt, das aktuell keine Zinsen bringt. Er möchte auch die Entscheidungshoheit in kommunaler Hand halten: „Wir wollen Eigentümer des Netzes sein, um so auch bei der Preisgestaltung später im Interesse der Kunden ein Wort mitsprechen zu können.“
Die CO2-neutrale Energie sollen in Pfronstetten die heimischen Wälder und die Solarthermie liefern. Die Gemeinde besitzt selbst Wald und möchte ihr Holz vor Ort nutzen. „Viel wichtiger sind aber hier in der Region die privaten Waldbesitzer“, sagt Teufel. „Sie bekommen die Möglichkeit ihr Holz an den Betreiber des Heizwerkes zu verkaufen und so die regionale Wertschöpfung daraus zu generieren.“
Private Initiative
Wie gut dies funktioniert, lässt sich bereits in Rosenfeld im Zollernalbkreis zwischen Schwarzwald und schwäbischer Alb erkunden. Dort betreibt der Forstunternehmer und Holzhändler Günter Rauch seit 10 Jahren ein Heizwerk samt Wärmenetz. Ausgehend auch hier von ersten kommunalen Gebäuden hat er sein Netz inzwischen in mehreren Stufen ausgebaut. Heute versorgt Günter Rauch mit seiner Naturenergie Kleiner Heuberg GmbH & Co. KG 27 Gebäude verschiedener Größe.
Und die Stadt will mehr. Mit einem Quartierskonzept hat sie die Potenziale in der gesamten Kernstadt mit 691 Gebäuden ermittelt. Überwiegend werden diese heute mit Ölkesseln beheizt und zu einem beachtlichen Teil auch mit elektrischen Nachtspeicherheizungen. Und 40 Prozent der Wärmeerzeuger sind älter als 20 Jahre. Zudem sind die Möglichkeiten zur Wärmedämmung in den vielen Fachwerkhäusern des historischen Stadtkerns schon aus Denkmalschutzgründen eher begrenzt.
„Wir haben durch das Quartierskonzept viele interessante Erkenntnisse gewonnen, die wir jetzt sukzessive umsetzen wollen“, sagt Rosenfelds Bürgermeister Thomas Miller. Er setzt nun mit dem Gemeinderat auf den weiteren Ausbau der erneuerbaren Fernwärme. „Die Leute sind damit sehr zufrieden“, sagt er und verweist unter anderem auf das kürzlich angeschlossene Freibad, das nun auch an kühlen Tagen mit angenehmen Temperaturen lockt.
Wärmeplanung als Pflicht
Wie Rosenfeld so werden demnächst viele Kommunen in Baden-Württemberg systematisch ihre Wärmeplanung in die Hand nehmen. Was für die 103 Kommunen ab 20.000 Einwohnern ab diesem Jahr Pflichtaufgabe ist, das sollen kleinere Kommunen freiwillig angehen, so das erklärte Ziel der grünschwarzen Landesregierung. Im Gesetzgebungsverfahren zum Klimaschutzgesetz hatte sie zunächst davon abgesehen, die kommunale Wärmeplanung für alle rund 1000 Kommunen des Bundeslandes auf einen Schlag obligatorisch zu machen. Dafür hätte es viel zu wenige kompetente Planerinnen und Planer gegeben, lautete die offizielle Begründung.
Zuschuss für kleine Kommunen
Allerdings bekommen Kommunen seit dem 1. Oktober einen Zuschuss von bis zu 80 Prozent der förderfähigen Kosten, wenn sie einen kommunalen Wärmeplan erstellen lassen. Die Höchstbeträge sind nach Gemeindegröße gestaffelt. Und sie steigen noch um einen Bonus, wenn mehrere Kommunen ihre Wärmeplanung gemeinsam in einem sogenannten Konvoi angehen. Vom Konvoiverfahren verspricht sich das Land nicht nur mehr Effizienz für den Planungsprozess, sondern auch bessere Ergebnisse. Denn eine interkommunale Wärmeplanung ermöglicht es oft, Erneuerbare-Energien-Potenziale und Wärmebedarf über Kommunalgrenzen hinweg zusammenzubringen. Ein Paradebeispiel – wenn auch nicht aus Baden-Württemberg – sind die Gemeinden Neuerkirch und Külz im Hunsrück, die ein gemeinsames Wärmenetz mit Holz- und Solarthermieanlage aufgebaut haben.
Quelle: Dieser Artikel ist original in der Ausgabe 10/2021 der Zeitschrift Energiekommune erschienen.
Foto: Guido Bröer